Abbildungen der Seite
PDF
EPUB
[ocr errors]

So

manche tiefe, heilige Stellen der Bibel so verdrehen, verwässern, zu einer Alltagsphrase herabdeuteln konnten, um nur irgend einen Sinn darin zu finden. Ich begriff's aber, so bald ich sie ge= sehen, persönlich kennen gelernt hatte. Trockene, eiskalte, zerstudirte Gesichter, grobsinnliche, mit Fleisch überwachsene Physiognomieen oder vielmehr Unphysiognomieen, von Stolz und Eitelkeit aufgeblasene Figuren, ohne Theilnahme, ohne eine Spur von seinem Sinn! Freilich diesen Gefichtern hått' ich auch nichts aus dem Innersten meines Wesens geben können, weil ich voraus ge= wußt hätte, daß sie es nicht verstånden. konnte sie auch Paulus und Johannes nicht an= sprechen. Sie hätten dem Taubgebornen oder Laubgewordenen Musik machen, dem Blinden einen Sonnenaufgang zeigen wollen. Ich verstand nun, wie weit die Eregese dieser Männer reichen konnte, daß es ihnen wie Luthern ging, wenn er all die reinen und unreinen Thiere jener Gegend vorführen, oder uns den Pustisch einer israelitischen Kokette commentiren wollte. Er verstand selbst nichts von jenem Put. Wie oft fällt mir bei manchen unserer gelehrten Eregeten das Wort Scaligers ein: non omnibus datum est, habere

nasum!

Dritter Brief.

An denselben.

Ich hab' Ihre Frage vorausgesehen, verehrter

Mann, Sie sprechen mir so viel von Mystik und Mystikern, ohne mir bestimmt zu sagen, was denn eigentlich Mystik sey, die man, wie Sie selbst am Ende Ihres lehten Briefs bemerken, so verschieden ansieht und so sehr ungleich würdigt. Was ist denn eigentlich Mystik? Ich frage nåmlich nicht, wie sie der blos trockene Denker, und wie sie der enthusiastische Kopf beschreibe, sondern wofür Sie sie halten.

Vor Allem erlauben Sie mir die Bemerkung, daß man gewisse Erscheinungen und Menschen am besten durch ihre Umgebungen und Aeußerungen kennen lernt, daß man am besten darauf achtet, wann, wo, und auf welche Art sie sich ent= wickeln, wie sie wirken, um zu erfahren, was

fie sind. Dies gilt am meisten von tiefen, verschlossenen Menschen, von sonderbaren, ausgezeichneten Erscheinungen. In die innere Natur dringt man nicht leicht und bald; man muß auf Zeit, Ort, Personen oder Dinge, auf Art ih= rer Wirkungen achten, um Etwas von ihrer Natur zu verstehen. Wenn man darauf merkt, in welchen Gegenden starke Gewürze oder blühende Früchte wachsen, was ihr Genuß wirkt, und wie er wirkt; so ist man der Erkenntniß ihrer Natur schon nåher gekommen. Hat man entdeckt, daß Löffelkraut am häufigsten wächst, wo Klima und Lebensart viele scorbutische Säfte erzeugen, so versteht man schon Manches von dem Eigenthümlichen dieser wohlthätigen Pflanze. Ohne das Eigentliche, Tiefe der Mystik zu kendas blieb wohl dem sonst so gelehrten Henke verborgen hat er sie doch schon gut charakterisirt durch die Bemerkung, daß zu einer gewissen Zeit nur in ihren Schriften noch Religion zu finden gewesen sey. Etwas Alltägliches, blos Phantastisches konnte sie also doch nicht seyn. Sie verstehen mich!

nen

[ocr errors]

Mystik, das sagt, wie Sie wissen, das Wort schon! - bezieht sich auf etwas Verborgenes; ist Erkenntniß-Lehre von etwas Verborgenem. So Etwas findet sich in Allem, was uns umgibt.

In jeder Pflanze, jedem Stein, jedem Thier ist etwas in die Augen Fallendes, Allerkennbares, Offenburtes; aber auch etwas Unsichtbares, nur Benigen Erkennbares, Verborgenes, Mystisches. Das Aeußere ist nur Abdruck, Symbol, Physiognomie des Innern. Oder ist es anders? Sucht nicht der Botaniker seine Mystik in Hinsicht auf das Pflanzenreich, der Mineralog seine Kenntniß von der innern Natur, der Art von Wachsthum der Mineralien, zu vermehren? Studirt nicht der Geolog das Aeußere der Gebirge, um aus ihrer Lage, ihrem Profil, den Gewächsen, die sie nåhren, das Innere zu errathen? Und wie viel Verborgenes, Mystisches hat erst der Mensch, das menschliche Gemüth! Welche Kräfte, Blicke, Offenbarungen zeigen sich in manchen Krankheiten, in Seelenzerrüttung, im magnetischen Schlaf bei den Clairvoyanten! Das Alles wegleugnen, obgleich Hunderte es sahen, heißt, den Sonnenglanz leugnen, weil man blind ist oder blind seyn will. Wenn nun in dem Menschen ein neues Leben erwacht durch einen Glauben, eine Liebe, die er selbst vorher nicht kannte und auch jezt nur aus ihren Wirkungen kennt; wenn in ihm rege und immer reger wird ein Streben nach dem Höchsten, Vollkommensten, nach Aehnlichkeit, Vereinigung mit Gott, nach Zusammenschmelzen mit der Gott=

heit, durch das Mittelwesen, das die Gottheit und die Menschheit berührt, durch den Mittler, Jesus Christus; wenn dahin, allein dahin alles Streben, aber unaustilgbar, gerichtet ist; wenn durch dies innere Leben alles ungöttliche Wesen nach und nach aus der Seele schwindet, wie die Sonne am Morgen nach und nach alle Morgennebel zerstreut; wenn der Mensch nun trägt, was er sonst nie tragen konnte, und so leicht, als trüg' er nichts; wenn er reich ist bei allem åußern Mangel, und selbst bei innerm; wenn er das Schwerste thut, als sen dabei nichts zu thun, das Liebste aufopfert, als sey da nichts zu opfern; wenn er selig ist unter äußeren Umständen, die jeden An= dern zur Verzweiflung bringen würden; wenn er davon spricht, schreibt, zeugt, oder auch nicht spricht, schreibt, zeugt, sondern sich nur so fühlt, und der Abglanz seines Gefühls aus seinen Blikken strahlt; wenn dieser Blick, seine ganze Physiognomie sagt? Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch meines Herzens Trost und mein Theil;" so ist er ein wahrer Mystiker. O! ich sah' manche solcher Menschen. Eine, die eine lange Reihe von Jahren im Bett unter beständigen Schmerzen zubringen mußte, die nie den Kopf aufheben konnte,

[ocr errors]
« ZurückWeiter »