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und die Mystik in rechter Ehe stehen, so daß fie

einander sättigen.

(Von einem Ungenannten.)

Wohl gibt es ein Bewußtseyn, welches tiefer liegt als das sich in jeder Form klar ergreifende Selbstbewußtseyn, wie ein Jeder innewird, der nur mit der Erinnerung in seine Kindheit zurückgeht; ein Bewußtseyn nämlich, dessen man sich nicht mehr bewußt ist, das in die Bewußtlosigkeit zurücktritt, ohne daß wir zugeben dürfen, daß es in dieser zu Grunde gehe, welches eben daher schrankenlos rückwärts schreitend eine unendliche Vergangenheit fodert. Wir wissen wohl, daß die Vergangenheit, so angeschaut, ihre Form als Vergangenheit verliert, weil die Zeit als solche, als angeschaute Entwickelung, nur in und mit dem Selbstbewußtseyn Realität hat. Aber ist denn die Zukunft nicht auch ein schlechthin angeschautes Unendliche, welches, in seiner Totalitåt geschaut, die ganze Vergangenheit in sich aufnimmt und dadurch die Form als Zukunft verliert? Ja gilt dasselbe nicht von der Gegenwart, wenn sie in ihrer

ganzen Fülle ergriffen wird? Diese Mystik, die untrennlich ist von aller Philosophie, ja von allem festen und gründlichen Erkennen, soll herausgehoben, soll erkannt werden; ja es ist das höchste Interesse des Verstandes, daß es geschehe.

Steffens Caricaturen
des Heiligen.

Erster Brie f.

An den Herrn von Sch.

Sie wissen, daß ich mich schon eine beträchtliche

Zeit mit mystischen Schriften beschäftige, daß ich einen nicht unbedeutenden Werth darauf lege, mich auch gelegentlich darüber geäußert habe, und, wie natürlich, von einigen unserer hellen Köpfe, darüber gehörig zurecht gewiesen worden bin. Sie hören und lesen so manche verschiedene Urtheile über Mystik. Man spricht und schreibt manchmal darüber, als ob sich nichts als Unsinn, und manchmal, als ob sich hohe, tiefe Weisheit darin finde. Sie sagen mir, Sie hätten manches Einzelne von der Art gelesen, was Sie angezogen und angesprochen; Manches habe man Ihnen aber vorgelegt, was Sie durchaus nicht verstanden håtten. Sie interessiren sich für die Sache, wie für alles Wahre und Gute, wünschten wenigstens zu wissen,

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ob etwas, und was daran, wahr und gut sey. Darum bitten Sie mich, Ihnen meine Meinung darüber zu sagen und es Ihnen, ohne die dunkle Sprache der Mystiker, klar zu machen, was denn die Leute wollen, wozu es dienen kann, und warum fie so warme Anhänger, aber eben so heftige Feinde haben. Långst hätt' ich Ihren Wunsch er= füllt; denn was thate man nicht einem Manne zu Gefallen, der die Wahrheit überall, und nur die Wahrheit sucht? - Mehrmals macht' ich mich auch daran. Aber ich fand bald, daß ich mich nicht auf Wenig beschränken dürfe, wenn ich Sie nicht zu unzähligen Fragen veranlassen wollte, die ich voraussehen konnte, die also kürzer zu beantworten waren, wenn ich sogleich bei Darstellung des Geistes der Mystik Rücksicht darauf nahm. Natürlich gab aber dies keinen Brief, sondern eine Sammlung von Briefen, keine Correspondenz, sondern ein Buch. Unter dem Nachlesen und Nachdenken über den Gegenstand, verglichen mit dem Urtheil unserer meisten Gelehrten, fand ich, daß die meisten alten Mystiker selbst Gelehrten unbekannt geblieben waren, daß man sie nicht verstanden, weil man es nicht für der Mühe werth gehalten hatte, sich in ihre Sprache hineinzustudiren, und daß man oft den Sinn verdammt hatte, der erst von den Tadlern in ihre Schriften hineinge

tragen worden war. Sie wissen ja, wie geschickt und geübt manche Ausleger darin find, das, was ihnen allein Wahrheit ist, all den Schriftstellern unterzuschieben, die sie etwas Vernünftiges sagen lassen wollen oder sagen lassen zu müssen glauben. In dem Gegentheile sind sie denn natürlich eben so geübt. Ich fand so viel Wahres, Großes und Tiefes in den alten Mystikern; ihre Schriften hatten oft meinem Gemüthe, meinem innersten religiösen Sinn so viel gegeben; ich fand in ihnen so viel Uebereinstimmung mit der Bibel, mit der Natur, mit dem Gang meiner eigenen, innern Führung, daß ich glaubte, auch manche andere Wahrheitsliebende könnten wohl, so wie Sie, fragen, und auch diese könnten Winke bekommen, was sie in den alten ehrwürdigen Tho mas von Kempen, Tauler, Arndt, und in den noch ålteren Gerson, Bonaventura und Hugo à Sancto Victore, zu suchen hätten. Ich wählte mir eine Zeit der Muse, suchte meine Sammlungen aus den Schriften dieser Männer zusammen, ordnete sie unter und neben meinen Beobachtungen, dachte mir Sie mit Ihrer Wißbegierde, Wahrheitsliebe, mit Ihrem weiten, vielseitigen Sinn, der nie durch den Verstand empfinden, aber auch nicht was blos manche Weiber können, durch das Herz denken will.

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