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verstehn ist, wofür man es aber um so weniger erkennt, als die mühsam erreichte Klarheit der Darstellung und Deutlichkeit des Ausdrucks über den unmittelbaren Sinn des Gesagten wohl nie zweifelhaft läßt, 'jedoch nicht seine Beziehungen auf alles Uebrige zugleich aussprechen kann. Darum also erfordert die erste Lekture, wie gesagt, Geduld, aus der Zuversicht geschöpft, bei der zweiten Vieles oder Alles in ganz anderm Lichte erblicken zu werden. Uebrigens muß das ernstliche Streben nach völliger und selbst leichter Verständlichkeit, bei einem sehr schwierigen Gegen. stande, es rechtfertigen, wenn hier und dort sich eine Wiederho-lung findet. Schon der organische, nicht kettenartige Bau des Ganzen machte es nöthig, bisweilen dieselbe Stelle zwei Mal zu berühren. Eben dieser Bau auch und der sehr enge Zusammenhang aller Theile hat die mir sonst sehr schäßbare Eintheilung in Kapitel und Paragraphen nicht zugelassen; sondern mich genóthigt, es bei vier Hauptabtheilungen, gleichsam vier Gesichtspunkten des einen Gedankens, bewenden zu lassen. In jedem dieser vier Bücher hat man sich besonders zu hüten, nicht über die nothwendig abzuhandelnden Einzelheiten den Hauptgedanken, dem sie angehören, und die Fortschreitung der ganzen Darstellung aus den Augen zu verlieren. Hiemit ist nun die erste und gleich den folgenden unerlaßliche Forderung an den (dem Philosophen, eben weil der Leser selbst einer ist) ungeneigten Leser ausgesprochen.

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Die zweite Forderung ist diese, daß man vor dem Buche die Einleitung zu demselben lese, obgleich sie nicht mit in dem Buche steht, sondern fünf Jahre früher erschienen ist, unter dem Titel: Ueber die vierfache Wurzel des Sahes vom zureichenden Grunde: eine philosophische Abhandlung.“ Ohne Bekannt schaft mit dieser Einleitung und Propädeutik ist das eigentliche Verständniß gegenwärtiger Schrift ganz und gar nicht möglich, und der Inhalt jener Abhandlung wird hier überall so voraus

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geseht, als stånde sie mit im Buche. Uebrigens würde sie, wenn sie diesem nicht schon um mehrere Jahre vorangegangen wåre, doch wohl nicht eigentlich als Einleitung ihm vorstehn, sondern dem ersten Buch einverleibt seyn, welches jeßt, indem das in der Abhandlung Gesagte ihm fehlt, eine gewisse Unvollkommenheit schon durch diese Lücken zeigt, welche es immer durch Berufen auf jene Abhandlung ausfüllen muß. Indessen war mein Widerwille, mich selbst abzuschreiben, oder das schon einmal zur Genüge Gesagte mühsålig unter andern Worten nochmals vorzubringen, so groß, daß ich diesen Weg vorzog, ungeachtet ich sogar jezt dem Inhalt jener Abhandlung eine etwas bessere Darstellung geben könnte, zumal indem ich sie von manchen, aus meiner damaligen zu großen Befangenheit in der Kantischen Philosophie herrührenden Begriffen reinigte, als da sind: Kategorien, äußerer und innerer Sinn u. dgl. Indessen stehn auch dort jene Begriffe nur noch weil ich mich bis dahin nie eigentlich tief mit ihnen eingelassen hatte, daher nur als Nebenwerk und ganz außer Berührung mit der Hauptsache, weshalb denn auch die Berichtigung solcher Stellen jener Abhandlung, durch die Bekanntschaft mit gegenwärtiger Schrift, sich in den Gedanken des Lesers ganz von selbst machen wird. Aber allein wenn man durch jene Abhandlung vollständig erkannt hat, was der Sah vom Grunde sei und bedeute, worauf und worauf nicht sich seine Gültigkeit erstrecke, und daß nicht vor allen Dingen jener Sat, und erst in Folge und Gemäßheit desselben, gleichsam als sein Korrolarium, die ganze Welt sei; sondern er vielmehr nichts weiter ist, als die Form, in der das stets durch das Subjekt be dingte Objekt, welcher Art es auch sei, überall erkannt wird, sofern das Subjekt ein erkennendes Individuum ist: nur dann wird es möglich seyn, auf die hier zuerst versuchte, von allen bisherigen völlig abweichende Methode des Philosophirens einzugehn.

Allein derselbe Widerwille, mich selbst wörtlich abzuschreiben,

oder aber auch mit andern und schlechtern Worten, nachdem ich mir die bessern selbst vorweggenommen, zum zweiten Male ganz das Selbe zu sagen, hat noch eine zweite Lücke im ersten Buche dieser Schrift veranlaßt, indem ich alles Dasjenige weggelassen habe, was im ersten Kapitel meiner Abhandlung „über das Sehn und die Farben" steht und sonst hier wörtlich seine Stelle gefunden hätte. Also auch die Bekanntschaft mit dieser früheren kleinen Schrift wird hier vorausgeseht.

Die dritte an den Leser zu machende Forderung endlich könnte sogar stillschweigend vorausgesetzt werden: denn es ist keine andre, als die der Bekanntschaft mit der wichtigsten Erscheinung, welche seit zwei Jahrtausenden in der Philosophie hervorgetreten ist und uns so nahe liegt: ich meine die Hauptschriften Kant's. Die Wirkung welche sie in dem Geiste, zu welchem sie wirklich reden, hervorbringen, finde ich in der That, wie wohl schon sonst gesagt worden, der Staaroperation am Blinden gar sehr zu vergleichen: und wenn wir das Gleichniß fortsehen wollen, so ist mein Zweck dadurch zu bezeichnen, daß ich Denen, an welchen jene Operation gelungen ist, eine Staarbrille habe in die Hand geben wollen, zu deren Gebrauch also jene Operation selbst die nothwendigste Bedingung ist. So sehr ich demnach von Dem ausgehe, was der große Kant geleistet hat; so hat dennoch eben das ernstliche Studium seiner Schriften mich bedeutende Fehler in denselben entdecken lassen, welche ich aussondern und als verwerflich darstellen mußte, um das Wahre und Vortreffliche seiner Lehre rein davon und geläutert vorausseßen und anwenden zu können. Um aber nicht meine eigene Darstellung durch häufige Polemik gegen Kant zu unterbrechen und zu verwirren, habe ich diese in einen besondern Anhang gebracht. So sehr nun, dem Gesagten zufolge, meine Schrift die Bekanntschaft mit der Kantischen Philosophie voraussett; so sehr seht sie also auch die Bekanntschaft mit jenem Anhange voraus: daher es in dieser Rück

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sicht rathsam wäre, den Anhang zuerst zu lesen, um so mehr, als der Inhalt desselben gerade zum ersten Buch gegenwärtiger Schrift genaue Beziehungen hat. Andrerseits konnte, der Natur der Sache nach, es nicht vermieden werden, daß nicht auch der Anhang hin und wieder sich auf die Schrift selbst beriefe: daraus nichts anderes folgt, als daß er eben sowohl, als der Haupttheil des Werkes, zwei Mal gelesen werden muß.

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Kants Philosophie also ist die einzige, mit, welcher eine gründliche Bekanntschaft bei dem hier Vorzutragenden geradezu vorausgesetzt wird. - Wenn aber überdies noch der Leser in der Schule des göttlichen Platon geweilt hat; so wird er um so beffer vorbereitet und ́empfänglicher seyn mich zu hören. Ist er aber gar noch der Wohlthat der Veda's theilhaft geworden, deren uns durch die Upanischaden eröffneter Zugang, in meinen Augen, der größte Vorzug ist, den dieses noch junge Jahrhundert vor den früheren aufzuweisen hat, indem ich vermuthe, daß der Einfluß der Sanskrit-Litteratur nicht weniger tief eingreifen wird, als im 14ten Jahrhundert die Wiederbelebung der Griechischen: hat also, sage ich, der Leser auch schon die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen und empfänglich aufgenommen; dann ist er auf das allerbeste bereitet zu hören, was ich ihm vorzutragen habe. Ihn wird es dann nicht, wie manchen Andern fremd, ja feindlich ansprechen; da ich, wenn es nicht zu stolz klänge, behaupten möchte, daß jeder von den einzelnen und abgerissenen Aussprüchen, welche die Upanischaden ausmachen, sich als Folgesak aus dem von mir mitzutheilenden Gedanken ableiten ließe, obgleich keineswegs auch umgekehrt dieser schon dort zu finden ist.

Aber schon sind die meisten Leser ungeduldig aufgefahren und in den mühsam so lange zurückgehaltenen Vorwurf ausgebrochen, wie ich doch wagen könne, dem Publikum ein Buch unter Forde

rungen und Bedingungen, von denen die beiden ersten anmaaßend und ganz unbescheiden sind, vorzulegen, und dies zu einer Zeit, wo ein so allgemeiner Reichthum an eigenthümlichen Gedanken ist, daß in Deutschland allein solche jährlich in drei Tausend gehaltreichen, originellen und ganz unentbehrlichen Werken, und außerdem in unzähligen periodischen Schriften, oder gar täglichen Blåttern, durch die Druckerpresse zum Gemeingut gemacht werden? zu einer Zeit, wo besonders an ganz originellen und tiefen Philosophen nicht der mindeste Mangel ist; sondern allein in Deutschland deren mehr zugleich leben, als sonst etliche Jahrhunderte hintereinander aufzuweisen hatten? wie man denn, frågt der entrüstete Leser, zu Ende kommen solle, wenn man mit einem Buche so umständlich zu Werke gehn müßte?

Da ich gegen solche Vorwürfe nicht das Mindeste vorzubrin gen habe, hoffe ich nur auf einigen Dank bei diesen Lesern dafür, daß ich sie bei Zeiten gewarnt habe, damit sie keine Stunde verlieren mit einem Buche, dessen Durchlesung ohne Erfüllung der gemachten Forderungen nicht fruchten könnte, und daher ganz zu unterlassen ist, zumal da auch sonst gar Vieles zu wetten, daß es ihnen nicht zusagen kann, daß es vielmehr immer nur paucorum hominum seyn wird und daher gelassen und bescheiden auf die Wenigen warten muß, deren ungewöhnliche Denkungsart es genießbar fånde. Denn, auch abgesehen von den Weitläuftigkeiten und der Anstrengung, die es dem Leser zumuthet, welcher Gebildete dieser Zeit, deren Wissen dem herrlichen Punkte nahe gekommen ist, wo parador und falsch ganz einerlei sind, könnte es ertragen, fast auf jeder Seite Gedanken zu begegnen, die Dem, was er doch selbst ein für allemal als wahr und ausgemacht festgesett hat, geradezu widersprechen? und dann, wie unangenehm wird Mancher sich getäuscht finden, wenn ́er hier gar keine Rede antrifft von Dem, was er gerade hier durchaus suchen zu müssen glaubt, weil seine Art zu spekuliren zusammentrifft mit der eines

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