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noch aber spåter grundfalsch befunden worden, B. LeibnitzWolfische Philosophie, Ptolemäische Astronomie, Stahlsche Chemie, Newtonische Farbenlehre u. s. w. u. s. w. *).

§. 10.

Durch dieses Alles tritt uns immer mehr die Frage nah, wie denn Gewißheif zu erlangen, wie Urtheile zu begründen seien, worin das Wissen und die Wissenschaft bestehe, die wir, neben der Sprache und dem besonnenen Handeln, als den dritten großen durch die Vernunft gegebenen Vorzug rühmen.

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Die Vernunft ist weiblicher Natur: sie kann nur geben, nachdem sie empfangen hat. Durch sich selbst allein hat sie nichts, als die gehaltlosen Formen ihres Operirens. Vollkommen reine Vernunfterkenntniß giebt es sogar keine andre, als die vier Säße, welchen ich metalogische Wahrheit beigelegt habe, also die Sähe von der Identität, vom Widerspruch, vom ausgeschlossenen Dritten und vom zureichenden Erkenntnißgrunde. Denn selbst das Uebrige der Logik ist schon nicht mehr vollkommen reine Vernunfterkenntniß, weil es die Verhältnisse und Kombinationen der Sphåren der Begriffe vorausseßt: aber Begriffe überhaupt sind erst da, nach vorhergegangenen anschaulichen Vorstellungen, die Beziehung auf welche ihr ganzes Wesen ausmacht, die sie folglich schon voraussehen. Da indessen diese Voraussehung sich nicht auf den bestimmten Gehalt der Begriffe, sondern nur allgemein auf ein Daseyn derselben erstreckt; so kann die Logik doch viel besser, als jede andre, für reine Vernunftwissenschaft gelten. In allen übrigen Wissenschaften hat die Vernunft den Gehalt aus den anschaulichen Vorstellungen erhalten: in der Mathematik aus den vor aller Erfahrung anschaulich bewußten Verhältnissen des Raumes und der Zeit: in der reinen Naturwissenschaft, d. h. in dem, was wir vor aller Erfahrung über den Lauf der Natur wissen, geht der Gehalt der Wissenschaft aus dem reinen Verstande hervor, d. h. aus der Erkenntniß a priori des Gesetzes der Kausalität und dessen Verbindung mit jenen reinen Anschauungen des Raumes und der Zeit. In allen andern Wissenschaften ge=

*) Hiezu Kap. 11 des zweiten Bandes.

hört alles, was nicht aus den eben genannten entlehnt ist, der Erfahrung an. Wissen überhaupt heißt: solche Urtheile in der Gewalt seines Geistes zu willkührlicher Reproduktion haben, welche in irgend etwas außer ihnen ihren zureichenden Erkenntnißgrund haben, d. h. wahr sind. Die abstrakte Erkenntniß allein ist also ein Wissen: dieses ist daher durch die Vernunft bedingt, und von den Thieren können wir, genau genommen, nicht sagen, daß sie irgend etwas wissen, wiewohl sie die anschauliche Erkenntniß, für diese auch Erinnerung und eben deshalb Phantasie haben, welche überdies ihr Träumen beweist. Bewußtseyn legen wir ihnen bei, dessen Begriff folglich, obgleich das Wort von Wissen genommen ist, mit dem des Vorstellens überhaupt, von welcher Art es auch sei, zusammenfållt. Daher auch legen wir der Pflanze zwar Leben, aber kein Bewußtseyn bei. Wissen also ist das abstrakte Bewußtseyn, das Firirthaben in Begriffen der Vernunft, des auf andere Weise überhaupt Erkannten.

§. 11.

In dieser Hinsicht ist nun der eigentliche Gegensah des Wissens das Gefühl, dessen Erörterung wir deshalb hier einschalten müssen. Der Begriff, den das Wort Gefühl bezeichnet, hat durchaus nur einen negativen Inhalt, nåmlich diesen, daß etwas, das im Bewußtseyn gegenwärtig ist, nicht Begriff, nicht abstrakte Erkenntniß der Vernunft sei: übrigens mag es seyn, was es will, es gehört unter den Begriff Gefühl, dessen unmäßig weite Sphåre daher die heterogensten Dinge begreift, von denen man nimmer einsieht, wie sie zusammenkommen, so lange man nicht erkannt hat, daß sie allein in dieser negativen Rücksicht, nicht abstrakte Begriffe zu seyn, übereinstimmen. Denn die verschiedensten, ja feindlichsten Elemente liegen ruhig neben einander in jenem Begriff, z. B. religioses Gefühl, Gefühl der Wollust, moralisches Gefühl, körperliches Gefühl als Getaft, als Schmerz, als Gefühl für Farben, für Töne und deren Harmonien und Disharmonien, Gefühl des Hasses, Abscheus, der Selbstzufriedenheit, der Ehre, der Schande, des Rechts, des Unrechts, Gefühl der Wahrheit, åsthe

tisches Gefühl, Gefühl von Kraft, Schwäche, Gesundheit, Freundschaft, Liebe u. s. w. u. s. w. Durchaus keine Gemeinschaft ist

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zwischen ihnen, als die negative, daß sie keine abstrakte Vernunfterkenntniß sind: aber dieses wird am auffallendsten, wenn sogar die anschauliche Erkenntniß a priori der råumlichen Verhältnisse, und vollends die des reinen Verstandes unter jenen Begriff gebracht wird, und überhaupt von jeder Erkenntniß, jez der Wahrheit, deren man sich nur erst intuitiv bewußt ist, sie aber noch nicht in abstrakte Begriffe abgeseht hat, gesagt wird, daß man sie fühle. Hievon will ich, zur Erläuterung, einige Beispiele aus neuern Büchern beibringen, weil sie frappante Belege meiner Erklärung sind. Ich erinnre mich, in der Einleitung einer Verdeutschung des Eukleides gelesen zu haben, man solle die Anfånger in der Geometrie die Figuren erst alle zeichnen lassen, ehe man zum Demonstriren schreite, weil sie alsdann die geometrische Wahrheit schon vorher fühlten, ehe ihnen die Demonstration die vollendete Erkenntniß beibrächte. Eben so wird in der,,Kritik der Sittenlehre von F. Schleiermacher" geredet vom logischen und mathematischen Gefühl (p. 339), auch vom Gefühl der Gleichheit oder Verschiedenheit zweier Formeln (p. 342): ferner in Tennemanns Geschichte der Philosophie, Bd. 1, p. 361, heißt es: „man fühlte, daß die Trugschlüsse nicht richtig waren, konnte aber doch den Fehler nicht entdecken." So lange man nun diesen Begriff Gefühl nicht aus dem rechten Gesichtspunkte betrachtet und nicht jenes eine negative Merkmal, das allein ihm wesentlich ist, erkennt, muß derselbe, wegen der übermäßigen Weite seiner Sphåre, und seines bloß negativen, ganz einseitig bestimmten und sehr geringen Gehaltes, beständig Anlaß zu Misverståndnissen und Streitigkeiten geben. Da wir im Deutschen noch das ziemlich gleichbedeutende Wort Empfindung haben, so würde es dienlich seyn, dieses für die körperlichen Gefühle, als eine Unterart, in Beschlag zu nehmen. Der Ursprung jenes ge= gen alle andern disproportionirten Begriffs Gefühl, ist aber ohne 3weifel folgender. Alle Begriffe, und nur Begriffe sind es welche Worte bezeichnen, find nur für die Vernunft da, gehn von ihr aus: man steht mit ihnen also schon auf einem einseitigen Standpunkt. Aber von einem solchen aus erscheint das Nåhere deutlich und wird als positiv geseht; das Fernere fließt zu

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sammen und wird bald nur noch negativ berücksichtigt: so nennt jede Nation alle Andern Fremde, der Grieche alle Andern Barbaren, der Engländer Alles, was nicht England oder Englisch ift, continent und continental, der Gläubige alle Andern Keher oder Heiden, der Adel alle Andern roturiers, der Student alle Undern Philister u. dgl. m. Dieselbe Einseitigkeit, man kann sagen dieselbe rohe Unwissenheit aus Stolz, läßt sich, so sonderbar es auch klingt, die Vernunft selbst zu Schulden kommen, indem sie unter den einen Begriff Gefühl jede Modifikation des Bewußtseyns befaßt, die nur nicht unmittelbar zu ihrer Vorstellungsweise gehört, d. h. nicht abstrakter Begriff ist. Sie hat dieses bisher, weil ihr eigenes Verfahren ihr nicht durch gründliche Selbstkenntniß deutlich geworden war, büßen müssen durch Misverständnisse und Verirrungen auf ihrem eigenen Gebiet, da man sogar ein besonderes Gefühlvermögen aufgestellt hat und nun Theorien desselben konstruirt.

§. 12.

Wissen, als dessen kontradiktorisches Gegentheil ich so eben den Begriff Gefühl erörtert habe, ist, wie gesagt, jede abstrakte Erkenntniß, d. h. Vernunfterkenntniß. Da nun aber die Vernunft immer nur das anderweitig Empfangene wieder vor die Erkenntniß bringt; so erweitert sie nicht eigentlich unser Erkennen, sondern giebt ihm bloß eine andere Form. Nämlich was intuitiv, was in concreto erkannt wurde, läßt sie abstrakt und allgemein erkennen. Dies ist aber ungleich wichtiger, als es, so ausgedrückt, dem ersten Blicke scheint. Denn alles sichere Aufbewahren, alle Mittheilbarkeit und alle sichere und weitreichende Anwendung der Erkenntniß auf das Praktische hångt davon ab, daß sie ein Wissen, eine abstrakte Erkenntniß geworden sei. Die intuitive Erkenntniß gilt immer nur vom einzelnen Fall, geht nur auf das Nächste und bleibt bei diesem stehn, weil Sinnlichkeit und Verstand eigentlich nur ein Objekt zur Zeit auffassen können. Jede anhaltende, zusammengefeßte, planmåßige Thätigkeit muß daher von Grundsägen, also von einem abstrakten Wissen ausgehn und danach geleitet werden. So ist z. B. die Erkenntniß, welche der Verstand vom Verhältniß der Ursach und, Wirkung hat, zwar an

sich viel vollkommner, tiefer und erschöpfender, als was davon in abstracto fich denken läßt: der Verstand allein erkennt anschaulich unmittelbar und vollkommen die Art des Wirkens eines Hebels, Flaschenzuges, Kammrades, das Ruhen eines Gewölbes in sich selbst u. s. w. Aber wegen der eben berührten Eigenschaft der intuitiven Erkenntniß, nur auf das unmittelbar Gegenwärtige zu gehn, reicht der bloße Verstand nicht hin zur Konstruktion von Maschinen und Gebäuden: vielmehr muß hier die Vernunft eintreten, an die Stelle der Anschauungen abstrakte Begriffe sehen, solche zur Richtschnur des Wirkens nehmen, und waren sie rich= tig, so wird der Erfolg eintreffen. Eben so erkennen wir in reiner Anschauung vollkommen das Wesen und die Geseßmåßigkeit einer Parabel, Hyperbel, Spirale: aber um von dieser Erkenntniß sichere Anwendung in der Wirklichkeit zu machen, mußte sie zuvor zum abstrakten Wissen geworden seyn, wobei sie freilich die Anschaulichkeit einbüßt, aber dafür die Sicherheit und Bestimmt-` heit des abstrakten Wissens gewinnt. Also erweitert alle Fluxionsrechnung eigentlich gar nicht unsere Erkenntniß von den Kurven, enthält nichts mehr, als was schon die bloße reine Anschauung derselben: aber sie åndert die Art der Erkenntniß, verwandelt die intuitive in eine abstrakte, welches für die Anwendung so höchst folgenreich ist. Hier kommt nun aber noch eine Eigenthümlichkeit unsers Erkenntnißvermögens zur Sprache, welche man bisher wohl nicht bemerken konnte, so lange der Unterschied zwischen anschaulicher und abstrakter Erkenntniß nicht vollkommen deutlich gemacht war. Es ist diese, daß die Verhältnisse des Raums nicht unmittelbar und als solche in die abstrakte Erkenntniß übertragen werden können, sondern hiezu allein die zeitlichen Größen, d. h. die Zahlen geeignet sind. Die Zahlen allein können in ihnen ges nau entsprechenden abstrakten Begriffen ausgedrückt werden, nicht die räumlichen Größen. Der Begriff Tausend ist vom Begriff Zehn genau so verschieden, wie beide zeitliche Größen es in der Anschauung sind: wir denken bei Tausend ein bestimmt vielfaches von Zehn, in welches wir jenes für die Anschauung in der Zeit beliebig auflösen können, d. h. es zählen können. Aber zwischendem abstrakten Begriff einer Meile und dem eines Fußes, ohne alle anschauliche Vorstellung von beiden und ohne Hülfe der Zahl, ist gar kein genauer und jenen Größen selbst entsprechender Un

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