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lisirt die Christliche Glaubenslehre die Natur, die Bejahung des Willens zum Leben, im Adam, dessen auf uns vererbte Sünde, ́d. h. unsre Einheit mit ihm in der Idee, welche in der Zeit durch das Band der Zeugung sich darstellt, uns Alle des Leidens und des ewigen Todes theilhaft macht: dagegen symbolisirt sie die Gnade, die Verneinung des Willens, die Erlösung, im menschgewordenen Gotte, der, als frei von aller Sündhaftigkeit, d. h. von allem Lebenswillen, auch nicht, wie wir, aus der entschiedensten Bejahung des Willens hervorgegangen seyn kann, noch wie wir einen Leib haben kann, der durch und durch nur konkreter Wille, Erscheinung des Willens, ist; sondern von der reinen Jungfrau geboren, auch nur einen Scheinleib hat. Dieses lehtere nåmlich nach den Doketen, d. i. einigen hierin sehr konsequenten Kirchenvåtern. Besonders lehrte es Appelles, gegen welchen und seine Nachfolger sich Tertullian erhob. Aber auch selbst Augustinus kommentirt die Stelle, Röm. 8, 3:,,Deus filium suum misit in similitudinem carnis peccati." - also: non enim caro peccati erat, quae non de carnali delectatione nata erat: sed tamen inerat ei similitudo carnis peccati, quia mortalis caro erat. Liber 83 quaestionum. qu. 66. Derselbe lehrt in seinem Werke genannt opus imperfectum, I, 47, daß die Erbsünde Sünde und Strafe zugleich sei. Sie sei schon in den neugeborenen Kindern befindlich, zeige sich aber erst, wann sie herangewachsen. Dennoch sei der Ursprung dieser Sünde von dem Willen des Sündigenden herzuleiten. Dieser Sündigende sei Adam gewesen; aber in ihm håtten wir alle existirt: Adam ward unglücklich, und in ihm seien wir alle unglücklich geworden. Wirklich ist die Lehre von der Erbsünde (Bejahung des Willens) und von der Erlösung (Verneinung des Willens) die große Wahrheit, welche den Kern des Christenthums ausmacht; während das Uebrige meistens nur Einkleidung und Hülle, oder Beiwerk ist. Allein in neuerer Zeit hat das Christenthum seine wahre Bedeutung vergessen und ist in platten Optimismus ausgeartet.

Es ist ferner eine ursprüngliche und evangelische Lehre des Christenthums, welche Augustinus, mit Zustimmung der Häupter der Kirche, gegen die Plattheiten der Pelagianer vertheidigte, und welche von Irrthümern zu reinigen und wieder hervorzuheben

Luther zum Hauptziel seines Strebens machte, wie er dies in die Lehre seinem Buche de servo arbitrio ausdrücklich erklärt, nämlich, daß der Wille nicht frei ist, sondern dem Hange zum Bösen ursprünglich unterthan; daher seine Werke stets sündlich und mangelhaft sind und nie der Gerechtigkeit genug thun können; daß also endlich keineswegs diese Werke, sondern der Glaube allein seelig macht; dieser Glaube selbst aber nicht aus Vorfah und freiem Willen entsteht; sondern durch Gnaden: wirkung, ohne unser Zuthun, wie von außen auf uns kommt.

Nicht nur die vorhin erwähnten, sondern auch dieses legtere ächt evangelische Dogma gehört zu denen, welche heut zu Tage eine rohe und platte Ansicht als absurd verwirft oder verdeckt, indem sie, trok Augustin und Luther, dem Pelagianischen Hausmannsverstande, welches eben der heutige Rationalismus ist, zugethan, gerade diese tiefsinnigen, dem Christenthum im engsten Sinn eigenthümlichen und wesentlichen Dogmen antiquirt, hingegen das aus dem Judenthum stammende und beibehaltene, nur auf dem historischen Wege dem Christenthum verbundene *) Dogma, allein festhält und zur Hauptsache macht. Wir aber erkennen in der oben erwähnten Lehre die mit dem Resultat unsrer Betrachtungen völlig übereinstimmende Wahrheit. Wir sehen nåmlich, daß die ächte Tugend und Heiligkeit der Gesinnung ihren ersten Ursprung nicht in der überlegten Willkühr (den Werken), sondern in der Erkenntniß (dem Glauben) hat: gerade wie wir es auch aus unserm Hauptgedanken entwickelten. Wåren es die Werke, welche aus Motiven und überlegtem Vorsak entspringen, die zur Seeligkeit führten; so wäre die Tugend immer nur ein Kluger, methodischer, weitsehender Egoismus; man mag es dre hen wie man will. Der Glaube aber, welchem die Christliche

*) Wie sehr dieses der Fall sei ist daraus ersichtlich, daß alle die in der von Augustin konsequent systematisirten' Christlichen Dogmatik enthaltenen Widersprüche und Unbegreiflichkeiten, welche gerade zur entgegengesezten Pe lagianischen Plattheit geführt haben, verschwinden, sobald man vom Jüdischen Grunddogma abstrahirt und erkennt, daß der Mensch nicht das Werk eines andern, sondern seines eigenen Willens sei. Dann ist sogleich Alles klar und richtig: dann bedarf es keiner Freiheit im Operari: denn sie liegt im Esse, und eben da liegt auch die Sünde, als Erbsünde.

Kirche die Seeligkeit verspricht, ist dieser: daß, wie wir durch den Sündenfall des ersten Menschen der Sünde Alle theilhaft und dem Tode und Verderben anheim gefallen sind, wir auch Alle nur durch die Gnade und Uebernahme unsrer ungeheueren Schuld, durch den göttlichen Mittler, erlöst werden, und zwar dieses ganz ohne unser (der Person) Verdienst; da das, was aus dem absichtlichen (durch Motive bestimmten) Thun der Person hervorgehn kann, die Werke, uns nimmermehr rechtfertigen kann, durchaus und seiner Natur nach nicht, eben weil es absichtliches, durch Motive herbeigeführtes Thun, opus operatum, ist. In diesem Glauben liegt also zuvörderst, daß unser Zustand ein ursprünglich und wesentlich heilloser ist, der Erlösung aus welchem wir bedürfen; sodann daß wir selbst wesentlich dem Bösen angehören und ihm so fest verbunden sind, daß unsre Werke nach dem Gesehe und der Vorschrift, d. h. nach Motiven, gar nie der Gerechtigkeit genug thun, noch uns erlösen können; sondern die Erlósung nur durch Glauben, d. i. durch eine veränderte Erkenntnißweise gewonnen wird, und dieser Glaube selbst nur durch die Gnade, also wie von außen, kommen kann: dies heißt, daß das Heil ein unsrer Person ganz fremdes ist und deutet auf eine zum Heil nothwendige Verneinung und Aufgebung eben dieser Person Die Werke, die Befolgung des Gesehes als solchen, können nie rechtfertigen, weil sie immer ein Handeln auf Motive find. Luther verlangt, (im Buche de libertate Christiana) daß, nachdem der Glaube eingetreten, die guten Werke ganz von selbst aus ihm hervorgehn, als Symptome, als Früchte desselben; aber durchaus nicht als an sich Anspruch auf Verdienst, Rechtfertigung, oder Lohn machend, sondern ganz freiwillig und unentgeltlich geschehend. So ließen auch wir aus der immer klarer werdenden Durchschauung des principii individuationis zuerst nur die freie Gerechtigkeit, dann die Liebe, bis zum völligen Aufheben des Egoismus und zuleht die Resignation oder Verneinung des Willens hervorgehn.

Ich habe diese Dogmen der Christlichen Glaubenslehre, welche an sich der Philosophie fremd find, nur deshalb hier herbeigezogen, um zu zeigen, daß die aus unsrer ganzen Betrach tung hervorgehende und mit allen Theilen derselben genau über-einstimmende und zusammenhångende Ethik, wenn sie auch dem

Ausdruck nach neu und unerhört wäre, dem Wesen nach es keineswegs ist, sondern völlig übereinstimmt mit den ganz eigentlich Christlichen Dogmen und sogar in diesen selbst, dem Wesentlichen nach, enthalten und vorhanden war; wie sie denn auch eben so genau übereinstimmt mit den wieder in ganz andern Formen vorgetragenen Lehren und ethischen Vorschriften der heiligen Búcher Indiens. Zugleich diente die Erinnerung an die Dogmen der Christlichen Kirche zur Erklärung und Erläuterung des scheinbaren Widerspruchs zwischen der Nothwendigkeit aller Aeußerungen des Charakters bei vorgehaltenen Motiven (Reich der Natur) einerseits, und der Freiheit des Willens an sich, sich selbst zu verneinen und den Charakter, mit aller auf ihn gegründeten Nothwendigkeit der Motive aufzuheben (Reich der Gnade) andrerseits.

§. 71.

Indem ich hier die Grundzüge der Ethik und mit ihnen die ganze Entwickelung jenes einen Gedankens, dessen Mittheilung mein Zweck war, beendige, will ich einen Vorwurf, der diesen lehten Theil der Darstellung trifft, keineswegs verhehlen, sondern vielmehr zeigen, daß er im Wesen der Sache liegt und ihm abzuhelfen schlechthin unmöglich ist. Es ist dieser, daß nachdem unsre Betrachtung zuleht dahin gelangt ist, daß wir in der vollkommenen Heiligkeit das Verneinen und Aufgeben alles Wollens und eben dadurch die Erlösung von einer Welt, deren ganzes Daseyn sich uns als Leiden darstellte, vor Augen haben, uns nun eben dieses als ein Uebergang in das leere Nichts erscheint.

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Hierüber muß ich zuvörderst bemerken, daß der Begriff des Nichts wesentlich relativ ist und immer sich nur auf ein bestimmtes Etwas bezieht, welches er negirt. Man hat (namentlich Kant) diese Eigenschaft nur dem nihil privativum, welches das im Gegensah eines + mit Bezeichnete ist, zugeschrieben, welches —, bei umgekehrtem Gesichtspunkte zum + werden könnte, und hat im Gegensatz dieses nihil privativum das nihil negativum aufgestellt, welches in jeder Beziehung Nichts wäre, wozu man als Beispiel den logischen, sich selbst aufhebenden Widerspruch gebraucht. Näher betrachtet aber ist kein absolutes Nichts,

kein ganz eigentliches nihil negativum auch nur denkbar; sondern jedes dieser Art ist, von einem höhern Standpunkt aus betrachtet, oder einem weitern Begriff subsumirt, immer wieder nur ein nihil privativum. Jedes Nichts ist ein solches nur im Verhält niß zu etwas Anderm gedacht und seht dieses Verhältniß, also auch jenes Andere, voraus. Selbst ein logischer Widerspruch ist nur ein relatives Nichts. Er ist kein Gedanke der Vernunft; aber er ist darum kein absolutes Nichts. Denn er ist eine Wortzusammensehung, er ist ein Beispiel des Nichtdenkbaren, dessen man in der Logik nothwendig bedarf, um die Gefeße des Denkens nachzuweisen: daher, wenn man, zu diesem Zweck, auf ein solches Beispiel ausgeht, man den Unfinn, als das Positive, welches man eben sucht, festhalten, den Sinn, als das Negative, überspringen wird. So wird also jedes nihil negativum, oder absolute Nichts, wenn einem höhern Begriff untergeordnet, als ein bloßes nihil privativum, oder relatives Nichts, erscheinen, welches auch immer mit dem was es negirt die Zeichen vertauschen kann, so daß dann jenes als Negation, es selbst aber als Position gedacht würde. Hiemit stimmt auch das Resultat der schwierigen dialektischen Untersuchung über das Nichts, welche Platon im Sophisten (p. 277-287. Bip.) anstellt, überein: την του έτερου φυσιν αποδείξαντες ουσαν τε και κατακεκερματισμένην επι παντα τα οντα προς αλληλα, το προς το ον ἕκαστου μόριον αυτης αντιτιθεμενον, ετολμησαμεν ειπειν, ὡς αυτο τούτο εστιν οντως το μη ον.

Das allgemein als positiv Angenommene, welches wir das Seiende nennen und dessen Negation der Begriff Nichts in seiner allgemeinsten Bedeutung ausspricht, ist eben die Welt der Vorstellung, welche ich als die Objektität des Willens, als seinen Spiegel, nachgewiesen habe. Dieser Wille und diese Welt sind eben auch wir selbst, und zu ihr gehört die Vorstellung überhaupt, als ihre eine Seite: die Form dieser Vorstellung ist Raum und Zeit, daher Alles für diesen Standpunkt Seiende irgendwo und irgendwann seyn muß. - Verneinung, Aufhebung, Wendung des Willens ist auch Aufhebung und Verschwinden der Welt, seines Spiegels. Erblicken wir ihn in diesem Spiegel nicht mehr, so fragen wir vergeblich, wohin er sich gewendet,

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