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ren. Er selbst kann durch nichts aufgehoben werden, als durch Erkenntniß. Daher ist der einzige Weg des Heiles dieser, daß der Wille ungehindert erscheine, um in dieser Erscheinung sein eigenes Wesen erkennen zu können. Nur in Folge dieser Erkenntniß kann der Wille sich selbst aufheben und damit auch das Leiden, welches von seiner Erscheinung unzertrennlich ist, endigen: nicht aber ist dies durch physische Gewalt, wie Zerstörung des Keims, oder Tödtung des Neugeborenen, oder Selbstmord möglich. Die Natur führt eben den Willen zum Lichte, weil er nur am Lichte seine Erlösung finden kann. Daher sind die Zwecke der Natur auf alle Weise zu befördern, sobald der Wille zum Leben, der ihr inneres Wesen ist, sich entschieden hat.

Vom gewöhnlichen Selbstmord gänzlich verschieden scheint eine besondere Art desselben zu seyn, welche jedoch vielleicht noch nicht genugsam konstatirt ist. Es ist der aus dem höchsten Grade der Askese freiwillig gewählte Hungertod, dessen Erscheinung jedoch immer von vieler religiöser Schwärmerei und sogar Superstition begleitet gewesen und dadurch undeutlich gemacht ist. Es scheint jedoch, daß die gänzliche Verneinung des Willens den Grad erreichen könne, wo selbst der zur Erhaltung der Vegetation des Leibes, durch Aufnahme von Nahrung, nöthige Wille wegfällt. Weit entfernt, daß diese Art des Selbstmordes aus dem Willen zum Leben entstånde, hört ein solcher völlig refignirter Asket bloß darum auf zu leben, weil er ganz und gar auf-. gehört hat zu wollen. Eine andere Todesart als die durch Hun ger ist hiebei nicht wohl denkbar (es wäre denn daß sie aus einer besondern Superstition hervorgienge), weil die Absicht die Quaal zu verkürzen, wirklich schon ein Grad der Bejahung des Willens wäre. Die Dogmen, welche die Vernunft eines solchen Büßenden erfüllen, spiegeln ihm dabei den Wahn vor, es habe ein Wesen höherer Art ihm das Fasten, zu dem der innere Hang ihn treibt, anbefohlen. Aeltere Beispiele hievon kann man finden in der Breslauer Sammlung von Natur- und Medicin - Geschichten: September 1799, pp. 363 u. f. f. in Bayle's nouvelles de la république des lettres: Fevr. 1685 p. 189 seqq. in Zim mermann über die Einsamkeit Bd. 1, p. 182. in der hist. d. l'acad. d. sciences von 1764 einen Bericht von Houttuyn; der: selbe ist wiederholt in der Sammlung für prakt. Aerzte Bd. 1. p.

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69.

Spätere Berichte findet man in Hufelands Journ. f. prakt. Heilk. Bb. 10, p. 181. und Bd. 48. p. 95.; auch in Nasse's Zeitschrift für psychische Aerzte 1819. Heft 3. p. 460.; im Edinburgh medical & surgical Journal, 1809. Bd. 5. p. 319. Vor 10 Jahren berichteten alle Zeitungen, daß der Englische Historiker Dr. Lingard im Januar 1833 zu Dover den freiwilligen Hungertod gestorben sei; nach spåtern Nachrichten ist er es nicht selbst, sondern ein Anverwandter gewesen. Jedoch werden in diesen Nachrichten meistentheils die Individuen als wahnsinnig dargestellt, und es läßt sich nicht mehr ausmitteln, inwiefern dieses der Fall gewesen seyn mag. Aber eine neuere Nachricht dieser Art will ich hiehersehen, wenn es auch nur wäre zur sichereren Aufbewahrung eines der seltenen Beispiele des berührten auffallenden und außerordentlichen Phänomens der menschlichen Natur, welches wenigstens dem Anschein nach dahin gehört, wohin ich es ziehn möchte, und außerdem schwerlich zu erklären seyn würde. Die besagte neuere Nachricht steht im „Nürnberger Korresponden. ten vom 29sten Juli 1813," mit folgenden Worten:

„Von Bern meldet man, daß bei Thurnen, in einem dichten Walde, ein Hüttchen aufgefunden wurde uud darin ein schon seit ungefähr einem Monat in Verwesung liegender männlicher Leichnam, in Kleidern, welche wenig Aufschluß über den Stand ihres Besizers geben konnten. Zwei sehr feine Hemden lagen dabei. Das wichtigste Stück war eine Bibel, mit eingehefteten' weißen Blättern, die zum Theil vom Verstorbenen beschrieben waren. Er meldet darin den Tag seiner Abreise von Hause, (die Heimath aber wird nicht genannt) dann sagt er: Er sei vom Geiste Gottes in eine Wüste getrieben worden, zu beten und zu fasten. Er habe auf seiner Herreise schon sieben Tage gefastet: dann habe er wieder gegessen. Hierauf habe er bei seiner Unsie-delung schon wieder zu fasten angefangen, und zwar so viele Tage. Nun wird jeder Tag mit einem Strich bezeichnet, und es finden sich deren fünf, nach deren Verlauf der Pilger vermuthlich gestorben ist. Noch fand sich ein Brief an einen Pfarrer über eine Predigt, welche der Verstorbene von demselben gehört hatte: allein auch da fehlte die Addresse." Zwischen diesem aus dem Extrem der Askese und dem gewöhnlichen aus Verzweiflung entspringenden freiwilligen Tode, mag es mancherlei Zwischenstufen

und Mischungen geben; welches zwar schwer zu erklären ist: aber das menschliche Gemüth hat Tiefen, Dunkelheiten und Verwickelungen, die aufzuhellen und zu entfalten, pon der äußersten Schwierigkeit ist.

§. 70.

Man könnte vielleicht unsre ganze nunmehr beendigte Darstellung Dessen, was ich die Verneinung des Willens nenne, für unvereinbar halten mit der früheren Auseinanderseßung der Nothwendigkeit, welche der Motivation eben so sehr, als jeder andern Gestaltung des Sahes vom Grunde zukommt, und derzufolge die Motive, wie alle Ursachen, nur Gelegenheitsursachen find, an denen hier der Charakter sein Wesen entfaltet und es mit der Nothwendigkeit eines Naturgesetzes offenbart, weshalb wir dort die Freiheit als liberum arbitrium indifferentiae schlechthin leugneten. Weit entfernt jedoch dieses hier aufzuheben, erinnere ich daran. In Wahrheit kommt die eigentliche Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Sage des Grundes, nur dem Willen als Ding an sich zu, nicht seiner Erscheinung, deren wesentliche Form überall der Sak vom Grunde, das Element der Nothwendigkeit, ist. Allein der einzige Fall, wo jene Freiheit auch unmittelbar in der Erscheinung sichtbar werden kann, ist der, wo sie Dem, was erscheint, `ein Ende macht, und weil dabei dennoch die bloße Erscheinung, sofern sie in der Kette der Ursachen ein Glied ist, der belebte Leib, in der Zeit, welche nur Erscheinungen enthålt, fortdauert, so steht der Wille, der sich durch diese Erscheinung manifestirt, alsdann mit ihr im Widerspruch, indem er verneint was sie ausspricht. In solchem Fall sind z. B. die Genitalien, als Sichtbarkeit des Geschlechtstriebes, da und gesund; es wird aber dennoch, auch im Innersten, keine Geschlechtsbefriedigung gewollt: und der ganze Leib ist nur sichtbarer Ausdruck des Willens zum Leben, und dennoch wirken die diesem Willen entsprechenden Motive nicht mehr: ja, die Auflösung des Leibes, das Ende des Individuums und dadurch die größte Hemmung des natürlichen Willens, ist willkommen und erwünscht. Von diesem realen Widerspruch nun, der aus dem unmittelbaren Eingreifen der keine Nothwendigkeit kennenden Freiheit des Willens an sich in die

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Nothwendigkeit seiner Erscheinung hervorgeht, ist der Widerspruch zwischen unsern Behauptungen von der Nothwendigkeit der Bestimmung des Willens durch die Motive nach Maaßgabe des Charakters, einerseits, und von der Möglichkeit der gänzlichen Aufhebung des Willens, wodurch die Motive machtlos werden, andrerseits, nur die Wiederholung in der Reflexion der Philosophie. Der Schlüssel zur Vereinigung dieser Widersprüche liegt aber darin, daß der Zustand, in welchem der Charakter der Macht der Motive entzogen ist, nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern von einer veränderten Erkenntnißweise. So lange nämlich die Erkenntniß keine andre, als die im principio individuationis befangene, dem Sah vom Grunde schlechthin nachgehende ist, ist auch die Gewalt der Motive unwiderstehlich: wann aber das principium individuationis durchschaut, die Ideen, ja das Wesen der Dinge an sich, als der gleiche Wille in Allem, unmittelbar erkannt wird, und aus dieser Erkenntniß ein allgemeines Quietiv des Wollens hervorgeht; dann werden die einzelnen Motive unwirksam, weil die ihnen entsprechende Erkenntnißweise, durch eine ganz andere verdunkelt, zurückgetreten ist. Daher kann der Charakter sich zwar nimmermehr theilweise åndern, sondern muß, mit der Konsequenz eines Naturgesehes, im Einzelnen den Willen ausführen, dessen Erscheinung er im Ganzen ist: aber eben dieses Ganze, der Charakter selbst, kann völlig aufgehoben werden, durch die oben angegebene Veränderung der Erkenntniß. Diese seine Aufhebung ist eben Dasjenige, was in der Christlichen Kirche, sehr treffend, die Wiedergeburt, und die Erkenntniß, aus der sie hervorgeht, Das, was die Gnadenwirkung genannt wurde. Eben daher, daß nicht von einer Wenderung, sondern von einer gänzlichen Aufhebung des Charakters die Rede ist, kommt es, daß, so verschieden, vor jener Aufhebung, die Charaktere, welche sie getroffen, auch waren, fie dennoch nach derselben eine große Gleichheit in der Handlungsweise zeigen, obwohl noch jeder, nach seinen Begriffen und Dogmen, sehr verschieden redet.

In diesem Sinn ist also das alte, stets bestrittene und stets behauptete Philosophem von der Freiheit des Willens nicht grundlos, und auch das Dogma der Kirche von der Gnadenwirkung und Wiedergeburt nicht ohne Sinn und Bedeutung. Aber wir

sehen unerwartet jeht beide in Eins zusammenfallen, und können nunmehr auch verstehen, in welchem Sinn der vortreffliche Malebranche sagen konnte: la liberté est un mystère; und Recht hatte. Denn eben das, was die Christlichen Mystiker die Gnadenwirkung und Wiedergeburt nennen, ist uns die einzige unmittelbare Aeußerung der Freiheit des Willens. Sie tritt erst ein, wann der Wille, zur Erkenntniß seines Wesens an sich gelangt, aus dieser ein Quietiv erhält und eben dadurch der Wirkung der Motive entzogen wird, welche im Gebiet einer andern Erkenntnißweise liegt, deren Objekte nur Erscheinungen sind. - Die Möglichkeit der also sich äußernden Freiheit ist der größte Vorzug des Menschen, der dem Thiere ewig abgeht, weil die Besonnenheit der Vernunft, welche, unabhängig vom Eindruck der Gegenwart, das Ganze des Lebens übersehn läßt, Bedingung derselben ist. Das Thier ist ohne alle Möglichkeit der Freiheit, wie es sogar ohne Möglichkeit einer eigentlichen, also besonnenen Wahlentscheidung, nach vorhergegangenem vollkommenem Konflikt der Motive, die hiezu abstrakte Vorstellungen seyn müßten, ist. Mit eben der Nothwendigkeit daher, mit welcher der Stein zur Erde fällt, schlägt der hungrige Wolf seine Zähne in das Fleisch des Wildes, ohne Möglichkeit der Erkenntniß, daß er der Zerfleischte sowohl als der Zerfleischende ist. Nothwendigkeit ist das Reich der Natur; Freiheit ist das Reich der Gnade.

Weil nun, wie wir gesehn haben, jene Selbst aufhebung des Willens von der Erkenntniß ausgeht, alle Erkenntniß und Einsicht aber als solche von der Willkühr unabhängig ist; so ist auch jene Verneinung alles Wollens, jener Eintritt in die Freiheit, nicht durch Vorsatz zu erzwingen, sondern geht aus dem innersten Verhältniß des Erkennens zum Wollen im Menschen hervor, kommt daher plöhlich und wie von außen angeflogen. Daher eben nannte die Kirche fie Gnadenwirkung: und weil in Folge derselben das ganze Wesen des Menschen von Grund aus geändert und umgekehrt wird, und er nichts mehr will von Allem, was er bisher so heftig wollte, also wirklich gleichsam ein neuer Mensch an die Stelle des alten tritt; nannte sie diese Folge der Gnadenwirkung die Wiedergeburt.

Nicht, dem Sah vom Grunde gemäß, die Individuen, sondern die Idee des Menschen in ihrer Einheit betrachtend, symbo

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