Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

kennt in der fremden Erscheinung und daher die ewige Gerechtigkeit nicht wahrnimmt, befangen im principio individuationis, also überhaupt in jener Erkenntnißart, welche der Satz vom Grunde beherrscht. Von diesem Wahn und Blendwerk der Maja geheilt seyn, und Werke der Liebe üben, ist Eins. Letzteres ist aber unausbleibliches Symptom jener Erkenntniß.

Das Gegentheil der Gewissenspein, deren Ursprung und Bedeutung oben erläutert worden, ist das gute Gewissen, die Befriedigung, welche wir nach jeder uneigennüßigen That ver spüren. Sie entspringt daraus, daß solche That, wie sie hervorgeht aus dem unmittelbaren Wiedererkennen unsers eigenen Wesens an sich auch in der fremden Erscheinung, uns auch wiederum die Beglaubigung dieser Erkenntniß giebt, der Erkenntniß, daß unser wahres Selbst nicht bloß in der eigenen Person, dieser einzelnen Erscheinung, da ist, sondern in Allem was lebt. Dadurch fühlt sich das Herz erweitert, wie durch den Egoismus zusammengezogen. Denn wie dieser unsern Antheil koncentrirt auf die einzelne Erscheinung des eigenen Individui, wobei die Erkenntniß uns stets die zahllosen Gefahren, welche fortwährend diese Erscheinung bedrohen, vorhält, wodurch Aengstlichkeit und Sorge der Grundton unsrer Stimmung wird; so verbreitet die Erkenntniß, daß alles Lebende eben so wohl unser eigenes Wesen an sich ist, wie die eigene Person, unfern Antheil auf alles Lebende: hiedurch wird das Herz erweitert. Durch den also verminderten Antheil am eigenen Selbst wird die ångstliche Sorge für dasselbe in ihrer Wurzel angegriffen und beschränkt: daher die ruhige, zuversichtliche Heiterkeit, welche tugendhafte Gesinnung und gutes Gewissen giebt, und das deutlichere Hervortreten derselben bei jeder guten That, indem diese den Grund jener Stimmung uns selber beglaubigt. Der Egoist fühlt sich von fremden und feindlichen Erscheinungen umgeben, und alle seine Hoffnung ruht auf dem eigenen Wohl. Der Gute lebt in einer Welt befreundeter Erscheinungen: das Wohl einer jeden derselben ist sein eigenes. Wenn daher gleich die Erkenntniß des Menschenlooses überhaupt seine Stimmung nicht zu einer fröhlichen macht; so giebt die bleis bende Erkenntniß seines eigenen Wesens in allem Lebenden ihm doch eine gewisse Gleichmäßigkeit und selbst Heiterkeit der Stimmung. Denn der über unzählige Erscheinungen verbreitete An

theil kann nicht so beångstigen, wie der auf eine koncentrirte. Die Zufälle, welche die Gesammtheit der Individuen treffen, gleichen sich aus, während die dem Einzelnen verhångten Glück oder Unglück herbeiführen.

Wenn nun also Andere Moralprincipien aufstellten, die sie als Vorschriften zur Tugend und nothwendig zu befolgende Gesehe hingaben, ich aber, wie schon gesagt, dergleichen nicht kann, indem ich dem ewig freien Willen kein Soll noch Gesek vorzuhalten habe; so ist dagegen, im Zusammenhang meiner Betrachtung, das jenem Unternehmen gewissermaaßen Entsprechende und Analoge jene rein theoretische Wahrheit, als deren bloße Ausführung auch das Ganze meiner Darstellung angesehn werden kann, daß nåmlich der Wille das Unsich jeder Erscheinung, selbst aber, als solches, von den Formen dieser und dadurch von der Vielheit frei ist: welche Wahrheit ich, in Bezug auf das Handeln, nicht würdiger auszudrücken weiß, als durch die schon erwähnte Formel des Veda: „Tat twam asi:“ ,,Dieses bist Du!" Wer sie mit klarer Erkenntniß und fester inniger Ueberzeugung über jedes Wesen, mit dem er in Berührung kommt, zu sich selber auszusprechen vermag; der ist eben damit aller Tugend und Seeligkeit gewiß und auf dem geraden Wege zur Erlösung.

Bevor ich nun aber weiter gehe und, als das Lehte meiner Darstellung zeige, wie die Liebe, als deren Ursprung und Wesen wir die Durchschauung des principii individuationis erkennen, zur Erlösung, nåmlich zum gänzlichen Aufgeben des Willens zum Leben, d. h. alles Wollens, führt, und auch, wie ein andrer Weg, minder sanft, jedoch häufiger, den Menschen eben dahin bringt, muß zuvor hier ein paradorer Sah ausgesprochen und erläutert werden, nicht weil er ein solcher, sondern weil er wahr ist und zur Vollständigkeit meines darzulegenden Gedankens gehört. Es ist dieser: alle Liebe (ayann, caritas) ist Mitleid.

§. 67.

Wir haben gesehn, wie aus der Durchschauung des principii individuationis im geringeren Grade, die Gerechtigkeit, im höheren, die eigentliche Güte der Gesinnung hervorgieng, welche sich als reine d. h. uneigennüßige Liebe gegen Andere zeigte. Wo nun diese vollkommen wird, segt sie das fremde Individuum und

sein Schicksal dem eigenen völlig gleich: weiter kann sie nie gehn, da kein Grund vorhanden ist, das fremde Individuum dem eigenen vorzuziehn. Wohl aber kann die Mehrzahl der fremden Individuen, deren ganzes Wohlseyn oder Leben in Gefahr ist, die Rücksicht auf das eigene Wohl des Einzelnen überwiegen. In solchem Falle wird der zur höchsten Güte und zum vollendeten Edelmuth gelangte Charakter sein Wohl und sein Leben gånzlich zum Opfer bringen für das Wohl vieler Andern: so starb Ko dros, so Leonidas, so Regulus, so Decius Mus, so Arnold von Winkelried, so Jeder, der freiwillig und bewußt für die Seinigen, für das Vaterland, in den gewissen Tod geht. Auch steht auf dieser Stufe Jeder, der zur Behauptung Dessen, was der gesammten Menschheit zum Wohl gereicht und rechtmäßig angehört, d. h. für allgemeine, wichtige Wahrheiten und für Vertilgung großer Irrthümer, Leiden und Tod willig übernimmt: so starb Sokrates, so Jordanus Brunus, so fand mancher Held der Wahrheit den Tod auf dem Scheiterhaufen, unter den Hånden der Priester.

Nunmehr aber habe ich, in Hinsicht auf das oben ausgesprochene Paradoxon, daran zu erinnern, daß wir früher dem Leben im Ganzen das Leiden wesentlich und von ihm unzertrennlich gefunden haben, und daß wir einsahen, wie jeder Wunsch aus einem Bedürfniß, einem Mangel, einem Leiden hervorgeht, daß daher jede Befriedigung nur ein hinweggenommener Schmerz, kein gebrachtes positives Glück ist, daß die Freuden zwar dem. Wunsche lügen, sie wåren ein positives Gut, in Wahrheit aber nur negativer Natur sind und nur das Ende eines Uebels. Was daher auch Güte, Liebe und Edelmuth für Andere thun, ist im mer nur Linderung ihrer Leiden, und folglich ist was sie bewegen kann zu guten Thaten und Werken der Liebe, immer nur die Erkenntniß des fremden Leidens, aus dem eigenen unmittelbar verståndlich und diesem gleichgeseht. Hieraus aber ergiebt sich, daß die reine Liebe (ayanŋ, caritas) ihrer Natur nach Mitleid ist, das Leiden, welches sie lindert, mag nun ein großes oder ein kleines, wohin jeder unbefriedigte Wunsch gehört, seyn. Wir werden daher keinen Anstand nehmen, im geraden Widerspruch mit Kant, der alles wahrhaft Gute und alle Tu gend allein für solche anerkennen will, wenn sie aus der abstrakten Reflexion und zwar dem Begriff der Pflicht und des katego

rischen Imperativs hervorgegangen ist, und der gefühltes Mitleid für Schwäche, keineswegs für Tugend erklärt, — im geraden Widerspruch mit Kant zu sagen: der bloße Begriff ist für die ächte Tugend so unfruchtbar, wie für die ächte Kunst: alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht. Selbstsucht ist der sows: Mitleid ist die ayann. Mischungen von beiden finden häufig Statt. Sogar die ächte Freundschaft ist immer Mischung von Selbstsucht und Mitleid: erstere liegt im Wohlgefallen an der Gegenwart des Freundes, dessen Individualität der unsrigen entspricht, und sie macht fast immer den größten Theil aus; Mitleid zeigt sich in der aufrichtigen Theilnahme an seinem Wohl und Wehe und den uneigennüßigen Opfern, die man diesem bringt. Sogar Spinoza sagt: benevolentia nihil aliud est, quam cupiditas ex commiseratione orta. (Eth. III, pr. 27. cor. 3, schol.). Als Bestätigung unseres paradoren Sahes mag man bemerken, daß Ton und Worte der Sprache und Liebkosungen der reinen Liebe ganz zusammenfallen mit dem Tone des Mitleids: beiläufig auch, daß im Italiånischen Mitleid und reine Liebe durch das selbe Wort pietà bezeichnet werden.

Auch ist hier die Stelle zur Erörterung einer der auffallendsten Eigenheiten der menschlichen Natur, des Weinens, welches, wie das Lachen, zu den Aeußerungen gehört, die ihn vom Thiere unterscheiden. Das Weinen ist keineswegs geradezu Aeußerung des Schmerzes: denn bei den wenigsten Schmerzen wird geweint. Meines Erachtens weint man sogar nie unmittelbar über den empfundenen Schmerz, sondern immer nur über dessen Wiederholung in der Reflexion. Man geht nämlich von dem empfundenen Schmerz, selbst wann er körperlich ist, über zu einer bloßen Vorstellung desselben, und findet dann seinen eigenen Zustand so bemitleidenswerth, daß, wenn ein Andrer der Dulder wåre, man voller Mitleid und Liebe ihm helfen zu werden fest und aufrichtig überzeugt ist: nun aber ist man selbst der Gegenstand seines eigenen aufrichtigen Mitleids: mit der hülfreichsten Gesinnung ist man selbst der Hülfsbedürftige, fühlt, daß man mehr duldet, als man einen Andern dulden sehn könnte, und in dieser sonderbar verflochtenen Stimmung, wo das unmittelbar gefühlte Leid erst auf einem doppelten Umwege wieder zur Per

ception kommt, als fremdes vorgestellt, als solches mitgefühlt und dann plöglich wieder als unmittelbar eigenes wahrgenommen wird, schafft sich die Natur durch jenen sonderbaren körperli= chen Krampf Erleichterung. Das Weinen ist demnach Mitleid mit sich selbst, oder das auf seinen Ausgangspunkt zurückgeworfene Mitleid. Es ist daher durch Fähigkeit zur Liebe und zum Mitleid und durch Phantasie bedingt: daher weder hartherzige, noch phantasielose Menschen leicht weinen, und das Weinen sogar immer als Zeichen eines gewissen Grades von Güte des Charakters angesehn wird und den Zorn entwaffnet, weil man fühlt, daß wer noch weinen kann, auch nothwendig der Liebe, d. h. des Mitleids gegen Andere fåhig seyn muß, eben weil dieses, auf die beschriebene Weise, in jene zum Weinen führende Stimmung eingeht. Ganz der aufgestellten Erklärung gemäß ist die Beschreibung welche Petrarka, sein Gefühl 'naiv und wahr aussprechend, vom Entstehn seiner eigenen Thrånen macht:

[ocr errors]

I vo pensando: e nel pensar m' assale

Una pietà si forte di me stesso,

Che mi conduce spesso,

Ad alto lagrimar, ch' i non soleva.

Auch bestätigt sich das Gesagte dadurch, daß „Kinder, die einen Schmerz erlitten, meistens erst dann weinen, wann man sie beklagt, also nicht über den Schmerz, sondern über die Vorstellung desselben. Wann wir nicht durch eigene, sondern durch fremde Leiden zum Weinen bewegt werden; so geschieht dies dadurch, daß wir uns in der Phantasie lebhaft an die Stelle des Leidenden versehen, oder auch in seinem Schicksal das Loos der ganzen Menschheit und folglich vor Allem unser eigenes erblicken und also durch einen weiten Umweg immer doch wieder über uns selbst weinen, Mitleid mit uns selbst empfinden. Dies scheint auch ein Hauptgrund des durchgängigen, also natürlichen Weinens bei Todesfällen zu feyn. Es ist nicht sein Verlust, den der Trauernde beweint: solcher egoistischer Thränen würde er sich schämen; statt daß er bisweilen sich schämt nicht zu weinen. Zunächst beweint er freilich das Loos des Gestorbenen: jedoch weint er auch, wann diesem, nach langen, schweren und unheilbaren Leiden, der Tod eine wünschenswerthe Erlösung war. Haupt

« ZurückWeiter »