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als Mittel, sondern als Zweck, um an der Quaal des Beleidigers, die man selbst verursacht, sich zu weiden. Was die Rache von der reinen Bosheit unterscheidet und in etwas entschuldigt, ist ein Schein des Rechts; sofern nämlich derselbe Akt, der jetzt Rache ist, wenn er gefeßlich, d. h. nach einer vorher bestimmten und bekannten Regel und in einem Verein, der sie sanktionirt hat, verfügt würde, Strafe, also Recht, wäre.

Außer dem beschriebenen, mit der Bosheit aus einer Wurzel, dem sehr heftigen Willen, entsprossenen und daher von ihr unabtrennlichen Leiden, ist ihr nun aber noch eine davon ganz verschiedene und besondre Pein beigesellt, welche bei jeder bösen Handlung, diese sei nun bloße Ungerechtigkeit aus Egoismus, oder reine Bosheit, fühlbar wird und, nach der Långe ihrer Dauer, Gewissensbiß, oder Gewissensangst heißt. Wem nun der bisherige Inhalt dieses 4ten Buchs, besonders aber die am Anfange desselben auseinandergesehte Wahrheit, daß dem Willen zum Leben das Leben selbst, als fein bloßes Abbild oder Spiegel, immer gewiß ist, sodann auch die Darstellung der ewigen Gerechtigkeit, erinnerlich und gegenwärtig sind; der wird finden, daß in Gemäßheit jener Betrachtungen, der Gewissensbiß keine andere, als folgende Bedeutung haben kann, d. h. sein Inhalt, abstrakt ausgedrückt, folgender ist, in welchem man zwei Theile unterscheidet, die aber doch wieder ganz zusammenfallen und als völlig vereint gedacht werden müssen.

So dicht nämlich auch den Sinn des Bösen der Schleier der Maja umhüllt, d. h. so fest er auch im principio individuationis befangen ist, dem gemäß er seine Person von jeder andern als absolut verschieden und durch eine weite Kluft getrennt ansieht, welche Erkenntniß, weil sie seinem Egoismus. allein gemäß und die Stüße desselben ist, er mit aller Gewalt festhält, wie denn fast immer die Erkenntniß vom Willen bestochen ist; so regt sich dennoch, im Innersten seines Bewußtseyns, die geheime Ahndung, daß eine solche Ordnung der Dinge doch nur Erscheinung ist, an sich aber es sich ganz anders verhält: daß, so sehr auch Zeit und Raum ihn von andern Individuen und deren unzählba ren Quaalen, die sie leiden, ja durch ihn leiden, trennen und sie als ihm ganz fremd darstellen; dennoch an sich und abgesehn von der Vorstellung und ihren Formen der eine Wille zum Leben es

ist, der in ihnen allen erscheint, der hier, sich selbst verkennend, gegen sich selbst seine Waffen wendet, und indem er in einer seiner Erscheinungen gesteigertes Wohlseyn sucht, eben dadurch der andern das größte Leiden auflegt, und daß er, der Böse, eben dieser ganze Wille ist, er folglich nicht allein der Quåler, sondern eben er auch der Gequålte, von dessen Leiden ihn nur ein tåuschender Traum, dessen Form Raum und Zeit ist, trennt und frei hålt, der aber dahin schwindet und er, der Wahrheit nach, die Wollust mit der Quaal bezahlen muß, und alles Leiden, das er nur als möglich erkennt, ihn als den Willen zum Leben wirklich trifft, indem nur für die Erkenntniß des Individuums, nur mittelst des principii individuationis, Möglichkeit und Wirklichkeit, Nähe und Ferne der Zeit und des Raumes, verschieden sind; nicht so an sich. Diese Wahrheit ist es, welche mythisch, d. h. dem fo Sahe vom Grunde angepaßt und dadurch in die Form der Erscheinung überseßt, durch die Seelenwanderung ausgedrückt wird: ihren von aller Beimischung reinsten Ausdruck aber hat sie eben in jener dunkel gefühlten, aber trostlosen Quaal, die man Gewissensangst nennt. — Diese entspringt aber außerdem noch aus einer zweiten, mit jener ersten genau verbundenen, unmittelbaren Erkenntniß, nämlich der der Stärke, mit welcher im bösen Individuo der Wille zum Leben sich bejaht, welche weit über seine individuelle Erscheinung hinausgeht, bis zur gänzlichen Verneinung desselben in fremden Individuen erscheinenden Willens. Das innere Entsehen folglich des Bösewichts über seine eigene That, welches er sich selber zu verhehlen sucht, enthält neben jener Ahndung der Nichtigkeit und bloßen Scheinbarkeit des principii individuationis und des durch dasselbe gesetzten Unterschiedes zwischen ihm und Andern, zugleich auch die Erkenntniß der Heftigkeit seines eigenen Willens, der Gewalt, mit welcher er das Leben gefagt, fich baran feftgefogen hat, eben diefes Leben, beffen schreckliche Seite er in der Quaal der von ihm Unterdrückten vor sich sieht und mit welchem er dennoch so fest verwachsen ist, daß eben dadurch das Entseßlichste von ihm selbst ausgeht, als Mittel žur bólligeren Bejabung feines eignen Billens. Er erkennt sich als concentrirte Erscheinung des Willens zum Leben, fühlt bis zu welchem Grade er dem Leben anheimgefallen ist und damit auch den zahllosen Leiden, die diesem wesentlich sind, da es endlose

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Zeit und endlosen Raum hat, um den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit aufzuheben und alle von ihm für jezt bloß erkannte Quaalen in empfundene zu verwandeln. Die Millionen Jahre steter Wiedergeburt bestehn dabei zwar bloß im Begriff, wie die ganze Vergangenheit und Zukunft allein im Begriff existirt: die erfüllte Zeit, die Form der Erscheinung des Willens ist allein die Gegenwart, und für das Individuum ist die Zeit immer neu: es findet sich stets als neu entstanden. Denn von dem Willen zum Leben ist das Leben unzertrennlich und des sen Form allein das Jeht. Der Tod (man entschuldige die Wie derholung des Gleichnisses) gleicht dem Untergange der Sonne, die nur scheinbar von der Nacht verschlungen wird, wirklich aber, selbst Quelle alles Lichtes, ohne Unterlaß brennt, neuen Welten neue Tage bringt, allezeit im Aufgange und allezeit im Niedergange. Anfang und Ende trifft nur das Individuum, mittelst der Zeit, der Form dieser Erscheinung für die Vorstellung. Außer der Zeit liegt allein der Wille, Kants Ding an sich, und dessen adäquate Objektität, Platons Idee. Daher giebt Selbstmord keine Rettung: was Jeder im Innersten will, das muß er seyn: und was Jeder ist, das will er eben. Also neben der bloß gefühlten Erkenntniß der Scheinbarkeit und Nichtigkeit der die Individuen absondernden Formen der Vorstellung, ist es die Selbsterkenntniß des eigenen Willens und seines Grades, welche dem Gewissen den Stachel giebt. Der Lebenslauf wirkt das Bild des empirischen Charakters, dessen Original der intelligible ist, und der Böse erschrickt bei diesem Bilde; gleichviel ob es mit großen Zügen gewirkt ist, so daß die Welt seinen Abscheu theilt, oder mit so kleinen, daß er allein es sieht: denn nur ihn betrifft es unmittelbar. Das Vergangene wåre gleichgültig als bloße Erscheinung und könnte nicht das Gewissen beångstigen, fühlte sich nicht der Charakter frei von aller Zeit und durch sie unver ånderlich, solange er nicht sich selbst verneint. Darum lasten långst geschehene Dinge immer noch auf dem Gewissen. Die Bitte führe mich nicht in Versuchung," sagt: „lass es mich nicht sehn, wer ich bin." An der Gewalt, mit welcher der Böse das Leben bejaht, und die sich ihm darstellt an dem Leiden, welches er über Andre verhängt, ermißt er die Ferne, in welcher von ihm das Aufgeben und Verneinen eben jenes Willens,

die

einzig möglich Erlösung von der Welt und ihrer Quaal liegt. Er sieht, wie weit er ihr angehört und wie fest er ihr verbunden ist: das erkannte Leiden Andrer hat ihn nicht bewegen können: dem Leben und dem empfundenen Leiden fällt er anheim. Es bleibt dahin gestellt, ob dieses je die Heftigkeit seines Willens brechen und überwinden wird.

Diese Auseinandersehung der Bedeutung und des innern Wesens des Bösen, welche als bloßes Gefühl, d. h. nicht als deutliche, abstrakte Erkenntniß, der Inhalt der Gewissensangst ist, wird noch mehr Deutlichkeit und Vollständigkeit gewinnen durch die eben so durchgeführte Betrachtung des Guten, als Eigenschaft des menschlichen Willens, und zuleßt der gänzlichen Resignation und Heiligkeit, welche aus jener, nachdem solche den höchsten Grad erreicht hat, hervorgeht. Denn die Gegensähe erläutern sich immer wechselseitig, und der Tag offenbart zugleich sich selbst und die Nacht, wie Spinoza vortrefflich gesagt hat.

§. 66.

Die Tugend geht aus der Erkenntniß hervor; aber nicht aus der abstrakten, durch Worte mittheilbaren. Wäre dieses, so ließe sie sich lehren, und indem wir hier ihr Wesen und die ihr zum Grunde liegende Erkenntniß abstrakt aussprechen, hätten wir Jeden, der dies faßt, auch ethisch gebessert. So ist es aber keineswegs. Vielmehr kann man so wenig durch ethische Vorträge oder Predigten einen Tugendhaften zu Stande bringen, als alle Aesthetiken, von der des Aristoteles an, je einen Dichter gemacht haben. Denn für das eigentliche und innere Wesen der Tugend ist der Begriff unfruchtbar, wie er es für die Kunst ist, und kann nur völlig untergeordnet als Werkzeug Dienste bei der Ausführung und Aufbewahrung des anderweitig Erkannten und Beschlossenen leisten. Velle non discitur. Auf die Tugend, d. h. auf die Güte der Gesinnung, sind die abstrakten Dogmen in der That ohne Einfluß: die falschen stören sie nicht, und die wahren befördern sie schwerlich. Es wäre auch wahrlich sehr schlimm, wenn die Hauptsache des menschlichen Lebens, sein ethischer, für die Ewigkeit geltender Werth, von etwas abhienge, dessen Erlangung so sehr dem Zufall unterworfen ist, wie Dogmen, Glau

benslehren, Philosopheme. Die Dogmen haben für die Moralität bloß den Werth, daß der aus anderweitiger, bald zu erörternder Erkenntniß schon Tugendhafte an ihnen ein Schema, ein Formular hat, nach welchem er seiner eigenen Vernunft von seinem nichtegoistischen Thun, dessen Wesen sie, d. i. er selbst, nicht begreift, eine meistens nur fingirte Rechenschaft ablegt, bei wel cher er sie gewöhnt hat sich zufrieden zu geben.

Zwar auf das Handeln, das äußere Thun, können die Dogmen starken Einfluß haben, wie auch Gewohnheit und Beispiel (lektere, weil der gewöhnliche Mensch seinem Urtheil, dessen Schwäche er sich bewußt ist, nicht traut, sondern nur eigener oder fremder Erfahrung folgt) aber damit ist die Gesinnung nicht geåndert *). Alle abstrakte Erkenntniß giebt nur Motive: Motive aber können, wie oben gezeigt, nur die Richtung des Willens, nie ihn selbst åndern. Alle mittheilbare Erkenntniß kann auf den Willen aber nur als Motiv wirken: wie die Dogmen ihn also auch lenken, so ist dabei dennoch immer Das, was der Mensch eigentlich und überhaupt will, das selbe geblieben: bloß über die Wege, auf welchen es zu erlangen, hat er andre Gedanken erhalten, und imaginåre Motive leiten ihn gleich wirklichen. Daher z. B. ist es in Hinsicht auf seinen ethischen Werth gleich viel, ob er große Schenkungen an Hülflose macht, fest überredet in einem künftigen Leben alles zehnfach wiederzuerhalten, oder ob er dieselbe Summe auf Verbesserung eines Landgutes verwendet, das zwar spåte, aber desto sicherere und erklecklichere Zinsen tragen wird: und ein Mörder, so gut wie der Bandit, welcher dadurch einen Lohn erwirbt, ist auch Der, welcher rechtgläubig den Kezer den Flammen überliefert; ja sogar, nach innern Um stånden, auch Der, welcher die Türken im gelobten Lande erwürgt, wenn er nämlich, wie auch Jener, es eigentlich darum thut, weil er sich dadurch einen Plaß im Himmel zu erwerben vermeint. Denn nur für sich, für ihren Egoismus, wollen ja Diese sorgen, eben wie auch jener Bandit, von dem sie sich nur durch die Absurdität der Mittel unterscheiden. Von außen ist, wie schon

*) Es sind bloße opera operata, würde die Kirche sagen, die nichts helfen, wenn nicht die Gnade den Glauben schenkt, der zur Wiedergeburt führt. Davon weiter unten.

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