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Leben, auf dieser Welt, in leidenden und verachteten Wesen nach sich zieht, daß man demgemäß sodann wieder geboren wird in niedrigeren Kasten, oder als Weib, oder als Thier, als Paria oder Tschandala, als Ausfähiger, als Krokodil u. s. w. Alle Quaalen, die der Mythos droht, belegt er mit Anschauungen aus der wirklichen Welt, durch leidende Wesen, welche auch nicht wissen, wie sie ihre Quaal verschuldet haben, und er braucht keine andre Hölle zu Hülfe zu nehmen, Als Belohnung aber verheißt er dagegen Wiedergeburt in beffern, edleren Gestalten, als Bramin, als Weiser, als Heiliger. Die höchste Belohnung, welche der edelsten Thaten und der völligen Resignation wartet, welche auch dem Weibe wird, die in sieben Leben hinter einander freiwillig auf dem Scheiterhaufen des Gatten starb, nicht weniger auch dem Menschen, dessen reiner Mund nie eine einzige Lüge sprach, diese Belohnung kann der Mythos in der Sprache dieser Welt nur negativ ausdrücken, durch die so oft vorkommende Verheißung, gar nicht mehr wiedergeboren zu werden: non adsumes iterum existentiam apparentem: oder wie die Buddhaisten, welche weder Veda noch Kasten gelten lassen, es schon sinnlicher ausdrücken: „du sollst Nirwana erlangen, d. i. einen Zustand, in welchem es vier Dinge nicht giebt: Schwere, Ulter, Krankheit und Tod."

Nie hat ein Mythos und nie wird einer sich der so Wenigen zugänglichen, philosophischen Wahrheit enger anschließen, als diese uralte Lehre des edelsten, ältesten und mündigsten Volkes, bei welchem sie, so entartet es auch jeht in vielen Stücken ist, doch noch als allgemeiner Volksglaube herrscht und auf das Leben ent: schiedenen Einfluß hat, heute so gut, wie vor vier Jahrtausenden. Jenes non plus ultra mythischer Darstellung haben daher schon Pythagoras und Platon mit Bewunderung aufgefaßt, von Indien oder Aegypten herübergenommen, verehrt, angewandt und, wir wissen nicht wie weit, selbst geglaubt. Wir hingegen schicken nunmehr den Braminen Englische clergymen und Herrnhuterische Leinweber, um sie aus Mitleid eines bessern zu belehren. Aber uns widerfährt was Dem, der eine Kugel gegen einen Felsen abschießt. In Indien fassen unsere Religionen nie und nimmermehr Wurzel: die Urweisheit des Menschengeschlechts wird nicht von den Begebenheiten in Galilåa verdrängt werden. Hingegen

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strömt Indische Weisheit nach Europa zurück und wird eine Grundveränderung in unserm Wissen und Denken hervorbringen.

§. 64.

Aber von unsrer nicht mythischen, sondern philosophischen Darstellung der ewigen Gerechtigkeit wollen wir jetzt zu den dieser verwandten Betrachtungen der ethischen Bedeutsamkeit des Handelns und des Gewissens, welches die bloß gefühlte Erkenntniß jener ist, fortschreiten. Nur will ich, an dieser Stelle, zuvor noch auf zwei Eigenthümlichkeiten der menschlichen Natur aufmerksam machen, welche beitragen können zu verdeutlichen, wie einem Jeden das Wesen jener ewigen Gerechtigkeit und die Einheit und Identität des Willens in allen seinen Erscheinungen, worauf jene beruht, wenigstens als dunkles Gefühl bewußt ist.

Ganz unabhängig von dem nachgewiesenen Zwecke des Staates bei der Strafe, der das Strafrecht begründet, gewährt es, nachdem eine böse That geschehn, nicht nur dem Gekränkten, den meistens Rachsucht beseelt, sondern ́auch dem ganz antheilslosen Zuschauer Befriedigung, zu sehn, daß Der, welcher einem Andern einen Schmerz verursachte, gerade dasselbe Maaß des Schmerzes wieder erleide. Mir scheint sich hierin nichts Underes, - als eben das Bewußtseyn jener ewigen Gerechtigkeit auszusprechen, welches aber von dem ungeläuterten Sinn sogleich misverstanden und verfälscht wird, indem er, im principio individuationis befangen, eine Amphibolie der Begriffe begeht und von der Erscheinung Das verlangt, was nur dem Dinge an sich zukommt, nicht einsieht, inwiefern an sich der Beleidiger und der Beleidigte Eines sind und dasselbe Wesen es ist, was, in seiner eigenen Erscheinung sich selbst nicht wiederkennend, sowohl die Quaal als die Schuld trägt; sondern vielmehr verlangt, am nämlichen Individuo, dessen die Schuld ist, auch die Quaal- wiederzusehn. Daher möchten die Meisten auch fordern, daß ein Mensch, der einen sehr hohen Grad von Bosheit hat, welcher jedoch sich wohl in Vielen, nur nicht mit andern Eigenschaften wie in ihm gepaart, finden möchte, der nämlich dabei durch ungewöhnliche Geisteskraft Undern weit überlegen wäre und welcher demzufolge nun unsågliche Leiden über Millionen Andre verhienge, z. B. als

Welteroberer, sie würden fordern, sage ich, daß ein solcher alle jene Leiden irgendwann und irgendwo ́durch ein gleiches Maaß von Schmerzen abbüßte; weil sie nicht erkennen, wie an sich der Quåler und die Gequålten Eines sind und derselbe Wille, durch welchen diese da sind und leben, es eben auch ist, der in jenem erscheint und gerade durch ihn zur deutlichsten Offenbarung seines Wesens gelangt, und der ebenfalls, wie in den Unterdrückten, so auch im Ueberwältiger leidet und zwar in diesem in dem Maaße mehr, als das Bewußtseyn höhere Klarheit und Deutlichkeit und der Wille größere Vehemenz hat. Daß aber die tiefere, im principio individuationis nicht mehr befangene Erkenntniß, aus welcher alle Tugend und Edelmuth hervorgehn, jene Vergeltung fordernde Gesinnung nicht mehr hegt, bezeugt schon die Chriftliche Ethik, welche alle Vergeltung des Bösen mit Bösem schlechthin untersagt und die ewige Gerechtigkeit als in dem von der Erscheinung verschiedenen Gebiet des Dinges an sich walten läßt. (,,Die Rache ist mein, Ich will vergelten, spricht der Herr." Röm. 12, 19.)

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Ein viel auffallenderer, aber auch viel seltnerer Zug in der menschlichen Natur, der jenes Verlangen, die ewige Gerechtigkeit in das Gebiet der Erfahrung, d. i. der Individuation, zu ziehn, ausspricht und dabei zugleich ein gefühltes Bewußtseyn andeutet, daß, wie ich es oben ausdrückte, der Wille zum Leben das große Trauer- und Luft-Spiel auf eigene Kosten aufführt, und daß derselbe und eine Wille in allen Erscheinungen lebt, ein solcher Zug, sage ich, ist folgender. Wir sehen bisweilen einen Menschen über ein großes Unbild, das er erfahren, ja vielleicht nur als Zeuge erlebt hat, so tief empört werden, daß er sein eigenes Leben mit Ueberlegung und ohne Rettung daran seht, um Rache an dem Ausüber jenes Frevels zu nehmen. Wir sehn ihn etwan einen mächtigen Unterdrücker Jahrelang aufsuchen, endlich ihn morden und dann selbst auf dem Schafott sterben, wie er vorhergesehn, ja oft gar nicht zu vermeiden suchte, indem sein Leben nur noch als Mittel zur Rache Werth für ihn behalten hatte. — Besonders unter den Spaniern finden sich solche Beispiele *).

*) Jener Spanische Bischof, der im legten Kriege sich und die Franzósischen Generále zugleich vergiftete, gehört hieher, wie mehrere Thatsachen aus jenem Kriege. Auch findet man Beispiele im Montaigne, Buch 2, c. 12.

Wenn wir nun den Geist jener Vergeltungssucht genau betrach ten, so finden wir sie sehr verschieden von der gemeinen Rache, die das erlittene Leid durch den Anblick des verursachten mildern will; ja, wir finden, daß was sie bezweckt nicht sowohl Rache als Strafe genannt zu werden verdient: denn in ihr liegt eigent lich die Absicht einer Wirkung auf die Zukunft, durch das Beispiel, und zwar hier ohne allen eigennützigen Zweck, weder für das rächende Individuum, denn es geht dabei unter, noch für eine Gesellschaft, die durch Geseze sich Sicherheit schafft: denn jene Strafe wird vom Einzelnen, nicht vom Staat, noch zur Erfüllung eines Gesetzes vollzogen, vielmehr trifft sie immer eine That, die der Staat nicht strafen wollte oder konnte und deren Strafe er misbilligt. Mir scheint es, daß der Unwille, welcher einen solchen Menschen so weit über die Gränzen aller Selbstliebe hinaus treibt, aus dem tiefsten Bewußtseyn entspringt, daß er der ganze Wille zum Leben, der in allen Wesen, durch alle Zeiten erscheint, selbst ist, dem daher die fernste Zukunft wie die Gegenwart auf gleiche Weise angehört und nicht gleichgültig seyn kann: diesen Willen bejahend, verlangt er jedoch, daß in dem Schauspiel, welches sein Wesen darstellt, kein so ungeheures Unbild je wieder erscheine, und will, durch das Beispiel einer Rache, gegen welche es keine Wehrmauer giebt, da Todesfurcht den Råcher nicht abschreckt, jeden künftigen Frevler schrecken. Der Wille zum Leben, obwohl sich noch bejahend, hångt hier nicht mehr an der einzelnen Erscheinung, dem Individuo, sondern umfaßt die Idee des Menschen und will ihre Erscheinung rein erhalten von solchem ungeheuren, empörenden Unbild. Es ist ein seltener, bedeutungsvoller, ja erhabener Charakterzug, durch welchen der Einzelne sich opfert, indem er sich zum Arm der ewigen Gerechtig= keit zu machen strebt, deren eigentliches Wesen er noch verkennt.

§. 65.

Durch alle bisherigen Betrachtungen über das menschliche Handeln haben wir die lehte vorbereitet und uns die Aufgabe sehr erleichtert, die eigentliche ethische Bedeutsamkeit des Handelns, welche man im Leben durch die Worte gut und böse bezeichnet und sich dadurch vollkommen verständigt, zu abstrakter und philo

sophischer Deutlichkeit zu erheben und als Glied unsers Hauptgedankens nachzuweisen.

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Ich will aber zuvörderst jene Begriffe gut und böse, welche von den philosophischen Schriftstellern unserer Tage, höchst wunderlicher Weise, als einfache, also keiner Analyse fähige Begriffe behandelt werden, auf ihre eigentliche Bedeutung zurückführen; damit man nicht etwan in einem undeutlichen Wahn befangen bleibe, daß sie mehr enthalten, als wirklich der Fall ist, und an und für sich schon alles hier Nöthige besagten. Dies kann ich thun, weil ich selbst so wenig gesonnen bin, in der Ethik hinter dem Worte Gut einen Versteck zu suchen, als ich solchen früher hinter den Worten Schön oder Wahr gesucht habe, um dann etwan durch ein angehångtes „Heit," das heut zu Tage eine besondere oeuvotŋs haben und dadurch in mehreren Fållen aushelfen soll, und durch eine feierliche Miene glauben zu machen, ich hatte durch Aussprechung solcher drei Worte mehr gethan, als drei sehr weite und abstrakte, folglich gar nicht inhaltsreiche Begriffe bezeichnen, welche sehr verschiedenen Ursprung und Bedeutung haben. Wem in der That, der sich mit den Schriften unsrer Tage bekannt gemacht hat, sind nicht jene drei Worte, auf so treffliche Dinge fie auch ursprünglich weisen, doch endlich zum Ekel geworden, nachdem er tausend Mal sehn mußte; wie jeder zum Denken Unfähigste nur glaubt, mit weitem Munde und einer Miene wie die eines begeisterten Schaafes, jene drei Worte vorbringen zu dürfen, um große Weisheit geredet zu haben?

Die Erklärung des Begriffes wahr ist schon in der einlei tenden Abhandlung, Kap. 4, gegeben. Der Inhalt des Begriffs schön hat durch unser ganzes drittes Buch zum ersten Mal seine eigentliche Erklärung gefunden. Jest wollen wir den Begriff gut auf seine Bedeutung zurückführen, was mit sehr Wenigem geschehn kann. Dieser Begriff ist wesentlich relativ und bezeichnet die Angemessenheit eines Objekts zu irgend einer bestimmten Bestrebung des Willens. Also Alles, was dem Willen in irgend einer seiner Aeußerungen zusagt, seinen Zweck erfüllt, das wird durch den Begriff gut gedacht, so verschieden es auch im Uebrigen seyn mag. Darum fagen wir gutes Essen, gute Wege, gutes Wetter, gute Waffen, gute Vorbedeutung u. s. w., kurz, nennen alles gut, was gerade so ist, wie wir es eben wol

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