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läßt, ist die entstandene Gesetzgebung eigentlich ein positives Recht, und der Staat ein rechtlicher Verein, Staat im ei gentlichen Sinn des Worts, eine ethisch zulässige, nicht unmoralische Anstalt. Widrigenfalls ist hingegen die positive Gefeßgebung Begründung eines positiven Unrechts, ist selbst ein öffentlich zugestandenes erzwungenes Unrecht. Dergleichen ist jede Despotie, die Verfassung der meisten Mohammedanischen Reiche, dahin gehören sogar manche Theile vieler Verfassungen, z. B. Leibeigenschaft, Frohn u. dgl. m. Die reine Rechtslehre oder das Naturrecht, besser ethisches Recht, liegt, obwohl immer durch Umkehrung, jeder rechtlichen positiven Gesetzgebung so zum Grunde, wie die reine Mathematik jedem Zweige der angewandten. Die wichtigsten Punkte der reinen Rechtslehre, wie die Philosophie, zu jenem Zweck, sie der Gesetzgebung zu überliefern hat, find folgende. 1) Erklärung der innern und eigentlichen Bedeutung und des Ursprungs der Begriffe Unrecht und Recht, und ihrer Anwendung und Stelle in der Ethik. 2) Die Ableitung des Eigenthumsrechts. 3) Die Ableitung der ethischen Gültigkeit der Verträge, da diese die ethische Grundlage des Staatsvertrages ist. 4) Die Erklärung der Entstehung und des Zweckes des Staats, des Verhältnisses dieses Zweckes zur Ethik und der in Folge dieses Verhältnisses zweckmäßigen Uebertragung der ethischen Rechtslehre durch Umkehrung auf die Gefeßgebung. 5) Die Ableitung des Strafrechts. Der übrige Inhalt der Rechtslehre ist bloße Anwendung jener Principien, nåhere Bestimmung der Gränzen des Rechts und des Unrechts für alle möglichen Verhältnisse des Lebens, welche deshalb unter gewisse Gesichtspunkte und Titel vereinigt und abgetheilt werden. In diesen besondern Lehren stimmen die Lehrbücher des reinen Rechts alle ziemlich überein: nur in den Principien lauten sie sehr verschieden, weil folche immer mit irgend einem philosophischen System zusammenhängen. Nachdem wir in Gemäßheit des unsrigen die vier ersten jener Hauptpunkte kurz und allgemein, jedoch bestimmt und deutlich erörtert haben, ist noch vom Strafrechte eben so zu reden.

Kant stellt die grundfalsche Behauptung auf, daß es außer dem Staate kein vollkommnes Eigenthumsrecht gåbe. Unfrer obigen Ableitung zufolge giebt es auch im Naturzustande Eigenthum, mit vollkommenem natürlichen, d. h. ethischen Rechte, welches

ohne Unrecht nicht verleht, aber ohne Unrecht auf das äußerste vertheidigt werden kann. Hingegen ist gewiß, daß es außer dem Staat kein Strafrecht giebt. Alles Recht zu strafen ist allein durch das positive Gesek begründet, welches vor dem Bergehn diesem eine Strafe bestimmte, deren Androhung, als Gegenmotiv, alle etwanigen Motive zu jenem Vergehn überwiegen sollte. Dieses positive Gefeß ist anzusehn als von allen Bürgern des Staats sanktionirt und anerkannt. Es gründet sich also auf einen gemeinsamen Vertrag, zu dessen Erfüllung unter allen Umständen, also zur Vollziehung der Strafe auf der einen und zur Duldung derselben von der andern Seite, die Glieder des Staates verpflichtet sind: daher ist die Duldung mit Recht erzwingbar. Folglich ist der unmittelbare 3 weck der Strafe im einzelnen Fall. Erfüllung des Gesezes als eines Vertrages. Der einzige Zweck des Gesezes aber ist Abschreckung von Beeinträchtigung fremder Rechte: denn damit jeder vor Unrechtleiden geschüßt sei, hat man sich zum Staat vereinigt, dem Unrechtthun entsagt und die Lasten der Erhaltung des Staates auf sich ge= nommen. Das Gesetz also und die Vollziehung desselben, die Strafe, sind wesentlich auf die Zukunft gerichtet, nicht auf die Vergangenheit. Dies unterscheidet Strafe von Rache, welche Lehtere lediglich durch das Geschehene, also das Vergangene als solches, motivirt ist. Alle Vergeltung des Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache und kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens, das man selbst verursacht hat, sich über das selbst erlittene zu trösten. Solches ist Bosheit und Grausamkeit, und ethisch nicht zu rechtfertigen. Unrecht, das mir Jemand zugefügt, befugt mich keineswegs ihm Unrecht zuzufügen. Vergeltung des Bösen mit Bösem, ohne weitere Absicht, ist weder ethisch, noch sonst durch irgend einen vernünftigen Grund zu rechtfertigen und das jus talionis als selbstständiges, lehtes Princip des Strafrechts aufgestellt, ist sinnleer. Daher ist Kants Theorie der Strafe als bloßer Vergeltung, um der Vergeltung Willen, eine völlig grundlose und verkehrte Ansicht. Zweck für die Zukunft unterscheidet Strafe von Rache, und diesen hat die Strafe nur dann, wann sie zur Erfüllung eines Geseßes vollzogen wird, welche, nur eben dadurch als unausbleiblich auch

für jeden künftigen Fall sich ankündigend, dem Gesetz die Kraft abzuschrecken erhält, worin eben sein Zweck besteht. — Hier würde nun ein Kantianer unfehlbar einwenden, daß ja, nach dieser Ansicht, der gestrafte Verbrecher bloß als Mittel" gebraucht würde. Aber dieser von allen Kantianern so unermüdlich nachgesprochene Sah,,,man dürfe den Menschen immer nur als 3wed, nie als Mittel behandeln," - ist zwar ein bedeutend klingender und daher für alle die, welche gern eine Formel haben mögen, die sie alles fernern Denkens überhebt, überaus geeigneter Sah; aber beim Lichte betrachtet ist es ein höchst vager, unbestimmter, seine Absicht ganz indirekt erreichender Ausspruch, der für jeden Fall seiner Anwendung erst besondrer Erklärung, Bestimmung und Modifikation bedarf, so allgemein genommen aber ungenůgend, wenigsagend und noch dazu problematisch ist. Der dem Gefehe zufolge der Todesstrafe anheimgefallene Mörder muß jest allerdings und mit vollem Recht als bloßes Mittel gebraucht werden. Denn die öffentliche Sicherheit, der Hauptzweck des Staats, ist durch ihn gestört, ja sie ist aufgehoben, wenn das Gesez unerfüllt bleibt: er, sein Leben, seine Person, muß jezt das Mittel zur Erfüllung des Gesetzes und dadurch zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit seyn, und wird zu solchem ge macht mit allem Recht, zur Vollziehung des Staatsvertrages, der auch von ihm, sofern er Staatsbürger war, eingegangen war, und demzufolge er, um Sicherheit für sein Leben, seine Freiheit und sein Eigenthum zu genießen, auch der Sicherheit Aller sein Leben, seine Freiheit und sein Eigenthum zum Pfande gesetzt hatte, welches Pfand jeht verfallen ist.

Diese hier aufgestellte, der gesunden Vernunft unmittelbar einleuchtende Theorie der Strafe ist freilich, in der Hauptsache, kein neuer Gedanke, sondern nur ein durch neue Irrthümer bei nah verdrängter, dessen deutlichste Darstellung insofern nöthig war. Dieselbe ist, dem Wesentlichen nach, schon in dem enthalten, was Puffendorf, de officiis hominis et civis, Lib. 2, cap. 13 darüber sagt. Mit ihr stimmt ebenfalls Hobbes überein: Leviathan, c. 15 et 28. In unsern Tagen hat sie bekanntlich Feuer bach verfochten. Ja, sie findet sich schon in den Aussprüchen der Philosophen des Alterthums: Platon legt sie deutlich dar im Protagoras (p. 114, ed. Bip.) auch im Gorgias (p. 168), endlich im

11ten Buch von den Gesezen (p. 165). Seneka spricht Platons Meinung und die Theorie aller Strafe vollkommen aus, in den kurzen Worten: Nemo prudens punit, quia peccatum est; sed ne peccetur. De Ira I, 16.

Wir haben also im Staat das Mittel kennen gelernt, wodurch der mit Vernunft ausgerüstete Egoismus seinen eignen, sich gegen ihn selbst wendenden schlimmen Folgen auszuweichen sucht, und nun Jeder das Wohl Aller befördert, weil er sein eigenes mit darin begriffen sieht. Erreichte der Staat seinen Zweck vollkommen, so könnte gewissermaaßen, da er, durch die in ihm vereinigten Menschenkräfte, auch die übrige Natur sich mehr und mehr dienstbar zu machen weiß, zuleht, durch Fortschaffung aller Arten von Uebel, etwas dem Schlaraffenlande sich Annäherndes zu Stande kommen. Allein, theils ist er noch immer sehr weit von diesem Ziel entfernt geblieben; theils würden auch noch immer unzählige, dem Leben durchaus wesentliche Uebel, unter denen, wären sie auch alle fortgeschafft, zulezt die Langeweile jede von den andern verlassene Stelle sogleich ockupirt, es nach wie vor im Leiden erhalten; theils ist auch sogar der Zwist der Individuen nie durch den Staat völlig aufzuheben, da er im Kleinen neckt, wo er im Großen verpånt ist; und endlich wendet sich die aus dem Innern glücklich vertriebne Eris zuleht nach außen: als Streit der Individuen durch die Staatseinrichtung verbannt, kommt sie von außen als Krieg der Völker wieder und fordert nun im Großen und mit einem Male, als aufgehäufte Schuld, die blutigen Opfer ein, welche man ihr, durch kluge Vorkehrung, im Einzelnen entzogen hatte. - Ja gesezt, auch dieses Alles wäre endlich, durch eine auf die Erfahrung von Jahrtausenden gestüßte Klugheit, überwunden und beseitigt; so würde am Ende die wirkliche Uebervólkerung des ganzen Planeten das Resultat seyn, dessen entsegliche Uebel sich jezt nur eine kühne Einbildungskraft zu vergegenwårtigen vermag *).

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§. 63.

Wir haben die zeitliche Gerechtigkeit, die im Staat ihren Sit hat, kennen gelernt, als vergeltend oder strafend, und

*) Hiezu Kap. 47 des zweiten Bandes.

gesehn, daß eine solche allein durch die Rücksicht auf die Zukunft zur Gerechtigkeit wird; da ohne solche Rücksicht alles Strafen und Vergelten eines Frevels ohne Rechtfertigung bliebe, ja, ein bloßes Hinzufügen eines zweiten Uebels zum Geschehenen wäre, ohne Sinn und Bedeutung. Ganz anders aber ist es mit der ewigen Gerechtigkeit, welche schon früher erwähnt wurde, und welche nicht den Staat, sondern die Welt beherrscht, nicht von menschlichen Einrichtungen abhängig, nicht dem Zufall und der Täuschung unterworfen, nicht unsicher, schwankend und irrend, sondern unfehlbar, fest und sicher ist.

Der Begriff der Vergeltung schließt schon die Zeit in sich: daher kann die ewige Gerechtigkeit keine vergeltende seyn, kann also nicht, wie diese, Aufschub und Frist gestatten und, nur mittelst der Zeit die schlimme That mit der schlimmen Folge ausgleichend, der Zeit bedürfen um zu bestehn. Die Strafe muß hier mit dem Vergehn so verbunden seyn, daß beide Eines find.

Δοκειτε πηδαν τ' αδικηματ' εις θεους
Πτεροισι, κἀπειτ' εν Διος δελτου πτυχαίς
Γραφειν τιν αυτα, Ζηνα δ' εισορώντα νιν
Θνητοις δικαζειν; Ουδ ̓ ὁ πας ουρανος,
Διος γράφοντος τας βροτων ἁμαρτίας,
Εξαρκέσειεν, ουδ' εκεινος αν σκοπων
Πεμπειν ἑκαστῳ ζημιαν· αλλ' ἡ Δικη

Ενταυθα που 'στιν εγγυς, ει βουλεσθ ̓ ὁραν.

Eurip., ap. Stob. Ecl. 1, c. 4.

Daß nun eine solche ewige Gerechtigkeit wirklich im Wesen der Welt liege, wird aus unserm ganzen bisher entwickelten Gedanken Dem, der diesen gefaßt hat, bald vollkommen einleuchtend werden.

Die Erscheinung, die Objektitåt des einen Willens zum Leben ist die Welt, in aller Vielheit ihrer Theile und Gestalten. Das Daseyn selbst und die Art des Daseyns, in der Gesammtheit, wie in jedem Theil, ist allein aus dem Willen. Er ist frei, er ist allmächtig. In jedem Dinge erscheint der Wille gerade so, wie er sich selbst an sich und außer der Zeit bestimmt. Die Welt ist nur der Spiegel dieses Wollens: und alle Endlichkeit, alle Leiden, alle Quaalen welche sie enthält, gehören zum Ausdruck dessen, was er will, find so, weil er so will. Mit dem streng

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