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thos spricht jener Sinn desselben sehr deutlich, besonders wann, sogleich nach dem Genuß des Granatapfels, plößlich der unsicht bare Chor der Parzen einfällt:

,,Du bist unser!

Nüchtern solltest wiederkehren:

Und der Biß des Apfels macht dich unser!

Als die entschiedene, stärkste Bejahung des Lebens bestätigt sich der Geschlechtstrieb auch dadurch, daß er dem natürlichen Menschen, wie dem Thier, der lehte Zweck, das höchste Ziel seines Lebens ist. Selbsterhaltung ist sein erstes Streben, und sobald er für diese gesorgt hat, strebt er nur nach Fortpflanzung des Geschlechts: mehr kann er als bloß natürliches Wesen nicht anstreben. Auch die Natur, deren inneres Wesen der Wille zum Leben selbst ist, treibt mit aller ihrer Kraft den Menschen, wie das Thier, zur Fortpflanzung. Danach hat sie mit dem Individuum ihren Zweck erreicht und ist ganz gleichgültig gegen des sen Untergang, da ihr, als dem Willen zum Leben, nur an der Erhaltung der Gattung gelegen, das Individuum ihr nichts ist.Weil im Geschlechtstrieb das innere Wesen der Natur, der Wille zum Leben, sich am stärksten ausspricht, sagten die alten Dichter und Philosophen, — Hesiodos und Parmenides— sehr bedeutungsvoll, der Eros sei das Erste, das Schaffende, das Princip aus dem alle Dinge hervorgiengen. (Man sehe Aristot. Metaph, I, 4.) Auch die Maja der Inder, deren Werk und Gewebe die ganze Scheinwelt ist, wird durch amor paraphrasirt.

Die Genitalien sind viel mehr als irgend ein anderes auße: res Glied des Leibes bloß dem Willen und gar nicht der Erkenntniß unterworfen: ja, der Wille zeigt sich hier fast so unabhängig von der Erkenntniß, als in den, auf Anlaß bloßer Reize, dem vegetativen Leben, der Reproduktion, dienenden Theilen, in welchen der Wille blind wirkt, wie in der erkenntnißlosen Natur. Denn die Zeugung ist nur die auf ein neues Individuum übergehende Reproduktion, gleichsam die Reproduktion auf der zweiten Potenz, wie der Tod nur die Erkretion auf der zweiten Potenz ist. Diesem allen zufolge sind die Genitalien der eigentliche Brennpunkt des Willens und folglich der entgegen: gesezte Pol des Gehirns, des Repräsentanten der Erkenntniß, d. i. der andern Seite der Welt, der Welt als Vorstellung. Jene find

das lebenerhaltende, der Zeit endloses Leben zusichernde Princip; in welcher Eigenschaft sie bei den Griechen im Phallus, bei den Hindu im Lingam verehrt wurden, welche also das Symbol der Bejahung des Willens find. Die Erkenntniß dagegen giebt die Möglichkeit der Aufhebung des Wollens, der Erlösung durch Freiheit, der Ueberwindung und Vernichtung der Welt.

Wir haben schon am Anfang dieses vierten Buches ausführlich betrachtet, wie der Wille zum Leben in seiner Bejahung sein Verhältniß zum Tode anzusehn hat, dieser nämlich ihn nicht anficht, weil er als etwas selbst schon im Leben Begriffenes und dazu Gehöriges dasteht, dem sein Gegensah, die Zeugung, völlig das Gleichgewicht hålt und dem Willen zum Leben, trok dem Tode des Individuums, auf alle Zeit das Leben sichert und verbürgt; welches auszudrücken die Inder dem Todesgott Schiwa den Lingam zum Attribut gaben. Wir haben daselbst auch ausgeführt, wie der mit vollkommner Besonnenheit auf dem Standpunkt entschiedener Bejahung des Lebens Stehende dem Tode furchtlos entgegensieht. Daher hier nichts mehr davon. Ohne klare Besonnenheit stehn die meisten Menschen auf diesem Standpunkt und bejahen fortdauernd das Leben. Als Spiegel dieser Bejahung steht die Welt da, mit unzähligen Individuen, in endloser Zeit und endlosem Raum, und endlosem Leiden, zwischen Zeugung und Tod ohne Ende. Es ist hierüber jedoch von keiner Seite weiter eine Klage zu erheben: denn der Wille führt das große Trauer- und Lustspiel auf eigene Kosten auf, und ist auch sein eigener Zuschauer. Die Welt ist gerade eine solche, weil der Wille, dessen Erscheinung sie ist, ein solcher ist, weil er so will. Für die Leiden ist die Rechtfertigung die, daß der Wille auch auf diese Erscheinung sich selbst bejaht: und diese Bejahung ist gerechtfertigt und ausgeglichen dadurch, daß er die Leiden trågt. Es eröffnet sich uns schon hier ein Blick auf die ewige Gerechtigkeit, im Ganzen: wir werden sie weiterhin näher und deutlicher auch im Einzelnen erkennen. Doch wird zuvor noch von der zeitlichen oder menschlichen. Gerechtigkeit geredet werden müssen *).

*) Hiezu Kap. 45 des zweiten Bandes.

§. 61.

Wir erinnern uns aus dem zweiten Buch, wie in der ganzen Natur, auf allen Stufen der Objektivation des Willens, nothwendig ein beständiger Kampf zwischen den Individuen aller Gattungen war, und eben dadurch sich ein innerer Widerstreit des Willens zum Leben gegen sich selbst ausdrückte. Auf der höchsten Stufe der Objektivation wird, wie alles Andere, auch jenes Phänomen sich in erhöhter Deutlichkeit darstellen und sich daher weiter entziffern lassen. Zu diesem Zweck wollen wir vorerst dem Egoismus, als dem Ausgangspunkt alles Kampfes, in seiner Quelle nachspüren.

Wir haben Zeit und Raum, weil nur durch sie und in ihnen Vielheit des Gleichartigen möglich ist, das principium individuationis genannt. Sie sind die wesentlichen Formen der natürlichen, d. h. dem Willen entsprossenen Erkenntniß. Daher wird überall der Wille sich in der Vielheit von Individuen er scheinen. Über diese Vielheit trifft nicht ihn, den Willen als Ding an sich, sondern nur seine Erscheinungen: er ist in jeder von diesen ganz und ungetheilt vorhanden und erblickt um sich herum das zahllos wiederholte Bild seines eigenen Wesens. Dieses selbst aber, also das wirklich Reale, findet er unmittelbar nur in seinem Innern. Daher will Jeder Alles für sich, will Alles besigen, wenigstens beherrschen, und was sich ihm widerseßt möchte er vernichten. Hiezu kommt bei den erkennenden Wesen, daß das Individuum Tråger des erkennenden Subjekts und dieses Tråger der Welt ist; d. h. daß die ganze Natur außer ihm, also auch alle übrigen Individuen, nur in seiner Vorstellung existiren, er sich ihrer stets nur als seiner Vorstellung, also bloß mittelbar und als eines von seinem eigenen Wesen und Daseyn Abhängigen bewußt ist; da mit seinem Bewußtseyn ihm nothwendig auch die Welt untergeht, d. h. ihr Seyn und Nichtseyn gleichbedeutend und ununterscheidbar wird. Jedes erkennende Individuum ist also in Wahrheit und findet sich als den ganzen Willen zum Leben, oder das Ansich der Welt selbst, und auch als die ergån zende Bedingung der Welt als Vorstellung, folglich als einen Mikrokosmos, der dem Makrokosmos gleich zu schäßen ist. Die immer und überall wahrhafte Natur selbst giebt ihm schon ur

sprünglich und unabhängig von aller Reflexion diese Erkenntniß einfach und unmittelbar gewiß. Aus den angegebenen beiden nothwendigen Bestimmungen nun erklärt es sich, wie jedes in der grånzenlosen Welt gänzlich verschwindende und zu Nichts verkleinerte Individuum dennoch sich zum Mittelpunkt der Welt macht, seine eigene Eristenz und Wohlseyn vor allem Andern berücksichtigt, ja, auf dem natürlichen Standpunkte, alles Andere dieser aufzuopfern bereit ist, bereit ist die Welt zu vernichten, um nur sein eigenes Selbst, diesen Tropfen im Meer, etwas långer zu erhalten. Diese Gesinnung ist der Egoismus, der jedem Dinge in der Natur wesentlich ist. Eben er aber ist es, wodurch der innere Widerstreit des Willens mit sich selbst zur fürchterlichen Offenbarung gelangt. Denn dieser Egoismus hat seinen Bestand und Wesen in jenem Gegensah des Mikrokosmos und Makrokosmos, oder darin, daß die Objektivation des Willens das principium individuationis zur Form hat und dadurch der Wille in unzähligen Individuen sich auf gleiche Weise erscheint und zwar in jedem derselben nach beiden Seiten (Wille und Vorstellung) ganz und vollständig. Während also jedes sich selbst als der ganze Wille und das ganze Vorstellende unmittelbar gegeben ist, sind die übrigen ihm zunächst nur als seine Vorstellungen gegeben: daher geht ihm sein eigenes Wesen und dessen Erhaltung allen andern zusammen vor. Auf seinen eigenen Tod blickt Jeder als auf der Welt Ende, während er den seiner Be= kannten als eine ziemlich gleichgültige Sache vernimmt, wenn er nicht etwan persönlich dabei betheiligt ist. In dem auf den höchsten Grad gesteigerten Bewußtseyn, dem menschlichen, muß, wie die Erkenntniß, der Schmerz, die Freude, so auch der Egoismus den höchsten Grad erreicht haben und der durch ihn bedingte Widerstreit der Individuen auf das entsetzlichste hervortreten. Dies sehn wir denn auch überall vor Augen, im Kleinen wie im Großen, sehn es bald von der schrecklichen Seite, im Leben großer Tyrannen und Bösewichter und in weltverheerenden Kriegen, bald von der lächerlichen Seite, wo es das Thema des Lustspiels ist und ganz besonders im Eigendünkel und Eitelkeit hervortritt, welche, so wie kein Andrer, Rochefoucault aufgefaßt und in abstracto dargestellt hat: wir sehn es in der Weltgeschichte und in der eigenen Erfahrung. Aber am deutlichsten tritt es hervor, so:

bald irgend ein Haufen Menschen von allem Gesez und Ordnung entbunden ist: da zeigt sich sogleich aufs Deutlichste das bellum omnium contra omnes, welches Hobbes, im ersten Kapitel de cive, trefflich geschildert hat. Es zeigt sich, wie nicht nur Jeder dem Andern zu entreißen sucht was er selbst haben will; sondern sogar oft Einer, um sein Wohlseyn durch einen unbedeutenden Zuwachs zu vermehren, das ganze Glück oder Leben des Andern zerstört. Dies ist der höchste Ausdruck des Egoismus, dessen Erscheinungen, in dieser Hinsicht, nur noch übertroffen werden von denen der eigentlichen Bosheit, die ganz uneigennütig den Schaden und Schmerz Undrer, ohne allen eignen Vortheil sucht; davon bald die Rede seyn wird. — Mit dieser Aufdeckung der Quelle des Egoismus vergleiche man die Darstellung desselben, in meiner Preisschrift über das Fundament der Moral, §. 14.

Eine Hauptquelle des Leidens, welches wir oben als allem Leben wesentlich und unvermeidlich gefunden haben, ist, sobald es wirklich und in bestimmter Gestalt eintritt, jene Eris, der Kampf aller Individuen, der Ausdruck des Widerspruchs, mit welchem der Wille zum Leben im Innern behaftet ist. Hier liegt eine unversiegbare Quelle des Leidens, trok den Vorkehrungen, die man dagegen getroffen hat, und welche wir sogleich näher betrachten werden.

§. 62.

Es ist bereits auseinandergeseht, wie die erste und einfache Bejahung des Willens zum Leben nur Bejahung des eignen Leibes ist, d. h. Darstellung des Willens durch Akte in der Zeit, in so weit schon der Leib, in seiner Form und Zweckmäßigkeit, denselben Willen räumlich darstellt, und nicht weiter. Diese Bejahung zeigt sich als Erhaltung des Leibes, mittelst Anwendung der eignen Kräfte desselben. Un sie knüpft sich unmittelbar die Be friedigung des Geschlechtstriebes, ja gehört zu ihr, sofern die Genitalien zum Leibe gehören. Daher ist freiwillige und durch gar kein Motiv begründete Entsagung der Befriedigung jenes Triebes schon ein Grad von Verneinung des Willens zum Leben, ist eine auf eingetretene, als Quietiv wirkende Erkenntniß, freiwil lige Selbstaufhebung desselben: demgemäß stellt solche Verneinung

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