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dessen bloßen Gedanken wir schauderten, nun wirklich eingetreten ist, dennoch unsre Stimmung, sobald wir den ersten Schmerz überstanden haben, im Ganzen ziemlich unverändert dasteht; und auch umgekehrt, daß nach dem Eintritt eines lang ersehnten Glückes, wir uns im Ganzen und anhaltend nicht merklich wohler und behaglicher fühlen als vorher. Bloß der Augenblick des Eintritts jener Veränderungen bewegt uns ungewöhnlich stark als tiefer Jammer oder lauter Jubel: aber beide verschwinden bald, weil sie auf Täuschung beruhten. Denn sie entstehn nicht über den unmittelbar gegenwärtigen Genuß oder Schmerz, sondern nur über die Eröffnung einer neuen Zukunft, die darin anticipirt wird. Nur dadurch, daß Schmerz oder Freude von der Zukunft borgten, konnten sie so abnorm erhöht werden, folglich nicht auf die Dauer. Für die aufgestellte Hypothese, der zufolge, wie im Erkennen, so auch im Gefühl des Leidens oder Wohlseyns ein sehr großer Theil subjektiv und a priori bestimmt wäre, kónnen noch als Belege die Bemerkungen angeführt werden, daß der menschliche Frohsinn oder Trübfinn augenscheinlich nicht durch äußere Umstände, durch Reichthum oder Stand, bestimmt wird; da wir wenigstens ehen so viele frohe Gesichter unter den Armen als unter den Reichen antreffen: ferner, daß die Motive, auf welche der Selbstmord erfolgt, so höchst verschieden sind; indem wir kein Unglück angeben können, das groß genug wåre, um ihn nur mit vieler Wahrscheinlichkeit bei jedem Charakter herbeizuführen, und wenige die so klein wären, daß nicht ihnen gleichwiegende ihn schon veranlaßt hätten. Wenn nun gleich der Grad unfrer Heiterkeit oder Traurigkeit nicht zu allen Zeiten derselbe ist; so werden wir, dieser Ansicht zufolge, es nicht dem Wechsel åußerer Umstände, sondern dem des innern Zustandes, des physischen Befindens, zuschreiben. Denn, wann eine wirkliche, wiewohl immer nur temporåre, Steigerung unsrer Heiterkeit, selbst bis zur Freudigkeit, eintritt; so pflegt fie ohne allen äußern Anlaß sich einzufinden. Zwar sehn wir oft unsern Schmerz nur aus einem bestimmten äußern Verhältniß hervorgehn und sind sichtbarlich nur durch dieses gedrückt und betrübt: wir glauben dann, daß wenn nur dieses gehoben wäre, die größte Zufriedenheit eintreten müßte. Das ist aber Täuschung. Das Maaß unsers Schmerzes und Wohlseyns im Ganzen ist, nach unsrer Hypo

these, für jeden Zeitpunkt subjektiv bestimmt, und in Beziehung auf dasselbe ist jenes äußere Motiv zur Betrübniß nur was für · den Leib ein Vesikatorium, zu dem sich alle, sonst vertheilten bósen Säfte hinziehn. Der in unserm Wesen, für diese Zeitperiode, begründete und daher unabwälzbare Schmerz wäre, ohne jene be stimmte äußere Ursache des Leidens, an hundert Punkten vertheilt und erschiene in Gestalt von hundert kleinen Verdrießlichkeiten und Grillen über Dinge, die wir jeht ganz übersehn, weil unsre Kapacitåt für den Schmerz schon durch jenes Hauptübel ausgefüllt ist, welches alles sonst zerstreute Leiden auf einen Punkt koncentrirt hat. Diesem entspricht auch die Beobachtung, daß wenn eine große, uns beklemmende Besorgniß endlich, durch den glücklichen Ausgang, uns von der Brust gehoben wird, alsbald an ihre Stelle eine andere tritt, deren ganzer Stoff schon vorher dawar, jedoch nicht als Sorge ins Bewußtseyn kommen konnte, weil dieses keine Kapacitât dafür übrig hatte, weshalb dieser Sorgestoff bloß als dunkle unbemerkte Nebelgestalt an dessen Horizonts äußerstem Ende stehn blieb. Jeht aber, da Plak gewor den, tritt sogleich dieser fertige Stoff heran und nimmt den Thron der herrschenden (πovτavevovoa) Besorgniß des Tages ein: wenn er nun auch, der Materie nach, sehr viel leichter ist, als der Stoff jener verschwundenen Besorgniß; so weiß er doch sich so aufzublåhen, daß er ihr an scheinbarer Größe gleichkommt und so als Hauptbesorgniß des Tages den Thron vollkommen ausfüllt.

Unmäßige Freude und sehr heftiger Schmerz finden sich im mer nur in derselben Person ein: denn beide bedingen fich wech: selseitig und sind auch gemeinschaftlich durch große Lebhaftigkeit des Geistes bedingt. Beide werden, wie wir soeben fanden, nicht durch das rein Gegenwärtige, sondern durch Anticipation der Zukunft hervorgebracht. Da aber der Schmerz dem Leben wesentlich ist und auch seinem Grade nach durch die Natur des Subjekts bestimmt ist, daher plößliche Veränderungen, weil fie immer äußere sind, seinen. Grad eigentlich nicht ändern können; so liegt dem übermäßigen Jubel oder Schmerz immer ein Irr thum und Wahn zum Grunde: folglich ließen jene beiden Ueberspannungen des Gemüths sich durch Einsicht vermeiden. Jeder unmäßige Jubel (exultatio, insolens laetitia) beruht immer auf dem Wahn, etwas im Leben gefunden zu haben, was gar nicht

darin anzutreffen ist, nämlich dauernde Befriedigung der qualenden, sich stets neu gebärenden Wünsche oder Sorgen. Von jedem einzelnen Wahn dieser Art muß man spåter unausbleiblich zurückgebracht werden und ihn dann, wann er verschwindet, mit eben so bittern Schmerzen bezahlen, als sein Eintritt Freude verursachte. Er gleicht insofern durchaus einer Höhe, von der man nur durch Fall wieder herabkann, daher man sie vermeiden sollte: und jeder plögliche, übermäßige Schmerz ist eben nur der Fall von so einer Höhe, das Verschwinden eines solchen Wahnes, und daher durch ihn bedingt. Man könnte folglich beide vermeiden, wenn man es über sich vermöchte, die Dinge stets im Ganzen und in ihrem Zusammenhang völlig klar zu übersehn und sich standhaft zu hüten, ihnen die Farbe wirklich zu leihen, die man wünschte, daß sie hätten. Die Stoische Ethik gieng hauptsächlich darauf aus, das Gemüth von allem solchen Wahn und dessen Folgen zu befreien, und ihm statt dessen unerschütterlichen Gleichmuth zu geben. Von dieser Einsicht ist Horatius erfüllt, in der bekannten Ode:

Aequam memento rebus in arduis

Servare mentem, non secus in bonis
Ab insolenti temperatam

Laetitia.

Meistens aber verschließen wir uns der, einer bittern Arzenei zu vergleichenden Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben wez sentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt, sondern Jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eignen Innern herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichen: den Schmerz stets eine äußere einzelne Ursache, gleichsam einen Vorwand; wie der Freie sich einen Göhen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als beschämender Irrthum dasteht, sehn wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen:

Sed, dum abest quod avemus, id exsuperare videtur
Caetera; post aliud, quum contigit illud, avemus;
Et sitis aequa tenet vitai semper hiantes. (Lucr. III,

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So geht es denn entweder ins Unendliche, oder, was seltener ist und schon eine gewisse Kraft des Charakters vorausseßt, bis wir auf einen Wunsch treffen, der nicht erfüllt und doch nicht aufgegeben werden kann: dann haben wir gleichsam was wir suchten, nämlich etwas, das wir jeden Augenblick, statt unsers eigenen Wesens, als die Quelle unsrer Leiden anklagen können, und wodurch wir nun mit unserm Schicksal entzweit, dafür aber mit unfrer Existenz versöhnt werden, indem die Erkenntniß sich wieder entfernt, daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Befriedigung unmöglich sei. Die Folge dieser legten Entwickelungsart ist eine etwas melancholische Stimmung, das beståndige Tragen eines einzigen, großen Schmerzes und daraus entstehende Geringschäßung aller kleinern Leiden oder Freuden; folglich eine schon würdigere Erscheinung, als das stete Haschen nach immer andern Truggestalten, welches viel gewöhnlicher ist. `

§. 58.

Alle Befriedigung, oder was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv. Es ist nicht eine ursprünglich und von selbst auf uns kommende Beglückung; sondern muß immer die Befriedigung eines Wunsches seyn. Denn Wunsch, d. h. Mangel, ist die vorhergehende Bedingung jedes Genusses. Mit der Befriedigung hört aber der Wunsch und folglich der Genuß auf. Daher kann die Befriedigung oder Beglückung nie mehr seyn, als die Befreiung von einem Schmerz, von einer Noth: denn dahin gehört nicht nur jedes wirkliche, offenbare Leiden; sondern auch`jeder Wunsch, dessen Importunitåt unsre Ruhe stört, ja sogar auch die ertödtende Langeweile, die uns das Daseyn zur Last macht.-. Nun aber ist es so schwer, irgend etwas zu erreichen und durchzuseßen: jedem Vorhaben stehn Schwierigkeiten und Bemühungen ohne Ende entgegen, und bei jedem Schritt håufen sich die Hindernisse. Wann aber endlich Alles überwunden und erlangt ist; so kann doch nie etwas anderes gewonnen seyn, als daß man von irgend einem Leiden oder einem Wunsche befreit ist, folglich nur sich so befindet, wie vor dessen Eintritt. - Unmittelbar ge: geben ist uns immer nur der Mangel, d. h. der Schmerz. Die

Befriedigung aber und den Genuß, können wir nur mittelbar erkennen, durch Erinnerung an das vorhergegangene Leiden und Entbehren, das bei seinem Eintritt aufhörte. Daher kommt es, daß wir der Güter und Vortheile, die wir wirklich besigen, gar nicht recht, inne werden, noch sie schäßen, sondern nicht anders meinen, als eben es müsse so seyn: denn sie beglücken immer nur negativ, Leiden abhaltend. Erst nachdem wir sie verloren haben, wird uns ihr Werth fühlbar: denn der Mangel, das Entbehren, das Leiden ist das Positive, sich unmittelbar Ankündigende. Daher auch freut uns die Erinnerung überstandener Noth, Krankheit, Mangel u. dgl., weil solche das einzige Mittel die gegenwärtigen Güter zu genießen ist. Auch ist nicht zu leugnen, daß in dieser Hinsicht und auf diesem Standpunkt des Egoismus, der die Form des Lebenwollens ist, der Anblick oder die Schilderung fremder Leiden uns auf eben jenem Wege Befriedigung und Genuß giebt, wie es Lukretius schön und offenherzig ausspricht, im Anfang des zweiten Buches:

Suave, mari magno, turbantibus aequora ventis,

E terra magnum alterius spectare laborem:

Non, quia vexari quemquam est jucunda voluptas;

Sed, quibus ipse malis careas, quia cernere suave est.

Jedoch wird sich uns weiterhin zeigen, daß diese Art der Freude, durch so vermittelte Erkenntniß seines Wohlseyns, der Quelle der eigentlichen positiven Bosheit sehr nahe liegt.

Daß alles Glück nur negativer, nicht positiver Natur ist, daß es eben deshalb nicht dauernde Befriedigung und Beglückung seyn kann, sondern immer nur von einem Schmerz oder Mangel erlöst, auf welchen entweder ein neuer Schmerz, oder auch languor, leeres Sehnen und Langeweile folgen muß; dies findet einen Beleg auch in jenem treuen Spiegel des Wesens der Welt und des Lebens, in der Kunst, besonders in der Poesie. Jede epische oder dramatische Dichtung nåmlich kann immer nur ein Ringen, Streben und Kämpfen um Glück, nie aber das bleibende und vollendete Glück selbst darstellen. Sie führt ihren Helden durch tausend Schwierigkeiten und Gefahren bis zum Ziel: sobald es erreicht ist, läßt sie schnell den Vorhang fallen. Denn es bliebe ihr jezt nichts übrig, als zu zeigen, daß das glänzende Ziel, in welchem der Held das Glück zu finden wähnte, auch

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