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tig. Die Vernunft kann immer nur wissen: dem Verstand allein und frei von ihrem Einfluß bleibt das Anschauen.

8. 7.

In Hinsicht auf unsere ganze bisherige Betrachtung ist noch Folgendes wohl zu bemerken. Wir sind in ihr weder vom Objekt noch vom Subjekt ausgegangen; sondern von der Vorstellung, welche jene beiden schon enthält und voraussett; da das Zerfallen in Objekt und Subjekt ihre erste, allgemeinste und wesentlichste Form ist. Diese Form als solche haben wir daher zuerst betrach tet, sodann (wiewohl hier der Hauptsache nach auf die einleitende Abhandlung verweisend) die andern ihr untergeordneten Formen, Zeit, Raum und Kausalität, welche allein dem Objekt zukommen: jedoch weil sie diesem als solchem wesentlich sind, dem Subjekt aber wieder als solchem das Objekt wesentlich ist, auch vom Subjekt aus gefunden, d. h. a priori erkannt werden können, und insofern als die gemeinschaftliche Gränze beider anzusehen sind. Sie alle aber lassen sich zurückführen auf einen gemeinschaftlichen Ausdruck, den Sah vom Grunde, wie in der einleitenden Abhandlung ausführlich gezeigt ist.

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Dies Verfahren unterscheidet nun unsere Betrachtungsart ganz und gar von allen je versuchten Philosophien, als welche alle entweder vom Objekt oder vom Subjekt ausgingen und demnach das eine aus dem andern zu erklåren suchten und zwar nach dem Sah vom Grunde, dessen Herrschaft wir hingegen das Verhåltniß zwischen Objekt und Subjekt entziehen, ihr bloß das Objekt lassend. Man könnte als nicht unter dem angegebenen Gegensak begriffen die in unsern Tagen entstandene und allgemein bekannt gewordene Identitäts- Philosophie ansehen, sofern dieselbe weder Objekt noch Subjekt zum eigentlichen ersten Ausgangspunkte macht, sondern ein drittes, das durch Vernunft-Anschauung erkennbare Absolutum, welches weder Objekt noch Subjekt, sondern die Einerleiheit beider ist. Obgleich ich, aus gänzlichem Mangel aller Vernunft - Anschauung, von der besagten ehrwürdigen Einerleiheit und dem Absolutum mitzureden, mich nicht unterfangen werde; so muß ich dennoch, indem ich bloß auf den Allen, auch uns Profanen, offenliegenden Protokollen der Vernunft - Anschauer

fuße, bemerken, daß besagte Philosophie nicht von dem oben aufgestellten Gegensatz zweier Fehler auszunehmen ist; da sie trok der nicht denkbaren, sondern bloß intellektual anschaubaren oder durch eigenes Versenken in sie zu erfahrenden Identität von Subjekt und Objekt, dennoch jene beiden entgegengesetzten Fehler nicht vermeidet; sondern vielmehr nur beide in sich vereinigt, indem sie selbst in zwei Disciplinen zerfällt, nämlich den transscendentalen Idealismus, der die Fichtesche Ich-Lehre ist und folglich nach dem Sah vom Grunde das Objekt vom Subjekt hervorgebracht oder aus diesem herausgesponnen werden läßt, und zweitens die Naturphilosophie, welche eben so aus dem Objekt allmålig das Subjekt werden läßt, durch Anwendung einer Methode, welche Konstruktion genannt wird, von der mir sehr wenig, aber doch so viel klar ist, daß sie ein Fortschreiten gemäß dem Saße vom Grunde in mancherlei Gestalten ist. Auf die tiefe Weisheit selbst, welche jene Konstruktion enthält, thue ich Verzicht; da mir, dem die Vernunft- Anschauung völlig abgeht, alle jene sie voraussehenden Vorträge ein Buch mit sieben Siegeln seyn müssen: welches denn auch in solchem Grade der Fall ist, daß, es ist seltsam zu erzählen, bei jenen Lehren tiefer Weisheit mir immer ist, als hörte ich nichts als entsehliche und noch obendrein höchst langweilige Windbeuteleien.

Die vom Objekt ausgehenden Systeme hatten zwar immer die ganze anschauliche Welt und ihre Ordnung zum Problem; doch ist das Objekt, das sie zum Ausgangspunkt nehmen, nicht immer diese oder deren Grundelement die Materie: vielmehr läßt sich, in Gemäßheit der in der einleitenden Abhandlung aufgestellten vier Klaffen möglicher Objekte eine Eintheilung jener Systeme machen. So kann man sagen, daß von der ersten jener Klassen, oder der realen Welt, ausgegangen sind: Thales und die Jonier, Demokritos, Epikuros, Jordan Bruno und die französischen Materialisten. Von der zweiten, oder dem abstrakten Begriff: Spinoza (nämlich vom bloß abstrakten und allein in seiner Definition existirenden Begriff Substanz) und früher die Eleaten. Von der dritten Klasse, nåmlich der Zeit, folglich den Zahlen: die Pytha= goreer und die Chinesische Philosophie im Y-king. Endlich von der vierten Klasse, nämlich dem durch Erkenntniß motivirten Willensakt: die Scholastiker, welche eine Schöpfung aus Nichts,

durch den Willensakt eines außerweltlichen, persönlichen Wesens lehren.

Am konsequentesten und am weitesten durchzuführen ist das objektive Verfahren, wenn es als eigentlicher Materialismus auftritt. Dieser seht die Materie und Zeit und Raum mit ihr als schlechthin bestehend, und überspringt die Beziehung auf das Subjekt, in der dies Alles doch allein da ist. Er ergreift ferner das Gesetz der Kausalität zum Leitfaden, an dem er fortschreiten will, es nehmend als an sich bestehende Ordnung der Dinge, veritas aeterna; folglich den Verstand überspringend, in welchem und für welchen allein Kausalität ist. Nun sucht er den ersten, einfachsten Zustand der Materie zu finden, und dann aus ihm alle andern zu entwickeln, aufsteigend vom bloßen Mechanismus zum Chemismus, zur Polaritåt, Vegetation, Animalitát: und geseht, das gelånge; so wåre das lehte Glied der Kette die thierische Sensibilitåt, das Erkennen: welches folglich jezt als eine bloße Modifikation der Materie, ein durch Kausalität herbeigeführter Zustand derselben auftråte: Wåren wir nun dem Materialismus mit an= schaulichen Vorstellungen bis dahin gefolgt; so würden wir, auf seinem Gipfel mit ihm angelangt, eine plöhliche Anwandlung des unauslöschlichen Lachens der Olympier spüren, indem wir, wie aus einem Traum erwachend, mit einem Male inne würden, daß sein lehtes, .so mühsam herbeigeführtes Resultat, das Erkennen, schon beim allerersten Ausgangspunkt, der bloßen Materie, als unumgängliche Bedingung vorausgesetzt war, und wir mit ihm zwar die Materie zu denken uns eingebildet, in der That aber nichts Anderes als das die Materie vorstellende Subjekt, das sie sehende Auge, die sie fühlende Hand, den sie erkennenden Verstand gedacht hätten. So enthüllte sich unerwartet die enorme petitio principii: denn plößlich zeigte sich das lehte Glied als den Anhaltspunkt, an welchem schon das erste hing, die Kette als Kreis: und der Materialist gliche dem Freiherrn von Münchhausen, der zu Pferde im Wasser schwimmend, mit den Beinen das Pferd, sich selbst aber an seinem nach Vorne übergeschlagenen Zopf in die Höhe zieht. - Der Behauptung, daß das Erkennen Modifikation der Materie ist, stellt sich also immer mit gleichem Recht die umgekehrte entgegen, daß alle Materie nur Modifikation des Erkennens des Subjekts, als Vorstellung desselben, ist. Dennoch ist

im Grunde das Ziel und das Ideal aller Naturwissenschaft ein völlig durchgeführter Materialismus: und daß wir diesen als offenbar unmöglich erkennen, bestätigt eine andere Wahrheit, die aus unserer ferneren Betrachtung sich ergeben wird, daß nämlich alle Wissenschaft im eigentlichen Sinne, worunter ich die systematische Erkenntniß am Leitfaden des Sahes vom Grunde verstehe, nie ein lektes Ziel erreichen, noch eine völlig genügende Erklärung geben kann; weil sie das innerste Wesen der Welt nie trifft, nie über die Vorstellung hinaus kann, vielmehr im Grunde nichts weiter als das Verhältniß einer Vorstellung zur andern, kennen lehrt.

Jede Wissenschaft geht immer von zwei Haupt- Datis aus. Deren eines ist allemal der Sah vom Grunde, in irgend einer Gestalt, als Organon; das andere ihr besonderes Objekt, als Problem. So hat z. B. die Geometrie den Raum als Problem; den Grund des Seyns in ihm als Organon: die Arithmetik hat die Zeit als Problem, und den Grund des Seyns in ihr als Drganon: die Logik hat die Verbindungen der Begriffe als solche zum Problem, den Grund des Erkennens zum Organon: die Geschichte hat die geschehenen Thaten der Menschen im Großen und in Masse zum Problem, das Gesetz der Motivation als Organon: die Naturwissenschaft nun hat die Materie als Problem und das Gesetz der Kausalität als Organon: ihr Ziel und Zweck demnach ist, am Leitfaden der Kausalitåt, alle möglichen Zustånde der Materie auf einander und zuleht auf einen zurückzuführen, und wieder aus einander und zuleht aus einem abzuleiten. Zwei Zustände stehen sich daher in ihr als Extreme entgegen: der Zustand der Materie, wo sie am wenigsten, und der, wo sie am mei: ften unmittelbares Objekt des Subjekts ist: d. h. die todteste, roheste Materie, der erste Grundstoff, und dann der menschliche Organismus. Den ersten sucht die Naturwissenschaft als Chemie, den zweiten als Physiologie. Aber bis jezt sind beide Extreme unerreicht, und bloß zwischen beiden ist Einiges gewonnen. Auch ist die Aussicht ziemlich hoffnungslos. Die Chemiker, unter der Vorausseßung, daß die qualitative Theilung der Materie nicht wie die quantitative ins Unendliche gehen wird, suchen die Zahl ihrer Grundstoffe, jezt noch einige und funfzig, immer mehr zu verringern und wären sie bis auf zwei gekommen; so würden

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sie diese auf einen zurückführen wollen. Denn das Gesetz der Homogeneität leitet auf die Vorausseßung eines ersten chemischen Zustandes der Materie, der allen andern, als welche nicht der Materie als solcher wesentlich, sondern nur zufällige Formen, Qualitåten, sind, vorhergegangen ist und allein der Materie als solcher zukommt. Andrerseits ist nicht einzusehn, wie dieser, da noch kein zweiter, um auf ihn zu wirken, da war, je eine chemische Veränderung erfahren konnte; wodurch hier im Chemischen dieselbe Verlegenheit eintritt, auf welche im Mechanischen Epikuros stieß, als er anzugeben hatte, wie zuerst das eine Atom aus der ursprünglichen Richtung seiner Bewegung kam: ja, dieser sich ganz von selbst entwickelnde und weder zu vermeidende, noch aufzulösende Widerspruch könnte ganz eigentlich als eine chemische Antinomie aufgestellt werden: wie er sich hier an dem ersten der beiden gesuchten Extreme der Naturwissenschaft findet, so wird sich uns auch am zweiten ein ihm entsprechendes Gegenstück zeigen. - Zur Erreichung dieses andern Extrems der Naturwissenschaft ist eben so wenig Hoffnung; da man immer mehr einsieht, daß nie ein Chemisches auf ein Mechanisches, noch ein Organisches auf ein Chemisches oder Elektrisches zurückgeführt werden kann. Hievon wird im folgenden Buch ausführlicher die Rede seyn. Die hier nur beiläufig erwähnten Schwierigkeiten stehen der Naturwissenschaft auf ihrem eigenen Gebiet entgegen. Als Philosophie genommen, wäre sie überdies Materialismus: dieser aber trågt, wie wir gesehen, schon bei seiner Geburt den Tod im Herzen, weil er das Subjekt und die Formen des Erkennens überspringt, welche doch bei der rohesten Materie, von der er anfangen möchte, schon eben so sehr als beim Organismus, zu dem er gelangen will, voraus, gesezt sind. Denn kein Objekt ohne Subjekt" ist der Sah, welcher auf immer allen Materialismus unmöglich macht. Sonnen und Planeten, ohne ein Auge, das sie sieht, und einen Verstand, der sie erkennt, lassen sich zwar mit Worten sagen: aber diese Worte sind für die Vorstellung ein Siderorylon. Nun leitet aber dennoch andererseits das Gesetz der Kausalität und die ihm nachgehende Betrachtung und Forschung der Natur uns nothwendig zu der sichern Annahme, daß, in der Zeit, jeder höher organisirte Zustand der Materie erst auf einen roheren gefolgt ist: daß nắmlich Thiere früher als Menschen, Fische früher als Landthiere, Schopenhauer, Die Welt. I.

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