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darüber muß daher rühren, daß in seiner Lage wir alle schreien würden: und so fordert es auch die Natur; da bei dem heftigsten physischen Schmerz und plößlich eingetretener größter körperlicher Angst, alle Reflexion, die etwan ein schweigendes Dulden herbeiführen könnte, gänzlich aus dem Bewußtseyn__verdrångt wird, und die Natur sich durch Schreien Luft macht, wodurch sie zugleich den Schmerz und die Angst ausdrückt, den Retter herbeiruft und den Angreifer schreckt. Schon Winckelmann vermißte daher den Ausdruck des Schreiens: aber indem er die Rechtfertigung des Künstlers suchte, machte er eigentlich den Laokoon zu einem Stoiker, der es seiner Würde nicht gemäß hålt, secundum naturam zu schreien, sondern zu seinem Schmerz sich noch den nuhlosen Zwang auflegt, die Aeußerungen desselben zu verbeißen: Winckelmann sieht daher in ihm den geprüften „Geist eines großen Mannes, welcher mit Martern ringt und „den Ausdruck der Empfindung zu unterdrücken und in sich zu „verschließen sucht: er bricht nicht in lautes Geschrei aus, wie beim ,,Virgil, sondern es entsteigen ihm nur bange Seufzer," u. s. w., (Werke, Bd. 7. p. 98. - Dasselbe ausführlicher Bd. 6. p. 104, seqq.) Diese Meinung Winckelmanns kritisirte nun Lessing in seinem Laokoon und verbesserte sie auf die oben angegebene Weise: an die Stelle des psychologischen Grundes sette er den rein ästhetischen, daß die Schönheit, das Princip der alten Kunst, den Ausdruck des Schreiens nicht zulasse. Ein andres Argument, das er hinzufügt, daß nämlich nicht ein ganz vorübergehender und keiner Dauer fähiger Zustand im unbeweglichen Kunstwerk dargestellt werden dürfe, hat hundert Beispiele- von vortrefflichen Figuren gegen sich, die in ganz flüchtigen Bewegungen, tanzend, ringend, haschend u. s. w. festgehalten sind. Ja Göthe in dem. Auffah über den Laokoon, welcher die Propylåen eröffnet, (p. 8.) hält die Wahl eines solchen ganz vorübergehenden Moments geradezu für nothwendig. In unsern Tagen entschied nun Hirt (Horen, 1797, 10s St.), Alles auf die höchste Wahrheit des Ausdrucks zurückführend, die Sache dahin, daß Laokoon nicht schreit, weil er, schon im Begriff am Stickfluß zu sterben, nicht mehr schreien kann. Zuleht hat Fernow (Römische Studien, Bd. 1, p. 426 seqq.) alle jene drei Meinungen erörtert und abSchopenhauer, Die Welt. I.

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gewogen, selbst jedoch keine neue hinzugethan, sondern jene drei vermittelt und vereinigt.

Ich kann nicht umhin mich zu verwundern, daß so_nach- denkende und scharfsichtige Männer mühsam unzulängliche Gründe aus der Ferne herbeiziehn, psychologische, ja physiologische Argumente ergreifen, um eine Sache zu erklåren, deren Grund ganz nahe liegt und dem Unbefangenen gleich offenbar ist, und be: sonders daß Lessing, welcher der richtigen Erklärung so nahe kam, dennoch den eigentlichen Punkt keineswegs traf.

Vor aller psychologischen und physiologischen Untersuchung, ob Laokoon in seiner Lage schreien wird oder nicht, welches ich übrigens ganz und gar bejahen würde, ist in Hinsicht_auf_die Gruppe zu entscheiden, daß das Schreien in ihr nicht dargestellt werden durfte, allein aus dem Grunde, weil die Darstellung desselben gänzlich außer dem Gebiete der Skulptur liegt. Man konnte nicht aus Marmor einen schreienden Lackoon hervorbringen, sondern nur einen den Mund aufreißenden und zu schreien sich fruchtlos bemühenden, einen Laokoon, dem die Stimme im Halse stecken geblieben, vox faucibus haesit. Das Wesen und folglich auch die Wirkung des Schreiens auf den Zuschauer, liegt ganz allein im Laut, nicht im Mundaufsperren. Dieses lettere, das Schreien nothwendig begleitende Phänomen muß erst durch den dadurch hervorgebrachten Laut motivirt und gerechtfertigt werden: dann ist es, als für die Handlung charakteristisch, zulässig, ja nothwendig, wenn es gleich der Schönheit Abbruch thut. Allein in der bildenden Kunst, der die Darstellung des Schreiens selbst ganz fremd und unmöglich ist, das gewaltsame, alle Züge und den übrigen Ausdruck störende Mittel zum Schreien, das Mundaufsperren darzustellen, wåre wirklich unverständig; weil man dann das im Uebrigen viele Aufopferungen fordernde Mittel vor die Augen brächte, während der Zweck desselben, das Schreien selbst, zusammt dessen Wirkung auf das Gemüth, ausbliebe. Ja, was noch mehr ist, man brächte dadurch den jedesmal lächerlichen Anblick einer ohne Wirkung bleibenden Anstrengung hervor, wirklich dem zu vergleichen, welchen sich ein Spaaßvogel verschaffte, indem er dem schlafenden Nachtwächter das Horn mit Wachs fest verstopfte, ihn dann mit Feuergeschrei weckte und sich an dessen fruchtlosen Anstrengungen zum Blasen ergößte. Wo hingegen die Dar

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stellung des Schreiens im Gebiet der darstellenden Kunst liegt, ist es durchaus zulässig, weit es der Wahrheit dient, d. i. der vollständigen Darstellung der Idee. So in der Dichtkunst, welche zur anschaulichen Darstellung die Phantasie des Lesers in Anspruch nimmt: daher schreit bei Virgil der Laokoon wie ein Stier, der sich losgerissen, nachdem ihn die Art getroffen: daher läßt Homer (II. XX, 48-53) den Mars und die Minerva ganz entfehlich schreien, ihrer Götterwürde sowohl, als Götterschönheit unbeschadet. Eben so in der Schauspielkunst: Laokoon auf der Bühne mußte schlechterdings schreien: auch läßt Sophokles den Philoktet schreien, und er wird auf der alten Bühne allerdings wirklich. geschrien haben. Als eines ganz ähnlichen Falles, erinnre ich mich in London den berühmten Schauspieler Kemble, in einem aus dem Deutschen übersehten Stück, Pizarro, den Amerikaner Rolla darstellen gefehn zu haben, einen Halbwilden, aber von sehr edlem Charakter: dennoch, als er verwundet wurde, schrie er laut und heftig auf, was von großer und vortrefflicher Wirkung war, weil es, als höchst charakteristisch, zur Wahrheit viel beitrug. Hingegen ein gemalter oder steinerner stummer Schreier wäre noch viel lächerlicher, als gemalte Musik, die schon in Göthe's Propylåen gerügt wird; da das Schreien dem übrigen Ausdruck und der Schönheit viel mehr Abbruch thut, als die Musik, welche meistens nur Hånde und Arme beschäftigt und als eine die Person charakterisirende Handlung anzusehen ist, ja insofern ganz füglich gemalt werden kann, sobald sie nur keine gewaltsame Bewegung des Körpers oder Verziehung des Mundes erfordert: so 3. B. die heilige Cåcilia an der Orgel, Raphaels Violinspieler in der Gallerie Sciarra zu Rom u. a. m. Weil nun also, wegen der Gränzen der Kunst, der Schmerz des Laokoon nicht durch Schreien ausgedrückt werden durfte, mußte der Künstler jeden andern Ausdruck desselben in Bewegung sehen: dies hat èr in der höchsten Vollendung geleistet, wie es Winckelmann (Werke: Bb. 6. p. 104 seqq.) so meisterhaft schildert, dessen vortreffliche Beschreibung daher ihren vollen Werth und Wahrheit behålt, sobald man nur vom Unterlegen Stoischer Gesinnung abstrahirt *).

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*) Auch diese Episode hat ihre Ergänzung im Kap. 36 des zweiten Bandes erhalten.

§. 47.

Weil Schönheit nebst Grazie der Hauptgegenstand der Skulptur ist, liebt sie das Nackte, und leidet Bekleidung nur sofern diese die Formen nicht verbirgt. Sie bedient sich der Drapperie nicht als` einer Verhüllung, sondern als einer mittelbaren Darstellung der Form, welche Darstellungsweise den Verstand sehr beschäftigt, indem er zur Anschauung der Ursache, nåmlich der Form des Körpers, nur durch die allein unmittelbar gegebene Wirkung, den Faltenwurf, gelangt. Sonach ist in der Skulptur die Drapperie gewissermaaßen Das, was in der Malerei die Verkürzung ist. Beide find Andeutungen, aber nicht symbolische, sondern solche, welche, wenn sie gelungen sind, den Verstand unmittelbar zwingen, das Angedeutete, eben so als ob es wirklich gegeben wäre, anzuschauen.

Es sei mir erlaubt, hier beiläufig ein die redenden Künste betreffendes Gleichniß einzuschalten. Nämlich, wie die schöne Körperform bei der leichtesten oder bei gar keiner Bekleidung am vortheilhaftesten sichtbar ist, und daher ein sehr schöner Mensch, wenn er zugleich Geschmack hätte und auch demselben folgen dürfte, am liebsten beinahe nackt, nur nach Weise der Antiken bekleidet, gehn würde; eben so nun wird jeder schöne und gedankenreiche Geist sich immer auf die natürlichste, unumwundenste, einfachste Weise ausdrücken, bestrebt, wenn es irgend möglich ist, seine Gedanken Andern mitzutheilen, um dadurch die Einsamkeit, die er in einer Welt wie diese empfinden muß, sich zu erleichtern: umgekehrt nun aber wird Geistesarmuth, Ber worrenheit, Verschrobenheit sich in die gesuchtesten Ausdrücke und dunkelsten Redensarten kleiden, um so in schwierige und pomp: hafte Phrasen kleine, winzige, nüchterne, oder alltägliche Gedan: ken zu verhüllen, Demjenigen gleich, der, weil ihm die Majestát der Schönheit abgeht, diesen Mangel durch die Kleidung ersehen will und unter barbarischem Puß, Flittern, Federn, Krausen, Puffen und Mantel, die Winzigkeit oder Häßlichkeit seiner Person zu verstecken sucht. So verlegen wie dieser, wenn er nackt gehn sollte, wäre mancher Autor, wenn man ihn zwänge, sein so pomphaftes, dunkles Buch in dessen kleinen, klaren Inhalt zu übersehen.

§. 48.

Die Historienmalerei hat nun neben der Schönheit und Grazie noch den Charakter zum Hauptgegenstand, worunter überhaupt zu verstehen ist die Darstellung des Willens auf der höchsten Stufe seiner Objektivation, wo das Individuum als Hervor hebung einer besonderen Seite der Idee der Menschheit, eigenthümliche Bedeutsamkeit hat und diese nicht durch die bloße Gestalt allein, sondern durch Handlung jeder Art und die sie veranlassenden und begleitenden Modifikationen des Erkennens und Wollens, sichtbar in Miene und Geberde, zu erkennen giebt. Indem die Idee der Menschheit in diesem Umfang dargestellt werden soll, muß die Entfaltung ihrer Vielseitigkeit in bedeutungsvollen Individuen vor die Augen gebracht werden, und diese wieder können in ihrer Bedeutsamkeit nur durch mannichfaltige Scenen, Vorgänge und Handlungen sichtbar gemacht werden. Diese ihre unendliche Aufgabe löst nun die Historienmalerei dadurch, daß sie Lebensscenen jeder Art, von großer und geringer Bedeutsamkeit, vor die Augen bringt. Weder irgend ein Individuum, noch irgend eine Handlung kann ohne Bedeutung seyn: in allen und durch alle entfaltet sich mehr und mehr die Idee der Menschheit. Darum ist durchaus kein Vorgang des Menschenlebens von der Malerei auszuschließen. Man thut folglich den vortrefflichen Malern der Niederländischen Schule großes Unrecht, wenn man bloß ihre technische Fertigkeit schäßt, im Uebrigen aber verachtend auf sie herabfieht, weil sie meistens Gegenstände aus dem gemeinen Leben darstellten, man hingegen nur die Vorfälle aus der Weltgeschichte oder Biblischen Historie für bedeutsam hålt. Man sollte zuvorderst bedenken, daß die innere Bedeutsamkeit einer Handlung von der äußern ganz verschieden ist und beide oft getrennt von einander einhergehn. Die äußere Bedeutsamkeit ist die Wichtigkeit einer Handlung in Beziehung auf die Folgen derselben für und in der wirklichen Welt; also nach dem Sah vom Grunde. Die innere Bedeutsamkeit ist die Tiefe der Einsicht in die Idee der Menschheit, welche sie eröffnet, indem sie die seltener hervortretenden Seiten jener Idee an das Licht zieht, dadurch, daß sie deutlich und entschieden sich aussprechende Individualitâ

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