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sel zukommt. Während die Individuen, in denen sie sich darstellt, unzählige sind und unaufhaltsam werden und vergehn, bleibt sie unverändert als die eine und selbe stehn, und der Sah vom Grunde hat für sie keine Bedeutung. Da dieser nun aber die Form ist, unter der alle Erkenntniß des Subjekts steht, so: fern dieses als Individuum erkennt; so werden die Ideen auch ganz außerhalb der Erkenntnißsphäre desselben als solchen liegen. Wenn daher die Ideen Objekt der Erkenntniß werden sollen; so wird dies nur unter Aufhebung der Individualität im erkennenden Subjekt geschehn können. Die näheren und ausführ lichen Erklärungen hierüber sind nunmehr was uns zunächst beschäftigen wird.

§. 31.

Zuvor jedoch noch folgende sehr wesentliche Bemerkung. Ich hoffe, daß es mir im vorhergehenden Buche gelungen ist, die Ueberzeugung hervorzubringen, daß Dasjenige, was in der Kantischen Philosophie das Ding an sich genannt wird und daselbst als eine so bedeutende, aber dunkle und paradore Lehre auftritt, besonders aber durch die Art, wie Kant es einführte, nämlich durch den Schluß vom Begründeten auf den Grund, als ein Stein des Anstoßes, ja als die schwache Seite seiner Philosophie befunden ward, daß, sage ich, dieses, wenn man auf dem ganz andern Wege, den wir gegangen sind, dazu gelangt, nichts anderes ist, als der Wille, in der auf die angegebene Weise erweiterten und bestimmten Sphäre dieses Begriffs. Ich hoffe ferner, daß man, nach dem Vorgetragenen, kein Bedenken hegen wird, in den bestimmten Stufen der Objektivation jenes, das Unsich der Welt ausmachenden Willens, Dasjenige wiederzuerkennen, was Platon die ewigen Ideen, oder die unverånderlichen Formen (dn) nannte, welche, als das hauptsächliche, aber zugleich dunkelste und paradoreste Dogma seiner Lehre anerkannt, ein Gegenstand des Nachdenkens, des Streites, des Spottes und der Verehrung so vieler und verschieden gesinnter Köpfe in einer Reihe von Jahrhunderten gewesen sind.

Ist uns nun der Wille das Ding an sich, die Idee aber die unmittelbare Objektität jenes Willens auf einer bestimmten

Stufe; so finden wir Kants Ding an sich und Platons Idee, die ihm allein ovtws or ist, diese beiden großen dunkeln Paradoren, der beiden größten Philosophen des Occidents, zwar nicht als identisch, aber doch als sehr nahe verwandt und nur durch eine einzige Bestimmung unterschieden. Beide große Paradora sind sogar, eben weil sfie, bei allem innern Einklang und Verwandtschaft, durch die außerordentlich verschiedenen Individualitäten ihrer Urheber, so höchst verschieden lauten, der beste Kommentar wechselseitig eines des andern, indem sie zwei ganz verschiedenen Wegen gleichen, die zu einem Ziele führen. Dies läßt sich mit Wenigem deutlich machen. Nämlich was Kant sagt, ist, dem Wesentlichen nach, Folgendes: „Zeit, Raum und Kausalitåt sind nicht Bestimmungen des Dinges an sich; sondern gehören nur seiner Erscheinung an, indem sie nichts, als Formen unserer Erkenntniß sind. Da nun aber alle Vielheit und alles Entstehn und Vergehn allein durch Zeit, Raum und Kausalität möglich sind; so folgt, daß auch jene allein der Erscheinung, keineswegs dem Dinge an sich anhången. Weil unsere Erkenntniß aber durch jene Formen bedingt ist; so ist die gesammte Erfahrung nur Erkenntniß der Erscheinung, nicht des Dinges an sich daher auch können ihre Gesetze nicht auf das Ding an sich geltend gemacht werden. Selbst auf unser eigenes Ich erstreckt sich das Gesagte und wir erkennen es nur als Erscheinung, nicht nach dem was es an sich seyn mag." Dieses ist, in der betrachteten wichtigen Rücksicht, der Sinn und Inhalt der Lehre Kants. Platon nun aber sagt: „Die Dinge dieser Welt, welche unsre Sinne wahrnehmen, haben gar kein wahres Seyn: sie werden immer, sind aber nie: sie haben nur ein relatives Seyn, find insgesammt nur in und durch ihr Verhältniß zu einander: man kann daher ihr ganzes Daseyn eben sowohl ein Nichtseyn nennen. Sie sind folglich auch nicht Objekte einer eigentlichen Erkenntniß (erotnun): denn nur von dem, was an und für sich und immer auf gleiche Weise ist, kann es eine solche geben: sie hingegen sind nur das Objekt eines durch Empfinung veranlagten Dafürhaltens (δοξα μετ' αισθήσεως αλοyou). So lange wir nun auf ihre Wahrnehmung beschränkt sind, gleichen wir Menschen, die in einer finstern Höhle so fest gebunden säßen, daß sie auch den Kopf nicht drehen könnten, Schopenauer, Die Welt. I.

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und

nichts sähen, als beim Lichte eines hinter ihnen brennenden Feuers, an der Wand ihnen gegenüber, die Schattenbilder wirklicher Dinge, welche zwischen ihnen und dem Feuer vorübergeführt würden, und auch sogar von einander, ja jeder von sich selbst, eben nur die Schatten auf jener Wand. Ihre Weisheit aber wáre, die aus Erfahrung erlernte Succeffion jener Schatten vor: her zu sagen. Was nun hingegen allein wahrhaft Seiend (orTOS ov) genannt werden kann, weil es immer ist, aber nie wird, noch vergeht; das sind die realen Urbilder jener Schattenbilder: es sind die ewigen Ideen,` die Urformen aller Dinge. Ihnen kommt keine Vielheit zu: denn jedes ist seinem Wesen nach nur Eines, indem es das Urbild selbst ist, dessen Nachbilder, oder. Schatten, alle ihm gleichnamige, einzelne, vergångliche Dinge derselben Art sind. Ihnen kommt auch kein Entstehn und Vergehn zu: denn sie sind wahrhaft seiend, nie aber werdend, noch untergehend, wie ihre hinschwindenden Nachbilder. (In diesen beiden verneinenden Bestimmungen ist aber nothwendig als Voraussetzung enthalten, daß Zeit, Raum und Kausalitåt für sie keine Bedeutung noch Gültigkeit haben und sie nicht in diesen dasind.) Von ihnen allein daher giebt es eine eigentliche Erkenntniß, da das Objekt einer solchen nur Das seyn kann, was immer und in jedem Betracht (also an sich) ist; nicht Das, was ist, aber auch wieder nicht ist, je nachdem man es ansieht.”— Dies ist Platons Lehre. Es ist offenbar und bedarf keiner weitern Nachweisung, daß der innere Sinn beider Lehren ganz derselbe ist, daß beide die sichtbare Welt für eine Erscheinung erklåren, die an sich nichtig ist und nur durch das in ihr 'sich Ausdrückende (dem Einen das Ding an sich, dem Undern die Idee) Bedeutung und geborgte Realität hat; welchem lehteren, wahr: haft Seienden aber, beiden Lehren zufolge, alle, auch die allge meinsten und wesentlichsten Formen jener Erscheinung durchaus fremd find. Kant hat, um diese Formen zu verneinen, sie unmittelbar selbst in abstrakten Ausdrücken gefaßt und geradezu Zeit, Raum und Kaufalität, als bloße Formen der Erscheinung, dem Ding an sich abgesprochen: Platon dagegen ist nicht bis zum obersten Ausdruck gelangt, und hat jene Formen nur mittelbar feinen Ideen abgesprochen, indem er das, was allein durch jene Formen möglich ist, von den Ideen verneint, nämlich Vielheit

des Gleichartigen, Entstehn und Vergehn. Zum Ueberfluß jedoch will ich jene merkwürdige und wichtige Uebereinstimmung noch durch ein Beispiel anschaulich machen. Es stehe ein Thier vor uns, in voller Lebensthätigkeit. Platon wird sagen: ,,Dieses Thier hat keine wahrhafte Eristenz, sondern nur eine scheinbare, ein beständiges Werden, ein relatives Daseyn, das eben sowohl ein Nichtseyn als ein Seyn heißen kann. Wahrhaft seiend ist allein die Idee, die sich in jenem Thier abbildet, oder das Thier an sich selbst (avto to Ingior), welches von nichts abhängig, fonbern an uno fit fid) ift (καθ' ἑαυτο, αει ὡς αυτως), nid)t geworden, nicht endend, sondern immer auf gleiche Weise (u ον, και μηδέποτε ούτε γιγνόμενον, ούτε απολλυμενον). Sofet wir nun in diesem Thiere seine Idee erkennen, ist es ganz einerlei und ohne Bedeutung, ob wir dies Thier jeht vor uns haben, oder seinen vor tausend Jahren lebenden Vorfahr, ferner auch ob es hier oder in einem fernen Lande ist, ob es in dieser oder jener Weise, Stellung, Handlung sich darbietet, ob es endlich dieses, oder irgend ein anderes Individuum seiner Art ist: dieses alles ist nichtig und geht nur die Erscheinung an: die Idee des Thieres allein hat wahrhaftes Seyn und ist Gegenstand wirklicher Erkenntniß." So Platon. Kant würde etwan sagen: Dieses Thier ist eine Erscheinung in Zeit, Raum und Kausalitåt, welche sämmtlich die in unserm Erkenntnißvermögen liegenden Bedingungen a priori der möglichen Erfahrung sind, nicht Bestimmungen des Dinges an sich. Daher ist dieses Thier, wie wir es zu dieser bestimmten Zeit, an diesem gegebenen Ort, als ein im Zusammenhang der Erfahrung, d. h. an der Kette von Ursachen und Wirkungen, gewordenes und eben so nothwendig vergångliches Individuum wahrnehmen, kein Ding an sich, sondern eine nur in Beziehung auf unsere Erkenntniß gültige Erscheinung. Um es nach dem, was es an sich seyn mag, folglich unabhängig von allen in der Zeit, dem Raum und der Kausalität liegenden Bestimmungen zu erkennen, wäre eine andere Erkenntnißweise, als die uns allein mögliche, durch Sinne und Verstand, erfordert.“

Håtte man jemals Kants Lehre, hätte man seit Kant den Platon eigentlich verstanden und gefaßt, håtte man trèu und ernst dem innern Sinn und Gehalt der Lehren beider großer Meister

nachgedacht, statt mit den Kunstausdrücken des einen um sich zu werfen und den Stil des andern zu parodiren; es håtte nicht fehlen können, daß man långst gefunden hätte, wie sehr die beiden großen Weisen übereinstimmen und die reine Bedeutung, der Zielpunkt beider Lehren, durchaus derselbe ist. Nicht nur håtte man dann nicht den Platon beständig mit Leibniß, auf welchem fein Geist durchaus nicht ruhte, oder gar mit einem noch lebenden bekannten Herrn verglichen, als wollte man die Manen des grøBen Denkers der Vorzeit verspotten; sondern überhaupt wäre man alsdann viel weiter gekommen als man ist, oder vielmehr man wäre nicht so schmachvoll weit zurückgeschritten, wie man in diesen lehten vierzig Jahren ist: man hätte sich nicht heute von diesem, morgen von einem andern Windbeutel naseführen lassen und nicht das sich so bedeutend ankündigende neunzehnte Jahr: hundert in Deutschland mit philosophischen Possenspielen eröffnet, die man über Kants Grabe aufführte (wie die Alten bisweilen bei der Leichenfeier der Ihrigen), unter dem gerechten Spott anderer Nationen, da den ernsthaften und sogar steifen Deutschen Dergleichen am wenigsten kleidet. Aber so klein ist das eigent liche Publikum ächter Philosophen, daß selbst die Schüler, die verstehn, ihnen nur sparsam von den Jahrhunderten gebracht werben. - Εισι δη ναρθηκοφόροι μεν πολλοι, βακχοι δε γε παν001. Η ατιμια φιλοσοφια δια ταυτα προςπεπτωκεν, ότι ου κατ' αξίαν αυτής άπτονται· ου γαρ νόθους έδει ἱπτεθαι, αλλά γνησιους. (Plat.)

Man ging den Worten nach, den Worten: „Vorstellungen a priori, unabhängig von der Erfahrung bewußte Formen des Anschauens und Denkens, Urbegriffe des reinen Verstandes," u. f. w. und fragte nun ob Platons Ideen, die ja auch Urbegriffe und ferner auch Erinnerungen aus einer dem Leben vorhergegangenen Anschauung der wahrhaft seienden Dinge seyn sollen, etwan dasselbe wåren mit Kants Formen des Anschauens und Denkens, die a priori in unserm Bewußtseyn liegen: diese zwei ganz heterogenen Lehren, die Kantische von den Formen, welche die Erkenntniß des Individuums auf die Erscheinung be schränken, und die Platonische von den Ideen, deren Erkenntniß eben jene Formen ausdrücklich verneint, diese insofern diame tral entgegengesetzten Lehren, da sie in ihren Ausdrücken sich ein

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