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schieden, in den Erscheinungen dieser vervielfacht und in Hinsicht auf diese dem Sag vom Grunde unterworfen, an sich frei von dem allen. Die Motive bestimmen nicht den Charakter des Menschen, sondern nur die Erscheinung dieses Charakters, also die Thaten; die äußere Gestalt seines Lebenslaufs, nicht dessen innere Bedeutung und Gehalt: diese gehn hervor aus dem Charakter, der die unmittelbare Erscheinung des Willens, also grundlos ist. Warum der Eine boshaft, der Andere gut ist, hångt nicht von Motiven und außerer Einwirkung, etwan von Lehren und Predigten ab, und ist schlechthin in diesem Sinn unerklärlich. Aber ob ein Böser seine Bosheit zeigt in kleinlichen Ungerechtigkeiten, feigen Rånken, niedrigen Schurkereien, die er im engen Kreise seiner Umgebungen ausübt, oder ob er als ein Eroberer Völker unterdrückt, eine Welt in Jammer stürzt, das Blut von Millionen vergießt: dies ist die äußere Form seiner Erscheinung, das Unwesentliche derselben, und hångt ab von den Umständen, in die ihn das Schicksal seßte, von den Umgebungen, von den åußern Einflüssen, von den Motiven: aber nie ist seine Entscheidung auf diese Motive, aus ihnen erklärlich: sie geht hervor aus dem Willen, dessen Erscheinung dieser Mensch ist. Davon im vierten Buch. Die Art und Weise, wie der Charakter seine Eigenschaften entfaltet, ist ganz der zu vergleichen, wie jeder Körper der erkenntnißlosen Natur die seinigen zeigt. Das Wasser bleibt Wafser, mit seinen ihm inwohnenden Eigenschaften: ob es aber als stiller See seine Ufer spiegelt, oder ob es schäumend über Felsen stürzt, oder, künstlich veranlaßt, als langer Strahl in die Höhe sprigt; das hängt von den äußern Ursachen ab: Eines ist ihm so natürlich wie das Andere: aber je nachdem die Umstände sind, wird es das Eine oder Andere zeigen, zu Allem gleich sehr bereit, in jedem Fall jedoch seinem Charakter getreu und immer nur diesen offenbarend. So wird sich auch jeder menschliche Charakter unter allen Umständen offenbaren: aber die Erscheinungen, die daraus hervorgehn, werden seyn, je nachdem die Umstånde

waren.

§. 27.

Wenn es nun aus allen vorhergehenden Betrachtungen über die Kräfte der Natur und die Erscheinungen derselben uns deut

lich geworden ist, wie weit die Erklärung aus Ursachen gehn kann und wo sie aufhören muß, wenn sie nicht in das thörichte Bestreben verfallen will, den Inhalt aller Erscheinungen auf ihre bloße Form zurückzuführen, wo denn am Ende nichts als Form übrig bliebe; so werden wir nunmehr auch im Allgemeinen be stimmen können, was von aller Aetiologie zu fordern ist. Sie hat zu allen Erscheinungen in der Natur die Ursachen aufzusuchen d. h. die Umstände, unter denen sie allezeit eintreten: dann aber hat sie die, unter mannigfaltigen Umständen vielgestaltenen Erscheinungen zurückzuführen auf Das, was in aller Erscheinung wirkt und bei der Ursach vorausgesetzt wird, auf ursprüngliche Kräfte der Natur, richtig unterscheidend ob eine Verschiedenheit der Erscheinung von einer Verschiedenheit der Kraft, oder nur von Verschiedenheit der Umstände, unter denen die Kraft sich auBert, herrührt, und gleich sehr sich hütend für Erscheinung verschiedener Kräfte zu halten, was Aeußerung einer und derselben Kraft, bloß`unter verschiedenen Umstånden, ist, als umgekehrt für Aeußerungen Einer Kraft zu halten, was ursprünglich verschiedenen Kräften angehört. Hiezu gehört nun unmittelbar Urtheilskraft; daher so wenige Menschen fähig sind, in der Physik die Einsicht, alle aber die Erfahrung zu erweitern. Trägheit und Unwissenheit machen geneigt, sich zu früh auf ursprüngliche Kräfte zu berufen: dies zeigt sich mit einer der Ironie gleichenden Uebertreibung in den Entitåten und Quidditäten der Scholastiker. Ich wünsche nichts weniger als die Wiedereinführung derselben begünstigt zu haben. Man darf, statt eine physikalische Erklärung zu geben, sich so wenig auf die Objektivation des Willens berufen, als auf die Schöpfungskraft Gottes. Denn die Physik. verlangt Ursachen: der Wille aber ist nie Ursache: sein Verhältniß zur Erscheinung ist durchaus nicht nach dem Sah vom Grunde; sondern was an sich Wille ist, ist andrerseits als Vorstellung da, d. h. ist Erscheinung: als solche befolgt es die Geseze, welche die Form der Erscheinung ausmachen: da muß z. B. jede Bewegung, obwohl sie allemal Willenserscheinung ist, dennoch eine Ursache haben, aus der sie in Beziehung auf bestimmte Zeit und Ort, d. h. nicht im Allgemeinen, ihrem innern Wesen nach, sondern als einzelne Erscheinung zu erklären ist. Diese Ursache ist eine mechanische beim Stein, ist ein Motiv bei der Bewegung des Men

schen: aber fehlen kann sie nie. Hingegen das Allgemeine, das gemeinsame Wesen aller Erscheinungen einer bestimmten Art, Das, ohne dessen Voraussehung die Erklärung aus der Ursache weder Sinn noch Bedeutung hätte, das ist die allgemeine Naturkraft, die in der Physik als qualitas occulta stehn bleiben muß, eben weil hier die åtiologische Erklärung zu Ende ist und die metaphysische anfängt. Die Kette der Ursachen und Wirkungen wird aber nie durch eine ursprüngliche Kraft, auf die man sich zu_berufen håtte, abgebrochen, läuft nicht etwan auf diese, als auf ihr erstes Glied zurück, sondern das nächste Glied der Kette, so gut als das entfernteste, sest schon die ursprüngliche Kraft voraus, und könnte sonst nichts erklären. Eine Reihe von Ursachen und Wirkungen kann die Erscheinung der verschiedenartigsten Kräfte seyn, deren successiver Eintritt in die Sichtbarkeit durch sie geleitet wird, wie ich es oben am Beispiel einer metallenen Maschine erläutert habe: aber die Verschiedenheit dieser ursprünglichen, nicht aus einander abzuleitenden Kräfte unterbricht keineswegs die Einheit jener Kette von Ursachen und den Zusammenhang zwischen allen ihren Gliedern. Die Aetiologie der Natur und die Philosophie der Natur thun einander nie Abbruch; sondern gehen ́ neben einander, denselben Gegenstand aus verschiedenem Gesichtspunkt betrachtend. Die Aetiologie giebt Rechenschaft von den Ursachen, welche die einzelne zu erklärende Erscheinung nothwendig herbeiführten und zeigt, als die Grundlage aller ihrer Erklärungen, die allgemeinen Kräfte auf, welche in allen diesen Ursachen und Wirkungen thätig sind, bestimmt diese Kräfte genau, ihre Zahl, ihre Unterschiede, und dann alle Wirkungen, in denen jede Kraft, nach Maaßgabe der Verschiedenheit der Umstände verschieden hervortritt, immer ihrem eigenthümlichen Charakter gemäß, den sie nach einer unfehlbaren Regel entfaltet, welche ein Naturgesek heißt. Sobald die Physik dies Alles in jeder Hinsicht vollständig geleistet haben wird, hat sie ihre Vollendung erreicht: dann ist keine Kraft in der unorganischen Natur mehr unbekannt und keine Wirkung mehr da, welche nicht als Erscheinung einer jener Kräfte, unter bestimmten Umstånden, gemäß einem Naturgefeße, nachgewiesen wäre. Die Betrachtung der gesammten Natur wird sodann durch die Morphologie vollendet, welche alle bleibenden Gestalten der organischen Natur aufzählt, vergleicht

und ordnet: über die Ursache des Eintritts der einzelnen Wesen hat sie wenig zu sagen, da es bei allen die Zeugung ist, deren Theorie für sich geht, und in seltenen Fållen die generatio aequiVoca. Zu dieser lettern gehört aber, genau genommen, auch die Art, wie alle niedrigen Stufen der Objektität des Willens, also die physischen und chemischen Erscheinungen, im Einzelnen hervortreten, und die Angabe der Bedingungen zu diesem Hervortreten ist eben jene Aufgabe der Aetiologie. Die Philosophie hingegen betrachtet überall, also auch in der Natur, nur das Allgemeine: die ursprünglichen Kräfte selbst find hier ihr Gegenstand, und sie erkennt in ihnen die verschiedenen Stufen der Objektivation des Willens, der das innere Wesen, das Un-sich dieser Welt ist, welche sie, wenn sie von jenem abfieht, für die bloße Vorstellung des Subjekts erklärt. - Wenn nun aber die Aetiologie, statt der Philosophie vorzuarbeiten und ihren Lehren Anwendung durch Belege zu liefern, vielmehr meint, es sei ihr Ziel, alle ursprünglichen Kräfte wegzuleugnen, bis etwan auf eine, die allgemeinste, z. B. Undurchdringlichkeit, auf welche sie alle anderen gewaltsam zurückzuführen sucht; so entzieht sie sich ihre eigene Grundlage, und kann nur Irrthum statt Wahrheit geben. Der Gehalt der Natur wird jezt durch die Form verdrångt, den einwirkenden Umständen wird Alles, dem innern Wesen der Dinge nichts zugeschrieben. Gelånge es wirklich auf dem Wege; so würde, wie schon gesagt, zuleht ein Rechnungserempel das Räthsel der Welt lösen. Diesen Weg aber geht man, wenn, wie schon erwähnt, alle physiologische Wirkung auf Form und Mischung, also etwan auf Elektricitåt, diese wieder auf Chemismus, dieser aber auf Mechanismus zurückgeführt werden soll. Lezteres war z. B. der Fehler des Cartesius und aller Atomistiker, welche die Bewegung der Weltkörper auf den Stoß eines Fluidums, und die Qualitåten auf den Zusammenhang und die Gestalt der Atome zurückführten und dahin arbeiteten, alle Erscheinungen der Natur für bloße Phänomene der Undurchdringlichkeit und Kohåsion zu erklåren. Obgleich man davon zurückgekommen ist, so thun doch auch dasselbe in unsern Tagen die elektrischen, chemischen und mechanischen Physiologen, welche hartnäckig das ganze Leben und alle Funktionen des Organismus aus der Form und Mischung" seiner Bestandtheile erklären wollen. Daß das Ziel der physiolo

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gischen Erklärung die Zurückführung des organischen Lebens auf die allgemeinen Kräfte, welche die Physik betrachtet, sei, findet man noch ausgesprochen in Meckel's Archiv für Physiologie, 1820, Bb. 5. S. 185. Auch Lamarck, in seiner philosophie zoologique Vol. 2, ch. 3, erklärt das Leben für eine bloße Wirkung der Wärme und Elektricitát: le calorique et la matière électrique suffisent parfaitement pour composer ensemble cette cause essentielle de la vie (p. 16.). Danach wären eigentlich Wärme und Elektricitåt das Ding an sich und die Thier- und PflanzenBelt dessen Erscheinung. Das Absurde dieser Meinung tritt S. 306 ff. jenes Werkes grell hervor. Allen solchen Ansichten, wie sie auch noch jezt immer wieder auftauchen, liegt, wenn man es genau betrachtet, zulezt die Voraussetzung zum Grunde, daß der Organismus nur ein Aggregat von Erscheinungen physischer, chemischer und mechanischer Kräfte sei, die hier, zufällig zusammengekommen, den Organismus zu Stande bråchten, als ein Naturspiel ohne weitere Bedeutung. Der Organismus eines Thieres oder des Menschen wåre demnach, philosophisch betrachtet, nicht Darstellung einer eigenen Idee, d. h. nicht selbst unmittelbar Objektität des Willens, auf einer bestimmten höheren Stufe; sondern in ihm erschienen nur jene Ideen, welche in der Elektricitát, im Chemismus, im Mechanismus den Willen objektiviren: der Organismus wäre daher aus dem Zusammentreffen dieser Kräfte so zufällig zusammengeblasen, wie die Gestalten von Menschen und Thieren aus Wolken oder Stalaktiten, daher an sich weiter nicht interessant. Wir werden indessen sogleich sehn, inwiefern dennoch jene Anwendung physischer und chemischer Erklärungsarten auf den Orgānismus innerhalb gewisser Gränzen gestattet und brauchbar seyn möchte. Folgende Betrachtung bahnt uns den Weg zu jener ziemlich schwierigen Erörterung.

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Es ist zwar, allem Gesagten zufolge, eine Verirrung der Naturwissenschaft, wenn sie die höhern Stufen der Objektität des Willens zurückführen will auf niedere; da das Verkennen und Leugnen ursprünglicher und für sich bestehender Naturkräfte eben so fehlerhaft ist, wie die grundlose Annahme eigenthümlicher Kräfte, wo bloß eine besondere Erscheinungsart schon bekannter Statt findet. Mit Recht sagt daher Kant, es sei ungereimt, auf einen Neuton des Grashalms zu hoffen, d. h. auf Denjenigen, der den Schopenhauer, Die Welt. I.

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