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zuleht auf ein eben so Unbekanntes, als das erste Problem war, zurückführen? Versteht man aber am Ende vom innern Wesen jener allgemeinen Naturkräfte mehr als vom innern Wesen eines Thieres? ist nicht eines so unerforscht, als das andere? unergründlich, weil es grundlos, weil es der Inhalt, das Was der Erscheinung ist, das nie auf ihre Form, auf das Wie, auf den Sah vom Grunde, zurückgeführt werden kann. Wir aber, die wir hier nicht Aetiologie, sondern Philosophie, d. i. nicht relative, sondern unbedingte Erkenntniß vom Wesen der Welt beabsichti gen, schlagen den entgegengesetzten Weg ein und gehn von Dem, was uns unmittelbar, was uns am vollståndigsten bekannt und ganz und gar vertraut ist, was uns am nächsten liegt, aus, um Das zu verstehn, was uns nur entfernt, einseitig und mittelbar bekannt ist: und aus der mächtigsten, bedeutendesten, deutlichsten Erscheinung wollen wir die unvollkommnere, schwächere verstehn lernen. Mir ist von allen Dingen, meinen eigenen Leib ausgenommen, nur eine Seite bekannt, die der Vorstellung: ihr inneres Wesen bleibt mir verschlossen und ein tiefes Geheimniß, auch wenn ich alle Ursachen kenne, auf die ihre Veränderungen erfolgen. Nur aus der Vergleichung mit Dem, was in mir vorgeht, wenn, indem ein Motiv mich bewegt, mein Leib eine Uk: tion ausübt, was das innere Wesen meiner eigenen durch äußere Gründe bestimmten Veränderungen ist, kann ich Einsicht erhalten in die Art und Weise, wie jene leblosen Körper sich auf Ursachen verändern, und so verstehn, was ihr inneres Wesen sei, von dessen Erscheinen mir die Kenntniß der Ursache die bloße Regel des Eintritts in Zeit und Raum angiebt und weiter nichts. Dies kann ich darum, weil mein Leib das einzige Objekt ist, von dem ich nicht bloß die eine Seite, die der Vorstellung, kenne, sondern auch die zweite, welche Wille heißt. Statt also zu glauBen, ich würde meine eigene Organisation, dann mein Erkennen und Wollen und meine Bewegung auf Motive, besser verstehn, wenn ich sie nur zurückführen könnte auf Bewegung aus Ursachen, durch Elektricitat, durch Chemismus, durch Mechanismus; muß ich, sofern ich Philosophie, nicht Aetiologie suche, umge= kehrt auch die einfachsten und gemeinsten Bewegungen des unorganischen Körpers, die ich auf Ursachen erfolgen sehe, zuvörderst ihrem innern Wesen nach verstehn lernen aus meiner eige

nen Bewegung auf Motive, und die unergründlichen Kräfte, welche sich in allen Körpern der Natur äußern, für der Art nach als identisch mit Dem erkennen, was in mir der Wille ist, und für nur dem Grad nach davon verschieden. Dies heißt: die in der einleitenden Abhandlung aufgestellte vierte Klasse der Vorstellungen muß mir der Schlüssel werden zur Erkenntniß des innern Wesens der ersten Klasse, und aus dem Gesch der Motivation muß ich das Gesetz der Kausalitåt, seiner innern Bedeutung, nach, verstehn lernen.

Spinoza sagt (epist. 62), daß der durch einen Stoß in die Luft fliegende Stein, wenn er Bewußtseyn håtte, meinen würde, aus seinem eignen Willen zu fliegen. Ich sehe nur noch hinzu, daß der Stein Recht hätte. Der Stoß ist für ihn, was für mich das Motiv, únd was bei ihm als Kohäsion, Schwere, Beharrlichkeit im angenommenen Zustande erscheint, ist, dem innern Wesen nach, das Selbe, was ich in mir als Willen erkenne, und was, wenn auch bei ihm die Erkenntniß hinzutråte, auch er als Willen erkennen würde. Spinoza, an jener Stelle, hatte sein Augenmerk auf die Nothwendigkeit, mit welcher der Stein fliegt, gerichtet und will sie, mit Recht, übertragen auf die Nothwendigkeit des einzelnen Willensaktes einer Person. Ich hingegen betrachte das innere Wesen, welches aller realen Nothwens digkeit (d. i. Wirkung aus Ursache), als ihre Voraussetzung, erst Bedeutung und Gültigkeit ertheilt, beim Menschen Charakter, beim Stein Qualität heißt, in beiden aber das Selbe ist, da, wo es unmittelbar erkannt wird, Wille genannt, und das im Stein den schwächsten, im Menschen den stärksten Grad der Sichtbarkeit, Objektitát, hat.

Noch verdient bemerkt zu werden, daß schon Euler einsah, das Wesen der Gravitation müsse zuleht auf eine den Körpern eigenthümliche,,Neigung und Begierde" (also Willen) zurückgeführt werden (im 68ften Briefe an die Prinzessin). Sogar macht gerade Dies ihn dem Begriffe der Gravitation, wie er bei Neuton dasteht, abhold, und er ist geneigt, eine Modifikation desselben zur früheren Kartesianischen Theorie zu versuchen, also die Gravitation aus dem Stoffe eines Aethers auf die Körper abzuleiten, als welches vernünftiger und den Leuten, die helle und begreifliche Grundsätze lieben", angemessener wäre. Die Attrak

tion will er als qualitas occulta aus der Physik verbannt sehn. Dies ist eben nur der todten Naturansicht, welche, als Korrelat der immateriellen Seele, zu Eulers Zeit herrschte, gemäß: allein es ist beachtenswerth in Hinsicht auf die von mir aufgestellte Grundwahrheit, welche schon damals dieser feine Kopf aus der Ferne durchschimmern sehend, bei Zeiten umzukehren sich beeilte und, in seiner Angst, alle damaligen Grundansichten gefährdet zu sehen, sogar beim alten, bereits abgethanen Absurden Schuß fuchte.

§. 25.

Wir wissen, daß die Vielheit überhaupt nothwendig durch Zeit und Raum bedingt und nur in ihnen denkbar ist, welche wir in dieser Hinsicht das principium individuationis nennen. Zeit und Raum aber haben wir als Gestaltungen des Sages vom Grunde erkannt, in welchem Sah alle unsere Erkenntniß a priori ausgedrückt ist, die aber, wie oben auseinandergesezt, eben als solche, nur der Erkennbarkeit der Dinge, nicht ihnen selbst zukommt, d. h. nur unsere Erkenntnißform, nicht Eigenschaft des Dinges an sich ist, welches als solches frei ist von aller Form der Erkenntniß, auch von der allgemeinsten, der des Objektseyns für das Subjekt, d. h. etwas von der Vorstellung ganz und gar Verschiedenes ist. Ist nun dieses Ding an sich, wie ich hinlänglich nachgewiesen und einleuchtend gemacht zu haben glaube, der Wille; so liegt er, als solcher und gesondert von seiner Erscheinung betrachtet, außer der Zeit und dem Raum, und kennt demnach keine Vielheit, ist folglich einer; doch, wie schon gesagt, nicht wie ein Individuum, noch wie ein Begriff Eins ist; sondern wie etwas, dem die Bedingung der Möglichkeit der Vielheit, das principium individuationis, fremd ist. Die Vielheit der Dinge in Raum und Zeit, welche sämmtlich seine Objektität sind, trifft daher ihn nicht und er bleibt, ihrer ungeachtet, untheilbar. Nicht ist etwan ein kleinerer Theil von ihm im Stein, ein größerer im Menschen; da das Verhältniß von Theil und Ganzem ausschließlich dem Raume angehört und keinen Sinn mehr hat, sobald man von dieser Anschauungsform abgegangen ist: sondern auch das Mehr und Minder trifft nur die

Erscheinung, d. i. die Sichtbarkeit, die Objektivation: von dieser ist ein höherer Grad in der Pflanze, als im Stein; im Thier ein höherer, als in der Pflanze: ja, sein Hervortreten in die Sichtbarkeit, seine Objektivation, hat so unendliche Abstufungen, wie zwischen der schwächsten Dämmerung und dem hellsten Sonnenlicht, dem stärksten Ton und dem leisesten Nachklang sind. Wir werden weiter unten auf die Betrachtung dieser Grade der Sichtbarkeit, die zu seiner Objektivation, zum Abbild seines Wesens gehören, zurückkommen. Noch weniger aber als die Abstufungen seiner Objektivation ihn selbst unmittelbar treffen, trifft ihn die Vielheit der Erscheinungen auf diesen verschiedenen Stufen, d. i. die Menge der Individuen jeder Form, oder der einzelnen Aeußerungen jeder Kraft; da diese Vielheit unmittelbar durch Zeit und Raum bedingt ist, in die er selbst nie eingeht. Er offenbart sich eben so ganz und eben so sehr in einer Eiche, als in Millionen: ihre Zahl, ihre Vervielfältigung in Raum und Zeit hat gar keine Bedeutung in Hinsicht auf ihn, sondern nur in Hinsicht auf die Vielheit der in Raum und Zeit erkennenden und selbst darin vervielfachten und zerstreuten Individuen, deren Vielheit aber selbst wieder auch nur seine Erscheinung, nicht ihn angeht. Daher könnte man auch behaupten, daß wenn, per impossibile, ein einziges Wesen, und wäre es das geringste, gånzlich vernichtet würde, mit ihm die ganze Welt untergehn müßte. Im Gefühl hievon sagt der große Mystiker Angelus Silefius:

,,Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben: Werd' ich zunicht; er muß von Noth den Geist aufgeben.“ Man hat auf mancherlei Weise versucht, die unermeßliche Größe des Weltgebäudes der Fassungskraft eines Jeden näher zu brin gen, und dann Anlaß zu erbaulichen Betrachtungen daher genommen, wie etwan über die relative Kleinheit der Erde und gar des Menschen; dann wieder im Gegensatz hievon, über die Größe des Geistes in diesem so kleinen Menschen, der jene Weltgröße herausbringen, begreifen, ja messen kann, u. dgl. m. Alles gut! Inzwischen ist mir, bei Betrachtung der Unermeßlichkeit der Welt, das Wichtigste Dieses, daß das Wesen an sich, dessen Erscheinung die Welt ist, was immer es auch seyn möchte, doch nicht sein wahres Selbst solchergestalt im grånzenlosen Raum auseinandergezogen und zertheilt haben kann, son

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Schopenhauer, Die Welt. I.

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dern diese unendliche Ausdehnung ganz allein feiner Erscheinung angehört, es selbst hingegen in jeglichem Dinge der Natur, jedem Lebenden, ganz und ungetheilt gegenwärtig ist; daher eben man nichts verliert, wenn man bei irgend einem Einzelnen stehn bleibt, und auch die wahre Weisheit nicht dadurch zu erlangen ist, daß man die grånzenlose Welt ausmißt, oder, was noch zweckmäßiger wäre, den endlosen Raum persönlich durchflöge; sondern vielmehr dadurch, daß man irgend ein Einzelnes ganz erforscht, indem man das wahre und eigentliche Wesen desselben vollkommen erkennen und verstehn zu lernen sucht.

Demgemäß wird Folgendes, was sich hier jedem Schüler des Platon schon von selbst aufgedrungen hat, im nächsten Buch der Gegenstand einer ausführlichen Betrachtung seyn, nåmlich daß jene verschiedenen Stufen der Objektivation des Willens, welche, in zahllosen Individuen ausgedrückt, als die unerreichten Musterbilder dieser, oder als die ewigen Formen der Dinge dastehn, nicht selbst in Zeit und Raum, das Medium der Individuen, eintretend; sondern fest stehend, keinem Wechsel unterwor fen, immer seiend, nie geworden; während jene entstehn und vergehn, immer werden und nie sind; daß, sage ich, diese Stufen der Objektivation des Willens nichts anderes; als Pla= tons Ideen sind. Ich erwähne es hier vorläufig, um fortan das Wort Idee in diesem Sinn gebrauchen zu können, welches also bei mir immer in seiner åchten und ursprünglichen, von Platon ihm ertheilten Bedeutung zu verstehn ist und dabei durchaus nicht zu denken an jene abstrakten Produktionen der scholastisch dogmatisirenden Vernunft, zu deren Bezeichnung Kant jenes von Platon schon in Besitz genommene und höchst zweckmäßig gebrauchte Wort, eben so unpassend als unrechtmäßig gemißbraucht hat. Ich verstehe also unter Idee jede bestimmte und feste Stufe der Objektivation des Willens, sofern er Ding an sich und daher der Vielheit fremd ist, welche Stufen zu den einzelnen Dingen sich allerdings verhalten, wie ihre ewigen Formen, oder ihre Musterbilder. Den kürzesten und bündigsten Ausdruck für jenes berühmte Platonische Dogma giebt uns Diogenes Laertius (III, 13): ὁ Πλατων φησι, εν τη φύσει της ιδέας έσταναι, καθαπερ παραδείγματα· τα δ' αλλά ταύταις εοικεναι, τούτων ὁμοιωματα καθεστωτα, Von jenem Kantischen Mis

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