Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Nach der offiziellen kirchlichen Doktrin, alle menschlichen Ordnungen ein Stück der sündigen Welt, des teuflischen Reiches; nur dadurch können sie geheiligt werden, daß sie sich der Kirche unterwerfen, von ihr Weihe und Gesetz empfangen. So wird innerhalb des Gottesreiches der streitenden Kirche die Staatsgewalt zum weltlichen Arm oder weltlichen Schwert, das sich zum geistlichen Schwert des Papstes verhält wie der Mond zur Sonne: von dem Oberhaupte der Kirche geht auch alle weltliche Macht wenigstens der Theorie nach aus. Auf Befehl der Kirche hat der weltliche Herrscher einzuschreiten gegen die Kezer, zum heiligen Kriege auszuziehen gegen die Türken. Thut ein Fürst seine Pflicht nicht, so kann der Papst ihn abseßen. Die Kirche erläßt Gesetze und Vorschriften auch über weltliche Angelegenheiten, die denen des Staates vorgehen, sie beobachtet und kontrolliert das Wirtschaftsleben der Völker und einzelnen.

Für Luther sind die menschlichen Ordnungen ebenfalls ein Teil der Welt; aber wie seine prinzipielle Stellung zu den weltlichen Dingen eine andere ist, so sieht er auch Gesellschaft und Staat mit anderen Augen an wie die mittelalterliche Kirche. Anfangs, wissen wir, billigt er noch das Ziel der streitenden Kirche, die Besiegung der sündigen Welt; nur wollte er es nicht durch äußeren Zwang, sondern durch geistige Mittel erreicht wissen! So schwebte auch ihm anfangs wenigstens als Ideal eine christliche Gesellschaft vor, deren Haupt eine von christlichem Geiste beseelte Obrigkeit sein sollte. Diese durfte freilich nicht mehr der geistlichen Gewalt untergeordnet sein und von ihr geleitet werden; sonst wäre ihr Thun erzwungen und wertlos gewesen; aber sie sollte bei äußerer Gleichberechtigung verbunden sein mit jener durch die gleiche christliche Gesinnung. Dieser Gedanke durchzieht Luthers Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation. Aber der Traum entfloh schnell, und beim Erwachen fand sich Luther, wie wir wissen, allein mit wenig Gleichgesinnten unter den Heiden, und gewann die Ueberzeugung, daß es so bleiben werde. Von nun an hat es keinen Sinn mehr für ihn, sich auszumalen, wie eine christliche Gesellschaft beschaffen sein könne und müsse; denn sie wird ja niemals kommen; die wenigen in der Welt zerstreuten Christen werden nie eine geschlossene Körperschaft

bilden können. Die Welt, wie sie ist, aber läßt sich nicht mit christlicher Liebe nach dem Evangelium regieren. Klar und deutlich hat Luther dies bereits 1523 ausgesprochen in seiner Schrift Von weltlicher Obrigkeit“.

[ocr errors]

Wären alle Menschen Christen, so bedürften sie überhaupt keiner äußeren Zwangsordnung; „denn wozu sollts ihnen? Dieweil sie den heiligen Geist im Herzen haben, der sie lehret und macht, daß sie niemand Unrecht thun, jedermann lieben, von jedermann gern Unrecht leiden, auch den Tod. Wo eitel Unrecht leiden und eitel Recht thun ist, da ist kein Hader, Zank, Gericht, Richter, Strafe, Recht noch Schwert not.“11) Den rechten Christen Geseße geben, das würde soviel heißen, wie einem Apfelbaum geseßlich vorschreiben, er solle Aepfel und keine Dornen tragen. Aber „die Christen wohnen, wie man spricht, fern von einander. Darum leidet sichs in der Welt nicht, daß ein christlich Regiment gemein werde über alle Welt, ja noch über ein Land oder große Menge; denn der Bösen sind immer viel mehr denn der Frommen. Darum ein ganz Land oder die Welt mit dem Evangelio zu regieren, das ist eben, als wenn ein Hirt in einen Stall zusammenthät Wölf, Leuen, Adler, Schaf und ließ jeglichs frei unter den andern gehn und spräche: Da weidet Euch und seid fromm und friedlich unter einander, der Stall steht offen, Weide habt Ihr genug, Hund und Keulen braucht Ihr nicht zu fürchten! Hier würden die Schaf wohl Frieden halten, und sich friedlich also lassen weiden und regieren, aber sie würden nicht lange leben' noch kein Tier vor dem andern bleiben.“12)

Für den Christen also sind weltliche Zwangsordnungen überflüssig, für die Heiden aber, d. h. für die gewaltige Mehrzahl der Menschen, sind sie nötig. Denn Christ ist nicht, wer sich äußerlich zum Christentum bekennt, sondern wer christlich gesinnt ist. Der natürliche Mensch ist durch den Sündenfall und die Erbsünde ein böses, egoistisches Tier geworden; angeborene altruistische Triebe kennt Luther nicht; sich selbst überlassen, würden diese wilden Bestien sich gegenseitig zerfleischen; der natürliche Zustand der Welt ist für ihn der Kampf aller gegen alle. Gott aber die Menschheit erhalten will, so hat er jene Ordnungen eingesetzt, hat den wilden Bestien eine Kette angelegt. Denn

Da

sintemal wenig glauben, und das weniger Teil sich hält nach christlicher Art, daß es nicht widerstehe dem Uebel, ja daß es nicht selbst übel thue, hat Gott denselben außer dem christlichen Stand und Gottes Reich ein ander Regiment verschafft und sie unter das Schwert geworfen, daß, ob sie gleich gerne wollten, doch nicht thun könnten nach ihrer Bosheit; und ob sie es thun, daß sie es doch nicht ohne Furcht, noch mit Friede und Glück thun mögen. Gleichwie man ein wild, böses Tier mit Ketten und Banden fasset, daß es nicht beißen noch reißen kann nach seiner Art, wiewohl es gerne wollte, das doch ein zahm, kirres Tier nicht bedarf, sondern ohne Ketten und Banden dennoch unschädlich ist. Denn, wo das nicht wäre, sintemal alle Welt böse und unter Tausend kaum ein rechter Christ ist, würde eines das andere fressen, daß niemand könnte Weib und Kind ziehen, sich nähren und Gott dienen, damit die Welt wüste würde. Darum hat Gott die zwei Regiment verordnet: das geistliche, welches Christen und fromme Leute macht durch den heiligen Geist unter Christo, und das weltliche, welches den Unchristen und Bösen wehrt, daß sie äußerlich mitssen Friede halten und still sein ohne ihren Dank."13)

Die äußeren Ordnungen sind also von Gott geschaffen, um zu verhindern, daß die Menschheit nicht infolge der Erbsünde durch Selbstzerfleischung zu Grunde gehe; sie bestehen nur um der Bosheit willen; sie sind notwendige Uebel.

So zunächst die Gliederung der Menschen in Klassen, Stände und Berufe. Die menschliche Gesellschaft bildet ein wohl ineinandergreifendes System, in dem jeder Stand und Beruf seine besondere Funktion hat, und dessen oberster Zweck die äußere Erhaltung der Gattung ist. Luther hat die einzelnen Teile und Glieder der Gesellschaft, wie er sie sich vorstellt, nie systematisch beschrieben; aber seinen einzelnen Angaben 14) liegt stets die damals bestehende Gesellschaftsordnung zu Grunde: Adel, Bürger und Bauern bilden die drei großen Hauptabteilungen; dem Adel fällt die weltliche Regierung zu; alles, was mit Ausübung weltlicher Machtbefugnisse zu thun hat, (Räte, Richter, Amtleute, Krieger, Büttel, Henker sogar) erscheint in seiner Ständeeinteilung als eine Art Anhängsel des Adels.15) Bürger und Bauer endlich

sorgen für die Herstellung der für Nahrung, Kleidung, Wohnung nötigen Dinge und führen sie denen zu, die ihrer bedürfen.

Die weltliche Obrigkeit ist also für Luther ein Teil dieser Gesellschaftsordnung; ihre Funktion ist die Erhaltung des Friedens unter ihren Unterthanen und deren Schuß gegen Angriffe anderer. Um diese Funktion ausüben zu können, hat sie von Gott das Schwert erhalten, das Recht zu strafen und zu befehlen; Leistungen aller Art, bis zur Einseßung des Lebens, von den Untergebenen zu fordern.

Diese ihre Funktion würde sie aber nur unvollständig erfüllen, wenn sie nur auf Anrufen der Bürger Recht spräche oder gegen einen Angreifer ins Feld zöge: fie muß auch dem Entstehen von Unordnung vorzubeugen wissen, muß darauf achten, ob ein anderer Stand durch sein Verhalten Ruhe und Ordnung gefährdet. So hat sie einzugreifen, wenn der Kaufmann die Waaren zu teuer verkauft, 16) wenn die Eltern ihre Kinder nichts lernen lassen, 17) wenn kräftige Leute sich vagabundierend im Lande herumtreiben, ohne zu arbeiten. 18) Sie hat, kann man sagen, außer ihrer besonderen Funktion, dem Rechts- und Friedensschuß, noch ein Recht der Oberaufsicht über die anderen Stände, sie ist Haupt und Regulator der Gesellschaftsordnung.

Blicken wir hier noch einmal zurück auf die früher skizzierte katholische Anschauung. Dort ist der Staat entweder ein Teil der sündigen Welt, ein Glied des Teufels, oder, wenn er sich der Kirche unterwirft, deren weltlicher Arm und Diener. Der Christ hat der weltlichen Obrigkeit nur zu gehorchen, insoweit sie der Kirche gehorsam ist; die Kirche kann ihn der Gehorsamspflicht entbinden. Und in einem heidnischen Fürsten kann nach dieser Anschauung der Christ stets nur einen Feind sehen. Für Luther ist die Obrigkeit ebenfalls ein Teil der Welt, darum ist ihre Beschaffenheit dem Christen gleichgültig; denn sie steht in keiner Beziehung zu seinem Glauben und seiner Seligkeit.

Er darf sein Herz an ein bestimmtes Gemeinwesen, eine Klasse, eine Staatsform, so wenig hängen, wie an seinen Besiß, seine Familie oder andere Dinge dieser Welt. Er darf sich ihnen aber auch nicht entziehen, obwohl er für seine Person ihrer nicht bedarf. Es wird nicht vom Christen verlangt, daß man davon=

laufe und die Welt oder sein Amt und Stand verlasse, sondern desselben Regiments und Ordnung brauche und darunter verbunden bleibe, und doch inwendig eines andern Regiments lebe, das jenes nichts überall angeht, auch nicht hindert, sondern wohl bei sich leiden kann." 19) Er soll es als eine ihm von Gott auferlegte Pflicht, als einen Teil seiner Prüfung, als eine Art der Arbeit empfinden, wenn er seine Stellung in der Gesellschaftsordnung ihrer Besonderheit gemäß ausfüllt oder seinen staatlichen Pflichten nachkommt; ebenso wie er Essen, Trinken und Kleidung nicht verschmähen, sondern nur in christlicher Gesinnung gebrauchen soll. Um der Bösen und Schwachen willen ist äußere Ordnung da; weil es deren stets geben wird in der Welt, ist sie nötig, solange die Welt besteht. Um dieser seiner Nächsten willen soll der Christ sich willig unter des Schwertes Regiment geben, obwohl er für seine Person dessen nicht bedarf. „Denn er besucht die Kranken auch nicht darum, daß er selbst daran gesund werde, er speiset niemand darum, daß er selbst der Speise bedürfte.“ 20)

Von christlicher Nächstenliebe also, von der Rücksicht auf den schwachen Nächsten muß das Verhalten des Christen diesen Ordnungen gegenüber geleitet sein. Aus diesen Motiven soll er auch obrigkeitliche Aemter auf sich nehmen, in diesem Geiste sie verwalten.

Prinzipiell gleichgültig ist es nach Luther, ob ein Christ oder ein Heide Träger der Obrigkeit ist. Dem einen so gut wie dem andern ist der Christ als seinem von Gott gefeßten Herrn Gehorsam schuldig,21) unter einem muhammedanischen Fürsten kann und soll er Beamter sein, so gut wie unter einem christlichen. Luther kennt keinen christlichen Staat. Der Staat ist weltlich, wie Essen und Trinken, 22) und kann nicht nach kirchlichen Vorschriften regiert werden. Gott hat das weltliche Regiment der Vernunft unterworfen und befohlen, weil es nicht der Seelen Heil noch ewiges Gut, sondern allein leibliche und zeitliche Güter regieren soll." 23) Die Bibel kann und soll nicht zugleich bürgerliches Gesetzbuch sein. Daher ermahnt Luther die Fürsten ausdrücklich, um ihre Amtspflichten nicht die Bibel und den Prediger, sondern ihr Landrecht zu befragen. 24) Und als er selbst doch in einer schwierigen juristischen Frage um sein Urteil angegangen

"

« ZurückWeiter »