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schweigen und weinen sollen, halte er Reden, in denen er sich mit einer unerwünschten Deutlichkeit und Umständlichkeit ausdrücke, die keinen andern Erfolg haben könne, als Melantius aufs tiefste zu verletzen.

Und richtig ziehe dieser sein Schwert, stecke es aber sofort wieder in die Scheide, als Amintor das seine entblößt, ein würdeloses Spiel, das in die Komödie, nicht aber in die Tragödie gehöre: „Harlequin and Scaramuttio might do these things. Tragedy suffers 'em not, here is no place for Cowards, nor for giddy fellows, and Bullies with their squabbles. When a Sword is once drawn in Tragedy, the Scabbard may be thrown away; there is no leaving what is once design'd, till it be thoroughly effected . . . No simple alteration of mind ought to produce or hinder any action in a Tragedy" (135).

Noch viel fehlerhafter sei der Gegenzug (counterturn) Amintors. Nun möchte dieser plötzlich sein Geheimnis wieder zurückhaben; er gerate in Wut und wolle seinen Freund umbringen, damit dieser es nicht ausplaudern könne. Thou art mad, Amintor, Bedlam is the only place for thee; if thou comest here with thy madness, Tragedy expects. ut cum ratione insanias" (136).

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Das ehrliche Bestreben Rymers, die negierende Kritik durch positive und praktische Ratschläge zu ergänzen, tritt auch hier wieder zu Tage. Zu diesem Zweck gibt er eine treffende Analyse der Szene zwischen Agamemnon und Menelaus in der Iphigenie auf Aulis, deren Ähnlichkeit mit der vorliegenden ja auffallend ist.

Mit der üblichen Konstatierung, daß der ganze Erfolg des Stückes auf die Rechnung der Schauspieler zu setzen sei, schließt Rymer seine Bemerkungen ab, nachdem er noch flüchtig zugegeben hat, daß die Lustigmacher

eine geringere Rolle spielen, als in den vorhergehenden Stücken. Allerdings erfährt auch dieses seltene Lob eine Einschränkung: es seien gerade die pathetischsten Augenblicke, in denen die drolls sich breit machen. Nicht vergessen soll auch die Tatsache werden, daß unser Kritiker die Opfer, Orakel und Göttinnen zu vermissen scheint. Wir erinnern uns, daß er diese Ausstattungsstücke einer regelrechten Tragödie im Interesse des Wunderbaren nicht entbehren zu können glaubt.

VI. Die Short View" 1693.

Das allgemeine Interesse, das Rymer erregen kann, beruht natürlich auf der Kritik des Othello, und diese bildet einen Teil der „Short View“ 1.

Das Buch trägt die Jahreszahl 1693, gelangte aber schon im Spätjahr 1692 zur Ausgabe2; gewidmet ist es dem Right Honourable Charles, Earl of Dorset and Middlesex, Baron Buckhurst". Da dieser einflußreiche und vielgewandte hohe Herr Rymer eben den Posten eines Hofhistoriographen verschafft hatte, so kann man annehmen, daß durch diese Zueignung der Dank des Schriftstellers ausgedrückt werden sollte. Das Widmungsschreiben selbst ist in einem würdevollen und zurückhaltenden Ton abgefaßt und unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von den damals üblichen Anreden an mächtige Gönner, deren angebliche oder wirkliche Verdienste man bei solchen Anlässen auf eine meist sehr übertriebene und geschmacklose Art zu erheben pflegte.

1 Der ausführliche Titel dieses Werkchens, das an Umfang die eben besprochene Schrift etwas übertrifft, lautet: A Short View of Tragedy; It's Original, Excellency, and Corruption. With some Reflections on Shakespear, and other Practitioners for the Stage. by Mr. Rymer, Servant to their Majesties. Hodieque manent vestigia ruris. Hor. London, Printed and are to be sold by Richard Baldwin, near the Oxford Arms in Warwick-Lane, and at the Black Lyon in Fleetstreed, between the two Temple-Gates. 1693. 2 Dictionary of National Biography.

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Rymer äußert nur eine einzige Schmeichelei. Er scheint zu glauben, nun alles Gute und Beste von der Republik der Musen" erwarten zu dürfen, da er, der Earl of Dorset, sie seit kurzem zu seiner eigenen Provinz gemacht habe. Er beeilt sich aber hinzuzufügen, daß er diesen Gedanken nicht ausspreche, nur um ihm etwas Angenehmes zu sagen, sondern er erhoffe in der Tat deshalb von ihm eine Reformation der Literatur, weil: „when some years ago, I tryed the Publick with Observations, concerning the Stage; It was principally your Countenance that buoy'd me up, and supported a Righteous Cause against the Prejudice and Corruption then reigning".

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die, Ver

Wir bekommen in dieser Vorrede auch über den kritischen Maßstab etwas zu hören, den er im folgenden anzulegen gedenkt. Nicht so streng wolle er zu Werke gehen, wie der Prinz von Conti in seinem Traité contre la Comédie" es tue, obgleich diese Schrift von einigen wie Rymer offenbar glaubt mit Recht teidigung der Wahrheit" genannt worden sei. „My zeal goes no higher than the Doctrine of Horace, and Aristotle; and the Primitive Fathers of Dramatick Poetry: If that Purity may be Allow'd under a Christian Dispensation."

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Von den modernen Kritikern und Theoretikern der Dichtkunst bezeichnet er Bossu und Dacier als seine Muster. The World, surely, other Matters apart, owes much to Cardinal Richelieu, for his Encouragement to the Belles Lettres. From thence we may reckon, that we begin to understand the Epick Poem by means of Bossu; and Tragedy. by Monsieur Dacier." Als unerreichbare Vorbilder für das Epos müßten die beiden homerischen Gedichte und Vergils Aeneis gelten; in der Tragödie habe allein der Oedipus des Sophokles das Höchste erreicht. An ihm gemessen erschienen die neueren Tra

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gödien sehr fehlerhaft: „That, by Corneille, and by others of a Modern Cut, quantum Mutatus!“

1. Der literaturgeschichtliche Teil.

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Man kann nicht bestreiten, daß an innerem Wert Rymers Kritik der Dramen Beaumonts und Fletchers seine Kritik des Othello übertrifft. Es tritt in jener ersten Schrift viel mehr zu Tage, daß es unserm Kritiker vor allem auf die großen und allgemeinen Fragen der tragischen Poesie ankommt, und gerade diese prinzipielle Stellung ist es ja, welche Rymer als Kritiker Bedeutung verleiht. Die Kritik des Othello ist viel weniger prinzipiell und gedankenreich. Aber der Stoff sichert ihr das Interesse der Nachwelt. Beaumont und Fletcher sind doch immerhin Dichter zweiten Ranges Kotzebues plus Poesie, wie Coleridge sie einmal genannt hat und die Anteilnahme, die wir ihrem literarischen Schicksal entgegenbringen, kann nie die Stärke erreichen, mit der wir Shakespeares Fortleben in der Geschichte der Literatur und der Kritik zu erkennen bestrebt sind. Wenn man sich indes bemüht, vom Stoff abzusehen und Rymers Short View nur nach solchen Gesichtspunkten zu beurteilen, die sich aus der Natur der Sache ergeben, so gelangt man zur Ansicht, daß ihr wissenschaftlicher Wert in ihren literaturgeschichtlichen Teilen, nicht in den kritischen zu suchen ist. Für die Kenntnis der Entwicklung der Literaturgeschichtsschreibung sind sie unentbehrlich. Es ist immer behauptet worden, daß Rymer auf literarhistorischem Gebiete im Verhältnis zu seiner Zeit ganz außerordentliche Kenntnisse besitze. Selbst Saintsbury, dem sonst Rymer nicht viel zu sagen hat, erkennt sie ausdrücklich an. Dieses Urteil muß aber eine kleine Modifikation erfahren. Nicht so sehr im eigentlich Literarischen nämlich ist ihre Bedeutung zu suchen; diese beruht vielmehr auf ihrer Verbindung

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