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eine seiner gelegentlichen Herzlosigkeiten anzusehen, zu denen ihn seine zu hohen Anschauungen von der Gemessenheit und Würde der Tragödie verleiten. Die rührenden Bitten der Edith, die in ihrer Todesangst um den Vater Töne leidenschaftlichsten Schmerzes findet, wie sie in gleich natürlicher Beredsamkeit und in gleicher Inbrunst auf dem Gebiet der dramatischen Poesie nicht oft erklungen sind, nennt er mit unübersetzbaren Ausdrücken: waylings, clingings and beseechings; those showers of tears and words . This sort of impor

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tunity“, meint er, is nothing so proper in this place, it might much better become Comedy, where Miss La Fool intercedes for little Dog or Moncky, in peril for some misdemeanor; something more of stomach and courage would have siuted her better. Tragedy requires not what is only Nature, but what is great in Nature, and such thoughts as quality and Court education might inspire" (43), ja er versteigt sich sogar zu dem Ausdruck, ihre Klagen seien endless impertinencies". Und das alles, weil Edith den bittern Kelch bis auf die Hefe leert, und nicht einige Augenblicke vorher sich hoch aufrichtet und dem Tyrannen als Prophetin der Rache entgegentritt.

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Die Judithrolle der Edith findet Rymer unglaublich lächerlich. Nie hat man so deutlich wie hier den Eindruck, daß es ihm auch darauf ankommt, den Dichter in der Meinung des Lesers herabzusetzen; dabei schreckt er selbst vor sachlichen Unrichtigkeiten nicht zurück. Er trägt z. B. einige Worte der Edith willkürlich zusammen und erklärt den Mischmasch für ihre Antwort auf das erste Kompliment des Herzogs. Hierdurch kommt ein Sinn oder ein Unsinn zu stande, den der unbefangene Leser den Dichtern zur Last legt.

Doch es ist nötig, zu dem ernsten Teil der Rymerschen Ausstellung überzugehen.

Er fragt: „Is it likely that a Lady in her circumstances could be sensible what a pretty lisping way he had with him; or could listen to the soft things he spoke, or answer hime so lightly? is not this more like Minx in an Alley, then any Character for Tragedy? There are in Women comical frailties, and heroick frailties; and several considerations might have made her resolution stagger; but this of the tempting tongue is Comedy out of season" (45).

Wenn Rymer mit diesem Grundsatze auch recht hat, so ist das Schwachwerden der Edith dennoch vollständig gerechtfertigt. Rollo nämlich scheint von den heftigsten Reueschmerzen erfüllt zu sein; es ist bei seiner eindrucksfähigen und affektvollen Natur sogar leicht möglich, daß er es wirklich ist. Gegen denjenigen nun, der einem stolz gegenübertritt, ist es leicht, hart und fest zu sein, nicht aber gegen den Bittenden, Weichen, Zerknirschten, an dessen innerliche Umkehr man glaubt. Edith ist entwaffnet, wenn auch nicht gewonnen; sie wäre kein Weib gewesen, wenn sie es abgelehnt hätte, einem reumütigen Verbrecher der Engel zu sein, der ihn auf den Weg der Tugend und der Pflicht zurückführen darf. Demnach ist der Tadel Rymers als unberechtigt abzulehnen. Es mag hervorgehoben werden, daß dieses Urteil über Edith sich nicht auf eine bestimmte theoretische Ansicht stützt, die man eindeutig nachweisen könnte; Rymer kritisiert nach dem Gefühl.

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In Bezug auf den dritten und vierten der aristotelischen Bestandteile der Tragödie, Gedanken und Diktion, faßt sich Rymer kurz. Er notiert im Verlauf der Besprechung einige Nachlässigkeiten Häufungen derselben Worte - mit der unbilligen Absicht zu ironisieren. In den eigentlichen, der Erörterung dieser Frage gewidmeten Abschnitten, führt er als Beispiel einer Schreibweise, wie sie nicht sein soll, ein Shakespearisch

anmutendes kraftvolles Gleichnis an, das Latorch in der Überredungsszene des zweiten Aktes ausspricht.

Auch hier ertappen wir Rymer auf einem sinnentstellenden Zitat, das bei einiger Anteilnahme leicht hätte vermieden werden können.

Eine längere Betrachtung knüpft er an die Rede der Herzogin-Mutter in der großen Versöhnungsszene, worin diese sich gegen den Plan einer Reichsteilung wendet.

Bei Herodion äußert die Mutter der streitenden Brüder den Gedanken, daß eine Zerreißung des Reiches in zwei Hälften auch sie in zwei Teile spalten würde. In unserem Stück finden wir dieselbe Vorstellung, aber in leidenschaftlicher Übertreibung. Die Herzogin will in so viel Teile zerrissen werden, als es in der Normandie Dörfer gäbe. Rymers mathematischer Denkweise widerstreitet eine derartige Abweichung vom Original.

Einen damals weit verbreiteten Gedanken äußert er. wenn er die Herzogin deswegen tadelt, weil sie ihrer Leidenschaft und ihrem Schmerz einen zu wortreichen Ausdruck verleihe. An und für sich natürlich berechtigt, wird der Gedanke in der Rymerschen Anwendung falsch. Plötzliche und unvorhergesehene schmerzliche Eindrücke und Ereignisse lassen den Menschen verstummen. Um etwas derartiges handelt es sich hier aber nicht. Das Elend des Vaterlandes ist kein wirklich existierendes, sondern es ist hypothetisch: die Herzogin glaubt, es werde eintreten, wenn die Teilung stattfindet. Die ganze Szene hat überdies nur den Zweck der Überredung. Hier ist Ausführlichkeit und ein Operieren mit gefühlsmäßigen Elementen am Platz.

Die Kritik schließt mit der Konstatierung, daß dieses Stück seinen unbestreitbaren Erfolg nur dem in ihm enthaltenen komischen Element verdanke. We may, I think, conclude the success of this Play due chiefly to

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the Scenes for slaughter, the merry jig under the Gallows, and where the Tragedy tumbles into the Kitchin among the Scoundrels that never saw buskin in their lives before. There the Pantler and Cook give it that relish which renders it one of the most followed entertainments in the Town" (55).

Unser Kritiker befindet sich auch bei der Kritik der übrigen Dramen in derselben Verlegenheit. Den Erfolg dieser Stücke kann er nicht abstreiten; gleichzeitig muß er sich aber auch sagen, daß wenn seine Kunstanschauungen richtig sind. und an diesen kann man

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nun einmal nicht zweifeln so dürften sie niemand gefallen, so wenig wie ihm selber, denn alle Menschen sind jederzeit und überall dieselben. Es bleibt ihm zur Lösung dieses Rätsels nur der eine Ausweg übrig, daß er annimmt, allerhand Nebenumstände hätten das Urteil der Theaterbesucher getrübt.

3. Die Kritik von „A King and no King“.

Garnett und Gosse rechnen in ihrer großen englischen Literaturgeschichte unser Stück unter die bewunderungswürdigsten Erzeugnisse der Beaumont-Fletcherschen Muse. In der Tat hat es viele Verdienste. Seine außerordentliche Bühnenwirksamkeit z. B. kann man schon beim Lesen fühlen; doch handelt es sich im Grunde genommen um Fabel und äußere Handlung erst in zweiter Linie. Das Hauptinteresse ist auf den Charakter des Arbaces. konzentriert, eine Figur, die man nicht so leicht wieder vergiẞt. Das Drama basiert vollständig auf ihm. Man merkt, daß die Dichter ein Experiment beabsichtigten, als sie die Richtlinien dieser Gestalt entwarfen; sie wollten einen Charakter, der sich nur in Widersprüchen äußert, in sich doch einheitlich und widerspruchslos durchführen. Man muß gestehen, daß dieser Versuch im großen und ganzen geglückt ist.

Die klassizistisch äußerliche Auslegung der aristotelischen Kunstlehre kann prinzipiell einem solchen Werk nicht gerecht werden, denn sie faßt das Drama als Nachahmung einer Handlung, und nicht als Nachahmung von Charakteren. Diese sind daher an zweite Stelle gerückt und dürfen nie so weit hervortreten, daß sie die Aufmerksamkeit mehr als die Handlung erregen könnten. Nach dieser Anschauung ist die Komödie die Kunstform, in der das Schwergewicht auf die Entwicklung von Charakteren gelegt werden muß. Da aber Rymer mit Recht sich darüber keinem Zweifel hingibt, daß „A King and no King" den Anspruch darauf erhebt, als Tragödie gewertet zu werden, so sucht er vor allem nach einer wohlgeordneten Fabel mit einem tiefen moralischen Sinn. Die wenigen äußeren Tatsachen reiht er nebeneinander und ist überrascht, daß ein verhältnismäßig einfaches Gebilde dabei herauskommt. Aber er findet doch keinen Anlaß zu loben: „In this Fable appears some proportion, shape, and (at the first sight) an outside fair enough, yet at the bottom we hardly find what is more choice, or more exquisite and more perfect than History" (57).

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Er will damit sagen, daß das Stück vor allem deshalb fehlerhaft sei, weil es keine tiefere moralische Wahrheit zum Ausdruck bringe. Nach dem Schicksal der Arane, so meint er, könne man das Stück „the Deceiver Deceiv'd", nennen, und mit Rücksicht auf Arbaces könnte sein Titel „The fortunate Imposter", „The lucky Sham", oder ähnlich lauten. Beides zeige aber, daß das Drama gegen die gute Lehre (good sense) verstoße, welche die Tragödie erfordere.

Rymer nimmt sich die Mühe, mit einigen kurzen Strichen anzudeuten, durch welche Veränderungen der Stoff fähig geworden wäre, das gerechte Walten der Vorsehung zu veranschaulichen. Wie in dem Fall des Rollo

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