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auf alle Solche angewendet zu werden pflegt, welche von festen Principien aus, unbeirrt durch alle Verlockungen oder Anfechtungen, Schlagworte und Sophismen, geraden Weges auf das Ziel losgehen, welches sie für das rechte erachten. Im Uebrigen sind mir die Gothiker, deren ich nicht wenige auf meinem Lebensgange begegnet habe, durchweg als frische kräftige Naturen vorgekommen, die, weit entfernt auf Inquisitionstribunale oder Scheiterhaufen für die Kunstkezer zu sinnen, sich mit ihren Gegnern wacker herumboren und über deren Schöpfungen sich weidlich lustig machen. Keinesfalls aber ist jemals den Verfechtern der Gothik die vorgedachte Doktrin in den Sinn gekommen. Allerdings sind sie nicht der Ansicht des Einsenders in Heft 6 (den ich fernerhin, um der Kürze willen, einfach mit X zu bezeichnen mir erlaube), daß der in der Kirche stets lebendig fortwirkende Geist“ eine vollgültige Bürgschaft für das Blühen der kirchlichen Kunst darbiete; sie halten vielmehr dafür, daß es auch auf diesem Gebiete auf und nieder gehe, je nach dem Geiste welcher eine Zeit und die jeweiligen Künstler belebt. So zum Beispiel meinen sie, daß wie glänzend die gothische Sainte chapelle des heiligen Ludwig den in der Kirche lebenden Geist zurückstrahle, ebenso entschieden die von Ludwig dem Vierzehnten in Versailles errichtete Palastkapelle denselben verläugne; sie meinen, daß durch die Mißhandlungen der Kunstdenkmäler der Vorzeit sowohl, als durch die Neubauten und Restaurationen während der letzten Jahrhunderte, handgreiflich dargethan sei, wie gar leicht jenem Geiste die „congruente Ausgestaltung“ abhanden kommen kann, und sie glauben den Schluß daraus ziehen zu dürfen, daß ohne Unterlaß das Falsche als solches gekennzeichnet, und auf die richtigen Principien hingewiesen werden müsse, so lange wenigstens bis lettere wieder zu allgemeiner Anerkennung gelangt sind. Wenn, ihres Erachtens, diese Principien in der Periode der aufblühenden Gothik den klarsten und präcisesten Ausdruck gefunden haben, so fällt ihnen darum doch nicht ein, die

Meister des 14. und des 15. Jahrhunderts gering zu schäßen; ja selbst die ausgeartetsten Werke des 16. Jahrhunderts stehen in ihren Augen immer noch höher, als Alles was später der Classicismus auf dem Gebiete der kirchlichen Kunst geschaffen hat; nur halten sie es, in Anbetracht der modernen ästhetischen Verkommenheit, für überaus räthlich, daß die Praktiker sich zunächst an den einfacheren Mustern der Frühgothik zu orientiren und auszubilden, mit den construktiven Grundelementen, dem Generalbasse des gothischen Styles, innig vertraut zu machen suchen.

Das ist im Wesentlichen nicht bloß meine persönliche Ansicht, sondern auch die der hervorragendsten Förderer der christlich - germanischen Kunstweise, deren Gesammtheit kein billig Denkender für die etwaigen Ercentrizitäten einzelner Heißsporne im gothischen Lager wird verantwortlich machen wollen.

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Doch, wozu das Alles meinem Widerpart gegenüber, der ja die für ihn so tröstliche Ueberzeugung hegt, daß „der gothische Sturm glücklich vorüber" sei? Selbst den Besten unter den Gothikern so läßt er sich vernehmen sei es zu arg geworden über den Produkten, welche ihre exclusiven Lobpreisungen der Gothik im Gefolge gehabt; die Geister, welche sie gerufen, hätten sie nicht mehr los werden gekonnt; erschöpft und entmuthigt ließen sie die Hände sinken, oder reichten dieselben gar den bis dahin von ihnen Befehdeten zum Freundschaftsbunde dar.

Es mag seyn, daß mein Blick in den Gesichtskreis, welchen der also sich Tröstende vor Augen hat, nicht reicht; jedenfalls kann ich ihm aus voller Ueberzeugung die Versicherung ertheilen, daß innerhalb meines Horizontes der "gothische Sturm" nicht bloß nicht vorüber, daß er vielmehr in stetem Wachsen begriffen ist, daß er sogar das normale Alltagswetter werden zu sollen scheint. Freilich ist es nur allzu wahr, daß in nicht wenig Kirchen „die schwächlichsten gothisch seyn sollenden Möbel und Fabrikate“ eingedrungen

sind, daß „hölzerne Spizbogen, schwindsüchtige Fialen und Knäufchen, unverstandene Nachahmungen älterer Muster“ und Vieles sonst noch darin sich breit macht, was „höchstens nur den blöden Blick des Nichtkenners zu täuschen vermag"; allein Herr X ist von einem kaum begreiflichen Irrthum befangen, wenn er glaubt, diese Erscheinungen seien durch die Lobpreisungen der Gothik seitens der Bewunderer und Kenner derselben hervorgerufen. Oder können vielleicht vernünftige Creaturen etwas dafür, wenn unvernünftige Affen sich wie sie zu geberden suchen? Als Augustus Welby Pugin, einer der ersten und eifrigsten Wiedererwecker der Gothik, im Jahre 1841 seine,,Contrasts" und seine „True principles" schrieb, war jene Aftergothik längst schon im Schwunge und bildete einen Hauptzielpunkt seiner Satire, wie ein Blick auf die Abbildungen der leztgedachten Schrift (S. 23-25 und 41) ergibt, obgleich solches gothische Pfuschwerk doch wenigstens einen guten Willen verräth und überdieß großentheils das akademische der Neuheiden und Eklektiker in den Schatten stellt. Wenn, troß alles Eiferns dagegen und aller Belehrung, auch heute noch vielfach Pseudogothiker ihr Unwesen neben Denjenigen forttreiben welche, über jedwede gothische Anwandlung erhaben, die Gotteshäuser mit bekleideten Puppen, Wachsfiguren in magischer Beleuchtung, Papierblumen, Gips-, Back-, Zink- und Gußeisen-Werk ausstatten, so liegt die Schuld wahrlich nicht an den Lobrednern der Gothik. Sie liegt einestheils an den Hütern des Heiligthums, die ihr Ohr gegen deren Reden verschließen, weil der principlose Schlendrian, das Schwimmen mit der Tagesmode, weit bequemer ist, anderntheils daran, daß zufolge des in antigothischem Sinne geübten Staatsmonopoles Meister der Gothik stets durch den härtesten Boden wachsen müssen. In England, wo dieses Monopol nicht besteht, zählt man bereits solche Meister zu Hunderten, und die Pfuscher verschwinden vor ihnen mehr und mehr, wie denn auch der Berichterstatter über die Pariser Ausstellung in diesen Blättern (Bd. 60,

S. 318) constatirt hat, daß eine allgemeine bessere Wendung des englischen Kunsthandwerks durch die Rückkehr zu den Formen des Mittelalters sich zeige und daß die Arbeiten im Style des 12. und 13. Jahrhunderts ganz gewaltig zu ihren Gunsten von den anderen Erzeugnissen abstechen, daß überhaupt in England das Studium der Kunst des Mittelalters allgemeiner und emsiger betrieben werde, als in manchen katholischen Ländern ein Urtheil welchem ich, auf Grund eigener Anschauung, in vollstem Maße beistimme. Ich habe England zu drei verschiedenen malen, zuletzt in der allerjüngsten Zeit bereist, und kann versichern, daß das praktische Verständniß wie die Uebung der mittelalterlichen Kunstweise dort mit Riesenschritten voraneilt. Aber auch auf unserem Continente ist die Gothik, und zwar die ächte und rechte, trot so vieler künstlichen Hindernisse, in siegreichem Vordringen begriffen. Herr X möge nur einmal beispielsweise bei den Meistern sich erkundigen, die grundsäglich bloß im Style des Mittelalters arbeiten, und er wird sich der Ueberzeugung schwerlich verschließen können, daß sein Trostgedanke, mit der gothischen Bewegung sei es vorüber, auf mehr als losem Gründe ruht, daß er mit Einem Worte in einem Wahnglauben, einer Jülusion befangen ist. Die Selbsttäuschung erscheint sogar so stark, daß man fast auf den Gedanken kommen könnte, der im Uebrigen so geistreiche Mann habe mit den Gothikern nur ein neckisches Spiel treiben wollen. Für diesen Fall bin ich ihm das Zeugniß schuldig, daß er seine Sache recht gut gemacht hat. Sollte er aber im Ernste gesprochen haben und das von ihm Gesagte meinem Widerspruche gegenüber aufrecht erhalten wollen, so stehe ich gerne weiter zu Diensten, vorausgefeßt daß er sich vorerst dazu versteht, seine sehr allgemeinen vagen Behauptungen durch Namen und Citate, überhaupt durch Thatsachen zu belegen. Dr. A. Reichensperger.

XLVII.

Der neue badische Kirchenstreit.

(Officielle Aktenstücke über die Kirchen- und Schulfrage in Baden *).

Schon im April 1860 verkündete die zur Herrschaft ge= kommene Durlacher Partei in ihrem Moniteur, der „Badischen Landeszeitung", offen ihren antikatholischen Absolutismus, ihr byzantinisches System. „Die Hoheit des Staats ist absolut. Die Kirche hat keine Rechte. Alles Recht ist nur weltlich. Der Staat kann innerhalb seines Gebiets eine fremde, von ihm unabhängige Macht nicht dulden." Dieses Programm ist lediglich der verständliche Ausdruck, die Ueberseßung des gleichzeitigen officiellen Programms. Diese Sorte von „Liberalen" versteht es ja trefflich den Talleyrand'schen Saß auszubeuten: „die Sprache sei dazu da, die Gedanken zu verbergen." Wenn officiell die Selbstständigkeit der Kirche verheißen wurde, so ist das liberales Diplomatenlatein. Der „moderne liberale Staat" will den Katholiken gegenüber einfach das cujus regio illius religio ausüben. Die nachstehenden Thatsachen werden dieß beweisen.

Die Presse der seit 1860 herrschenden antikatholischen Partei, ja sogar die „Karlsruher Zeitung" suchte zuerst eine

*) Bei Herder in Freiburg. 1867. 82 Seiten. 8.

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