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zeigt er nirgends eine Polemik noch eine feindliche Tendenz gegen die katholische Kirche, wie sie damals bei den Protestanten in England doch sonst so allgemein vorkam im Leben, in der Literatur und auf der Schaubühne. Im Gegentheil, er zeigt für katholische Einrichtungen und Charaktere eine unverkennbare Sympathie. Jene Unterlassung der Polemik und diese Zeichen von Sympathie müssen in Anbetracht der damaligen Zeitverhältnisse als eine höchst bemerkenswerthe Erscheinung gelten. Dazu kommt, daß er an einzelnen Stellen eine Kenntniß von Partikularitäten des katholischen Cultus beweist, wie sie von einem als Protestant gebornen und erzogenen englischen Dichter der damaligen Zeit nicht zu erwarten ist. Alles dieses, in Verbindung mit einer ausdrücklichen Nachricht „daß er als Papist gestorben sei“, welche Davies, ein englischer Geistlicher gegen Ende des 17. Jahrhunderts gibt, findet seine natürlichste und fast allein zulässige Erklärung darin, wenn wir annehmen, daß Shakespeare, wenn auch vielleicht in einzelnen Perioden seines Lebens dem religiösen Leben überhaupt entfremdet, und durch die äußern Verhältnisse gezwungen der anglikanischen Confession sich anzuschließen, dennoch die frühern katholischen Jugendeindrücke bewahrte, sie in seiner spätern Zeit auf's neue pflegte und so im Wesentlichen der Religion, in welcher er geboren und erzogen war, in seinem Innern zugewendet blieb. So, mit dieser nähern Bestimmung und Beschränkung, kann William Shakespeare als ein Mitglied der katholischen Kirche angesehen werden.

Das Werk des französischen Gelehrten Nio hat, wenn es auch in einzelnen Punkten Berichtigungen und gegründete Einwendungen zuläßt, im Ganzen das höchst anerkennenswerthe Verdienst, zur Erörterung dieser Frage über das Verhältniß Shakespeare's zur katholischen Kirche eine neue fruchtbare Anregung und vielfältige Belehrung gegeben zu haben.

XL.

Zur Geschichte der Philosophie.

II. Grundriß der Geschichte der Philosophie von Dr. Erdmann. Zweiter Band: Philosophie der Neuzeit. Berlin, Herß 1866. 812 Seiten.

Etwas über dreizehnhundert Namen von Philosophen und philosophischen Schriftstellern verzeichnet das dem vorliegenden Bande beigefügte Namen-Register, eine wahrhaft erschreckliche Anzahl, falls es etwa einem modernen Raphael einfiele sie alle auf einem Stück Leinwand zusammenzustellen. Dem Verfasser des Grundrisses ist die nicht leichte Arbeit größtentheils vortrefflich gelungen. Das ganze stattliche Heer der Philosophen und Denker steht in wenigen Hauptgruppen vor uns; etwa um ein Duzend seiner Hauptführer geschaart. Rings um sie im Vorder- und Hintergrunde sind die Helden zweiten und dritten Ranges. Auch die Schildknappen der lettern und sonstiger Troß fehlt nicht; Alles an seinem Platz, wenn auch nur mit ein paar derben Strichen grau in grau gemalt. Der zweite Band umfaßt den dritten Theil der Geschichte der Philosophie, nämlich die Philosophie der Neuzeit. Der erste Band hat, wie wir seinerzeit besprochen (Bd. 58, S. 73 ff.), die alte und mittelalterliche Philosophie zum Gegenstand.

Was Erdmann unter der Philosophie der Neuzeit meint, gibt er nicht ganz undeutlich damit zu verstehen, daß er Descartes als den ersten und Hegel als den lezten der Philosophen schildert. Die philosophischen Erscheinungen nach Hegel faßt er als Anhang unter dem Titel: „Die deutsche Philosophie seit Hegels Tode" zusammen (S. 619-798). Das ist ihm nun freilich von manchem seiner philosophischen Zeitgenossen gar bitter vermerkt worden, daß er seine denkenden Collegen so kurz abgethan, ja daß er hie und da Einen, vielleicht nicht ohne Absicht, ganz vergessen hat. In dem Vorwort gesteht es der Verfasser ganz ehrlich und offen, daß ihm diese lezte Partie die meiste Arbeit gemacht, und mit Recht ruft er darum jedem Tadler zu: Mach's besser! Manche wirklich nennenswerthe Erscheinung der neuesten Philosophie, besonders der englischen und französischen, zu dem überaus reichen Stoffe Erdmanns noch beizufügen dürfte für Männer vom Fach nicht allzu schwer seyn, wohl aber das Bessermachen im Ganzen. Nicht mit Unrecht hat schon eine auch sonst gut getroffene Kritik des Erdmann'schen Werkes bemerkt, daß die philosophischen Schriftsteller der Neuzeit auf katholischer Seite sehr kärglich bedacht sind.

Doch nehmen wir uns einmal das Buch zur Hand, und sehen wir wie reich und trefflich geordnet die in demselben behandelten Materialien sind. Die Einleitung mag vielleicht der Leser am füglichsten überblättern, weil in ihr Urtheile und Säge ausgesprochen sind, die so allgemein schematisch, so abstrakt, ja fast nebelhaft sind, daß es schwer seyn wird diese kühnen Wolkenbilder auf die harte Wirklichkeit anzupassen. Es hieße wohl mit der Stange in den Nebel fahren, wollten wir die großen Worte“ über den Geist des Protestantismus S. 5 und sein Verhältniß zur katholischen Kirche etwas näher besprechen. Wir citiren nur die Schlußworte des Abschnittes: „Daß Luther heirathet und einen Hausstand gründet, ist der kühnste Protest gegen die Mönchsgelübde und eine seiner größten reformatorischen Thaten.“ Ich gestehe

offen, daß ich den Sah zweimal gelesen um sicher zu seyn, ob nicht was bei Erdmann nicht selten der Fall ist der Schalk dahinter steckt. Damit nicht dem einen oder andern von den katholischen Lesern dieser Blätter dasselbe begegne, sei gleich hier bemerkt, daß dieser Sah ganz im Ernste gemeint ist. Wenigstens für die Geschichte der Philosophie meine ich, sei diese „größte reformatorische That“ Luthers, seine Heirath nämlich, nicht ganz von derselben Tragweite wie das Cogito ergo sum des Katholiken René Descartes, des Zöglings der Jesuiten, der sogar eine Wallfahrt nach Loretto macht, weil er dieselbe der heil. Jungfrau gelobt um Licht und Einsicht in seinen Zweifeln zu erhalten. Das Schema Erdmanns, daß der Geist der Neuzeit Protestantismus heiße (S. 6), wird also schon von dem Vater der neuen Philosophie der das Princip des Protestirens auf philosophischem Boden ausgesprochen, ohne deßhalb gegen die Kirche loszuschlagen, etwas schadhaft und durchlöchert. Doch jezt zur Sache!

Es handelt sich in einem Werke, das den Titel Grundriß trägt, nicht um historische und dogmatische Details, sondern darum, dem Leser im Ganzen ein treffendes und sachgemäßes Bild sei es einer ganzen Zeitrichtung, sei es des einzelnen Philosophen in dem dieselbe ihren Repräsentanten hat, zu geben. Dazu ist nicht nur die Meisterschaft über den Stoff, sondern fast noch mehr die Meisterschaft in der Form der Darstellung nothwendig. Beides hat unser Autor als philosophischer Schriftsteller in seiner Macht, wie nicht leicht ein Anderer. In kurzen und klaren Umrissen zeichnet er das Leben, Lernen und Ningen eines Cartesius (S. 8 ff.), daß es dem Leser klar wird, wie dieser Geist die ganz eigenthümliche Stellung philosophischen Denkens erreicht hat. An solchen Männern zeigt sich nicht bloß wie an einem Thermometer die Temperatur, sondern die signatura der Zeit. Alle geistigen Strömungen aus allen Richtungen drängen sich in ihm zusammen. Vielseitig ist sein Studium, vielbewegt sein

Leben, vielseitig seine wissenschaftliche Produktivität. Erdmann verzeichnet die reiche Geisteserndte die aus dieser Saat sproßte und reifte, ganz treffend. Ebenso wie die Werke sind auch die Hauptlehren richtig gegeben (S. 11 — 29), so daß auch dem Unkundigen ein ziemlich deutliches Bild dessen vor Augen tritt, was man Philosophie des Cartesius nennt.

Noch heute wird der Grundsaß des Cartesius, daß man an Allem zweifeln müsse (de omnibus dubitandum) nicht selten mißverstanden. Es ist dieses Axiom bei Cartesius nichts Anderes als eine Radikalkur seiner in den Skepticismus verfallenen Zeit; diesen seinen Zeitgeist packt er damit und wirst ihn in den Abgrund des eigenen Princips, fordert den Zweifel auf vor Allem an sich selbst zu zweifeln. Nicht im skeptischen Interesse als Endziel sondern als das Mittel, um aus dem Schlamme des Skepticismus heraus zum Ziele der Wahrheit zu führen, appellirt er an den Protest gegen alles Giltige, also nothwendig auch gegen das was den Schülern eines Montaigne und Charron dogmatisch fest stand, nämlich der Skepticismus selber. Durch die Erfüllung jenes Postulates wird der Boden geebnet auf dem das neue Gebäude errichtet werden soll. Aber mehr noch wird erreicht, denn es zeigt sich, daß „der methodische Zweifel“, wie die Cartesianer dieses absolute Infragestellen nannten, auch das Material zum Neubau gibt: führe ich nämlich den Zweifel noch soweit durch, so bleibt immer Eines unerschütterlich stehen, ja es wird je mehr ich zweifle, um so gewisser, nämlich dieß: daß Jch, der ich zweifle, bin (Med. II.). Unter dem Ich aber, welches so unerschütterlich gewiß bleibt, ist natürlich nur das Ich zu verstehen welches zweifelt und insoferne es zweifelt oder aber, da Zweifeln nur eine Form und Weise des Denkens ist, welches denkt. Da haben wir die Genesis jenes vielbesprochenen Cogito ergo sum, welches als das Princip und der Ausgangspunkt der gesammten neueren Philosophie gilt. Wohlgemerkt in dieser Form als Ausgangspunkt der Methode ist das Cogito des Cartesius neu,

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