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stände hältst Du mir verschiedene Einwürfe entgegen. Wer arbeiten wolle, sagst Du, der könne, mit fast verschwindenden Ausnahmen, auch lohnende Arbeit finden; das Sinken des Geldwerthes schädige nicht den Arbeiter, denn wenn die Bedürfnisse theurer werden, so werden die Löhne höher, wie man dieses sehen könne in den verschiedenen Theilen eines jeden nicht allzu kleinen Landes. Ferner sagst Du: für die gleiche oder entsprechende Summe Geldes sei heutzutage viel mehr zu haben als früher, und der ärmere Mann könne viel besser leben als in früherer Zeit. Am Ende meinst Du, seien sowohl durch Zusammenwirken der Aermeren, als durch die Beiträge der Wohlhabenden allerlei schöne Anstalten gegründet, welche auch die Arbeitsunfähigen in bitterer Noth nicht umkommen lassen.

Gestatte mir einige Worte der Erwiderung.

Das Sinken des Geldwerthes hat vor allem andern seine Ursache in der fabelhaften Vermehrung papierner Zahlungsmittel, und diese ist wohl ein sehr zweifelhaftes Glück für die Gesellschaft. In großer Anzahl müssen alle jene Leute welche von unveränderlichen Renten leben, sich einschränken, und was diese sich versagen, das wird größtentheils der Landwirthschaft und den kleinen Gewerben ents zogen. Das behagliche Leben eines bescheidenen Wohlstandes Vieler wird nimmer ersetzt durch den größern Aufwand der wenigen Reichen. Es wäre sehr die Frage, ob das was durch das Sinken des Geldwerthes an wirklichem Wohlstand verloren geht, nicht von der Papierwirthschaft verschlungen, mittelbar Jenen zufällt welche die Papiere ausgeben und umtreiben. Siehst Du, mein Freund, eine günstige Wirkung darin, daß der kleine Mann jezt viel größere Summen Geldes in Händen hat, ohne damit mehr ausrichten zu können? Glaubst Du nicht, daß der Sinn für Sparsamkeit abnimmt wenn dieser kleine Mann das Geld niedriger schätzt?

Sicherlich gestattet die Entwickelung der Industrie auch dem ärmeren Manne gewisse Annehmlichkeiten des Lebens,

welche früher nur der Wohlhabende sich zu verschaffen vermochte. Männer und Frauen, die früher sich mit schlechten Stoffen bedeckten, gehen jezt in guten Kleidern; in der Wohnung des kleinen auch sparsamen Handwerkers erscheint ein bescheidener Comfort, selbst die Kammer des besiglosen ehrbaren Arbeiters entbehrt nicht einer gewissen zierlichen Neinlichkeit. Wer wird sich darüber nicht freuen? Frägt man aber solche die mit diesen Leuten in genauer Berührung sind, so, sagen sie, daß gerade die Wohlfeilheit der Lurusartikel die Puzliebe und die Genußsucht erwecke und fördere, daß be= sonders bei Frauen und Mädchen immer größere Wünsche und Ansprüche entstehen, und die Befriedigung derselben nicht eben der Sittlichkeit nüße. Daß auch in den untern Classen eine gewisse Weichlichkeit erzeugt werde, das wirst Du nicht läugnen. Siehe die jungen Leute an, wie bei mäßiger Kälte sie in Ueberwürfe sich stecken und Kopf und Schultern in Plaids einhüllen. Haben wir in unsern Kinderjahren solches gesehen? Als auch die reichen Bauern in ihren selbstge= machten guten Zwilchröcken gingen, da gab es viel kräftigere Männer im Volke und vielleicht auch schönere Frauen.

Es ist gewiß, daß durch mancherlei Anstalten viel Gutes bewirkt wird und daß noch mehr bewirkt werden könnte, wenn sie alle auf wirkliche und wahre Gegenseitigkeit gegründet und theilweise nicht eingerichtet wären um gewissen Leuten größern und kleinern Gewinn oder Verdienst zuzuwenden. Die große Mildthätigkeit aller Classen ist eine der schönsten, vielleicht die schönste Erscheinung unserer Zeit. Reiche Leute geben oft sehr bedeutende Summen; und ohne diese Spenden wären manche Anstalten die jetzt viel Elend lindern, nicht möglich. Liegt dieser Wohlthätigkeit auch oft eine gewisse Berechnung zu Grunde, so ist es eine Berechnung der besseren Art und wir dürfen darüber nicht rechten. Man wirst diesen Anstalten vor, daß sie ihre Wohlthaten nicht immer auf die rechte Art spenden, daß Unkenntniß und Protektion sehr oft die Organe derselben bestimme, daß häufig die

Schlauen und Zudringlichen am meisten bedacht werden, zum Nachtheil derer die wahrhaft würdig sind und der Hülfe bedürftig. Gewiß sind diese Vorwürfe mindestens übertrieben und am Ende zeigt alles Menschliche eben auch menschliche Schwächen. Die Wohlthätigkeit wird aber nicht nur von Reichen und Vermöglichen geübt. Siehe nach in den Listen und Du wirst finden, wie groß der Betrag der Gaben ist, welche die Aermeren und die Armen zu einem guten Werke beisteuern. Man hebt wohl auch hervor, daß die modernen Wohlthätigkeitsanstalten die persönliche Mildthätigkeit ausschließen, und daß die Mildthätigkeit unserer Zeit nicht mehr die christliche caritas sei. Man hat Unrecht, denn unendlich viel Gutes geschieht still und geheim, und für jede öffentliche Wohlthätigkeit ist die Vereinigung der Mittel wenn nicht eine Forderung, doch ein Gewinn.

Und nun, mein Freund, halte dem alten Soldaten eine Bemerkung zu gut, die er eben nicht zu unterdrücken vermag. Wenn der Arme von seiner Nothdurft weit mehr als der Reiche von seinem Ueberfluß abgibt; wenn in Deutschland, in Frankeich, in England, wenn in allen europäischen Ländern vornehme Damen aus dem Leben ihrer Ueppigkeit heraustreten, das Elend aufsuchen und Trost und Hülfe bringen in die dumpfen Hütten der Armen; wenn viele von diesen Damen, im Reichthum erzogen, an dessen Genüsse gewöhnt, plötzlich Allem entsagen, mit einem rauhen Ordenskleid alle Entbehrungen auf sich nehmen, allen Ekel überwinden und schmußige Arbeiten verrichten, um arme Kranke zu pflegen worin liegt für diese Selbstverläugnung der Beweggrund, woher kömmt die Kraft? Eitelkeit, Mode, eine gewisse sentimentale Ueberspannung und mancherlei Einflüsse mögen vieles bewirken, im Allgemeinen aber kannst Du in dieser Wohlthätigkeit nur die Werkthätigkeit des religiösen Gemüthes verehren. Die christliche Barmherzigkeit kann freilich die allgemeine Krankheit der Gesellschaft nicht heben, immer aber ist sie ein erfreuliches Zeichen dafür,

daß stets und überall noch gesunde Keime des Guten bestehen.

Soll ich wiederholen, daß der gepriesene Wohlstand auf keiner festen Grundlage steht, daß all unsere Zustände großen Schwankungen unterworfen sind, daß die schönsten Besize schnell entwerthet, daß reiche Leute schnell arm werden können. Wenn gewisse Staaten die Zinsen ihrer Papiere herabsehen, so sind viele wohlhabende Leute nahezu Bettler geworden. Wir haben schon manche Krisen erlebt welche uns die Unsicherheit unserer Zustände hätten zeigen sollen. Eine Börsenrevolution wäre der Umsturz des künstlichen Gebäudes, und vielleicht bedürfte es nicht einmal ungeheurer Ereignisse, um eine solche hervorzurufen.

Noch könnte ich gar mancherlei anführen aber ich denke, es sei vorerst genug. Fasse jezt alle die Zustände die ich angedeutet, zusammen und läugne, wenn Du kannst, die Krankheit der hochgepriesenen modernen Gesellschaft. Haft Du aber diese zugestanden, so mußt Du schon bekennen, daß die Heilung, aus sich selber nicht möglich, nur durch große Erschütterungen bewirkt werden kann.

Ob die staatlichen Zustände besser als die gesellschaftlichen sind, das wird die Fortseßung meiner Betrachtungen erörtern.

Von Herzen

Dein N. N.

XXXII.

Zur neuern Literaturgeschichte.

I. Briefe von und an Klopstock. Ein Beitrag zur LiteraturGeschichte seiner Zeit. Mit erläuternden Anmerkungen herausgegeben von J. M. Lappenberg. Braunschweig 1867.

Das vorliegende Buch ist ein Werk patriotischer Pietät, ausgeführt von einem angesehenen Sohne derselben Stadt, welche auch dem Messiassänger zur zweiten Heimath_ge= worden. Wie die Vorrede besagt, ist die Sammlung dieses Briefwechsels die letzte literarische Arbeit des Hamburger Historikers Lappenberg eine Arbeit vieljähriger Emsigkeit, der man die liebevolle Sorgfalt des Lokalpatriotismus ansieht, deren Herausgabe der Forscher jedoch nicht mehr ers lebte. Der gelehrte Sammler machte sich die Zusammenfassung alles dessen zur Aufgabe, was nicht schon in früheren Sammlungen Klopstock'scher Briefe seine Stelle gefunden hatte. Demnach enthält das Buch der Mehrzahl nach ungedruckte Briefe, über deren Fundort genauer Nachweis geliefert wird, und außerdem nur die in Zeitschriften und entlegenen Werken zerstreuten Bruchstücke Klopstock'scher Correspondenz. Troßdem ergab sich die stattliche Zahl von 227 Briefen, welche in ihrer Reihenfolge den Zeitraum eines halben Jahrhunderts, vom J. 1747 bis 1802 füllen.

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