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(Troublesome raigne) vorgenommen habe, beruhen lediglich auf ästhetischen Motiven und seien ganz außerhalb des confessionellen Kreises. Ein solches ästhetisches Motiv könnte obgewaltet haben bei der Weglassung der Scene mit den Mönchen und Nonnen. Bei der Ersehung der VergiftungsScene mit einer kurzen Erwähnung ist sogar ein theatralischer Effekt aufgeopfert worden. Aber wie kann man die Abänderungen und Auslassungen des ältern Stückes, welche lediglich auf das weltliche Supremat sich beziehen, aus ästhetischen Motiven erklären? So streicht Shakespeare die Prophezeiung im Munde König Johanns (IV. Aft 2. Sc.):

Zu sündhaft bist du, um der Mann zu seyn,
Den Papst und seine Herrschaft hier zu stürzen;
Allein auf diesem Stuhl, sagt mir mein Geist,
Herrscht einst ein König, der sie niederreißt.

Ebenso ist dieselbe noch stärker ausgedrückte Vorhersagung des Königs Johann kurz vor seinem Tode gestrichen (V. Aft 3. Sc.):

Seit sich Johann dem Priester Roms ergab,
Hat er, die Seinigen kein Glück auf Erden;
Fluch ist sein Segen, Segen nur sein Fluch.
Doch wenn mein sterbend Herz mich nicht betrügt,
Entsprießt ein Königszweig aus diesen Lenden,
Deß Waffen rühren an die Thore Roms,
Deß Fuß den Stolz der Hure niedertritt,

Die auf dem Stuhle sigt von Babylon.

Ferner sind ausgelassen bei Shakespeare die Worte, welche in dem ältern Stücke Faulconbridge zu den vom König Johann abfallenden englischen Lords spricht (IV. Aft 3. Sc.):

Und darf ein Papst, ein Pfaff, ein Mann des Stolzes
Das Leben feil rechtmäß'ger Könige bieten?

Jedweder der für euern Glauben stirbt,

Verkauft die Seele ewig währ'nder Pein.

Deßgleichen ist von Shakespeare gestrichen ein längerer starker Ausfall gegen den Papst (UI. Akt 3. Sc.), welcher mit den Worten schließt:

Weh daß die Könige vergang'ner Zeiten
Blind andächtig dem Stuhle Roms ergeben,
Sich so in tausendfache Schande stürzten!

Ferner die Aenderung der Stelle II. Att 3. Sc. des ältern Stückes, wo die geistliche Suprematie des Königs von England auf das bestimmteste und stärkste betont wird:

„Kein italien'scher Priester soll je aus England Zehnten, Zoll, noch Abgaben erheben, sondern wie ich König bin, so will ich nur unter Gott regieren, Oberhaupt im Geistlichen und Weltlichen.”

Dafür steht in Shakespeare's Stück (III. Aft 1. Sc.) viel limitirter, nur auf das Zeitliche beschränkt:

Füg dieß hinzu noch, daß kein welscher Priester

In unserm Reich verzehnten soll und zinsen.
Wie nächst dem Himmel wir das höchste Haupt,
So wollen wir auch diese Oberhoheit
Nächst ihm allein verwalten.

Diese Auslassungen und Abänderungen haben gewiß kein ästhetisches Motiv, sondern offenbar die Tendenz die protestantische Polemik gegen die katholische Kirche möglichst zu beseitigen und zu mildern.

Nur eine Stelle bleibt in dem Shakespeare'schen Stücke noch übrig, welche auf den ersten Anblick mit dieser Tendenz in Widerspruch zu stehen scheint, und von welcher auch der Recensent Nio's in der Edinburgh Review nach dem Vorgange eines andern englischen Kritikers *) sagt: diese Stelle könne kein Katholik geschrieben haben. Es sind Worte die nicht dem Könige Johann oder dem Bastard Faulconbridge in den Mund gelegt werden, zu deren Charakteristik Feindseligkeit gegen das Papstthum und die katholische Kirche gehört, sondern dem Cardinal Pandulpho, dem Legaten des Papstes, da wo er dem König Johann die Ercommunikation verkündigt (Aft II. Sc. 1):

Jede Hand soll man verdienstlich heißen,
Kanonifiren und gleich Heil'gen ehren,
Die durch geheime Mittel aus dem Weg
Dein feindlich Leben räumt.

*) Hunter Illustrations of Shakespeare. Vol. II. p. 14.

Diese Aufforderung zum Meuchelmord in dem Munde eines päpstlichen Legaten sieht allerdings ganz darnach aus, als könne sie nur ein eifriger, selbst fanatischer Protestant geschrieben haben, um die katholische Kirche herabzuwürdigen. Da aber die ganze übrige Haltung des Stückes nicht diese Tendenz zeigt und da Cardinal Pandulpho in dem Stücke Shakespeare's überall sehr würdig und maßvoll auftritt, so glaube ich nicht, daß diese Stelle für sich allein von dem Gewichte seyn kann, welches ihr der englische Recensent beilegt. Diese immerhin sehr auffallende Stelle läßt sich erklären entweder aus einer Art von Versehen, indem Shakespeare diesen Gedanken, der auch in dem ältern Stücke vorkommt, ohne nähere Ueberlegung in seiner neuen Umarbeitung desselben beibehalten hat; oder er hat nach einer unbestimmten verschwommenen Kenntniß oder Erinnerung drohender schreckender Formeln des römischen Curialstiles diesen furchtbaren Gedanken als zur Ercommunikationsformel gehörig angesehen. Denn wenn auch Shakespeare in der Verborgenheit des elterlichen Hauses und im Geheimen in dem hochverpönten katholischen Glauben auferzogen und daher Sympathie für die katholische Kirche bewahrte, so kann er doch dabei, jeder Theilnahme an dem katholischen kirchlichen Leben beraubt und ohne Gelegenheit durch Lektüre und Studium sich zu belehren, und als Laie über manche Punkte der Lehre und Verfassung der katholischen Kirche gar nicht oder nur sehr unvollkommen unterrichtet gewesen seyn.

Als Resultat alles bisher Gesagten über Shakespeare's König Johann wird fest stehen, daß dieses Stück in Vergleich mit den zwei ältern desselben Sujets keine solche antikatholische, protestantische Polemik zeigt, sondern einen viel mildern, die katholische Kirche viel mehr schonenden Charakter. (Fortsetzung folgt.)

XXXI.

Briefe des alten Soldaten.

An den Diplomaten außer Dienst.

IV. Die Vergleichspunkte der socialen Zustände.

Frankfurt 30. Juni 1867.

zu gewissen Zeiten erscheinen Krankheiten der Gesellschaft; erscheinen moralische Zerrüttungen der Völker; sie sind Ursache und Wirkung der Störungen im staatlichen Leben und immer die Vorläufer gewaltiger Katastrophen. Arme Völker sind gesund geblieben in ihrer Armuth, und wurden sie unterjocht, so sind sie der Uebermacht erlegen als langer Widerstand ihre Mittel erschöpft hatte. Reiche Staaten sind meistens durch die Wirkungen des Reichthumes zerfallen,

Zu allen Zeiten waren die Güter ungleich vertheilt, zu allen Zeiten hat neben unermeßlichem Reichthum die bittere Armuth gestanden. Reiche Leute erwarben die Macht, von ihnen wurden nicht nur die Armen, sondern alle diejenigen abhängig, welche die Macht derselben schüßte oder welche deren Verschwendung ernährte. Die Völker wurden in Parteien zerrissen und das Staatsleben wurde ein fortwährender Kampf um die Gewalt. Die siegende Partei wollte immer die besiegte vernichten und diese nahm grau

same Nache, wenn die Reihe an sie kam. In solchem Leben sah keiner die Macht des Gesezes, er gewahrte nur die Person mit ihrer Gewalt, und der Begriff der gesetzlichen Autorität ging ihm verloren. Es gab kein Vaterland mehr, der Einzelne gehörte nur noch seiner Partei, der Sinn und das Verständniß für die öffentliche Wohlfahrt verschwand, und was die Menschen „Freiheit“ nannten, das war nur die Zügellosigkeit, welche die Herren für ihren eigenen Vortheil erlaubten.

Die Reichen und die Mächtigen versanken in den Schlamm ihrer Lüste; mit der Wollust geht immer die Grausamkeit, und Jeder welcher den Besiz der Gewalt errang, war auch ein scheußlicher Despot. Die Sitten des Volkes wurden verdorben; es verlor den Glauben, es verlor den Sinn für Recht, wie sehr auch die Gesetzgebung zugespigt und das formelle Necht ausgebildet seyn mochte.

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So erschien denn eine begabte und gesegnete Nation als eine Heerde ohne Glauben, ohne Sitten, ohne Liebe zum Vaterland, ohne Gefühl für das Necht und ohne Verständniß für das Gute; eine Heerde von Menschen, rührig nur für ihre Genüsse, unterwürfig nur der bestehenden Gewalt, grausam und feig für immer unfähig der Freiheit. Alle Hülfsmittel und alle Kräfte des Staates dienten nur den Anforderungen der Gewalthaber, Verwaltung und Regierung waren nur noch Handlungen ihrer schrankenlosen Willkür, ihre Politik anmaßend, feig, ohne Treue und Würde. Jahrhunderte lang konnten solche Staaten ihren äußern Bestand noch fortschleppen, zulezt aber wurden sie doch immer die Beute gesunder und kräftiger Völker.

Das alles hab' ich in einem großen Brief umständlich ausgeführt, mit Beispielen belegt und mit schönen Citaten geschmückt. Du hättest selbst sagen müssen, ich sei zum Professor nicht ganz verdorben gewesen; aber ich habe das lange Geschreibsel nicht abgesendet, weil ich zum Voraus Deine Erwiderung wußte.

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