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Quellen seiner Macht lag der Beruf des Reiches der Habsburger. Es sollte die deutschen Staaten in einem geschlossenen politischen Körper zusammenhalten; es sollte diesen Körper der Nation in das System von Europa stellen; es sollte die Nation führen und deren geeinigte Kraft zur Wahrung des internationalen Rechtsstandes verwenden.

Mußte man auch gar viele Fehler und Mißgriffe wahrnehmen; mußte man die mehr als mangelhafte Verwaltung und die schwankende oder verkehrte Politik tadlen; mußte man in den Ereignissen des J. 1859 theilweise ein selbstverschuldetes Unglück beklagen - immer noch waren nicht alle Hoffnungen zerstört; denn immer noch, und damals vielleicht mehr als früher, durfte man erwarten, daß Oesterreich durch die nothwendige Umgestaltung seiner inneren Zustände die Machtstellung wieder erwerbe, ohne welche die Erfüllung seiner geschichtlichen Mission eine Unmöglichkeit war.

Die Berufung des Fürstentages hat wohl die edle Absicht des Kaisers Franz Joseph bewiesen, aber um die vereinbarte Reform des Bundes auszuführen hat man auch nicht die Spur einer ernsten Maßregel gesehen und dennoch mußte das Jahr 1866 herankommen, um mit vielen Selbsttäuschungen auch die wohl begründeten Hoffnungen zu brechen. Das stärkste Vertrauen konnte nur noch fragen, ob Desterreich wieder erstarken könne zur Erfüllung seiner geschichtlichen Mission oder ob es diese verloren habe für immer; aus dieser Frage aber entstand nothwendig die Frage nach den Ursachen des Sinkens der österreichischen Macht und Größe.

In allen und besonders auch in den südwestlichen Theilen von Deutschland lebten und leben noch immer sehr viele ehrenwerthe und einsichtsvolle Männer, in welchen eine große, theilweis angeborene, Anhänglichkeit an Desterreich. getragen wurde von einer wahren und rechten Liebe zum Vaterland und von einer regen Empfindung für die Ehre der Nation. Diese Großdeutschen" verwarfen eine jede

Gestaltung des Vaterlandes welche nicht alle deutschen Staaten umfaßte, und die Möglichkeit solcher Gestaltung lag ihnen in dem geschichtlichen Berufe der Habsburger.

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Zu diesen Großdeutschen" hat Dr. Otto v. Wänker gezählt. Er hat für die großdeutsche Idee gedacht und geschrieben, gesprochen und gehandelt. In dem Schmerz der vernichteten Hoffnung hat er sich die obige Frage gestellt und das Ergebniß seines Denkens und Forschens hat er fund gegeben in einem öffentlichen Vortrag, gehalten in zahlreicher Versammlung von Männern und Frauen jeden Standes, jeder Lebensstellung und jeder politischen Meinung. Alle Hörer haben die schlagenden Wahrheiten verstanden oder empfunden; alle haben die Milde der Beurtheilung anerkannt; alle haben den einfach ruhigen Ton der Rede gewürdiget und die edle Haltung des Redners. Der Vortrag des Hrn. v. Wänker sollte bekannt werden in weiteren Kreisen *); denn in Desterreich würde er eine gewisse Wirkung nicht verfehlen und in unserem Deutschland müßte er doch zeigen, daß der großdeutsche Gedanke den gesunden Verstand nicht getödtet und daß die Anerkennung des hohen Berufes der Habsburger nicht andächtig bewundernd Alles angenommen, was man gethan hat in Wien.

Der Gegenstand meines Vortrags die politischen Fehler Desterreichs" hat da und dort Anstoß erregt. Ich be= daure dieß lebhaft und ehre die Motive, erlaube mir aber doch zu bemerken, daß gerade diese edlen Beweggründe der Sache, der man zu dienen vermeinte, mehr geschadet als

*) Der Vortrag wurde, mit Ausnahme eines einzigen, von allen badis schen Blättern ignorirt, die fich es sonst zum Geschäft machen jeden Trinkspruch eines Dorf-Schulmeisters oder eines Bürgermeisters an ihre Leser zu bringen.

genugt haben; sie führten nämlich dazu unleugbare Uebelstände zu verschweigen, zu bemänteln, selbst zu beschönigen und dadurch diejenigen einzuschläfern, die zur Abhülfe berufen waren. Ich werde nur die Wahrheit sagen nach bestem Wissen und Gewissen und ich freue mich, mit einem Lobe, nämlich dem der guten Absicht, beginnen zu können.

Seit dem unheilvollen Jahre 1849 waren die Bestrebungen der österreichischen Regierung unablässig darauf ge= richtet, die inneren Verhältnisse zu ordnen und gegen außen die Stellung zu und in Deutschland nicht nur zu bewahren sondern auch zu befestigen. Von diesen Bestrebungen hinderte die eine die andere und beiden standen feindlich entgegen: das bundesgenössische Preußen; eine große mächtige Partei in Deutschland selbst, die in fürstlichen Cabineten, in landständischen Versammlungen und in der Presse ein entscheidendes Wort führte; endlich der dämonische Mann, der die Lüge, den Verrath und die Treulosigkeit im europäischen Völkerleben zum System erhoben hat.

Abgesehen hievon war die Aufgabe eine riesengroße und zu ihrer Lösung fehlten die tauglichen Männer; seit Nadezky hatte, mit Ausnahme des Erzherzogs Albrecht, Desterreich keinen Feldherrn und seit Felix Schwarzenberg, welcher der Monarchie zu früh entrissen wurde und der an Thatkraft und Begabung dem Grafen Bismark gleich stand feinen Staatsmann mehr!

Die Hauptschwierigkeit aber wurzelte in der Vergangenheit und um Ihnen diesen meinen Gedanken klar zu machen, muß ich Sie in die Vergangenheit und zwar in längst verschwundene Zeiten auf einen Augenblick zurückführen.

Wenn Sie eine Linie von der Mündung der Elbe bis zum adriatischen Meere ziehen, so finden Sie die Grenze, bis zu welcher nach dem Vordringen der germanischen Stämme gegen Westen und Süden das weite Land von slavischen Völkerschaften in Besiz genommen wurde. Jenseits

dieser Linie sind die beiden „deutschen Großmächte" ent= standen. Nach der Gründung des deutschen Reiches handelte es sich darum, diese Länder nicht blos wieder zu erobern, sondern auch zu germanisiren und zu bevölkern. Es geschah dieses im Ganzen und Großen mit bewunderungswerthem Geschick und Erfolg. Dem Kreuze des Priesters und dem Schwerte des Nitters folgte der Pflug des Ansiedlers und das deutsche Bürgerthum entfaltete seine ganze Tüchtigkeit. Es gründete im Osten, wohin damals die Auswanderung ging, Städte bis zum finnischen Meerbusen in der Nähe des heutigen Petersburg; deutsches Stadtrecht wurde eingeführt und so stolz war der deutsche Bürger, daß nur deutsche Abkunft zur Aufnahme in die Zünfte berechtigte. Dabei ist bemerkenswerth, daß im Norden weit rücksichtsloser verfahren und darum auch gründlicher germanisirt wurde als im Süden.

Im Süden gründete Kaiser Otto der Große, nachdem er die Ungarn auf dem Lechfeld geschlagen, (i. J. 970) die Mark Ostrich oder Oestrich, welche die Bestimmung hatte den alten Völkerweg längs der Donau zu bewachen, das verheerte Land zu bevölkern, was von Bayern aus geschah, und deutsche Cultur und deutsche Herrschaft immer weiter gegen Osten auszudehnen.

Schon anderthalb hundert Jahre später erbaute Heinrich Jasomirgott die St. Stephanskirche und war die Mark so erstarkt, daß sie zum deutschen Herzogthum erhoben wurde. In einer verhältnißmäßig kurzen Zeit war somit für Deutschland eine Erwerbung gemacht, welche den Kern des großen Reiches bildet, dem sie den Namen gab.

Sie werden die Bedeutung dieses Moments leicht erkennen: das von Deutschen und auf deutsche Cultur gegründete, von einer deutschen Dynastie beherrschte Reich mußte in allen seinen später angewachsenen Theilen auch ein deutsches werden und kann nur als ein deutsches bestehen. Es wird Ihnen demnach auch das Grundübel der österreichischen

Monarchie klar seyn. Obgleich die Habsburger Jahrhunderte lang auch die deutsche Kaiserkrone trugen, so standen doch stets die Erblande nur neben und nicht in Deutschland, eine innige Verbindung, eine Verschmelzung wurde nicht einmal angestrebt.

Ich begreife vollkommen die Gründe der damaligen Staatsweisheit und eine andere Dynastie würde nicht anders gehandelt haben; ich begreife auch die ungeheure Schwierigkeit bei dem Umfange der außerdeutschen Länder. Allein mit der Größe der Aufgabe mußten auch die Kräfte wachsen und je weniger in dazu geeigneten Zeiten diese Aufgabe gelöst wurde, um so schwerer mußte in der Zukunft, die jezt Gegenwart geworden, die einheitliche Negierung eines Mischreichs werden.

Von der langen Reihe der Regenten haben nur Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. Erhebliches hierin geleistet und die Unterlassungsfünden der Ahnen muß nun der Enkel büßen, Franz Joseph, der seit 1849 die Dornenkrone Desterreichs trägt und sich abmüht, das Chaos zu ordnen!

Als vor 50 Jahren der deutsche Bund gestiftet wurde, da hatten die dazu gehörigen österreichischen Länder eine Bevölkerung von 9%1⁄2 Millionen, die preußischen Bundesländer eine solche von 8 Millionen; 45 Jahre später zählte Preußen 14,139,000, Desterreich nur 13,300,000, also weniger 839,000. Wäre in Desterreich die Bevölkerung in demselben Maße gewachsen, so hätte sie annähernd der des gesammten Königreichs Preußen gleich kommen müssen.

Man sollte glauben, daß die Natur selbst im Bunde gegen Oesterreich sei! Jedenfalls ist diese Erscheinung eine äußerst merkwürdige, der genauesten Untersuchung werth. Ich habe nirgends eine Aufklärung gefunden, kann aber die Ursache dieser geringeren Zunahme nur in socialen und politischen Uebelständen erblicken.

Viel leichter ist die stetige Abnahme des deutschen Elements zu erklären, welche in der ganzen Monarchie stattfindet. Constatiren wir zuerst die Thatsache selbst. Ein

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