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Verhältniß mehr „lokalisirt“; heutzutage mehr als jemals müssen die Verhältnisse der Nationen und ihre Beziehungen festen Regeln unterliegen, ist eine feste äußere Staatenordnung eine dringende Nothwendigkeit.

Lassen wir poetische Menschen ungestört träumen; lassen wir sie in ihren Träumen den Frieden des Paradieses, lassen wir sie die Zukunft als goldenes Zeitalter erblicken - wir arme Alltagsmenschen wissen nur zu gut, daß in der Arbeit neuer Grundsäße ein Gegensaz alter Rechte, eine Reibung der Interessen und aus dieser Reibung unabwendbar jene Streitigkeiten entstehen welche die Völker feindlich gegeneinander stellen. Wir Alltagsmenschen wissen, daß die Kunst der Diplomaten fast immer nur dem Streit eine andere Frage unterlegt und daß die gerühmte Ausgleichung meistens nur einen Streit durch den anderen aufhebt. Dieses Verfahren mag vorerst die äußere Ruhe erhalten, mag eine kostbare Zeit den Völkern gewinnen, aber früher oder später muß es eben doch sein Ende erreichen, wie dem Verschwender, der mit großer Gewandtheit alte Schulden durch neue deckt, später oder früher die gefürchtete Katastrophe dennoch hereinbricht. „Jede große Frage des öffentlichen Rechtes wird auf dem Schlachtfeld entschieden“: das ist ein uralter Sat. Er ist vielleicht zu weit, er bedarf in unserer Zeit wohl mancher Beschränkung; aber jezt und immer bleibt ein anderer ge= wiß: Neue Grundsätze des internationalen Rechtes, neue Beziehungen und neue Anordnungen in dem System der europäischen Staaten werden durch blutige Katastrophen im Völkerleben festgestellt oder verworfen.“

"

Noch muß ich verschiedene Dinge beleuchten, ehe ich meinen eigentlichen Gegenstand anfassen kann. Mach Dich daher noch auf einige Episteln gefaßt.

Wie immer

Dein N. N.

XXIV.

3 e i tl ä u fe.

Der napoleonische Besuch in Salzburg und deffen Bedeutung.

Wer hätte das gedacht in den Tagen von Villafranca? Der Urheber des ungerechtesten und perfidesten Krieges der je gegen Desterreich geführt wurde, stattet jegt dem Kaiser von Desterreich zärtlichen Besuch am Siß des deutschen Primas ab. Zwölf Jahre lang hat Graf Cavour, wie er selbst gesagt, gegen das Haus Habsburg conspirirt, mehr als ein halbes Menschenalter vorher hat Louis Napoleon sich eidlich zu jeder Unternehmung verpflichtet, die geeignet wäre zum Untergange der österreichischen Weltstellung beizutragen: und jezt begrüßen ihn die Flammenzeichen von siebenzig Salzburger Bergspigen herab als den Freund und zukünftigen Retter der alten Monarchie. Welcher Umschwung der Dinge!

Als der Versucher in Villafranca vor Kaiser Franz Joseph hintrat, da antwortete der hohe Herr: „Ich bin ein deutscher Fürst“. Wenn der schlaue Beherrscher der Tuilerien jezt abermals demonstriren sollte, daß ja eigentlich die Interessen Frankreichs und Oesterreichs nur wohl verstanden zu werden brauchen, um sich nicht nur nicht zu widersprechen, sondern vielmehr auf allen Punkten zu berühren und brüder

lich Hand in Hand zu gehen wird dann der österreichische Kaiser abermals antworten können: „Ich bin ein deutscher Fürst“? Und thäte er es, würde darauf der französische Imperator nicht mit Recht erwidern: „Aber der Friede von Prag, mein Herr Bruder, und wo ist denn das Deutschland von dessen Fürsten Sie Einer seyn wollen ?!"

Das ist die ungeheure Kluft, die Villafranca von Salzburg und das Jahr 1867 vom Jahre 1859 trennt. DeutschLand ist inzwischen zu Grunde gegangen und Oesterreich hat seine Weltstellung verloren. Darum konnte das Haupt des napoleonischen Hauses den Freundesbesuch machen. Es wäre nicht möglich, weil zwecklos gewesen, wenn Desterreich noch seinen Fuß in Oberitalien hätte, und wenn man in Wien noch moralisch und politisch verpflichtet wäre, als integrirender Theil des deutschen Ganzen unter allen Umständen zum Schuße jedes Flecks Erde aufzutreten der den deutschen Namen trägt. Die napoleonischen Interessen hätten sich dann auf keinem Punkte mit den österreichischen berührt. Aber Preußen hat gewollt, daß dieß anders werde.

Die Freiheit der Allianzen“ sei der große Gewinn aus den ungeheuern Ereignissen des Jahres 1866: so hat das berühmte Rundschreiben des französischen Ministers Lavalette vom 14. Sept. v. Js. gesagt. Herr Lavalette hat Recht. Die Allianz Desterreichs war vor Sadowa nicht frei, jezt ist sie frei; und um diese vollendete Thatsache zu constatiren eine in ihren Folgen allerdings unermeßliche Thatsache — dazu weilte das französische Herrscherpaar am Fuß des Untersberges. In Berlin verkennt man augenscheinlich den Sinn solcher Höflichkeiten nicht.

Officiell erscheint der französische Besuch in Salzburg freilich nur als eine Beileidsvisite wegen des ermordeten Kaisers von Meriko. Gewiß ein guter Vorwand und eine passende Gelegenheit. Aber wenn der Erzherzog Max von den liberalen Azteken nicht erschossen sondern als abgedankt nach Europa entlassen worden wäre, würde dann die persön

liche Begrüßung der zwei hohen Herren vielleicht nicht stattgefunden haben? Ein Unterschied hätte dann allerdings stattgefunden; die Aufeinanderfolge wäre umgekehrt gewesen: erst der österreichische Kaiser in Paris, dann der französische Imperator in Salzburg. Das wäre die ganze Aenderung gewesen. Denn nicht die Flintenschüsse von Queretaro haben das französische Erscheinen in Salzburg möglich und nothwendig gemacht, sondern die preußischen Kanonen von Sadowa und die unvernünftige Ausbeutung des preußischen Sieges. Preußen hat es so haben wollen, daß die napoleonischen und die habsburgischen Interessen sich mit Naturgewalt berühren mußten.

Man streitet sich darüber, ob die Salzburger Begegnung eine politische Bedeutung habe oder nicht? Wie abgeschmackt! Wäre nicht das allein schon genug an politischer Bedeutung, daß die Reise der französischen Majestäten von Stuttgart bis Salzburg einem Triumphzuge glich. Wer zurückdenken will an die Stimmung welche gerade bei diesen süddeutschen Völkern im Jahre 1859 gegen den zweiten Bonaparte sich Luft gemacht hat, dem möchten allerdings die Haare zu Berge stehen über die Jubelberichte welche jezt aus Stuttgart und Salzburg kommen, und über die beifälligen Commentare der nativistischen Presse in Bayern. Was vermögen dagegen die vereinzelten Pfiffe und Grunzer welche von der Fortschrittspartei zu Augsburg in Scene gesezt worden sind? Diese Partei erschien als eine Handvoll isolirter Doktrinäre, als sie 1859 dem frechen Angriff Napoleons auf die öfterreichische Macht in Italien und der Revolutionirung der Halbinsel das Nauchfaß schwang; erst Graf Bismark hat dem maulfertigen Häuflein auf den grünen Zweig geholfen. Ebenso erscheint die Partei jezt als eine Handvoll isolirter Doktrinäre, wenn sie gegen die hohen Reisenden aus Paris ihren scheelsüchtigen Ingrimm ausläßt. Die eigentliche Volksstimmung ist jezt ebenso entschieden für die napoleonische Einmischung, als sie vor acht Jahren in namenlose Entrüstung

entbrannt war gegen die französische Einmischung; und dafür mag sich unsere Fortschrittspartei in Berlin bedanken.

Man möchte blutige Thränen weinen über das Verderben und die Schmach welche durch diesen Stimmungswechsel auf die deutsche Idee und Gesinnung fällt. Aber es ist einmal so, und es hilft nichts die Thatsache zu vertuschen; sie muß vielmehr jener heillosen Politik welche den traurigen Abfall verschuldet und mit Gewalt erzwungen hat, eindringlichst zu Gemüth geführt werden. Sie hat Deutschland unfindbar gemacht auf der Karte Europa's; wie will sie sich bes klagen, wenn die deutsche Idee und Gesinnung verschwinden?

Als vor acht Jahren der Tuilerienhof durch bekannte Broschüren und Zeitungsblätter sich den Süddeutschen als erneuerten Protektor anbot, da war nur Eine Stimme zorniger Verachtung gegen die deutschgebornen Federn welche sich zu solchen „Hundeschriften“ hergaben. Jezt spielen dieselben Blätter welche sich damals am meisten ereiferten, mit Lust und Liebe die Rolle französischer Reise- Moniteurs. Welcher Sturm der Entrüstung brauste bei uns auf, als der hannover'sche Minister Borries die Aeußerung fallen ließ, daß die deutschen Mittelstaaten im Nothfall wohl noch eines fremden Beschützers sicher wären, und als dem verstorbenen König von Württemberg derselbe Gedanke in die Schuhe ge= schoben wurde! Nicht einmal in Bayern wagte man noch Rheinbunds-Gelüste zu verrathen; Niemand wollte die Schmach französisch gesinnt zu seyn auf sich kommen lassen. Und jezt auf einmal steht die französische Partei erwachsen und gewappnet in Süddeutschland da, wie Minerva aus Jupiters Haupt gesprungen ist. Die Thatsache erleidet keinen Zweifel. Der Imperator hat das Faktum sofort erkannt, und siehe da, die einfache Neise nach Salzburg reichte hin das Prestige des 2. December" bei uns herzustellen, glänzend wie nie zuvor. Es ist ein gewaltiger moralischer Erfolg und die ent sprechende Niederlage Preußens; beides aber verdankt der Jmperator dem Grafen Bismark.

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