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XI.

Zur Geschichte des Photius" von Hergenröther *).

Der Orient nimmt heutzutage das regste Interesse für sich in Anspruch. Bei dem drohenden Zusammensturze des türkischen Reiches werfen die Politiker neugierig ihre Blicke dorthin und ersehen sich schon im Voraus den Antheil ihrer Beute. Der Kanal von Suez wird dem Welthandel eine Straße wieder eröffnen, auf welcher der große Verkehr vor Entdeckung des Seeweges nach Indien viele Jahrhunderte lang gewandelt war. Die verschiedenen christlichen Religionsparteien suchen mit der Kirche um die Wette Anhänger unter den orientalischen Gläubigen. Rußland hat ja mit seiner Propaganda das ganze Morgenland umspannt, um dasselbe im Schisma festzuhalten oder auch zum Schisma zu verführen und dadurch unauflöslich an sich zu ketten. Der Protestantismus, insbesondere der anglikanische und nordameris kanische, hat überall, von Korfu bis nach Bagdad hin,

*) Photius, Patriarch von Constantinopel. Sein Leben, seine Schriften und das griechische Schisma. Nach handschriftlichen und gedruckten Quellen von Dr. J. Hergenrother. I. Band Regensburg bei Manz 1867.

Schulen eröffnet und eine wahre Fluth von Bibeln und Traktaten über diese Gegenden ergossen. Auch die katholische Kirche verdoppelt in neuerer Zeit ihre Thätigkeit, um die so lange schon von der Mutter getrennten Kinder in ihren Schooß zurückzurufen.

Gegen ein Problem von solcher Anziehungskraft konnte auch die Wissenschaft nicht gleichgültig bleiben. Wir wollen gar nicht davon reden, daß sie zur Erforschung desselben von der Politik, der Industrie, der Religion, die alle wetteifernd daraus Nußen zu ziehen trachten, dringend angeregt wird; die Forschung wählt ja auch von selbst am liebsten zum Vorwurfe ihrer theoretischen Studien dasjenige, woran das lebendigste und allgemeinste Interesse der Gegenwart sich knüpft?

So hat sich denn wirklich die Wissenschaft mit großem Eifer auf die Orientalia geworfen. Manches Vortreffliche ist dadurch zu Tage gefördert; das ließ sich von vornherein erwarten. Aber auch manches Mittelmäßige, manches Schlechte ist erschienen. Um so mehr dürfen wir uns freuen, von der hervorragend competenten Hand welche das vorliegende Werk verfaßte, in die Geschichte des griechischen Schisma eingeführt zu werden.

Es liegt indeß nur der erste Theil der großen vor Jahren unternommenen Arbeit vor uns. Derselbe handelt über die byzantinischen Patriarchen bis Photius, über die Jugend des leztern, über seinen Kampf mit Nikolaus I. und die Herbeiführung des offenen Schisma auf der pseudoökumenischen Synode von 867. Die beiden folgenden Bände werden die Darlegung der weitern Schicksale des Photius, die Untersuchung und Sichtung seiner Schriften, die Erörterung seiner Theologie zum Gegenstande haben, und endlich zur Würdigung seines weitreichenden Einflusses auf die Nachwelt auch die Zeit unmittelbar nach Photius in den Kreis der Untersuchung hereinziehen. Man sieht, der ganze Plan nimmt eine erschöpfende Behandlung der Geschichte jenes Patriarchen in Aussicht.

Die Tendenz der Arbeit steht nach dem Vorworte des Verfassers „mit den großen praktischen Fragen über die Wiederherstellung der kirchlichen Union zwischen Orient und Occident in keinem unmittelbaren Zusammenhang“, sondern verfolgt „ein rein historisches, rein wissenschaftliches Interesse.“ Dieses springt denn auch dem unbefangenen Beurtheiler sofort in die Augen.

Das erste und nächste Ziel einer jeden geschichtlichen Forschung ist die Wahrheit. Es belehrt nun aber schon ein etwas aufmerksameres Durchlesen und noch mehr ein sorgfältiges Studium des vorliegenden Werkes, daß es dem Verfasser wirklich vor Allem um Wahrheit zu thun war, und daß seine großen Anstrengungen und Opfer mit Erfolg gesegnet wurden. Nicht als ob er in der Hauptsache etwas Neues entdeckt hätte, was früher nicht gefunden war; es ist dieselbe Anschauung, welche schon längst in katholischen Kreisen über Photius geltend war, die auch in dem Werke Hergenrothers herrscht. Aber wir finden hier Alles ungleich tiefer begründet, als es an andern Orten geschehen; überall wird auf die Quellen zurückgegangen, kritisch das Aechte von dem Unächten gesondert; mehrere Einzelnheiten sind berichtigt, andere genau angegeben oder in's rechte Licht gestellt. Manches endlich ward beigebracht, das in früheren Werken fehlte, so daß das vorliegende Geschichtswerk, was Vollständigkeit, Kritik, Gründlichkeit angeht, alle Vorgänger entweder in allen diesen Punkten zusammen oder doch in einem der selben merklich übertrifft.

Neben den Quellen berücksichtigt der Verfasser auch die einschlägigen Bearbeitungen von Katholiken, Protestanten und Griechen. Besonders hat es uns gefreut, die älteren katholischen Werke eines Baronius, Mabillon, Le Quien, Allatius, Thomassin so fleißig benüßt zu sehen. Ein Hauptvorzug der Schrift besteht jedoch offenbar in der ebenso kritischen als unparteiischen Prüfung der Quellen, und hierauf ist ein wahrhaft eiserner Fleiß verwendet, wie ihn schon der

ungewöhnliche Reichthum von Citaten, noch mehr aber deren Verarbeitung nothwendig vorausseßt.

Wenn wir sagten, Hergenröther habe durch seine Arbeit die ältere katholische Ansicht gestüßt, so wollen wir damit keineswegs behaupten, sein nächster Zweck sei ein apologetischer gewesen. Er will vor Allem den historischen Thatbestand ermitteln; aber auch so hat er der Kirche viel mehr genüßt, als wenn er direkt die Absicht verfolgt hätte dieselbe zu vertheidigen. Gewiß man verzeihe mir dieses Beispiel welches von einem tief gefühlten Bedürfniß so nahe gelegt wird — wenn zahlreiche katholische Kräfte Geologie, Astronomie und andere verwandten Wissenschaften als Fachgelehrte betrieben, so würde damit der Kirche besser gedient seyn, als wenn viele Theologen sich abmühen die Resultate fremder Arbeiten durchaus mit dem Glauben in positive Harmonie zu bringen. Es muß der katholischen Religion, da sie Wahrheit ist, ein vorurtheilsfreies Forschen nach Wahrheit immer Vortheil bringen, und je lebendiger man von seinem Glauben überzeugt ist, desto rückhaltloser kann man sich auch jenem Forschen hingeben, unbeirrt durch Schwierigkeiten, welche die Sonne unserer Religion dem menschlichen Auge wohl etwas verhüllen, aber nie ihr Licht auslöschen können. Aus demselben Grunde kann ein katholischer Geschichtschreiber der Wahrheit kühn in's Angesicht schauen; er möge nur rastlos schaffen, um das Dunkel der Vergangenheit zu zerstreuen. Je mehr dieß gelingt, um so mehr erscheint die Kirche troß des Erdenstaubes, der bisweilen ihr äußeres Kleid beschmußt, als die hehre von Christus selbst gestiftete Gesellschaft, welche segenspendend die Jahrhunderte durchwandelt. Warum sollte also, um einem so häufig gegen die katholische Geschichtsforschung gemachten Einwurf zu begegnen, dogmatische Befangenheit den Blick des für die Kirche begeisterten Historikers trüben? Diese hat ja keinen deutlicheren Rechtstitel als ihre mit Christus beginnende Existenz, hat keine beredteren Advokaten als ihre unter den verschiedenen Nationen entfaltete Thätige

keit! Beides enthüllt aber die vorurtheilsfreie Geschichtsforschung.

Es bewahrheitet sich das wiederum durch die Arbeit Hergenrothers. Der objektive Thatbestand, den er aus den Quellen dargestellt hat, spricht laut für Rom und verdammt den Photius, welcher in freventlichem Stolze die beiden Hälften der Kirche von einander riß, weil der Papst in die von einem rachgierigen Wüstling geschehene Mißhandlung eines heil. Patriarchen nicht einwilligen wollte.

Ein solches Urtheil über Photius wird man eben deßhalb, weil es sich aus unläugbaren Thatsachen von selbst ergibt, nicht gegen die Wahrheitsliebe des Verfassers einwenden können. Hergenröther hatte vielmehr aus der lang= jährigen Beschäftigung mit den gelehrten Schriften jenes berühmten Patriarchen eine gewisse Vorliebe für denselben geschöpft, die ihn eher geneigt machte, dessen Fehler zu ent schuldigen *) als zu vergrößern, die auch Manches was nach unsern ethischen Begriffen an ihm verdammlich ist, aus byzantinischen Anschauungen, Sitten und Zuständen, wenn nicht vollkommen zu rechtfertigen, doch zu entschuldigen oder zu erklären trachtete. Noch bereitwilliger lobt der Verfasser „die herrlichen Gaben" des Photius, erwähnt seine Sittenreinheit, rühmt nicht nur, wie allgemein geschieht, seine immense Gelehrsamkeit, sondern spricht gar von seiner „seltenen Energie" auf dem Gebiete der Missionen. Beides scheint uns zu viel gesagt; indeß sieht man, daß Hergenröther an dem berühmten Patriarchen hervorhebt, was hervorzuheben ist. Zeigte er darin Unparteilichkeit, so forderte diese erste

*) Wir verweisen z. B. auf die Art und Weise, wie der Verfasser nach plaufibeln Gründen sucht für die Opposition des Gregor Asbestes und des Photius gegen den Patriarchen Ignatius S. 359 ff., und zwar bezüglich Gregors im Widerspruch mit den Bollandisten, mit Baronius und Manfredus. Cf. Dissert. Antonii de Amico judicium p. 36 in Graevii Thesaur. antiquitt. Siciliae t. II.

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