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Recht habe, mithin im Grunde nichts anderes sei als ein Concubinat. Dieser Rechtsansicht entsprechend wollten nach dem Tode solcher Geistlichen die Verwandten die Kinder derselben nicht als erbfähig anerkennen, sondern nahmen die Habe an sich *). Diese Gefahr rückte auch für den Neformator selbst heran. Er wußte sich indessen zu helfen. Er ergriff das Auskunftsmittel, sein Testament mit ausdrücklicher Willenserklärung an den Kurfürsten zu richten, und diesen zum Vollstrecker einzusehen. Der Kurfürst bestätigte das Testament, mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß wenn dasselbe auch der juristischen Formalitäten ermangele, es dennoch für gültig gehalten werden sollte.

Wir haben kurz nachzuweisen gesucht, daß das neue Kirchenthum in den Ländern, wo es durch den Willen des Landesherrn bestand, noch für Jahrzehnte lang nach der Einführung nicht die erforderliche moralische Anerkennung fand. Die Consequenz ist, daß eine Begeisterung für dasselbe nicht gedacht werden kann, daß die Tradition von einer folchen durchaus unhaltbar ist.

Wir haben ferner zu sehen, daß dieß neue Kirchenthum auch nicht rechtlich bestand, und dann vor allen Dingen, welches Verhältniß der Kaiser Karl V. zu demselben einnahm.

*) Man vergl. z. B. Corp. Ref. III. 366, vom J. 1537.

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IX.

Zeitläufe.

Europa aus der Vogel - Perspektive.

Es wird täglich toller in unserm alten Welttheil. Die politischen Dinge verwirren sich immer mehr, die Conflikte der fürstlichen Kabinette steigern sich zu Conflikten der Völker und Nationalitäten, groß und klein, und alle Mißverhältnisse Europa's verwachsen sich in einen einzigen großen Weichselzopf. Fast ist es schon unmöglich eine einzelne Frage herauszuziehen, um darüber eine gesonderte Betrachtung anzustellen, denn Eines hängt unlösbar am Andern. Man wird z. B. die heillos verfehlte und verfahrene Politik Preußens nicht mehr besprechen können, ohne daß das Auge unwillkürlich abschweifen müßte auf der ganzen Länge von Konstantinopel bis Washington und auf der ganzen Breite von Petersburg bis Florenz. Von einer glatten Lösung dieses europäischen Weichselzopfs kann keine Rede mehr seyn; so oft die WeltGeschichte bei solchen Momenten angekommen ist, treten Feuer und Schwert in ihr Recht und in ihre endgültige Uebung.

Das ungeheure Prunkfest welches die Weltindustrie soeben noch in Paris gefeiert hat, eröffnet nicht eine neue WeltPeriode, es bildet ebensowenig die Sonnenhöhe eines civilisa

torischen Zeitalters, sondern es schließt eine Weltperiode und läßt die bangende Menschheit an der Schwelle einer ungekannten Zukunft stehen. Es war ein sinnverwirrender Taumel dort in dem modernen Babel an der Seine. Aber keine ahnende Seele konnte froh davon angeregt werden. All der unerhörte Pomp hat den Pariser Festivitäten doch nicht den Eindruck eines Leichenmahles benehmen können, oder einer Abschiedsfeier wo die herrschenden Mächte der bisherigen Welt sich ein leztes Lebewohl sagten. Zuleht aber ist noch als düsteres Mene Tekel die Trauerbotschaft aus Meriko an den Wänden der strahlenden Pariser Festsäle erschienen.

Das erschütternde Zusammentreffen war kein Zufall, wie uns scheint. Wohl liegt das anarchische Reich Montezuma's weit ab und Ihm, dem gemordeten Fürsten, ist's wohl wohl unter der fühlen Erde von Queretaro. Als warmer Idealist hat er den Zug über den Ocean gewagt, um eines der schönsten Länder beider Hemisphären von der grausamen Verwüstung des liberalen Parteiwesens zu erretten; seine Ansichten waren nicht immer unsere Ansichten; aber auch seine Feinde müssen ihm nachrühmen, daß er als Mann von Ehre ausgeharrt hat und als Held gestorben ist. Die europäische Monarchie dürfte unter andern Umständen stolz seyn auf einen solchen Märtyrer aus ihrer Mitte. Aber ihr ist der Stolz vergangen. Sie zittert unter dem Faustschlag, der ihr durch die Ermordung Maximilians mitten in's Gesicht versetzt worden ist, nicht von dem rothhäutigen Banditen Juarez, sondern von dem hochmögenden Protektorat des Wütherichs: dem herrschenden Radikalismus in Washington.

Juarez wäre nicht Sieger geworden ohne die offene und heimliche Unterstüßung Nordamerika's, und Juarez hätte die Frevelthat an dem erlauchten Sprößling des deutschen Kaiserhauses sicher unterwegs gelassen, wenn er nicht des geheimen Beifalls von Seite der Diplomatie in Washington gewiß gewesen wäre. Die Kugeln von Queretaro sie sind von

dem transoceanischen Republikanismus auf das monarchische Princip Europa's abgefeuert worden; sie sind der entsetzliche Hohn den der Yankee-Uebermuth in das fürstliche Stelldichein zu Paris hineingeschleudert hat. Die alte Welt wird noch, und vielleicht bälder als man glaubt, erfahren, was sie an dem jungen Riesen jenseits des Oceans großgezogen hat, großgezogen durch ihre Nicht - Politik in den Jahren des Unterdrückungskrieges der amerikanischen Nordstaaten, und großgezogen durch ihre Nicht-Politik in dem Vertilgungskrieg den der Völker-Riese an der andern Grenze der Civilisation gegen das arme Polen geführt hat. Polen und die amerikanischen Südstaaten haben soviel für uns bedeutet als Rußland und die westliche Union gegen uns bedeuten werden.

Der revolutionäre Radikalismus in Amerika hat wie be kannt nur Einen europäischen Freund, aber gar einen dicken Busenfreund. Dieser ist das moskowitische Czarthum. Ueber die Frage von der Naturwidrigkeit oder Wahlverwandtschaft einer solchen Freundschaft ist schon viel hin und her geredet und geschrieben worden, aber die Thatsache bestand schon unter dem Czaren Nikolaus. Der amerikanische Bürgerkrieg hat das Herzensband zwischen Washington und Petersburg nur verstärkt, und sonderbarer Weise! in dem Augenblick wo die herrschende Macht in der westlichen Union siegestrunken vom Blut des Bürgerkriegs den europäischen Anschauungen jeden Hohn und Troß zu bieten wagt, geräth auch die ganze Slavenwelt in Bewegung. Und zwar unter der offen eingestandenen Leitung des Czarthums. Der Panslavismus ist lange genug als Gespenst in der Welt umgegangen; vielleicht war er bis dahin wirklich nichts Anderes als ein Gespenst ohne Fleisch und Blut. Aber er ist das jedenfalls nicht mehr seit den Scenen in Petersburg und Moskau aus Anlaß der ethnographischen Ausstellung der slavischen Civilisation. Seitdem die Czechen und Mähren an der Spize aller SlavenStämme der österreichischen Monarchie Rußland für ihr

Vaterhaus, für ihre rettende und helfende Heimath erklärt haben; und seitdem die russische Regierung ohne Umschweife auf die ihr obliegende Pflicht des Protektorats über alle Slaven hinweist: seitdem ist der Panslavismus kein Gespenst mehr, sondern eine erschütternde Thatsache.

Keine Macht Europa's wird sich dem Einfluß der neuen Erscheinung entziehen können, welche sich in der leibhaften Erhebung einer panslavischen Politik Rußlands repräsentirt. Das Phänomen tritt auch schon von der Wiege an mit dem entsprechenden Aplomb in's Leben, nicht viel weniger ungestům und verwegen als das bundesverwandte Yankeethum jenseits des Oceans. Ein merkwürdiger Beweis ist die jüngst bekannt gewordene Note des Fürsten Gortschakoff, worin er zu London erklären läßt, daß jezt nach der glücklichen Beilegung der Luremburger Sache nur noch zwei Fragen die Ruhe Europa's bedrohten, nämlich die Lage Candia's und die Lage -Jrlands. Jeder unbefangene Mensch kennt die grausame Mißhandlung des irischen Volkes unter der protestantischen Suprematie Englands; aber es ist doch eine colossale Unverschämtheit, wenn ein russischer Reichskanzler „von der vollkommensten Harmonie zwischen der Regierung und den Negierten in Polen“ spricht, und im Gegensaße dazu die gefahrenschwangere Lage Irlands hervorhebt, wo „seit beinahe zwei Jahren die constitutionellen Bürgschaften zu eristiren aufgehört, die Aufstände Einer nach dem andern sich folgen und nur mit Mühe durch zermalmende Militärgewalt erstickt werden.“ Jst eine solche Sprache Rußlands in London wirklich laut geworden, dann hat man einen zuverlässigen Maßstab sowohl für den schwellenden Uebermuth der neuen panslavischen Hegemonie und keimenden Universalmacht, als für die grenzenloje Verachtung welcher das alte England bei den Zukunftsmächten beider Hemisphären verfallen ist.

„Die englische Regierung und ich, ich und die englische Regierung was Andere denken oder thun ist mir im

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