Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Schüzengilden befanden sich überall. Die Rostocker Krämer hatten in den Pfingsttagen ihr Papegoyenschießen, mit der Armbrust und dem Bogen nach dem Vogel; ein eigenes Papegoyenschießen hatten sogar ihre Kaufgesellen, ebensogut wie die Edelleute. In Wismar war das Papegoyenschießen ein wahres Frühlingsfest, vor dem Schüßenkönig ritt in feierlichem Zuge ein geschmückter Knabe, der Maigraf. In Leipzig sollte 1498 ein großes Preisschießen veranstaltet werden, nach Mecklenburg hin wurden. Einladungen verschickt.

[ocr errors]

Man fand schon Gefallen an Lotterien. 1518 veranstaltete der Rostocker Bürger Eler Lange eine Ausspielung von 24 wertvollen Gegenständen für den Pfingstmarkt. Er nennt es einen „potte des geluckes“ und fordert zum Einsaß von einem Schilling auf als „vor eyne hovische kortwile". Das Geschäft muß ihm und den Rostockern gefallen haben; denn 1523 ist er wiederum mit einer Lotterie da. Das Los kostet aber schon 11⁄2 Schl. Und welche Gewinne! Das erst und lezt gezogene Los bekommt jedes einen Becher extra; vergoldete Becher im Werte von 150, 112, 80, 70, 64 Gulden, daneben Silbergeräte, Damast, Pelzwerk wurden ausgespielt.") Auch in poetischen Ergüssen zeigt sich die Lebenslust des Volkes. In dichterischer Form forderte man einander zum Trinken auf, stellte die Gänge einer gutbeseßten Tafel zusammen, luden die Hochzeitsbitter zum frohen Feste, besangen die Gesellen" das zarte Geschlecht.") Dem auf Frömmigkeit und das Heil der Seele gerichteten kirchlichen Sinne widersprach derbe Lebensfreude durchaus nicht. Die Kirche störte diese nicht; sie versuchte auch hierin ihr Ansehen geltend zu machen. Mit den Festtagen der Kirchweihe war die Kirmeß verbunden, ein großer Markt. Am Abend des heiligen Martin, das ist des 10. Novembers, des Patrons der Armen, dessen Symbol die Gans war, durfte dieser leckere Vogel auf keinem Tische fehlen. Trinkgelage und Schmausereien zeichneten diesen „heiligen“ Abend aus, und am nächsten Morgen lieferte man in fetten Gänsen, Hühnern, Korn seine Naturalabgaben an die Geistlichkeit. In Schwerin erwartete man den Lübecker Martensmann, und in Rostock bliesen die Stadtmusikanten vor den Häusern den „Martin“ aus.7) Die Fastnacht wurde mit allen Thorheiten gefeiert, gleichsam als eine Milderung der harten Fastenzeit. Im geistlichen Schauspiel ließ die Kirche sich den Witz des Volkes gefallen, begünstigte dasselbe als ein Mittel der Andacht. Und in der That, wenn die schaulustige Menge zu Redentin bei Wismar die Vorgänge bei dem siegreichen Auferstehen Christi schaute, dann beim Schluß des Spiels in die nahe Kirche zur Osterfrühmesse strömte und unter dem Eindruck des nächtlich Gesehenen das „Christ ist erstanden“ sang, so mag der Gewinn an Andacht wahrlich nicht gering gewesen sein.

Für die Bildung des Volkes sorgte die Kirche nach ihrer Weise. An den Kirchen, in den Klöstern, bei den Domkapiteln gab es Schulen. Aber diese Pfarr-, Klöster- und Kapitelschulen waren nur für die Zwecke der Kirche berechnet, die den Gesang der Chorknaben nicht entbehren konnte. So wenig oder soviel wir über die Lehrgegenstände wissen, sie werden vor

allem Singen und Religion, Schreiben und Latein in sich begriffen haben. Die Leistungen können nicht hoch gewesen sein, da gewöhnlich nur ein Rektor vorhanden war, der einen Schulgesellen hielt. Erst die Michaelisbrüder in Rostock betonten in rechter Weiser die Realien und hielten eine deutsche Schule, in der Deutsch, Rechnen und Schreiben gelehrt wurde. Dennoch ist das Streben nach höherer Bildung auch in unserm Lande deutlich erkennbar; es läßt sich zahlenmäßig belegen. Die Landesuniversität Rostock zählte 1507 135, 1508 191, 1509 153, 1512 119, 1513 186 Hörer, unter denen allerdings eine große Anzahl von Ausländern war. Aber auch auf auswärtigen Universitäten werden Mecklenburger gezählt. In Bologna sind von 1450–1523 38 eingeschrieben, in Heidelberg 1, in Erfurt 14, in Basel 3, in Greifswald gar 256, während Wittenberg von 1502-23 schon 13 und Frankfurt an der Oder von 1506-1523 23 Mecklenburger zu ihren Hörern zählten. 8)

Für Volksbildung sorgten am Vorabend der Reformation bereits zahlreiche Bücher. In Rostock druckten die Michaelisbrüder, der Sekretär Hermann Barckhusen von 1505 - 1517, der herzogliche Rat und Professor Nikolaus Marschalk von 1514-1522, endlich Ludwig Dietz von 1515-1545. Die Formschneider Melchior Schwarzenberg und Erhard Altdorffer gaben kunstvolle Holzschnitte in den Druckwerken bei. Das Papier, auch Pergament, wurde zumeist aus Lübeck bezogen, auch wohl aus Neustadt und Grabow, wo sich Papiermühlen befanden. Außer Gebeten, unter welchen das niederdeutsche crux fidelis" die erste Stelle einnahm, und den Heiligenlegenden, waren es die Wundererzählungen vom heiligen Blute in Sternberg und Wilsnack, die durch den Druck vervielfältigt wurden. Hinzukommt ein Buch, welches die langwierige Rostocker Domfehde behandelt; das Buch von der Dithmarschen Schlacht 1500 wurde begierig gelesen und war geeignet, den Patriotismus zu beleben. Die vaterländische Geschichte wird 1522 in einem Auszug der mecklenburgischen Chroniken gelesen. Zu den Volksbüchern zählten auch die Geschichte der Meerfee Melusine, der geduldigen Griseldis, der sieben weisen Meister, Alexanders des Großen, der Zerstörung Trojas. Reineke Vos wurde seit 1517 in der niederdeutschen Bearbeitung des Hermann Barckhusen den Lesern dargeboten, dazu das Narrenschiff von Narragonien; ja auch ein Kalender durfte nicht fehlen Der schapherders Kalender“. Er giebt außer dem Kalenderüblichen noch gesundheitliche Vorschriften über Aderlassen und Schröpfen, Regeln für Land- und Hauswirtschaft und eine Physiognomik zur Erkennung des lieben Nächsten aus seinen Augen. Ein anderer Kalender verband das Nügliche mit dem Frommen, indem er zugleich ein Gebetbüchlein darstellte. Für Hausarznei diente ein Buch mit dem Titel „Dat boek der Wundenart stedye", seit 1518. Wer Latein konnte, konnte sich aus dem Buche des fürstlichen Leibarztes Gilzheim belehren, über alle Krankheiten vom Kopf bis zum Fuß.

[ocr errors]

Für die gelehrte Bildung sorgte seit 1506 eine griechische Grammatik von Albert Kranz; ebensolche und eine hebräische, dazu eine lateinische Orthographie gab Marschalk heraus; es gab bereits eine Logik, auch einen

Kommentar zum Dorat, der auf den Lateinschulen gelesen wurde. Der Jurist konnte das lübische Recht und die Bamberger Halsgerichtsordnung studieren, der Naturforscher eine Naturgeschichte von Marschalk. Letterer hob die Kenntnis der Geschichte, auch der vaterländischen durch seine wiederholten und mannigfachen Geschichtsdarstellungen; leider nicht immer in rechter Weise, indem Marschalk es gerade war, der die Ahnenreihe des Fürstenhauses auf den König Anthyrius und die Amazonengattin desselben bis zur Zeit Alexanders des Großen zurückführte. Dem Studium der Geschichte dienten auch die nach seinem Tode herausgegebenen Werke des großen Staatsmannes und Gelehrten Albert Kranz, der in Rostock gelehrt hatte und in Hamburg gestorben war. 1o)

Die gelehrte Bildung am Vorabend der Reformation bekam auch in unserm Vaterlande einen Anstoß durch den Humanismus, jenes wissenschaftliche Streben, welches aus dem reichen Born der klassischen Griechen und Römer schöpfte und durch die Kenntnis der alten Sprachen dem Evangelium den Weg bahnte. Um 1490 herum war in Rostock besuchsweise der große Humanist Konrad Celtes. Sein Aufenthalt scheint schon gewirkt zu haben; denn als 1503 der berühmte Hermann von dem Busch kam, las man bereits den Juvenal. Busch selbst erklärte Cicero, Virgil, Ovid. Sein Gegner, Tilemann Heverlingh, einer der angesehensten Lehrer Rostocks jener Zeit, sezte seine Ausweisung durch, da der Ruhm des Busch den seinigen überstrahlte. 1510 fam der Ritter und Gelehrte Ulrich von Hutten auf seinem unstäten Wanderleben nach Rostock, wo er gastfreundliche Aufnahme fand und segensreich pirkte. Allein seines Bleibens war nicht lange, 1512 bereits verließ er Rostock. Doch der Humanismus hatte nun um so fester Wurzeln gefaßt. Johannes Padus, der in Erfurt, dem Size der Humanisten, studiert hatte, wirkte als Professor, neben ihm der schon öfter erwähnte Nikolaus Marschalk. Staunenswert ist die Gelehrsamkeit des lehteren; neben seinem eigenen Felde, dem Studium des Rechts, arbeitete er auch auf dem Gebiete der Naturgeschichte und besonders der Geschichte; daneben ist er es gerade, der die griechische Sprache behandelte. Der Humanismus in Rostock blieb aber in den kirchlichen Bahnen, wie die 1520 herausgegebene Studienordnung, welche überall von den herrschenden Grundanschauungen bedingt ist, und die Namen der hervorragendsten Universitätslehrer, Barthold Moller, Kornelius de Snekis, Johannes Kruse, Peter Boye, Marschalk, Gilzheim beweisen. Aber auch das Ansehen der Universität sank. Die Pest des Jahres 1518 minderte die Hörerzahl auf 50; sie stieg zwar 1522 wiederum auf 78, um 1523 gar auf 27 zu sinken. 11)

Was Leben und Sitte des Volkes am Vorabend der Reformation anbetrifft, so findet sich von bewußtem Unglauben und Verachtung der Religion in jener Zeit keine Spur; es herrschte vielmehr eine weit verbreitete Frömmigkeit; die Religion stand im Mittelpunkte des öffentlichen und häuslichen Lebens. Nur so ist es erklärlich, daß die Reformation auch bei uns so große Fortschritte machen konnte. Aber die Frömmigkeit bewegte sich durch und durch in den Bahnen der Heiligen und Mariakirche, ebenso äußerlich wie geschäftlich, das Fegefeuer

möglichst abzukürzen, die Seligkeit zu verdienen. Indem sie sich aber äußert in dem Massenhaften an Kirchen und Stiftungen, an Kultushandlungen und Messen, an Heiligen- und Reliquienverehrung, an Wallfahrten, Gebeten und Abläffen, offenbart sie zugleich das ungestillte Heilsverlangen, welches, und das ist noch heute echt katholisch, keine Heilsgewißheit kennt, sondern nur Hifsmittel und Garantien, die den Menschen über sein Seligwerden beruhigen sollen. Und neben dieser Frömmigkeit ging eine derbe Lebensfreude her, die das Leben genießt, aber auch in Wiz und Spott gegen die Geistlichkeit sich ergießt, deren bevorzugte Stellung an mehr als einem Punkte erschüttert ist.

Und auch über den „Sittenverfall" noch ein Wort. Zwar besigen wir keine Moralstatistik aus jenen Jahren. Aber einzelne recht traurige Bilder lassen sich aus den urkundlichen Nachrichten erbringen, welche verfallene Sitten schon in der katholischen Zeit wohl erweisen können. Der Landfriede von 1495 war noch nicht überall und immer zur Geltung gekommen, Plackereien blieben nicht aus, wie wir gesehen haben. Im Redentiner Osterspiel werden die Standessünden der einzelnen Berufe hart gegeißelt, im Narrenschiff unter andern die Pußsucht der Frauen. Für minderwertig hielt man den Rest der wendischen Bevölkerung, die im Jabeler Land bei Lübtheen sich noch erhalten hatte. Die Wenden galten für „unverständig“; wer in eine Zunft aufgenommen werden wollte, mußte nachweisen, daß er nicht von Wenden abstammte, aber auch nicht von fahrendem Volk. Zu leyterem zählten auch die Zigeuner, „Tatteren aus Kleinägypten“ genannt, welche für jedes Jahr einen neuen Paß zu erwirken hatten.

Wollen wir den Finger auf das Laster der Zeit legen, so ist es zunächst die Zaubereisünde, welche in üppiger Giftblüte stand. Bekannt waren die „Molkentover", welche den Bauern die Milch verderben konnten, und andere, die man „Wikkere“ nannte. Sie wollten mit der Wünschelrute Schäße finden, mit gegen den Strom geschöpftem Wasser das Vieh kurieren, mit Totenerde, die man vom Grabe eines Neubestatteten nahm und vor die Hausthüre schüttete, einen mißliebigen Nachbarn töten, u. a. m. Noch 1536 bekennt ein Prediger aus dem Hannoverschen, der eine Anstellung in Mecklenburg suchte, daß er vor sechs Jahren alle Bücher der schwarzen Kunst, darin er sehr bewandert gewesen sei, verbrannt habe. Daß auch sonst die Geistlichkeit die Zaubereisünde pflegte, wissen wir aus einem Rostocker Gerichtsprotokollbuche. Der heftigste Feind Slüters, der Priester Joachim Nibur, läßt Totenerde vor Slüters Haus streuen, offenbar glaubte er selbst an dies „Teufelswerk“. Andere nuzten dagegen den Aberglauben des Volkes aus, wie jener lange Priester Johann Brunn, der die Leute lehrte, im Krystall zu sehen, oder wie die Teterower Priester, die den Gebrauch der Wünschelrute lehrten, oder wie Nibur selbst, der die Absolution im Stalle lesen und also krankes Vieh gesund machen sollte.12)

Ein zweites Laster ist das des Trunkes. Die vielen Feste und Biere, Wodelbier bei der Ernte, Hanenbier des Neuvermählten für seine Zunftgenossen, Hoikenbier des neuerwählten Ratsherrn u. a. gaben Gelegenheit zu Unmäßigkeiten genug. Und wenn 1524 zu Heidelberg einige

deutsche Fürsten unter sich ein Trunkverbot machten und von demselben nur abstehen wollten, wenn sie sich in Sachsen, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg befänden, wo zu trinken Gewohnheit sei, so ist das allerdings ein schlechtes Zeichen der Zeit, aber auch der Süddeutschen, die das Schlechte im Norden, nur nicht bei sich selbst suchten.

Die Sünde wider das sechste Gebot, die Begleiterin der Unmäßigkeit im Essen und Trinken, wird auch in unserm Lande im Schwange gewesen sein, nicht mehr und nicht minder als überall zu allen Zeiten. Die Geringschäßung der Ehe seitens der Geistlichkeit sowie die Sünden derselben mußten allerdings sehr nachteilig wirken, und es ist ganz und gar ein Zeichen der Derbheit, wenn das Bordellwesen nicht nur in Flor stand, sondern auch der Besuch solcher Häuser ziemlich ungeniert, ja manchmal unter einem gewissen Pomp stattfand.13)

Daß auch der Spielteufel sein Unwesen trieb, beweist wohl am besten der eigentümliche Revers, den ein Edelmann, Henneke Holstein auf Ankershagen, dem Lehrer seiner Kinder 1539 ausstellte, in welchem er sich verpflichtete, zwei Jahre lang nicht zu spielen; nur bei einem Gastmahl solle es ihm freistehen, jedoch nicht um Geld. Hier ist der Revers: „Ick Hennicke Holst bekenne mit dieser meiner Handschrieft, das ich dem achtbaren wirdigen und hochgelarten Magister Simon Leupoldt mein Spilen auf heut dato hab verkauft auf karten, werfeln und beskulen (Kegel) 2 Jar lanck und habe ime bei meinen eren und waren Worten uf schelmschelten und bei eddelmans geloben zugesagt, nit zu spilen, so lange die zwei jar varen, wir sein, wo wir wollen; aber des abendts bei unsem wirt, dar wir zu tisch gehen, so wir zur colation (Abendschmaus) gehen, da wil mirs der magister zu rechter zeit verleuben; so oft ich aber werde umb gelt spilen, wil ich im 6 penninge geben, so oft ver nestel, wil ich 3 pennige geben zur peen (Strafe). Des zu urkundt und merer sicherheit hab ich meinen Namen noch einmal unten angeschrieben. Ankershagen, Dinstag in der marterwoch anno 39. H. H."14) Wir sehen aber den Einfluß des reformatorisch gesinnten Hauslehrers, der seinen Herrn zu heilen sucht.

Die gerichtlich erkannten Strafen für Vergehen aller Art waren entsezlich hart und können wohl von einem mehr barbarischen Zeitgeist Zeugnis ablegen; auf Bigamie stand Todesstrafe, eine Kindesmörderin wurde lebendig begraben, ein Pferdedieb gehängt, im Kezerprozeß wurde die Folter angewendet. Durch Zwicken mit Zangen wurde die Todesstrafe noch verschärft, welche vielleicht auch noch durch die „eiserne Jungfrau“ vollzogen wurde. Wenigstens im Schlosse zu Schwerin und zu Woldegk sind Spuren gefunden, die auf die Jungfrau weisen, welche durch ihre Umarmung mit breiten Schwertern die Verbrecher in Stücke schnitt.15)

« ZurückWeiter »