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satze, vor übereilten Neuerungen sich zu hüten (vgl. seine p. 17 ausgesprochenen kritischen Grundsätze), treu zu bleiben versteht, sondern auch, wie folgenreich ein solcher, scheinbar unwesentlicher, Unterschied der Lesart werden kann; denn die masoretische Lesart schliesst in der That einen classischen Beweis ein, nach welchem nicht gezweifelt werden kann „,quin Hebraeis quoque mortui sui ipsam ante et extra sepulturam ad infernum i. e. subterraneum ceterorum defunctorum coetum descendere visi sint." Zunächst folgt die Erörterung der Stellen über das wunderbare Ende Henoch's, Elia's und Mose's. Dem ausgezeichneten Loose dieser Gottesfreunde wird dann das furchtbare Geschick Korach's (Num.16), verglichen mit dem der Sodomiten, gegenübergestellt, woran sich die Erwähnung der in prosaischen Schriften gegebenen kurzen Beziehungen auf die Verhältnisse der Verstorbenen und endlich die ausführliche Behandlung der jene Vorstellungen weiter ausführenden Stellen aus Propheten, Psalmen, Proverbien und Hiob anschliesst. An die nicht unglücklichen Emendationen und Deutungen im Gesange Hiskia's dürfen wir hier nur erinnern, um einen Augenblick länger bei der, wie auch die übrigen Stellen aus Hiob, mit besonderer Gründlichkeit (p.162172) behandelten Stelle Hi. 19, 23-29 verweilen zu können. Hr. B. übersetzt V. 25-27, auf welche es hier ankommt, folgendermassen: „Doch―Ich weiss: Mein Rächer lebt, Und wird nachkommend ob dem Staube sich erheben; 26 Und nach meiner Haut, hat man vollends dies zerschlagen, Und los meines Fleisches erschau' ich Gott. 27 Und den werd' Ich schauen für mich, und meine Augen sehn [ihn] und kein Andrer." Die hierin enthaltenen einzelnen Auffassungen berühren die Hauptsache nicht, in welcher Ref. andrer Ansicht seyn muss als der Vf. Dieser nämlich meint, es könne jene Stelle nur als Ausdruck der Hoffnung auf eine nach seinem Tode durch Gott ihm zu Theil werdende Rechtfertigung gedeutet werden, wir dagegen glauben, dass jene Verse auf eine dem Leidenden dann, wenn seine verzehrende Krankheit den Culminationspunkt erreicht, aber noch in seinem Erdenleben eintretende Rechtfertigung, wie sie ihm nach dem Epilog, den ja auch B. für ächt hält, wirklich zu Theil ward, nicht blos bezogen werden können, sondern bezogen werden müssen, weil das Vorhandenseyn einer so bestimmten Hoffnung auf Vergeltung in cinem Leben nach dem Tode, Gedichte, wie Hiob,

oder der 37. und 73. Psalm, ja die eigenthümliche Entwicklung des Israelitismus überhaupt, geradezu unmöglich gemacht haben würden. Die beiden zuletzt genannten Gedichte zeigen recht deutlich, wie die Hoffnung der Israeliten, in Folge der Aeusserlichkeit des gesetzlichen Standpunktes überhaupt, an die irdischen Verhältnisse gebunden blieb, wie die Ausgleichung des erfahrungsmässig vorliegenden Missverhältnisses zwischen Frömmigkeit und Glück bis ans letzte Ziel des irdischen Lebens verlegt, der freiere Schritt in's Jenseits aber nicht gewagt wurde. Hiermit haben wir zugleich unsre von der des Vf.'s abweichende Ansicht über Ps. 73, 24, wonach wir in dieser Stelle keine Beziehung auf ein Leben nach dem Tode finden können, angedeutet und sind eigentlich schon auf das dritte Capitel übergegangen, welches die Aussprüche aus der 2. Periode behandelt. Auch hier scheint uns B., unbeschadet mancher treffenden kritischen und exegetischen Bemerkungen, welche die ausführliche Behandlung dieser Abschnitte darbietet, den 16. 17. u. 49. Ps. zum Belege für das Vorhandenseyn des Glaubens an Unsterblichkeit mit Unrecht herbeigezogen zu haben. Der 16. Ps. allein könnte freilich auch nach des Vf.'s eigner Ansicht dazu nicht dienen, auch er wird nur als mit dem 17. zusammengehörig betrachtet, und nachdem in dessen 15. Vs. die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode gefunden ist, geht er als Zugabe mit drein. Und in der That, wer mit dem fertigen christlichen Unsterblichkeitsbegriff an jenen Vers herantritt, der muss unter dem Erwachen das Erwachen von dem Todesschlafe und unter dem Schauen Gottes die ewige selige Gemeinschaft mit demselben verstehen. Wer dagegen in die israelitische Anschauungsweise sich versetzt, der kann in der Stelle nur den Gedanken finden: ,, Inmitten der Bedrängniss hoff' ich, durch meine Gerechtigkeit endlich Deine Gnade mir zu verdienen, und jeden Morgen stärkt mich der Gedanke an Deine Treue, die den Gerechten nicht verlässt," oder: „Einst wird meine Gerechtigkeit mir Heil bringen, und ich werde beim Erwachen an Deiner Treue mich laben können, die mich, während ich schlief, ohne mein Zuthun der Bedrängniss entriss." Dass viel weniger Grund vorhanden ist, in Ps. 49, 16 díe Hoffnung auf Unsterblichkeit zu finden, leuchtet ein. In Bezug auf Ez. 37, 1-14 ist Ref. in der bildlichen Auffassung mit dem Vf. vollkommen einverstanden, nicht aber mit der Ansicht, dass ein solches Bild

nur bei allgemeinerer Verbreitung der Lehre von der Auferstehung der Todten überhaupt habe entstehen können, obgleich diese Ansicht, seit Gesenius zu Jes. 26 sie vorgetragen, sehr allgemein sich festsehr allgemein sich festgesetzt hat. Abgesehen davon, dass schon die Volksansicht von dem wunderbaren Aufleben einzelner Verstorbenen (1. Kön. 17, 17-24. 2 Kön. 4, 8-37. 13, 21) für jenes Bild hinlänglichen Anhalt gegeben hätte, so ist allerdings richtig, dass die Phantasie einzelne absolut neue Begriffe von Dingen oder Thätigkeiten nicht schafft, sondern nur nimmt, was sie vorfindet, in der Verbindung jener Begriffe aber verfährt sie in der freiesten Weise, und wie ein leiblich Todter Bild geistiger Gesunkenheit wird, so kann die Wiederbelebung leiblich Todter, ohne dass an die Auferstehung der Todten wirklich geglaubt wird, die geistige Wiedererhebung sehr natürlich darstellen. So böte uns denn nun Jes. 26, 18 ff. den aus dem Wunsche nach der Auferstehung der gestorbenen Bewohner des verödeten Landes allmählig sich entwickelnden ersten Keim einer Hoffnung auf wirkliche Auferstehung dar, den wir dann bei Daniel - denn das Zeugniss bei Zach. 3, 7 bleibt auch dem Vf. mit Recht, als zu unsicher, unbenutzt zu der bestimmten Vorstellung ausgebildet finden von einer Auferstehung von dem Tode zu einem neuen Leben, in welchem die auf Erden fehlende Harmonie zwischen Glück und Frömmigkeit hergestellt wird. Wie wenig aber solche Vorstellungen allgemeingültige waren, kann Koheleth hinlänglich beweisen.

Wenn Ref. somit die Zahl der alttestamentlichen Stellen, welche auf den Glauben an Unsterblichkeit im christlichen Sinne hindeuten, noch mehr reduciren zu müssen glaubte, als es vom Vf. bereits geschehen ist, so braucht er nicht zu versichern, dass er die Hoheit des A. T. damit nicht herabsetzen wollte; sondern nur darauf ist sein Streben gerichtet, Vorstellungen vom A. T. ferne zu halten, die dessen Eigenthümlichkeit verwischen und die Einsicht in seine weltgeschichtliche Aufgabe, nur die vorbereitende, nicht die vollendende Offenbarung zu seyn, erschweren. Wie das israelitische Volk im Knechtsdienste unter dem Joche des Gesetzes zum Heile der Welt die Erfahrung machen musste, dass die Aeusserlichkeit des gesetzlichen Standpunktes dauernde Befriedigung nicht gewähren kön

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so musste es auch eine seiner irdischen Hoffnungen nach der andern in Trümmer stürzen sehen, damit der auf seine Gemeinschaft mit dem Ewigen vertrauende Geist freier die Schwingen rege, und charakteristisch ist es, dass die Hoffnung auf Auferstehung erst unter ausländischen Einflüssen und zu einer Zeit hervortritt, in welcher der Verfall der alten eigenthümlichen Kraft des Israelitismus solchen Einflüssen den Weg gebahnt hatte. Mit dem Resultate, welches der Vf. am Schluss seines Werkes aufstellt, in der Hauptsache also vollständig einverstanden, würden wir dasselbe etwa folgendermassen modificiren: Die allgemeine Vorstellung von einem gemeinsamen Aufenthaltsorte der Verstorbenen, in welchem diese als leere Schattenbilder ihres irdischen Seyns eine düstere bedeutungslose Schattenexistenz fristen, finden wir in der hebräischen Volksansicht so gut, wie bei andern Völkern des Alterthums. Ein religiös bedeutsamer Glaube an Unsterblichkeit aber im christlichen Sinne ist dem eigenthümlichen Charakter des Israelitismus fremd und kommt daher auf israelitischem Boden erst in der Zeit hervor, in welcher das eigenthümliche israelitische Wesen seinem Untergange naht: in den kanonischen Büchern des A. T. als sehnsüchtiger Wunsch in der jesajanischen Sammlung c. 26, 18 ff., bei Daniel, c. 12, 1-3, als bestimmte Vorstellung.

Das vierte und letzte Capitel setzt die jüdischen Ansichten auseinander, wie sie in den Versionen, Apokryphen und Pseudepigraphen des A. T., bei Philo und Josephus, bei den neutest. Schriftstellern, die hier natürlich nur in Betracht kommen, insofern sie jüdische Ansichten anführen, im Talmud und bei den Rabbinen, endlich auf Denkmälern und bei Profunschriftstellern sich finden. Wir müssen in Bezug auf diesen letzten Theil nur bedauern, dass der Vf. aus Philo, Josephus und dem Talmud, die doch wohl nur dem kleineren Theil seiner Leser zur Hand sind, nicht wenigstens die Hauptstellen wörtlich angeführt hat, und wünschen, dass er in dem hoffentlich recht bald folgenden historischen Theile dies nachholen möge. Sorgfältig gearbeitete Indices erleichtern den Gebrauch des bei dem sehr engen Drucke ausserordentlich inhaltreichen Werkes. Giessen.

Dr. G. Baur.

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Monat April.

Italien.

1849.

Italien in seinen Beziehungen zur Freiheit und modernen Civilisation, von Andreas Ludwig Mazzini. 1r Band gr. 8. 312 S. Grimma, Verlags - Comptoir. 1848. (1/2 Thlr.)

Es ist zur unabweislichen Nothwendigkeit gewor

den, Schriften wie die vorliegende kurz zu beurtheilen. Unsere Gegenwart verträgt keine geduldigen Leser, sie möchte solche kaum aufzuweisen haben, so aufgeregt sind die Zustände, so besorgt die Interressen, so ausschweifend die Hoffnungen in dem durch und durch unterwühlten Europa *). Zu jeder andern Zeit würde die Schrift von Mazzini grosses Aufsehen gemacht, wir würden nach Durchlesung derselben uns mit Ueberraschung einander eingestanden haben, dass wir bei einem heissen Italienischen Kopfe diese strenge, philosophisch geschulte Beweisführung, diese Hingebung an die Erhabenheit allgemeiner Gedanken, diese deutsche Gründlichkeit nicht vermuthet hätten; diesem sich à corps perdu in der Wahrheit logischer Entwickelung stürzenden Bewusstseyn, das durch die empirischen Thatsachen, durch den launenhaften Zufall der Ereignisse unbeirrt, nur in dem Gedanken allein alle Wahrheit findet, würden wir die Italienische Weitschweifigkeit verziehen, würden wir die häufigen Wiederholungen grosser principieller Gedanken nicht zum Schlimmen angerechnet haben; doch jetzt stehen die Sachen anders. In einer Zeit, da die Ideen sich alle Augenblicke in Thatsachen umgestalten, wollen wir Kürze des Ausdrucks, Wichtigkeit des Inhalts. Auf den Genuss, den die wissenschaftliche oder künstlerische Ausführung der Gedanken dem Geiste des gebildeten Menschen bietet, verzichten wir. Es scheint fast, als ob in einer Zeit, die mehr als irgend eine andere die ewige Wahrheit des Gedankens sinnenfällig gemacht hat, das Misstrauen gegen die geistvolle Ausführung des Gedankens in dem Maasse zunäh

Halle, in der Expedition der Allg. Lit. Zeitung.

me, als derselbe praktisch zu werden begonnen hat. Man sagt: ist Dein Denken stichhaltig, so muss bald etwas daraus werden, sonst ist es unWillst Du, dass fruchtbar, ist taubes Gestein. ich Dir glaube, so sprich, dass diese Steine Brod werden.

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Wunderbar! während Mazzini fragt: wie steht Italien zur Freiheit, und wie steht es zur modernen Civilisation, schickt sich Italien an, den kühnen Sprung in die eine zu wagen, um alsdann hiermit die Bedingung zur Annäherung an die zweite zu gewinnen, weilt Mazzini selbst in der ewigen Siebenhügelstadt, um für die Konstituante zu arbeiten und Pio Nono's Exkommunicationserklärungen unwirksam zu machen. wirksam zu machen. Neapel gährt, Sizilien scheint für die Bourbons verloren, Sardinien wetzt das Schwerdt gegen Radetzky, Venedig rüstet Freikorps aus, S. Marino schafft die christliche Zeitrechnung und Rom schafft den Papst ab welche Gährung, welcher Kampf! Bei der Frage freilich nach dem Ausgange desselben bewegt man sich auf dem unsichern Felde der Zukunft; doch wie viele Ansichten sich hier geltend machen mögen, nach denen diese oder jene Eventualitäten aufgestellt werden: so viel ist sicher, wenn in einem Kopfe eine logisch geordnete Gedankenreihe Platz genommen, wie die Mazzini's, so wird dieselbe mit der Zeit Gemeingut. Die Bildung der obern Klassen leitet unsichtbar die des ganzen Volks, sie bestimmt den Gesichtskreis desselben und veranlasst endlich die Uebersetzung des Gedankens in die That. Wir müssen des Italieners Hauptgedanken deshalb kurz darlegen, so mühevoll diese Darlegung auch durch die Italienische Breite und die abstrakte Form des Buchs ist. Diese Mängel werden indessen durch den schätzbaren Umstand aufgewogen, dass durch die ganze Schrift jene Zutrauen erweckende Uneigennützigkeit hindurchgeht, welche den Leser aushalten lässt. Als Beglaubigung für dieselbe, sowie für den Standpunkt des Vf.'s kann folgender Satz gelten und ich möchte

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Red.

*) Die Redaktion ist es sich schuldig, hier ausdrücklich zu bemerken, was sich eigentlich von selbst versteht, dass sie weder die Ansichten des Vf.'s noch des Recens, zu vertreten hat.

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Da

ihn als Motto für das Buch betrachtet wissen:
wo ich Glaubenssätze und Lehren erblicke, die nicht
auf reine und vernünftige Dogmen, nicht auf die
nicht auf die
logischen Nachweise der Vergangenheit und Gegen-
wart, sondern auf persönliche Neigung und bevor-
zugte Interessen gestützt sind, da sage ich mir
auch: es sind das keine aufrichtigen und freien
Ueberzeugungen und können keine seyn."

Mazzini ist durch und durch revolutionär; er meint in Italien sey nichts zu conferiren. Das Das Land, welches durch sein geistliches, wie durch sein weltliches Regiment so herabgekommen ist, der ganzen Europäischen Entwicklung den Rücken zu kehren, hat nichts zu conferiren. Ein Papst als solcher, ein Statthalter Christi, der nach seinem Begriffe nur die starre, einseitige äusserliche Form des Christenthums aufrecht erhalten muss, darf es sich nicht in den Sinn kommen lassen zu reformiren, sonst sägt er das Blatt durch, auf welchem er ruht.

Er

In Folge derselben neigt er zu der Unbeweglich-
keit der rationellen Formen des Geistes und ist
verkümmert genug, um nur den exclusiven Auffas-
sungsbegriff der Wahrheit und Ordnung nach dem
katholischen Dogma und den absolutistischen Lehren
der Kirche anzunehmen und festzuhalten. Wenn
es sich in Italien um den Katholizismus handelt,
so handelt es sich ebenso sehr um den religiösen
Glauben der Massen, als um den intellectuellen
und moralischen
und moralischen Charakter der Nation.
ist nur mit der Zeit der Umformung zugänglich,
die aber alsdann vollständig seyn wird, während
eine sofortige plumpe Octroiirung demokratischer
Freiheit das Volk hart an den Abgrund drängen
würde. Zwar wird es geneigt seyn, nach jedem
Fuss breit innerlicher Umgestaltung auch sofort
nach Aussen hin zu revolutioniren; allein dies wird
ihm wenig helfen, ausser dass die häufig wiederkeh-
renden Revolutionirungsversuche eine Menge werth-

Diese Macht, und sie hauptsächlich fast ganz allein, voller Tüchtigkeiten in ihm wach rufen. Die alle

hat mehr als die despotischen Regierungen seit
Jahrhunderten auf den Italienischen Gedanken, auf
den Volkswillen einen unheilvollen Einfluss, ein
rückwärts drängendes Ansehn ausgeübt. Die Rö-
mische Kurie ist dem Italiener die kirchenkünstlich
systematisirte intellectuelle und moralische Tyran-
nei, welche aus dem ersten Volke Europa's das
letzte auf der Erde gemacht hat. Diese Macht muss
von Grund aus vernichtet werden, indem man sie
bei ihrer Wurzel, dem Autoritätsprincipe, angreift.
Ein ins Ausland flüchtender Papst, einige wegge-
jagte Kardinäle stürzen die Kurie nicht. Das ist
alles schon dagewesen. Untergräbt man aber das
Princip des Katholizismus durch Verallgemeinerung
der freiesten Forschung, so wirft man Ideen in
den Geist des Menschen, mit ihnen Bedürfnisse,
und mit diesen den Wunsch und endlich den festen
Willen, ihnen zu genügen. Mazzini will dazu
seine Landsleute unerbittlich aus der Gleichgültig-
keit gegen jede grosse Idee herausgerissen wissen,
er will sie lieber in alle Qualen des Zweifels
in alle
Beängstigungen und Schrecknisse der gewaltsam
entfesselten Vernunft versenkt sehen, als sie noch
länger in der katholischen Weltansicht lassen.

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Mazzini verhehlt sich die Schwierigkeiten nicht, welche mit der Umgestaltung des Italienischen Volkscharakters verbunden sind. Die grösste liegt in der eigenthümlichen Natur des Italienischen Geistes, der von der Geschichte keine Vortheile gewonnen, wohl aber zahlreiche Beschädigungen erlitten hat.

meine Europäische Erneuerung der Grundlagen des Völkerlebens wird aber das ihrige thun, und ehe sie sich nicht vollzieht, werden alle äusserlichen Gewinnste unzuverlässig bleiben. Weder der Papst, noch der König von Sardinien wird es seyn, der aus nothwendig-freiem Antriebe den demokratischen Einrichtungen der Repräsentativregierung das Thor öffnet.

Dem zufolge wird auch Oesterreich Herr von Italien bleiben bis zu dem Tage, wo der fortschreitende Geist der französischen Revolution Europäisch geworden ist. Diesen Geist nimmt M. unbedenklich für den Geist der europäischen Welt. Keine Welt ohne Weltseele; die Seele Europa's ist der französische Gedanke. Hiergegen ist die aristokratische Freiheit Englands nur ein örtliches und geschichtliches, die Bundesacte der vereinigten Staaten von Amerika nur ein rein ökonomisch mechanisches Ergebniss. Ist aber der vorhin erwähnte Tag angebrochen, so wird der Europäisch gewordene Geist der französischen Revolution die geistigen und politischen Schranken Italiens ebenso zerbrechen, wie die aller jener übrigen Länder, die seit Jahrhunderten durch die materiellen Privilegien der Geschichte oder durch die Missbräuche der Gewalt unterdrückt sind. In einem jener schrecklichen Tage der Volksreaction, in einem jener Augenblicke demokratischer Wuth, welche die Staaten umstürzen und die Geschicke der Nationen umändern, wird der revolutionäre Strudel unter einer

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bisher unbekannten Form mit einem Zuge Kaiserreiche und Kaiser in sich hinabreissen. Erst dann werden die verschiedenen Nationalitäten der christlichen Völker wiederhergestellt, erst dann wird das öffentliche Recht Europa's auf eine neue, breite, feste und sittliche Grundlage sich stützen und jene rechtmässige Forderung der Freiheit, Gleichheit und des Glückes erfüllen. Dies allein ist der Beruf und die Angelegenheit unseres Jahrhunderts.

An der Hand dieser Ansichten entwickelt nun Mazzini in dem ersten Abschnitte seiner Schrift sehr anziehende Materien, zu welchen wir die Auseinandersetzung von dem wesentlich katholischen Geiste Italiens, das Bündniss zwischen den Nationalgeschicken des Landes und den allgemeinen Geschicken der Kirche, die Abhandlung über den unmittelbaren Einfluss des Papstthums und der Kirche auf den moralischen Character des Volks, über den Liberalismus u. a. m. rechnen. Von besonderem Interesse aber ist seine Zeichnung des gegenwärtigen Standes der politischen Partheien, bei der wir einige Augenblicke verweilen wollen, da unsere Leser dabei Gelegenheit finden, ihre Kenntniss aus der Quelle selbst zu vermehren, und weil in diesem Abschnitt der auf gewisse Weise die andern mitenthält, die Darstellung des Vf.'s ihren Höhenpunct erreicht.

Von der Restauration bis zur Julirevolution herrschte die Politik des Wiener Kongresses. Der Fürst Metternich bekämpfte an der Spitze derselben die durch ganz Europa hin auftauchenden demokratischen Ideen durch Systematisirung und Legalisirung der brutalen Unterdrückung. Geschicklichkeit hierin machte den Staatsmann, sowie es denn auch diejenigen unter ihnen, welche von dem alten Boden des Absolutismus, nach rasch angelegtem Konstitutions domino, auf den Revolutionsboden von 1848 hinübersprangen, treffend bezeichnet, dass sie,,Bollwerke" „Dämme" u. s. w. bauen, aber durch irgend welche Mittelchen die demokratische Wahrheit illusorisch machen. Früher war der feste, jetzt ist der geschickte Staatsman von nöthen. Früher indessen bedurfte die Gewalt doch eines theoretischen Aushängeschildes, einer Theorie, und diese Theorie war die des reinen bürgerlichen Wohlbefindens und Fortschrittes, ausserhalb jedes geistigen und sittlichen Fortschritts. Es ist ein Glück, dass den Unterdrückern von Fach die höhere Wahrheit verschlossen ist; die Unmöglichkeit eines philosophiren den Tyrannen in die Wirklichkeit

gebracht würde die Welt vernichten. Diese plumpe Auffassung der Materie brachte die Völker indessen grade der Freiheit näher. Während Hr. von Metternich allerdings die materiellen Interessen (obwohl vergebens) zu heben, und, wo es ging, die vollständige Entsittlichung ganzer Stämme herbeizuführen suchte, während er in Galizien die eine Klasse der Bevölkerung durch die andere zu vernichten gedachte, war er, oder das österreichische System unablässig bemüht, die revolutionären Bestrebungen des Jahrhunderts zu bekämpfen. Die hauptsächlichsten Vortheile dieses Systems bestanden in der Erzeugung der Gedankenleerheit, des geistigen Sumpfthums. Es war die Idee der Kurie in's Habsburgische übersetzt. Aber die klügsten Unterdrücker sind die grössten Thoren. Abwesenheit der Gedanken ist noch keine Ertödtung der Gedankenempfänglichkeit. Das beweist Wien. Die Abwesenheit der politischen Idee erzeugt Hunger, und dieser geistige Hunger ist seinem Wesen nach ganz dasselbe was der leibliche nach Platon ist, nämlich,,Leere und Begierde nach Erfüllung der Leere."

In diesen politischen und moralischen Hunger Italiens, in welchen es sein Aushungerer versetzt hatte, in diese lechzende Dürre fiel wie ein befruchtender Saatregen die französische romantische und die deutsche philosophische Literatur. Beide brachten sofort eine literarische Bewegung hervor, und äusserten auf die Entwicklung der lieberalen Ideen und Meinungen in den Italienischen Ländern einen grossen Einfluss. Nachdem aus einer schnell sich gestaltenden Doctrin in Kunst und Philosophie mehrere ausführliche Werke hervorgegangen, nachdem auch die Geschichtsschreibung wieder belebt worden, zerschlug man die gewonnenen Resultate sofort in die kleine Scheidemünze der Journalistik; es enstanden der Conciliatore, der Indicatore Livornese, der Indicatore Jenovese, die Florentiner Antologia, welche es verstanden, in dem grössten Theile der damals studirenden Jugend eine verworrene Idee, ein unklares Gefühl von Freiheit zu wekken. Die Schriftsteller, die den meisten Einfluss auf Italien ausübten, waren: V. Hugo, Royer Collard, A. Thierry, Cousin, Mignet, Thiers, Guizot, Alfr. v. Vigny, Michelet, E. Quinet, G. Sand, von den deutschen Kant und besonders Hegel, von den Engländern Scott und die ältern Historiker, kurz alle die Koryphäen der Litteratur, von denen man mit Recht sagen kann, dass sie ihre Aufgabe ver

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