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auch im Deutschen abgelöst von den principiellen Untersuchungen zu entwickeln. Es ist gewiss, dass ein solches Verfahren das System, zu dem wir uns bekennen, als System zerstört, aber auf der andern Seite muss Jeder darauf hinarbeiten, dass das Ende seines Systems herbeikomme. Ist doch Vollendung Ende, und lebte doch auch der Mensch sich zu Tode.

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Statt hinsichtlich Schellings Lehre, dieser réunion confuse de Fichte et Spinosa p. 44. Endlich, Hegels Aufgabe sey keine andere gewesen, als den von Schelling aufgestellten Pantheismus zu beweisen ; darum habe mit ihm die deutsche d. h. die protestantische Philosophie ihre höchste Spitze, aber auch ihr Ende erreicht. Die Einführung ihrer Ideen in Frankreich (durch Cousin u. A.) werde ihm weder zur Ehre noch zum Nutzen gereichen. Die wahre (katholische) Philosophie muss sich dagegen auf das Entschiedenste erklären. Was nun Hegel ausser dem Schelling'schen Pantheismus Besonderes habe, sey die Methode, ja diese sey so sehr die Hauptsache, dass seine ganze Philosophie eigentlich nur in einer gewissen Methode bestehe, p. 112. (Nennt man Methode mit Hegel: den sich entwickelnden Inhalt, so wird er selbst dies zugeben, dann aber weder nur sagen, noch auch: eine Methode). Da aber Hegel den Satz des Widerspruchs leugne, und leugnen müsse, da dieser Satz allen Pantheismus unmöglich mache (?), so sey Hegels Philosophie: l'absurdité se posant comme méthode fondamentale, und: le grand nombre prendra toujours pour folie la raison hegelienne, p. 84 ff. Wenn nun aber das Verhältniss zwischen der Hegelschen Philosophie dies ist, dass er den Verstand schmäht, und seine Philosophie am besten dargestellt wird, wenn man zeigt, wie sie mit dem gesunden Menschenverstande im Gegensatz steht, p. 144, so wäre sie, indem sie sich des Widerspruchs rühmt, gar nicht zu widerlegen, wenn es nicht Etwas gäbe, was Alle, auch die Hegelianer, gelten lassen, nämlich die moralischen Grundprincipien. Sätze, bei denen diese nicht bestehn können, sind falsch. Demgemäss sieht der Vf., wo er Hegel widerlegen will, besonders darauf, ob seine Behauptungen nicht alle Moralität aufheben. Wo er dies glaubt nachgewiesen zu haben, da ist ihm die Sache entschieden. (Uebrigens werden wohl Manche die Consequenz nicht gelten lassen, wenn der Vf., um die Ansicht zu widerlegen, dass es nur Verhältnisse und nicht selbständige Dinge gebe, behauptet: in diesem Falle gäbe es keine Freiheit, keine Zurechnung u. s. w., also sey das Daseyn von selbstständigen Wesen von der 'Moral postulirt, p. 225, oder wenn er in ganz ähnlicher Weise die Richtigkeit des principii exclusi tertii deducirt.) Man würde nun sehr irren, wenn man nach dieser Ansicht des Vf.'s von der Hegelschen Philosophie glauben wollte, er werde sich damit

Nach diesen vorläufigen Bemerkungen, welche den Gesichtspunkt der Beurtheilung feststellen sollten, werde nun das Werk des Hrn. Ott betrachtet, welches, obgleich es auf seinem Titel mehr ankündigt, doch eigentlich nur eine Kritik der Hegelschen Philosophie enthält. (Das erste Capitel, welches von Kant, Fichte und Schelling spricht, so wie der Schluss, welcher den gegenwärtigen Stand der Philosophie in Deutschland behandelt, kommen nicht in Rechnung). Der Standpunkt des Vf.'s lässt von vornherein keine sehr liebevolle Kritik erwarten. Er gehört nämlich nicht etwa zur s. g. eklektischen Schule, welche einen grossen Respect vor anderen Ansichten und, wenigstens in ihrem Hauptrepräsentanten Cousin, eine Hineigung zu deutschen Philosophemen zeigt, sondern er schliesst sich besonders an Buchez, einen Mann, der, nachdem er sich vom St. Simonismus abgewandt hat, in seinen Schriften einen Standpunkt geltend macht, der, dem Materialismus, mehr aber noch dem Pantheismus abhold, den Fortschritt des Menschengeschlechts, wie er durch den Katholicismus bedingt und möglich ist, zu seinem Panier erhebt, und welchem eine zu weit gehende antirationalistische Tendenz zum kirchlich Traditionellen öfter vorgeworfen ist. Dass einem Solchen die deutsche Philosophie seit Kant, in welcher er die eigentliche Frucht des Protestantismus sieht, nicht zusagen kann, ist klar. Er spricht es auch unverhohlen aus, dass, wie der Protestantismus selbst, so auch die Kantische Philosophie reiner Individualismus sey. Von ihr gehen aber Fichte, Schelling, Hegel aus, indem sie immer consequenter durchführten, was auf diesem Standpunkt nothwendig erwachsen müsse, den Egoismus und Pantheismus. (Diese beiden, die wir gewöhnt sind, einander entgegen zu stellen, werden von dem Vf. immer identificirt.) Die deutsche Philosophie sey überhaupt Pantheismus. Fichte's Thesis, Antithesis und Synthesis sey eine méthode, toute panthéiste p. 32, obgleich hinsichtlich seiner man noch zweifelhaft seyn könnte, ob er nicht viel mehr „athée" sey. Gar kein Zweifel aber finde

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begnügen, nur einzelne Stellen einer so wahnsinnigen Lehre zu beleuchten. Der Vf. hat sichs nicht leicht gemacht, sondern er geht dem System Schritt vor Schritt nach, indem er eine „Analyse" der einzelnen Theile desselben gibt, welche dem grössern. Theil nach eine vollständige Uebersetzung der Haupt-SS der Encyclopädie ist. (Dem grössern Theil nach, sagen wir; denn bei der Lehre vom subjectiven Geist hat er wohl Michelet und nicht Hegel vorgehabt, wenn er dieselbe in die Lehre von der Seele, dem theoretischen Geist, dem praktischen Geist zerfallen lässt.) Dies ist nun das Haupt- Interesse, welches dieses Werk gewährt. Er gesteht selbst, dass er sehr oft genöthigt gewesen sey, de faire violence à la langue française und es ist wahr, wenn man findet le je für das Ich, immédiateté für Unmittelbarkeit, mediatisé für vermittelt, choséité für Dingheit, le quod est (?) für Daseyn u. s. w., so kann man sich die Augen reiben die Schuld aber schiebt er nur zum Theil auf die eben von uns gerühmten, von ihm natürlich getadelten, Eigenthümlichkeiten der deutschen Sprache; der Hauptgrund ist ihm: la plupart des déductions de ce philosophe reposent sur de purs artifices de langage. Dem Ref. erscheint die Sache anders. Er sieht darin, dass die Hegelsche Logik, namentlich in der ursprünglichen Gestalt, die ihr Urheber ihr gab, noch weit davon entfernt ist, so in die allgemeinen Vorstellungen übergegangen zu seyn, dass verschiedene Bezeichnungen ihrer Kategorien für gleich gute gelten, unter welchen sich denn auch solche finden, die ganz gut ins Französische übersetzbar sind. Dies ist der sachliche Grund, warum die Paraphrase des Hrn. Ott nicht französisch ist, d. h. warum kein Franzose, der nicht Hegel studirt, oder seine Werke neben sich liegen hat, aus diesem Werk Hegels Ansicht wird kennen lerDazu aber kommt ein zweiter persönlicher Umstand. Hr. Ott kann, das geht aus seiner Arbeit hervor, ganz gut Deutsch, man würde ihm ferner Unrecht thun, wenn man läugnen wollte, dass er sich mit Hegel viel beschäftigt hat. Allein dass er in den eigentlichen Sinn seiner Lehre recht eingedrungen seyn sollte, das wird beim Lesen seines Buchs oft zweifelhaft, wenn man sieht, dass er Kategorien, bei welchen man die Wahl hat zwischen mehreren französischen Worten, gerade mit den minder entsprechenden übersetzt. Ein Beispiel anstatt vieler, weil es zugleich dazu dient, dem, nicht nur in Frankreich von Ott u. A., sondern auch in Deutsch

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land vielfach gepredigten Aberglauben zu begegnen, als wenn Hegel sich darin gefalle, bei dem Widerspruch stehen zu bleiben. Hegel geht bekanntlich in der Logik von der Betrachtung des Widerspruchs zu der Kategorie Grund über, und bedient sich bei dieser Gelegenheit des Ausdrucks, der Widerspruch gehe zu Grunde. Hr. Ott sagt nun p. 199 sehr spöttisch: cet heureux jeu de mots fournit la transition, ganz als wenn nicht (wenigstens in der grossen Logik) gezeigt würde, dass das sich Vernichten oder das Aufhören des Widerspruchs nur eine Seite in diesem Uebergange wäre, welcher vollständig und kurz von Hegel sehr oft so ausgesprochen wird: der aufgelöste Widerspruch ist Grund. Weil nun aber bei Hrn. Ott dies feststeht, dass es sich nur um ein Wortspiel handelt, welches höchstens deutlich zu machen (wenn auch nicht wiederzugeben war), wenn man an s'enfoncer erinnert, p. 199, so entscheidet er sich bei der Uebersetzung für das Wort fond, und übersetzt wortgetreu: ils vont à fond, ils deviennent le fond. Nur beiläufig sagt er, dass bei dem Hegelschen,,fond" der Gedanke der raison suffisante mit zu spielen pflege. Und doch brauchte Hr. Ott nur sich selbst zu fragen, wie er es macht, wo ihm ein Widerspruch begegnet, und er hätte zugleich mit dem richtigen Wort auch die Erkenntniss - dass Hegel in jener Ableitung ganz Recht habe. Jedesmal nämlich, wo Hr. Ott bei Hegel einen Widerspruch entdeckt, folgert er daraus oder sagt, es folge daraus — dass Hegels Philosophie unwahr sey oder dgl. Also steht ihm dies ganz fest, dass aus einem Widerspruch etwas folge. Dies allein aber behauptet Hegel. „Der Widerspruch ist Grund" oder „er hat eine Folge" sind gleichbedeutende Ausdrücke, und für Hegels, Grund" wird darum das beste französische Wort das seyn, welches bezeichnet d'où on tire des conséquences. Wähle man nun hier source, wähle man principe, wähle man raison, man wird besser gewählt haben, als wenn man fond nahm. Hegel fordert also, und er rechtfertigt diese Forderung, dass aus dem Widerspruch und darum aus jedem - gefolgert, dass zur Folge fortgegangen, also nicht bei ihm geblieben, er vielfach negirt, aufgelöst werde. (Die Folge ergibt sich erst dann, und da doch Grund nur ist, wo Folge ist, so war mit Recht oben gesagt, dass der aufgelöste Widerspruch Grund einer Folge sey). Darum ist Hegel eben so wenig ein Freund der Widersprüche, als der gesunde Menschenverstand, oder

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auch als Hr. Ott es von den Hegelschen Widersprüchen ist. Nur unterscheiden sich beide darin, dass, wo Hegel den Widersprüchen begegnet, er sie zu überwinden sucht, indem er zusieht, was weiter aus ihnen folgt. Dagegen sieht Hr. Ott in den Widersprüchen der Hegelschen Philosophie immer nur Veranlassung auf ihren Grund, den Hegelschen Pantheismus zurückzugehen. Er nimmt sie also nur als Folgen dieser Irrlehre, und dies ist Schade, denn dadurch kommt er nicht weiter (in die Hegelsche Philosophie hinein). Er sagt nur: es folge aus den Widersprüchen etwas, aber er meint, es liege ihnen Etwas, der Pantheismus, zu Grunde, und da er diesen einmal verabscheut, so bleibt ihm kein anderes Mittel, als dass er behauptet, man müsse es zu solchen Widersprüchen gar nicht kommen lassen. Damit aber nimmt er sich auch gerade das einzige Mittel, den Pantheismus zu überwinden. Oben ward schon mit einem Fragezeichen die Behauptung begleitet, dass der Satz des Widerspruchs das Schutzmittel gegen den Pantheismus sey. Die Verwunderung ist erlaubt, da gerade an dem Beispiel des Vf.'s sich zeigen liesse, dass die Recht haben, welche das einseitige Festhalten jenes Satzes als Princip des Pantheismus ansehn. Im Interesse für ihn bestreitet z. B. der Vf. Hegels Behauptung, dass Werden im Uebergehen von Seyn zu Nichtseyn oder umgekehrt sey. Wir wollen hierbei nicht dabei stehen bleiben, dass, wenn der Vf. behauptet, werden (devenir) sey nur eine modification qui se passe dans l'être, p. 53, und zur Exemplification den Satz anführt: les cheveux sont devenus gris, dies ein Paralogismus ist, indem die Haare zu nichts Anderem werden, sondern (Haare) bleiben, während das Schwarz in Nicht - schwarz übergeht oder dazu wird. Die Hauptsache ist, dass der Vf. sagt, eine solche Einheit von Seyn und Nichtseyn gebe es nicht. Damit aber ist auch behauptet: ex nihilo nil fit, ein Satz, welcher von einem eben so acharnirten Pantheistenfeinde, als der Vf. ist, von F. H. Jacobi, bekanntlich und mit Recht als das eigentliche Schiboleth alles Pantheismus bezeichnet ward. Es ist ferner nur das einsei

tige Festhalten an dem Satz des Widerspruchs, welcher den Vf., trotz seines zur Schau getragenen Interesses für die Freiheit, die Basis aller Freiheit läugnen lässt. Er behauptet nämlich p. 258, der Begriff der Wechselwirkung müsse aufgegeben werden, weil er sich widerspreche, auch sey er

pantheistisch. Eben so auch der Begriff des Selbstzwecks. (Gerade Spinoza aber hat jene loi circulaire, die der Vf. an die Stelle setzt, gelehrt.) Nun hat aber Hegel gezeigt, und seine Behauptung liegt in dem Bewusstseyn eines Jeden, der sich orientirt, dass Causalität als das einseitige Determiniren eines Andern (der Wirkung) gegen die Freiheit als das sich selbst Determiniren einen Gegensatz bildet; dass nun der Uebergang von dem Anderes Determiniren zur Selbst - Determination durch das Einander - Determiniren gemacht wird, darin wird Niemand ein Paradoxon sehn können. Was sich selbst determinirt, sich selbst zur Ursache und Wirkung hat, nennt Hegel bekanntlich Subject (im Gegensatz gegen blosses Substrat), aber auch Begriff (in dem Sinne, wie etwa Plotin von der Natur sagt, sie sey Jɛwoía); ohne den Begriff der Wechselwirkung wäre daher wahre Subjectivität d. h. Freiheit nicht zu denken. So wenig nun der Ref. der, öfter ausgesprochnen, Ansicht ist, dass mit dem Begriff der Subjectivität allein aller Pantheismus überwunden sey, indem man Gott sehr gut als (Welt)-Subject denken und doch Pantheist seyn kann, so ist das Negative gewiss richtig: ohne den Begriff der Subjectivität ist der Pantheismus wissenschaftlich nicht zu widerlegen. Was dann endlich die Kritik im Einzelnen betrifft, so zeigt dieselbe in vielen Stellen ein Missverständniss der Hegelschen Lehre. Ein sehr grosser Theil desselben muss darauf geschoben werden, dass der Vf., wo Hegel, Identität" sagt, darunter immer Einerleiheit (Indifferenz) versteht, während Hegel doch ausdrücklich sagt, die Identität enthalte diese und ihr Gegentheil, also zweierlei, so dass er gerade das Gegentheil von Einerleiheit darunter versteht. Darum hätte der Vf. den Sinn Hegels besser getroffen, wenn er (in den meisten Stellen wenigstens) Hegels Identität mit coincidence, point de coincidence, oder ähnlich übersetzt hätte, dies wäre weniger wortgetreu, aber der Sache nach richtiger gewesen. Der Vf. nennt es ein Sophisma, dass nach Hegel identisch sey, was sich suppose réciproquement. Nur dies aber versteht Hegel unter Identität. Für das, was der Vf. so nennt, hat er die Worte: Einerleiheit, unterschiedslose Einheit u. s. f. Es geschähe aber dem Vf. Unrecht, wenn nicht zugestanden würde, dass an vielen Punkten er gegen Hegel Recht hat.

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(Der Beschluss folgt.)

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Monat März.

Ethik.

1849.

Theologische Ethik. Von Dr. Richard Rothe, Grossherzogl. Badischem Kirchenrath, ord. Prof. d. Theologie u. s. w. zu Heidelberg. Dritter Band. gr. 8. VI u. 1125 S. Wittenberg, Zimmermann. 1848. (5 Thlr.)

Dasselbe Jahr 1848, in dessen Herbst der Vf.

einem Ruf an die Universität Bonn gefolgt ist, hat uns nach einem Zwischenraum von 3 Jahren den dritten Band und mit diesem die Vollendung dieses originellen Werks gebracht, dessen zwei ersten Bde. in der A. L. Z. 1846 Nr. 57 flg. von einem andern Rec. besprochen sind. Vorliegender fast 70 Bogen füllende Band enthält die gesammte Pflichtenlehre, nachdem die Güter- und die Tugendlehre in den beiden früheren vorangegangen; und zwar in einer Ausdehnung, durch welche das Rothe'sche Werk kaum der christlichen Moral von Reinhard in Ansehung der Reichhaltigkeit des Inhalts nachsteht, was schon ein vergleichender Blick auf Format und Druck beider zu erkennen gibt. Die Pflichtenlehre zerfällt dem Vf. in zwei Abtheilungen. 1) Der Begriff der Pflicht S. 1-110. 2) Das System der Pflichten S. 111-1125. Letztere Abtheilung, sagt er, sey seinem Gefühle nach, bezüglich ihres Inhalts, grösstentheils von der Art, dass sie sich nur mündlich gesprochen zu werden eigne, nicht niedergeschrieben oder gedruckt zu werden. Man verlange es aber einmal anders, und so habe er auf die Gefahr hin, kirchlicher Abhängigkeit von seinen Vorgängern bezichtigt zu werden, sich entschlossen, die wesentliche Errungenschaft der bisherigen Bearbeitung desjenigen Theils der Sittenlehre, welcher nach herkömmlicher Weise ausschliesslich Gegenstand einer eingehenden wissenschaftlichen Behandlung war, nämlich der Pflichtenlehre, sorgfältig einzusammeln und zu bearbeiten. Dadurch habe seine Arbeit einen ausgesprochen compilatorischen Charakter erhalten. Wir dürfen durch dieses Geständniss uns durchaus nicht berechtigt halten, dem Inhalt dieses Theils weniger

Halle, in der Expedition der Allg. Lit. Zeitung.

Aufmerksamkeit zu widmen als dem der übrigen; nicht nur ist es erwünscht, sämmtliche Autoritäten oder Wortführer der philosoph. und theolog. Moral aus neuerer Zeit über die speciellsten Gegenstände und Fragen der Sittenlehre hier wie in einem Parlament versammelt abstimmen zu hören, sondern das individuelle Urtheil des Vf.'s ist oft schon um seiner Singularität willen interessant und leiht dem Buche Farbe; auch geht er in den allgemeinen Materien, wovon uns eine kurze Darlegung des Inhalts überzeugen wird, nach Maassgabe seiner Güter- und Tugendlehre seinen eigenthümlichen tiefen Gang öfter mit derber und scharfschneidender Polemik. Doch zur Sache.

Der Begriff der Pflicht hat zur Voraussetzung seiner Entstehung die Abnormität der sittlichen Entwickelung. Setzt man die absolute Normalität der sittlichen Entwickelung der Menschheit voraus, so zeigt sich bei Untersuchung des sittlichen Prozesses in concreto die Frage nach der Pflicht, so entschieden sie auch bei der rein logischen Betrachtung sich aufdringt, als völlig überflüssig. Dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben. Sich selbst anheimgegeben kann das verirrte und verwilderte sittliche Vermögen der Einzelnen sie ihrer individuellen sittlichen Bestimmung nicht mehr zuführen; wenn nicht jeder weitere Schritt der sittlichen Entwickelung eine weitere Steigerung der sittlichen Verwickelung und eine weitere Entfernung von dem angestrebten Ziel seyn soll, muss das menschliche Handeln einer es regelnden Macht unterworfen, die Selbstbestimmung Aller durch eine für sie maassgebende Regel gebunden werden. Diese Regel nun ist das Gesetz, und die durch sie dem Handeln vorgeschriebene Bestimmtheit (Weise) die Pflicht. Allein in dem natürlich sündigen Menschen ist das sittliche Vermögen der ihm gestellten sittlichen Aufgabe wesentlich inadäquat, und es ist deshalb unmöglich, eine Formel zu erfinden, nach der er dasjenige zu vollbringen vermag, was wesentlich über sein Vermögen hinausgeht. Anders stellt es sich jedoch, sofern eine Erlösung gegeben

ist, also im Christenthum. Auf ihrer Basis ist des natürlichen Sündenverderbens und der aktuellen Sündigkeit der Menschheit ungeachtet die Lösung der sittlichen Aufgabe zur Möglichkeit geworden. Soll aber die Erlösung wirklich gelingen, so kommt es darauf an, dass eine Formel für das Handeln der im Erlöstwerden begriffenen Individuen aufgefunden werde, mittelst deren Befolgung die Hinüberführung der abnormen, natürlichen sittlichen Entwickelung kraft der Erlösung in die Normalität auf schlechthin stätige Weise mit Sicherheit erfolgen muss; also ein diesem Zweck genau entsprechendes Gesetz für die in der Erlösung Begriffenen. Auffindbar muss eine solche Formel oder Gesetz schlechterdings seyn, weil ja in der Erlösung die zur Herstellung der sittlichen Normalität zureichende Causalität gegeben ist. Aber keiner der noch im Erlöstwerden Begriffenen kann aus sich selbst allein dieses Gesetz auffinden. Nur der kann es, welcher selbst das Princip der Erlösung ist, der Erlöser selbst. Ja er muss seinem Begriff nach ein solches zu geben vermögen.

Mit dieser von uns in gedrängtem Auszug des S. 806 gegebenen Entwickelung beginnt die Pflichtenlehre; und wir sehen, dass, wie in der Güterlehre das höchste Gut zuerst als abstractes Ideal, abgesehen von Sünde und Erlösung, dann aber auch in seiner concreten Wirklichkeit, desgleichen in der Tugendlehre die Tugend einmal als abstractes Ideal und hinwiederum in ihrer concreten Wirklichkeit (s. Band I. II.) construirt worden; der Vf. auch ein Sittengesetz in doppeltem Sinn, ein weiteres, abgesehen von dem Seyn in der Welt der Sünde; ein engeres, unter letzterer Voraussetzung und zwar im Zusammenseyn mit einer Erlösung unterscheidet. Ersteres, als ursprünglich mit dem Geschöpf selbst unmittelbar gegebene Regel für sein Handeln, ausdrückbar in der Formel: „Handle in jedem Moment schlechthin selbstbewusst und schlechthin selbstthätig und zwar beides in Einem, mit dem vollen Maass der bereits in der entwickelten Intensität der Persönlichkeit", hat für die Pflichtenlehre nur die Dignität eines höchsten regulativen Kanon. Entwickelt kann sie nicht aus ihm werden, weil es ein absolut normales Handeln fordert und wir, so lange der Process der Erlösung an uns noch nicht schlechthin vollzogen ist, kraft der göttlichen Gnade nur ein relativ normales Handeln zu Stande bringen. Erst das christliche Gesetz ist diejenige Formel für das Handeln,

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vermöge deren Einhaltung für den natürlich sündigen Menschen kraft der ihm durch die Erlösung zu Theil werdenden göttlichen Gnade die wirkliche Lösung der sittlichen Aufgabe möglich ist. Dasselbe kann nur ein positives, näher göttliches, geoffenbartes seyn, S. 806-810. Seine Aufgabe ist, eine Formel aufzustellen, welche für jeden zu gebenden concreten Fall die Bestimmung für das richtige Handeln enthalte. Wegen des specifisch Individuellen an jedem Handeln aber, welches sich unter keine Gesetzesformel bringen lässt, bedarf das Gesetz einer Ergänzung nach der Seite des Individuellen hin. Dies nennt R. die individuelle Instanz, ungenau sonst Gewissen" genannt. Sie ist das sittliche Gefühl mit Einschluss des religiösen da die Sittlichkeit dem Vf. wesentlich zwei Seiten hat, die an sich sittliche und die religiöse und der sittliche Trieb mit Einschluss des Gewissens in ihrer nothwendigen Wirksamkeit bei Ausübung der Jurisdiction des Gesetzes, S. 811-13. Fragt man, worin dieses Gesetz bestehe, das nur durch den Erlöser selbst gegeben werden kann, so ist nach dem Vf. dieser nicht unmittelbar sittlicher Gesetzgeber, sondern seine Gesetzgebung ist wesentlich vermittelt durch die Stiftung und Regierung eines christlichen Gemeinwesens, dem er selbst kraft seines h. Geistes als das seine Entwickelung bewegende Princip einwohnt, und welcher seinen Angehörigen ein sich continuirlich nach Maassgabe des Fortschritts seiner Entwickelung in immer wechselnden Modificationen seiner Fassung aus sich selbst heraus neu verjüngendes Gesetz gibt (S.828). Dieses Gesetz ist die christliche Sitte im weitesten Sinne des Worts - also diejenige Weise des Handelns, welche durch die jedesmalige öffentliche Gesetzgebung des christlichen Gemeinwesens zusammen mit der in diesem jedesmal geltenden öffentlichen sittlichen Meinung bestimmt wird. Zum höchsten Regulativ hat das christliche Gemeinwesen bei seiner Sittengesetzgebung nothwendig die sittliche Erscheinung des Erlösers, als in welcher die absolute Norm (oder das Sittengesetz im weitern Sinn) erschienen ist und zur unmittelbaren Norm die im N. T. urkundlich niedergelegte apostolische Sittengesetzgebung, welche als authentische Auffassung des in dem Erlöser selbst erschienenen Princips der christlich ethischen Gesetzebung für alle folgenden Auffassungen und Handhabungen desselben und als das primitive Glied in der geschichtlichen Entwickelungsreihe des christlichen

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