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man fürchtet, sie werde dem Despotismus der Majoritäten unterliegen. Nur diese Uebersicht können wir hier unseren Lesern geben, mit der Versicherung, dass der Vf. alle diese Einwürfe so vollständig aufgezählt, so scharf geschieden, so klar dargelegt, so unbefangen in ihrer ganzen Stärke entwickelt, und fast durchgängig so bündig widerlegt hat, dass hier für jeden nicht einseitig Verblendeten die Verwarnungen der Alleinrechtgläubigen, die Bedenklichkeiten der Staatsmänner, die frömmelnden Tiraden der Hierarchen und die Befürchtungen der Aengstlichen siegreich zurückgewiesen sind, so dass der Angstruf der Gläubigen in sein Gegentheil umschlägt, und in seinem wahren Lichte als unfreiwilliges Zeugniss ihres Unglaubens erscheint. Als eine schätzbare Zugabe müssen wir endlich den letzten Abschnitt: die freien Gemeinden, bezeichnen. Eine Zugabe nämlich bleibt derselbe immer nur, weil das Thema der Schrift in dem Bisherigen eigentlich schon erschöpft war, und daher auch manche Gedanken hier nur in weiterer Ausführung wiederholt werden. Dennoch aber nennen wir diese Zugabe mit Recht eine schätzbare, da hier über die freien Gemeinden ein wahrhaft unbefangenes, über den Parteien stehendes Urtheil gegeben ist, wie es selten vernommen wird, und weil zugleich in der Entstehung und Beschaffenheit der freien Gemeinde der anschaulichste Beleg für die Nothwendigkeit einer christlichen Verfassung nachgewiesen wird. Entstehen mussten die freien Gemeinden mit Nothwendigkeit durch die Machinationen der conservativen Theologen, welche nicht blos den falschen, sondern auch den wahren Fortschritt bekämpften, und sich dazu sowohl der alten Symbole als Waffen bedienten, als auch die Staatsgewalt zu ihrer Hülfe aufriefen. Dadurch wurden zuerst Proteste, dann die Versammlungen der protestantischen Freunde, und endlich Absonderungen von der Staatskirche herbeigeführt, die sich hätten verhüten lassen, wenn sowohl die dogmatische, als die kirchliche Entwikkelung freigegeben wäre. Allerdings finden sich nun in den freien Gemeinden eben sowohl nichtchristliche, als christliche Elemente; aber die ersteren werden sich selbst richten, wenn man nur nicht mit Gewalt gegen sie einschreitet, und die letzteren, die ihre reinste Repräsentation in der Magdeburger Gemeinde finden, werden sich immer völliger durchbilden und sich mit der Kirche wieder vereinigen, sobald ihr nur eine wahrhaft christlich-freie Verfassung zu Theil wird. Wer

den Gang der Weltbegebenheiten beobachtet, seitdem der Vf. geschrieben hat, der weiss auch, dass er damit bereits auf gutem Wege ist, und dass die hier angedeutete Zukunft der Kirche schon im Begriff steht, zur Gegenwart zu werden.

Während Nr. 1, wie wir gesehen, mehr neue allgemeine Grundlinien zeichnet, geht Nr. 2 specieller auf das bisher Bestehende und Geschehene ein, um daran zu knüpfen und das daraus abzuleiten, was ferner geschehen könne und solle. In lebendiger Erinnerung an die Berliner Generalsynode, sowohl hinsichtlich dessen, was sie geleistet, als was sie zu wünschen übrig gelassen, richtet Hr. Dorner sein Wort zunächst an seine damaligen Collegen Nitzsch und Müller, und setzt gleichsam die dort gepflogenen Verhandlungen auf gleicher Basis fort. Es sind drei Sendschreiben, die er hier an die genannten Männer als Gleichgesinnte richtet. In dem ersten betrachtet er die deutschen evangelischen Landeskirchen, besonders die preussiche, in ihrer jetzigen Lage, und hier beschäftigen ihn die Fragen: was ist gefallen? und was ist aus den Mitteln, die übrig sind und die Gott darreicht, festzustellen? Tief beklagt er die Auflösung der bisherigen innigen Verbindung des deutschen Staates mit dem Christenthum, besonders in Preussen seit den bekannten Verhandlungen des Berliner Landtages über die Judenfrage. Der Staat hat, den Indifferentismus zu seinem innersten Princip gemacht, und die christliche Kirche aus seinem Herzen entlassen;" die Kirche ist dadurch in einen ,, Stand der äusseren Erniedrigung" versetzt, und muss nur suchen, „, den Unsegen in Segen zu verwandeln." Wir können in die beliebte und mehr schön klingende als wahre Rede von dem ,, christlichen Staate" nicht einstimmen, und schon in der Entlassung der Kirche, die wir indessen nicht als eine Entlassung aus dem ,,Herzen," sondern aus den Händen, aus der Obermacht und Vormundschaft des Staates betrachten können, nicht sowohl eine „Erniedrigung,' sowohl eine Erniedrigung," als vielmehr eine Erhebung zur wahren Selbstständigkeit, und nicht sowohl einen „Unsegen," der erst in Segen verwandelt werden müsste, als vielmehr einen wahren Segen, indem nun endlich die Kirche zum vollen Erwachen und zur rechten Besinnung über das, was sie ist und seyn soll, gelangt und zur selbstthätigen Entfaltung ihrer bisher gebundenen und gehemmten Kräfte sowohl durch äusseren Impuls als durch innere Nothwendigkeit getrieben wird. In diesem Sinne rufen auch wir der Kirche mit dem

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sche einigen könnte. Aber wenn der Vf. dasselbe S. 41 bestimmt als ,, den wesentlichen Consensus des anerkannt Evangelischen, wie er sich historisch aus den ev. Glaubensbekenntnissen ergiebt;" so ist die reine Basis des wirklich und ursprünglich Evangelischen schon verlassen, dagegen der schlüpfrige Boden der kirchlichen Dogmatik betreten, und wir werden die Nicänische Homousie, die Athanasianische Trinität, die Augustinische Erbsünde und die Anselmische Satisfactio vicaria, weil sie von den Reformatoren adoptirt und in alle ev. Bekenntnisse übergegangen sind, auf guten Glauben als charakteristisch evangelische Lehrsätze annehmen müssen, wiewohl das N. T. sie nicht kennt, und Jahrhunderte vergingen, ehe sie in die Kirche eindrangen. Der Vf. kommt daher auch nicht weiter, als bis zu einem,, ergänzenden Bekentnissacte" zu den bisherigen,,in ihrem rechtlichen Bestande nirgends anzugreifenden Symbolen," und dies ist der wunde Fleck, durch den alles, was er sonst Wahres sagt, Haltung und Anwendbarkeit verliert. Denn nur wenn der nothwendige Bekenntnissact selbst, als ein nicht ergänzender, sondern vielmehr reinigender, vereinfachender, auf das wahrhaft und wesentlich Evangelische zurückführender, richtig gefasst wird, ist ihm darin völlig beizustimmen, dass derselbe ein Act der deutschen ev. Gesammtkirche seyn müsund dass, um diese in's Leben zu rufen, eine durchgreifende Verfassungsreform nöthig sey, bei der beide Pole, der landeskirchliche und der nationalkirchliche, auf einander wirken müssen, wenn ein wahrhaft ganzes Werk hervorgehen soll. Die Möglichkeit einer solchen Reform, das ist nicht minder anzuerkennen, liegt eben jetzt näher als je, weil mit der Trennung der Kirche vom Staate zugleich die territoriale Scheidewand gefallen ist, und die nicht mehr durch äussere Grenzpfähle gehinderten Landeskirchen dem freien Zuge ihres inneren Wesens zum Wahlverwandten folgen können. Wie nun diese deutsch-evangelische Kirchenreform zu verwirklichen sey, darüber verbreitet sich der Vf. in dem dritten Sendschreiben. Unter nochmaliger Wiederholung des im 2ten schon über die Symbolfrage Gesagten, fordert er eine allgemeine deutschevangelische Kirchenversammlung, die allein das berechtigte Organ für den geforderten Bekenntnissact seyn kann, und die, wenn sie keine Unwahrheit seyn will,,, heit seyn will,,, an den evangelischen Glauben gebunden ist." Ganz richtig, wenn der Vf. nur nicht mit diesem Worte das beliebte Versteckspiel triebe, und unter dem ev. Glauben den Consensus sämmt

Vf. zu:,,So fasse sie sich denn, abgelöset von all jenen Verflechtungen und Verwickelungen, die ihr das bisherige Verhältniss zum Staate nicht ohne Trübung ihres inneren Wesens brachte, kräftig in sich zusammen, und verwandle jene Entlassung durch den Staat in die rechte Freiheit in Gott in der Abhängigkeit von ihrem Haupte Christus!” →→ Das zweite Sendschreiben zeigt nun die Nothwendigkeit und Möglichkeit einer evangelischen deutschen Nationalkirche. Die Nothwendigkeit derselben wird sowohl aus der Bekenntnissfrage als aus der Verfassungfrage deducirt. Was die erstere betrifft, so können wir freilich die vorangestellte Behauptung, dass die deutsch-evangelische Kirche an sich seit der Reformation eine Einheit gewesen sey, nicht in der Wahrheit gegründet finden, da die Geschichte auf allen Seiten zu laut dagegen zeugt. Darin aber müssen wir ihm beipflichten, dass weder das frühere Corpus Evangelicorum, noch die neueren Unternehmungen für innere und äussere Mission, Bibelverbreitung und Unterstützung kirchlich nothleidender Glaubensgenossen im In- und Auslande, noch endlich die Evangelical Alliance, ganz geeignete Mittel seyen, diese Einheit herzustellen oder darzustellen. Mehr Gewicht legt der Vf. auf die evangelische Conferenz von 1846; aber der von ihm ausgesprochene Tadel, dass dort das Volk nicht nach eigener freier Wahl vertreten war, ist weder der einzige, noch der grösste, der die Zusammensetzung dieser Conferenz trifft; viel bedeutender ist das Factum, dass dort nicht alle vorhandenen religiösen Richtungen vertreten waren, und man ihr daher von vornherein das Prognostikon der Einseitigkeit stellen musste. An das dort schon Eingeleitete anknüpfend, meint nun der Vf., es sey jetzt die Aufgabe dieser Zeit, sich wieder klar und lichtvoll zum evangelischen Glauben zu bekennen, und dies müsse nicht sowohl ein Act der einzelnen Landeskirchen, als vielmehr der gesammten Nationalkirche seyn. Ein blosses Wiederbekennen der alten Symbole würde nur ein vergeblicher Restaurationsversuch seyn; denn kein einziges derselben habe sich je zum allgemeinen Bekenntniss erheben können. Die Gesammtkirche müsse daher einen entsprechenden Ausdruck ihres Glaubens suchen, bei dem den Einzelkirchen das Recht des eigenthümlich Confessionellen bleibe, und dieses Gesammtbekenntniss dürfe nur das charakteristisch Evangelische als das gemeinsame Panier aufstellen. Das ist Alles sehr wahr, wenn man sich nur erst über das charakteristisch Evangeli

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licher Bekenntnisse der ev. Landeskirchen verstände, ohne zu bedenken, dass auch in dem ihnen allen Gemeinsamen schon viel Unevangelisches enthalten seyn kann, was die Reformatoren aus der alten Kirche herübernahmen, und was sich nur auf die Autorität der Kirche und kirchlichen Schriftauslegung stützt. Diese periodisch wiederkehrende Kirchenversammlung soll entscheiden über die Mitgliedschaft oder das Bürgerrecht in der ev. Nationalkirche, soll das Gemeinsam-evangelische schützen gegen Uebergriffe des Sondertypischen, und die Confirmation wie die Ordination überwachen. Bei allen diesen Functionen aber soll,, der freien Mannichfaltigkeit all der Spielraum vergönnt werden, den das ev. Princip gutheisst," und sie soll ihre Grenze nur haben an der „nothwendigen Einheit im Glauben und in der Liebesgemeinschaft." Es soll demnach ein esangelischer Kirchenbund in's Leben treten, der keinen ,, evangelischen Papst,' auch keine erbliche oder nichterbliche Dictatur eines Einzelnen braucht und duldet, wohl aber eine ,,Centralgewalt," einen ,,ständigen obersten Rath," als vollziehende Gewalt. Eine solche neue Organisation kann nicht hervorgehen allein aus freier Association, auch nicht allein aus Anordnungen der landesherrlichen. Kirchenregimente, sondern, unter Voraussetzung und mit Benutzung beider, aus erneuerten und fortgesetzten ev. Conferenzen, die sich allmählig zu einer allgemeinen. deutscher ev. Kirchenversammlung durchleben. Mit diesen Grundzügen begnügt sich der Vf., und wir sind ihm in der Entwikkelung derselben gern gefolgt, müssen aber nochmals bemerken, dass hiebei Alles auf die richtige Fassung des Begriffs der Evangelischen ankommt, und dass, so lange derselbe so unevangelisch, wie wir es bei dem Vf. gesehen haben, fixirt wird, auch aus den trefflichsten Vorschlägen keine wahrhaft evangelische Realität herauskommt.

Der Vf. von Nr. 3 ist bereits als Fürsprecher der freien Gemeinden rühmlichst bekannt. Die hier vorliegende Flugschrift bezieht sich ganz speciell auf die kirchliche Entwickelung in Preussen, und liefert in der Beurtheilung des Entwurfs der Verordnung über die Berufung einer ev. Landes-Synode einen neuen Beweis von der Unbefangenheit, der Umsicht und dem wahrhaft evangelischen Sinne des Vf.'s. Die Verordnung bestimmt die Wahl der Deputirten in den westlichen Provinzen durch die ausserordentlicher Weise zu berufenden Pro

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vinzial-Synoden, in den östlichen zunächst durch die Kreis- und dann Provinzial - Synoden. Mit Recht bemerkt der Vf. dagegen, dass dadurch das geistliche Element ein ungehöriges Uebergewicht erhalten, dass überhaupt Synoden, als bleibende organische Körperschaften, zum Wahlgeschäfte nicht geeignet sind, dass endlich das Repräsentations - Verhältniss nach den Ephorien ein durchaus ungleiches ist. Ferner tadelt er mit Grund die als Erfordernisse zur activen und passiven Wahl gestellten Ausdrücke: selbständig und unbescholtenen Rufes," als unbestimmt und verschiedener Deutung fähig, und verlångt für die kirchliche Stimmfähigkeit dieselbe Grundlage, die für die politische in dem Wahlgesetze vom 8. April 1848 gegeben ist. Weiter protestirt er dagegen, dass die Superintendenten und Geistlichen geborene Mitglieder der Synoden als Wahlcollegien seyn sollen, so wie gegen die doppelt indirecte Wahl durch Kreisund Provinzial Synoden, dann gegen das numerische Verhältniss der Geistlichen und Weltlichen, und endlich gegen die Ausschliessung der von der Staatskirche ausgeschiedenen Gemeinden, für die er gleichmässige Vertretung auf der Synode verlangt. Sein Urtheil über den Entwurf ist daher kurz dieses:,, derselbe räumt erstlich den geistlichen Elementen überhaupt in der Kirche bei den Wahlen eine viel grössere Stimmenzahl ein, als dem Interesse der Gemeinden gegenüber recht und billig ist; der Entwurf giebt zweitens in seinen Hauptsätzen den speciellen Elementen und Hebelu des bisherigen Kirchenregiments einen solchen Einfluss auf die Wahlen, dass leicht bedenkliche Collisionen daraus erwachsen können. Das zu erlassende Wahlgesetz muss deshalb die Grundzüge des Entwurfs wesentlich verlassen, wenn die constituirende Synode mit Vertrauen von der ev. Kirche des Landes begrüsst werden soll." Wir wünschen diesen Wahrheiten recht allgemeine Anerkennung, und überlassen uns für die Zukunft der Kirche der Hoffnung, dass sowohl in Preussen, wie in anderen deutschen Ländern, auch jeder Schein eines Versuches verschwinden werde, als sollten bei der im Werke begriffenen Wiedergeburt der Kirche doch möglichst vicle Reste des früheren Regiments aus dem Schiffbruch der alten Zeit in die neue hinüber gerettet werden; damit wir bald in voller Wahrheit mit dem Apostel sagen können: das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu worden! p.

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ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Monat Februar.

Völkerrecht.

1849.

Henry Wheaton, Éléments du droit international. 2 Vols. gr. 8. (XIX u. 733 S.) Leipzig, Brockhaus et Avenarius 1848. (4 Thlr.)

Vo

orstchendes Werk ist das letzte Product wissenschaftlicher Thätigkeit eines Nordamerikaners, der längere Zeit in Europa gelebt hat und namentlich inmitten unseres Deutschen Vaterlandes und angeregt durch Deutsche Wissenschaft in Berlin den ernstesten Studien oblag, eines Mannes, der sich um die Wissenschaft des Völkerrechts die wesentlichsten Verdienste erworben und der durch scine mancherlei Schriften über das internationale Recht unstreitig sehr viel dazu beigetragen hat, das ungemein lebhafte Interesse der Gegenwart für internationale Rechtsstudien hervorzurufen, wenn er auch keineswegs als Einer zu bezeichnen ist, der selbst den neuen principiellen Umschwung der Völkerrechtswissenschaft, wie er seit einem Decennium in Deutschland, namentlich durch Heffter's, Pütter's und vieler Anderen Forschungen, herbeigeführt worden ist, zu Tage gefördert habe.

Es

ist dies der kürzlich verstorbene Henry Wheaton, welcher mehrere Jahre (bis 1846) Gesandter der Nordamerikanischen Freistaaten am Preussischen Hofe war und wegen seiner Verdienste um die Wissenschaft sowohl von der Königlichen Akademie zu Berlin zum Ehrenmitgliede als auch von der Klasse der moralischen und politischen Wissenschaften des Instituts von Frankreich zum correspondirenden Mitgliede erwählt wurde, übrigens ausserdem schon früher vielen anderen gelehrten Gesellschaften (z. B. zu London der Asiatischen, zu Kopenhagan der Skandinavischen, zu Philadelphia der Amerikanischen) als Mitglied angehörte. Wir wollen im Folgenden versuchen, das letzte Geistesproduct dieses verdienten Gelehrten und Staatsmannes vom Standpunkte gerade der Deutschen Wissenschaft der Gegenwart in das gehörige Licht zu stellen, werden aber dabei nicht umhin können, auch auf die übrige wissenschaftliche Thätigkeit Wheaton's etwas

Halle, in der Expedition der Allg. Lit. 'Zeitung.

näher einzugehen, da, freilich auch nur insoweit dieselbe zu diesem letzten Werke in Beziehung steht.

Zuvörderst ist zu bemerken, dass dieses neueste und letzte völkerrechtliche Werk Wheaton's eine französische Umarbeitung eines früheren Englischen Werkes (Elements of international law) ist,

das Wheaton erst 1836 in zwei Theilen zu Lon

don herausgab und späterhin mit einigen Verbesserungen und Vermehrungen zweimal zu Philadelphia wieder auflegen liess. Es ist aber die Umarbeitung des Werkes in Französischer Sprache eine wesentliche zu nennen und als eine durchaus vermehrte und verbesserte Auflage zu bezeichnen. Die erste Englische Auflage umfasste 630 Seiten und ist sehr gross und splendid gedruckt. Die jetzige französische Umarbeitung umfasst circa 740 Seiten compressen Druckes; freilich füllt hier ein neuer Anhang, der einige wichtige Völkerverträge, nämlich 1) convention maritime (1801) entre la GrandeBretagne et la Russie, 2) acte final du Congrès de Vienne, 3) divers traites particuliers conclus pendant la durée du Congrès, im Abdrucke gibt, etwa 160 sehr enggedruckte Seiten, und sodann fehlt in dieser neuen Ausgabe die allerdings sehr kurze und überaus unvollkommene und unvollständige Uebersicht der völkerrechtlichen Literärgeschichte (a sketch of the history of the science, wie es auf dem Titel. oder wie es im Inhaltsverzeichnisse heisst: sketch of the history of international law). Aber nichts desto weniger ist die Französische Umarbeitung viel umfangreicher als das Englische Werk und gibt in allen Details nicht bloss Zusätze, sondern auch Verbesserungen. Freilich beziehen sich die Verbesserungen eben mehr auf die Details, indem dieselben in einer gefälligeren Abrundung und in einer besseren Begründung dargelegt und namentlich fortwährend auf die neuesten Verhältnisse der Praxis bezogen werden. Die theoretische Auffassung im Ganzen, die Gliederung des Stoffes, die systematische Entwickelung des Ganzen, die wissenschaftliche Behandlungsweise sind dieselben ge

late an sein Werk mache. Die Deutsche Wissenschaft wird aber diese Strenge auch gegen einen Ausländer zur Geltung bringen dürfen, der durch Deutsche Wissenschaft vielfach gebildet ist und jedenfalls Gelegenheit hatte, diesen neuesten Standpunkt der Deutschen Völkerrechtsdoctrin kenuen zu lernen.

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Im Ganzen nimmt demnach W., wenn wir ihn mit einem früheren Schriftsteller des Völkerrechts vergleichen sollen, der noch jetzt unter den Diplomaten von praktischer Geltung ist, den wissenschaftlichen Standpunkt de Vattel's ein, der bekanntlich die abstracten Sätze des Wolff'schen natürlichen

Völkerrechts in gefälliger Weise umarbeitete und mit Beispielen aus der geschichtlichen Praxis des Völkerrechts, zwar ohne alle wissenschaftliche Durchdringung, aber doch mit solcher Routine und mit so viel praktischem Geschicke verband, dass vorigen Jahrhun

Isein Werk während destabe

derts die grösste praktishe Bedeutung hatte, und als eine Darstellung des wirklichen positiven Völ

kerrechts betrachtet wurde. Vattel ist aber mit seiner Theorie völlig überwunden und wird nur noch von Diplomaten der alten Schule, welche vornehm die mächtigen Fortschritte der neuen Doctrin ignoriren, ins Schlepptau genommen. Nichtsdestoweniger hat W. Vattel's wissenschaftliche Behandlungsweise im Ganzen zu der seinigen gemacht, vertritt aber dessen Standpunkt in etwas verklärterer Weise und gibt seiner Theorie eine eigenthümliche Färbung der gegenwärtigen Deutschen Völkerrechtstheorie.

W. ist nämlich in jenen allgemeinen Sätzen nicht ganz so abstract naturrechtlich, wie der alte Anhänger Wolff's, sondern er schliesst sich auch hier schon etwas an die wirkliche lebendige Praxis des Völkerrechts an. W. fördert jene allgemeinen Theoreme schon mehr im Geiste der Deutschen subjectiven Rechtsphilosophie zu Tage, die allerdings noch abstract und negativ genug ist und sich dem positiven Rechte noch allzufeindlich gegenüberstellt, die denn aber doch nicht mehr ganz den hohlen, abstracten, nüchternen Charakter der alten Naturrechtslehrer des 18. Jahrh. an sich trägt. W. scheint sich hier besonders an Saalfeld und Pölitz angeschlossen zu haben; welche (besonders der Letztere) im Ganzen im Geiste der subjectiven Rechtsphilosophie das positive Völkerrecht in einem wis

senschaftlichen Systeme darzustellen versuchten, wenigstens ist seine allgemeine Ansicht vom Rechte und namentlich vom Völkerrechte der dieser Deutschen Völkerrechtslehrer sehr verwandt und Einzelnes oft merkwürdig übereinstimmend; doch kann dies auch zufällig geschehen seyn, ohne dass W. die Werke dieser Autoren unmittelbar benutzt hätte. Ferner sind die historischen Facta ungemein lehrreich und von wahrhaft praktischem Werthe. W. giebt darin wirklich den Kern des geschichtlichen Lebens der Gegenwart und erläutert diese Facta in vielen Details durch sehr treffende Raisonnements, durch kritische und andere Bemerkungen auf eine geistreiche Weise, so dass sie zur Gewinnung einer richtigen Einsicht von der allgemeinen Praxis, von der positiven Satzung des Völkerrechts führen. Vattel that allerdings auch schon Aehnliches, aber bei der seit der Mitte des 18. Jahrh. mächtig fortgeschrittenen Entwickelung der internationalen Praxis kann er jetzt nicht mehr praktisch seyn, was er für seine Zeit in der oben angedeuteten Weise allerdings war. W. steht demnach auch in dieser Beziehung über Vattel.

Das eigentlich Gute in dem W'schen Werke ist nun aber das Positive, und darf man es nicht als einen Widerspruch ansehen, wenn Ref. W. im Ganzen zur historischen Schule von Martens rechnet und ihn demnach als einen willkürlichen Systematiker des Positiven (cf. Kritik des Völkerrechts p. 103 u. 115) bezeichnet. W. vertritt allerdings diese positive Richtung nicht mehr rein. Er bringt fremde, nämlich abstracte und ziemlich unverarbeitete Elemente in den eigenthümlichen Geist dieser Schule hinein.

Nach den bisherigen Auseinandersetzungen wird man gewiss zugeben, dass in dem W.'schen Buche viel Praktisches enthalten sey. Es besteht dies nicht blos in der guten Erzählung, in der geistvollen Darlegung und Anordnung so zahlreicher geschichtlicher Facta als Beispielen aus der internationalen Praxis der Gegenwart, sondern zugleich und vornehmlich in der Behandlung der völkerrechtlichen Details, in der ganzen Färbung des Buches, welches eben von einem praktischen Diplomaten abgefasst ist, der seine Lebensansicht unmöglich darin trotz gewisser falscher Principien hat verläugnen können.

(Die Fortsetzung folyt.)

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