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Da

sein ganzer Geheimerathsgehalt entgangen (S. 64), mit um so grösserem Eifer widmen konnte, namentlich die Briefe über Spinoza führen im folgenden Abschnitte zu seiner Theilnahme an den philosophischen Streithändeln und entfremden ihn immer mehr der kritischen Philosophie. Wir billigen es sehr, dass Hr. Deycks diese Angelegenheiten nur historisch behandelt hat, weil ja Jacobi's philosophische Bücher mehr oder weniger Gelegenheitsschriften waren. Das nimmt ihnen aber nichts von ihrem Werthe, denn auch Goethe hat ja erklärt, dass das ächte Gedicht immer nur der Gelegenheit entspringe. An die Stelle jener Philosophie trat aber seit 1780 ein annäherendes Verhältniss zu den Männern des Glaubens, zu Lavater, Claudius, Hamann, zur Fürstin Gallitzin, zu Fr. Leop. Stolberg und ihren Befreundeten, man kann nicht sagen, dass Jacobi mit voller Ueberzeugung auf der Seite dieser zartchristlichen Seelen stand, aber in ihrer Gemeinschaft nahm seine Abneigung gegen die Anmassung der sich selbst genügenden Vernunft zu und sein unablässiges Trachten ging dahin, sich als Denker mit dem positiven Christenthume in ein friedliches Verhältniss zu setzen. her die Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und Goethe, der am 5. Mại 1786 in höchst bezeichnender Weise Folgendes schrieb:,, an Dir ist überhaupt Vieles zu beneiden, Haus, Hof und Pempelfort, Reichthum und Kinder, Schwestern und Freunde (die edle Betty Jacobi war schon am 13. Febr. 1784 gestorben zur härtesten Prüfung für ihren ticf cmpfindenden Gatten) und ein langes et caetera. gegen hat Dich aber auch Gott mit der Metaphysik gestraft, und Dir einen Pfahl ins Fleisch gesetzt, mich dagegen mit der Physik gesegnet, damit mir es im Anschaun seiner Werke wohl werde, deren er mir nur wenige hat zu eigen geben wollen. Uebrigens bist Du ein guter Mensch, dass man Dein Freund seyn kann, ohne Deiner Meinung zu seyn. Denn wie wir von einander abstehen, hab' ich erst recht wieder aus dem Büchlein (über Spinoza) gesehen" (S. 72). Dagegen übte noch immer der zarte, sittliche Geist des Jacobi'schen Familienkreiscs auf Goethe'n den höchsten Zauber aus und wir verweilen, wie er selbst gethan hat, gern bei seinem Aufenthalte in Pempelfort, der ihm nach dem unseligen Feldzuge in der Champagne so köstliche Ruhetage darbot, dass er fast den ganzen November 1792 daselbst verlebte.

Da

Schon ehe diess geschehen war, hatten die Anzeigen einer neuen Zeit auf Jacobi den gewaltig

sten Eindruck geübt, er freute sich des Anbruches ciner neuen Zeit und des innerlichen Ringens zwischien Aufgang und Untergang am ganzen Horizont der Erde, er sagte namentlich in Bezug auf Deutschland, dass wir ein armes Volk wären und dass es besser mit uns werden müsste (S. 85). In diese neuen Verhältnisse und in die Kriegsstürme der Revolution, sofern sie das linke Rheinufer betrafen, führt uns der fünfte Abschnitt, in welchem Hr. Deycks es sehr gut verstanden hat, die Schilderungen grösserer Kriegsscenen, wie die der Belagerung von Düsseldorf im October 1794, mit der stillen Ruhe, mit dem gediegenen Eruste des Weisen in Jacobi's damaligem Handeln und mit seinen ununterbrochenen wissenschaftlichen Beschäftigungen abwechseln zu lassen. Im Sommer 1794 nämlich, als die Kriegsunruhen von der Niederländischen Seite her einen sehr bedrohlichen Charakter trugen, knüpfte sich Jacobi's Verhältniss zu Schiller, Fichte und W. v. Humboldt, dessen Theilnahme an dem neu erschienenen Woldemar ihn besonders angenehm berührt hatte. Jedoch erschien die Gefahr bald zu nahe und Jacobi fasste den schnellen Entschluss, Pempelfort zu verlassen, um dem Kriegslärm aus-zuweichen. Seine treuen Freunde Nicolovius und Schenk blieben zum Einpacken und Fortschaffen der Bibliothek, zur Hut des Hauses, zurück.

Und so finden wir im folgenden Abschnitte unsern Jacobi, fern von seinem behaglichen Besitzthum, mit seiner Schwester Helene und seiner Tochter Clara seit dem October 1791 auf der Wanderschaft durch Deutschland. Erst in Münster, dann in Hamburg, in Wandsbeck bei Claudius, in Tremsbüttel bei dem Grafen Stolberg, in Emkendorf bei dem Grafen Reventlow, in Eutin, welches damals ein Sammelplatz vieler ausgezeichneten Menschen (S. 105 f.) war, bis er endlich im October 1799 hier in einer reizenden Umgebung seinen bleibenden Wohnsitz aufschlug. Alles diess ist im achten Abschnitte klar dargelegt worden. Jacobi war 57 Jahr alt, des Wanderlebens, wenn er es auch Anfangs mit guter Laune ertragen hatte, überdrüssig, dazu machten grosse Verluste, die er in seinem Vermögen erfahren hatte, eine feste Ansiedelung nothwendig. So ward Eutin der Mittelpunkt für die Seinigen, er hätte auch Aachen wählen können, aber sein Abscheu gegen die Französischen Republikaner und gegen,,einen Bund gegen Alles, was gut, ehrbar, gerecht und heilig ist" war zu gross, dagegen das Wohlwollen seiner vielen Freunde in Holstein ganz unzweifelhaft. So begann er denn in Eutin wieder sein wissenschaft

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liches Leben, welches sich besonders in dem Ver-
kehr mit Fichte und in seinen Angriffen auf die kri-
tische Philosophie Kund gab, worüber uns Herr
Deycks im achten Abschnitte belehrt hat. Man er-
kennt, sagt er am Schlusse desselben, das Bedürf-
niss der Religion, des Glaubens in Allem, was von
Jacobi ausgeht. Dass er nicht wie seine Freunde
Hamann, Lavater, Claudius, Stolberg u. a. zu dem
Kinderglauben an die christliche Offenbarung fest
und dauernd sich hinwendete, das erklärt sich eines
theils aus der Gesammtentwickelung seines Geistes,
der Richtung seiner Zeit, dann aber auch aus der
fortgesetzten Arbeit auf dem Felde der Philosophie,
das der Waffen der Vernunft noch mehr bedarf als
des Schildes des Glaubens. Ruhmes genug für ei-
ne so verstandesmächtige Natur als Jacobi, wenn
sie zugleich der Schranken menschlicher Erkennt-
niss sich bewusst wird und dem übermüthigen Ver-
stande den Spiegel herzhaft darreicht, damit er
selbst erkenne, wie wenig im Grunde desjenigen
scy, was er wirklich erkennt.
Hier liegt im Be-

dürfniss zugleich der Weg zur Befriedigung. Wer
Gott redlich sucht, der wird ihn finden." In diese
Zeit, in den August 1796, fällt auch die erste Be-
kanntschaft Jacobi's mit Fr. Perthes, deren wir hier
um so mehr erwähnen müssen, da Jacobi mit der
ganzen Macht eines bedeutenden und anerkannten
Namens und mit dem ganzen Zauber seiner persön-
lichen Erscheinung für Perthes der Leitstern sei-
nes damaligen Lebens wurde und in diesem wieder-
um das Gefühl des Dankes und der Verehrung
für Jacobi nie erkaltet ist. Daher pflegte Jacobi
den Briefen, die er ununterbrochen bis zu seinem
Tode dem jüngern Freunde schrieb, häufig die Uc-
berschrift zu geben: der alte Jacobi an seinen wak-
kern und lieben Sohn Perthes. Die hierher gehō-
rigen und über die damaligen Holsteiner Verhält-
nisse sehr anziehenden Aufschlüsse in Friedr. Per-
thes Leben von dessen Sohne Clem. Theod. Per-
thes Th. I. S. 74 ff. 145. 152. hat Hr. Deycks noch
nicht benutzen können, da sie erst nach dem Drucke
seines Buches veröffentlicht sind.

nützlicher Bemerkungen darüber Veranlassung gegeben, dass Goethe's vortrefflichste Werke den Schwachen stets den ärgsten Anstoss gegeben haben und geben werden, während doch Schiller, dessen Reinheit und ideale Natur über alle Zweifel erhaben sind, den Wilhelm Meister so hoch zu stellen pflegte. ,,Wir dürfen überzeugt seyn, sagt Hr. Deycks, die Unsittlichkeit einzelner Scenen und Charactere in Wilhelm Meister fand an Schiller wahrlich keinen Vertheidiger; aber er wusste aus Erfahrung, dass diess der Weltlauf sey, den ein grosser Dichter hier unter das verschönernde Prisma seiner idealen Anschauung gebracht hatte." Indem wir das gern zugeben, müssen wir uns nur dagegen überhaupt verwahren, als ob wirkliche Unsittlichkeiten in einem Roman vorkommen, der in uns vielmehr das Gefühl geistiger und leiblicher Gesundheit zurücklässt und die Bewegung des Gemüths nicht weiter treibt als nöthig ist, um ein fröhliches Leben in dem Menschen anzufachen und zu erhalten. Erst am Schlusse des Jahres 1799 empfing Goethe wieder einen sehr annähernden Brief von Jacobi, den er auch liebevoll und in bedeutenden Aeusserungen über sich und sein Verlangen, mit der Welt in's Klare zu kommen, beantwortete (S. 125 f.).

Jacobi's äussere Lebensverhältnisse bis zu seiner Uebersiedelung nach München, zu der er sich im September 1804 entschloss, erzählt der neunte Abschnitt. Wir ersehen daraus, dass sein Vermögen wiederum manche Einbusse erfahren hatte, sowie dass er eigentlich nicht gern nach München gegangen ist. Der Aufenthalt dort ward durch die Anfeindungen der Süddeutschen in den bekannten Aretin'schen und andern Händeln, ebenso durch die Knechtung Deutschlands unter Napoleon und durch den aller Freiheit und Wissenschaft bevorstehenden Untergang bis zu dem Ausgange der Befreiungskriege für Jacobi unerfreulich, wie liebe Menschen ihn auch dort umgaben. In sehr anschaulicher Weise hat Bettina in den Gesprächen Goethe's mit einem Kinde (II. 3. 74-78) Einzelnes aus dem Leben in München im Jahre 1809, wo sie sich ebenfalls dort aufhielt, aufgefasst. Sie ist überall Liebe und Verehrung für Jacobi, wie neckisch sie auch erscheint und voll anmuthiger Koboldstreiche, so bei der Wasserfahrt auf dem Staremberger See. Wäre dies auch sogar nicht alles Wahrheit, so müssen wir doch an diese schöne Liebesgeschichte, welche Hr. Deycks unerwähnt gelassen hat, unsre Leser erinnern. (Der Beschluss folgt.)

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Die innere Verschiedenheit Goethe's und Jacobi's offenbarte sich auf's Neue bei der Erscheinung des Wilhelm Meister. Goethe empfing dafür von Jacobi Lob und Tadel, antwortete sehr kurz darauf und nun stockte der Briefwechsel der Freunde beinahe drei Jahre lang. Diese Unterbrechung hat im siebenten Abschnitte unsern Vf. zu einer Reihe

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Monat Junius.

Zur Kirchengeschichte.

1849.

Die Reformation, ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen. Von J. Döllinger. Erster Band. VIII u. 582 S. Zweiter Band. X u. 794 S. Dritter Band VIII u. 592 S. (nebst Anhang 67 S.) gr. 8. Regensburg, Manz. 1846-1848. (61%Thlr.) Um die Leser der A. L. Z. mit einem Male auf

den Standpunkt zu versetzen, von welchem der Vf., Mitglied der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt und der theolog. Facultät zu München, die Reformation des 16. Jahrhunderts betrachtet, möge das dienen, was er in seinem Lehrbuch der Kirchengeschichte II. 388 sagt: „An sich muss die Verfügung über eine Menge kirchlicher Stellen, (welche nämlich Rom vermöge des Wiener Concordats vom J. 1448 erhielt,) aus so weiter Ferne und bei mangelhafter Kenntniss der Personen wie der örtlichen Verhältnisse unzweckmässig erscheinen; aber bei dem in den deutschen Capiteln bereits herrschend gewordenen Kastengeist und Adelsstolz hätte sie für die deutsche Kirche wohlthätig werden können; dass sie es nicht wurde, und dass siebzig Jahre später, als der Sturm der neuen Lehre über Deutschland hinbrauste, Hunderte, auch die von Rom beförderten Pfründner wie dürre Blätter vom Baume geschüttelt abfielen, davon lag die Schuld grossentheils an dem Gebrauche, den die meisten der folgenden Päbste in gedankenloser Sicherheit von ihrem Rechte machten. Als ob die Wirkung je nes Sturms eine mindere gewesen wäre, wofern Rom sich von dem Conservatismus jener Männer zuvor vergewissert hätte, che es ihnen Pfründen übertrug, oder ob damit für eine Kirchenverbesserung gesorgt gewesen wäre, welche die öffentliche Vernunft dringend verlangte, und deren Nothwendigkeit der Vf., wenn er ehrlich und offen seyn will, gewiss nicht auf die Sitten und die Geistesbildung des damaligen Klerus wird beschränken wollen,

Vorliegendes Werk scheint bei einem grossen Schein von Unparteilichkeit darauf berechnet, durch eine recht grelle Schilderung der Schattenseite der

Halle, in der Expedition der Allg. Lit. Zeitung.

Reformation die Herrlichkeit des römischen Katholicismus zu stützen und etwa einen weitern Abfall in Masse, wie er seit dem Auftreten des Deutschkatholicismus stattfand, vorzüglich von Seiten wissenschaftlich Gebildeter, selbst Theologen, vorzubeugen. Es ist übrigens viel zu weitläufig angelegt, und der Zweck, der angeblich erreicht werden soll, konnte auch ohne so grosses Material durch angemessene Verweisungen auf die Schriften der angeführten Zeitgenossen und übrigen Quellen, aus denen eine ungeheure Menge von Auszügen ganz gleichen Inhalts, im ersten Band sogar ausser der lat. Urschrift die deutsche Uebersetzung wohl zum Nachtheil des Verlegers eingerückt sind, erreicht werden. Allein es kam darauf an,,,eine möglichst vollständige Anzahl von Zeitgenossen hier zu Worte kommen zu lassen, und jede Einrede, die etwa die Aussagen und Schilderungen Einzelner durch besondre aus ihren Schicksalen oder ihrer Stellung hergenommene Motive entkräften oder abschwächen möchte, von vorn herein unter der Masse bestätigender Aeusserungen zu erdrücken." Vorr, zu Bd. II.

Es darf hier jedoch keine Geschichte der Reformation im gewöhnlichen Sinne des Worts, was man aus dem Titel schliessen könnte, erwartet werden. Eine solche ist vom Plane des Werks gerade ausgeschlossen; es ist der innere Entwickelungsgang des Protestantismus, die fortschreitende Bewegung der Lehre, die Mittel, durch welche der Sieg des protestantischen Systems erkämpft und seine Herrschaft befestigt wurde; der Einfluss, der durch ausgezeichnete Persönlichkeiten auf dessen Gestaltung geübt worden; die allmählig auf seinem eignen Gebiet eingetretenen Reactionen, die religiöse Ha!tung und Stimmung, die durch das neue System erzeugt wurde; der Gegensatz der katholischen und protestantischen Institutionen; die Wirkungen, welche sich theils an die Vernichtung der altkirchlichen Einrichtungen, theils an die neuen Surrogate geknüpft haben dies sind die Materien, welchen der Vf. cine sorgfältigere und umfassendere Erörterung zu widmen gedachte, als ihnen sonst zu Theil

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geworden. Die bis jetzt erschienenen drei Bände führen den Specialtitel: die Reformation etc. im Umfung des lutherischen Bekenntnisses; da aber laut der Vorrede des 1. Thls. die Reformation in ihrer Fortbildung etc. bis in die Mitte des 18. Jahrh. in Betracht kommen soll, jene 3 Bde. aber nur bis 1620 gehen: so ist voraus zu sehen, dass sich denselben noch mehrere anreihen werden, ehe nur der Vf. auf die Bekenntnisse der Reformirten u. s. w. kommen kann, welche dem gedoppelten Titel zufolge gleichfalls in Betrachtung gezogen werden zu sollen scheinen.

So sehr nun auch der Vf. dieses Werks, einer der ausgezeichnetsten jetztlebenden Katholiken, dessen Bildniss in Stahl gestochen sogar neben denen eines h. Augustin, h. Carl Borromão, h. Vincenz v. Paula, J. v. Görres u. a. das Conversationslexikon für das katholische Deutschland schmückt, seinen Sammelfleiss, seine Gründlichkeit, seine Combinations- und Darstellungskunst als Historiker in glänzendem Licht bewährt: so wenig scheint ihm eine höhere Geschichtsanschauung eigen; so wenig liegt darin ein Verständniss dessen zu Tage, was man die Philosophie der Geschichte nennt, wie dies z. B. die Werke von L. Ranke, deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation etc., von Hagen, Deutschlands literar. u. religiöse Verhältnisse im Zeitalter der Reformat. ctc. und ähnliche auszeichnet. Sein Pragmatismus erhebt sich nie über den niedrigsten Standpunkt des Parteiinteresse's, so wenig auch seine historische Treue in Bezug auf Thatsachen vermissen lässt, und geht mit jesuitischer Sophistik darauf aus, dem Protestantismus seine weltgeschichtliche Mission für die Idee der christlichen Freiheit, der Völkergesittung und wahren Humanität abzustreiten und ihn für die unläugbaren Gebrechen und Sünden des Lutherthums verantwortlich zu machen.

Dass die Reformation des 16. Jahrh. und ihre Verbreitung nicht das reine Erzeugniss geistiger Kräfte gewesen, dass selbst an dem Interesse des grossen Publikums für dieselbe sinnliche Neigurgen Theil hatten, indem der päbstliche Despotismus allen Ständen auch ökonomisch sehr fühlbar war, dass der Enthusiasmus des Volks gegen Pfaffenthum und religiösen Unsinn auch nicht ganz frei von selbst entstanden, sondern von Theologen, Gelehrten, Fürsten u. a. geflissentlich erregt und genährt ward, dass die weltlichen Grossen und Regenten namentlich in Deutschland die Sache der

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Reformation zum Theil für ihre persönlichen Zwecke sehr vortheilhaft fanden hat Rec. schon in seinen Universitätsjahren in den kirchengeschichtlichen Vorlesungen E. G. Bengels gehört; so wie, dass die vielhundertjährige Unwissenheit des Volks und das Festhalten alter Priester an ihrem ruchlosen Leben noch lange Zeit hindurch eine Stütze der schlechten Kirchenzucht blieb; dass Viele sich nun alles erlaubten, weil sie frei von kirchlichen Büssungen u. Bann geworden, und die Lehre vom allein rechtfertigenden Glauben von Tausenden missverstanden ward. Keinem Protestanten, der die Geschichte jener Periode gründlich studirt hat, ist es wohl verborgen geblieben, dass der ursprünglich reine Charakter der Reformation bald verloren ging, dass dieselbe ziemlich unter ihrem Ideal geblieben, dass menschliche Leidenschaften und dogmatische Streitigkeiten ihr einen grossen Theil der beglükkenden Wirkungen raubten, die sie hätte haben können und sollen. Es ist ferner unläugbar, dass das Gold jener Männer, welche sich an die Spitze der Bewegung gestellt hatten, vielfach mit Schlakken vermischt war; dass die Religion sehr bald wieder zum Gegenstand des Schulgezänks herabgewürdigt ward, wie im 4-6. Jahrh., ja dass die neue Kirche bald in ein Stadium gerieth, wo zwischen ihr und der römischen Herrschaft über die Geister eine Wahl übrig blieb, etwa wie die zwischen einem klippenvollen, unsichern, von heillosen Stürmen erregten, wüsttobenden Gewässer u. einem stehenden Sumpfe. Man muss sogar im Interesse der Wahrheit dem Vf. Dank wissen, dass er so sorgfältig alles gesammelt hat, was zur Kenntniss und Beurtheilung der Reformation und ihrer Wirkungen Nachtheiliges aufgebracht werden konnte, und dass er den Nimbus, worin dieselbe mit ihren Helden bis heute noch besonders unsern symbolgläubigen Stabilitätsmännern erscheint, durch sein schwarzes, von Thatsachen unterstütztes, Gemälde zu schwächen, ja zu zerstreuen gesucht. Allein durch sein ganzes Werk zicht sich das in der Logik sogenannte Sophisma: cum hoc, vel post hoc, ergo prop er hoc, oder die Fallacia non causae, ut causae. Es ist das alte Argument des Obscurantismus gegen die Philosophie oder die Aufklärung: Was schlimme Folgen haben kann, das ist schädlich. Die Aufklärung hat schon oft solche gehabt, oder kann solche haben. Also ist sie schädlich." Wobei die wesentlichen Folgen von den unwesentlichen einer Sache nicht unterschieden werden, in

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dem Etwas Gutes wohl zufällig, aber nicht nothwendig schädliche Folgen hat oder haben kann.

Zuvörderst müssen wir dem Vf. bezüglich jener Katastrophe und ihrer Wirkungen, nenne man sie nun Reformation oder kirchliche Revolution oder Abfall von Rom, oder wie man will, mit dem alten, vielleich trivialen Spruch entgegentreten: „, Ist der Rath oder das Werk aus Gott, so wirds bestehen." Es hat bestanden trotz der Gebrechen, die sich an dasselbe hängten, seit 3 Jahrhh. und hat Früchte getragen, nach der unvermeidlichen, gewaltigen Krisis, deren Wehen dem Vf. wider das Wohlthätige des Werks selbst zeugen müssen; Früchte auch für die alte Kirche, die sich seinem Einfluss nicht entziehen konnte, weil man auch vom Feinde lernt und auch der Feind nützt; Früchte (die den Dunkelmännern allerdings nicht munden mögen), trotz dem dass Hr. Döllinger gar nichts Gutes an ihr, der Reformation, zu lassen beliebt. Wenn sich derselbe besonders viel darauf zu gute thut, dass er keinen polemischen Schriftsteller der katholischen Kirche in die Reihe seiner Zeugen über das Werk der Reformation und ihre Folgen aufgenommen habe, sondern ausser Luther und Melanchthon nur solche, die von der Theilnahme an der kirchlichen Bewegung sich fern hielten oder die sich wieder von derselben lossagten, oder die eine eigenthümliche von der herrschenden abweichende Richtung einschlugen und verfolgten (im 1. Band); sodann (im 2. u. 3. Bd.) alle bedeutende Reformatoren, ihre Schüler und Freunde, so weit der Inhalt ihrer Schriften und Briefe es gestattete: so ist zu bemerken: wenn auch nur der zehnte Theil sämmtlicher beigebrachten Zeugnisse klassisch wäre und das ist er ohne Frage so hätte der Vf. damit einen vollgültigen Beweis hergestellt nur nicht gegen die gute Sache des Protestantismus und die rcformatorischen Ideen im ausserkirchlichen Sinne, welche in unserm Jahrh. erst zu ihrem vollen Recht, zu wahrem Leben und Geltung kommen zu sollen scheinen, nachdem der Zersetzungs- und Auflösungsprocess des starren confessionellen Kirchenthums begonnen hat.

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Indem wir nun zur Beleuchtung der wesentlichen Anklagen gegen die Reformation etc. und etlicher Zeugnisse von Zeitgenossen, die statt der übrigen gelten mögen, übergehen, haben wir folgende allgemeine Bemerkungen voranzuschicken. So oft ein neues Princip für die geistige Entwikkelung der Völker - das seine Berechtigung in sich selbst trägt als nothwendiges Glied in der Kette

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Darauf geben die von den Romantikern aufgeregten Bestrebungen, namentlich Zach. Werner's Dramen, Anlass zu neuen Berührungen mit Goethe; über die Wahlverwandtschaften finden sich keine brieflichen Mittheilungen, aber die Farbenlehre wird gelobt, bis Jacobi's Schrift von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung" (1812) die Freunde von neuem trennte. Hr. Deycks hat, ohne auf den Streit und Hader, welcher durch diese Schrift veranlasst ward, einzugehen, in seiner klaren Weise den Inhalt derselben dargelegt nebst den darauf bezüglichen Urtheilen Goethe's, der nach zehn und mehreren Jahren schrieb,,,dass ihm das Buch eines so herzlich geliebten Freundes unmöglich hätte können willkommen seyn, worin er die These durchgeführt sehen sollte: Gott verberge die Natur. Musste nicht ein so seltsamer, einseitig beschränkter Ausspruch mich dem Geiste nach von den edelsten Manne, dessen Herz ich verchrend liebte, auf ewig entfernen?" Doch näherten sich beide wieder durch die Erscheinung der Goethe'schen Selbstbiographie, deren ersten und zweiten Theil Jacobi mit Begeisterung begrüsste, aber seine Verstimmung nicht verhehlte, als er im dritten Theile fand, dass Goethe ihr geistiges Auseinandergehen nicht schon 1775 zu Frankfurt, 1784 zu Weimar, 1792 zu Pempelfort, sondern erst später bemerkt zu haben, und noch mehr, dass er dasselbe auf ein Erkalten der Neigung auszudehnen schien. Denn je einsamer Jacobi in der Welt stand, je weniger mochte er einen der besten, reinsten und bewährtesten der Freunde missen. Und da dies auch Goethe vollkommen einsah, so ist es nach Hrn. Deycks (S. 164) durchaus nicht zu bezweifeln, dass das gute Vernehmen sich vollkom

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