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MARIA THERESIA UND JOSEPH II.

WÄHREND DER

MITREGENTSCHAFT.

EIN VORTRAG

GEHALTEN IN DER FEIERLICHEN SITZUNG DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

AM XXX. MAI MDCCCLXV

VON

D. TH. G. v. KARAJAN,

VICE-PRÄSIDENTEN DER KAISERLICHEN AKADEMIE.

Den Blick auf eine Erscheinung zu richten, die in der Weltgeschichte nicht ihres Gleichen hat, kann eine eben so anziehende, als belehrende Aufgabe heissen. Lockender noch muss sie werden, wenn ein günstiges Geschick es möglich macht, von einer so seltenen Erscheinung aus unmittelbaren Quellen ein völlig treues Bild zu gewinnen.

In dieser günstigen Lage befinden wir uns dem Gegenstande gegenüber, den ich heute der Aufmerksamkeit einer so hohen Versammlung für völlig würdig halten durfte. Ich meine das Verhältniss der grossen Maria Theresia zu ihrem Sohne Joseph während dessen Mitregentschaft.

Fürchten Sie nicht, dass ich in den engen Rahmen der mir heute gewährten Zeit ein kleinliches Bildchen des grossartigen Stoffes zu zwängen mich verleiten lasse. Ich will nur aus der reichen, bis jetzt fast unausgebeuteten Tiefe unserer geschichtlichen Sammlungen ein Paar Perlen zu Tage fördern, denen zur Beurtheilung des erwähnten Verhältnisses mehr als gewöhnliche Bedeutung zukommt. Die erschöpfende Darstellung desselben kann nur Aufgabe eines selbstständigen gelehrten Werkes sein.

Als Maria Theresia in ihrem dreiundzwanzigsten Jahre, glänzend durch die seltensten Gaben des Geistes wie des Her. zens, den Thron ihrer Väter bestieg, ernannte sie ihren aufs innigste geliebten Gemahl Franz, mit dem sie bereits vier Jahre

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der glücklichsten Ehe verlebt hatte, zum Mitregenten. Die

Gründe, die sie zu diesem Schritte bewogen, lagen für den nicht ferne, der die Jahrhunderte alte Stellung des Hauses Österreich zum deutschen Reiche ins Auge fasste. In Bezug auf die Persönlichkeit des Mitregenten aber mochte die zärtlich liebende Gattinn um so weniger Bedenken tragen, als Franz eben So befähigt, als geneigt war eine Stellung einzunehmen, welche dem Charakter der Regentinn gegenüber mehr als gewöhnliches Geschick erheischte. Franz verstand es auch wirklich durch fünfundzwanzig Jahre den Anforderungen einer so äusserst schwierigen Stellung zu genügen, als am 18. August 1765 sein plötzliches Hinscheiden zu Innsbruck der Monarchinn, die schon so viele Schläge des Schicksals geduldig ertragen hatte, den schmerzlichsten verursachte. Von diesem Tage an wurde sie nimmer froh, ihr sonst so frischer Muth, ihre ans Unglaubliche gränzende geistige Kraft war jetzt mit Einemmale, wenn auch nicht gebrochen, doch zum Theile gelähmt. Nicht nur ihr Äusseres hüllte sie von diesem Tage an für immer in Trauer, auch die Farbenfrische ihres innern Lebens war von da an verdunkelt. Wie uns Augenzeugen berichten fand sie bei der Nachricht von dem Tode ihres Gatten lange Zeit keine Thränen, ja ein krampfhaftes gewaltsames Schluchzen, das die lange Nacht hindurch währte, machte besorgt um ihr Leben. Erst nach einem Aderlasse brach ihr tiefer Schmerz in erleichternde Thränen aus. Ihre erste Handlung aber, nachdem sie sich wieder ermannt hatte, war ein wehmüthiger Ausdruck ihres ungeheueren Schmerzes. So wie sie stets in ihrem Leben den Regungen ihres Herzens ungekünstelten Ausdruck lieh, wie sie Freud und Leid ihrer Umgebung redlich kund gab, so auch jetzt. Sie ertheilte Befehl, ihr ihre schönen langen Haare abzuschneiden, legte

1 Montag den 21. November 1740. Den Behörden bekannt gegeben Mittwoch 7. December d. J. Cod. Austr. 5, 7.

allen Putz, alles Geschmeide ab, vertheilte ihre Kleider unter ihre Kammerfrauen, und liess ihr Schlafgemach, wie ihr einsames Lager mit grauer Seide umkleiden. Sehr richtig bemerkt Karoline Pichler nach Erzählung obiger Erlebnisse ihrer Mutter1: „Die Wahrheit solcher Gefühle, welche allein ihren Werth ausmacht, zeigt sich am siegreichsten und überzeugendsten vor den nächsten und beständigen Umgebungen. Sind diese von der Wirklichkeit und Tiefe des Schmerzes überzeugt, so ist wohl kaum mehr daran zu zweifeln". Am wenigsten, setzen wir hinzu, bei einem Charakter, wie jener Maria Theresia's war, in welchem ein reges Gefühlsleben die starre Kälte des Verstandes wunderbar durchwärmte und überall wohlthuend zu Tage trat.

In dem geliebten Gatten aber war der Monarchinn nicht blos, wie sie sich in einem Schreiben an den Fürsten Kaunitz ausdrückte3: „alles verloren, was sie bisher erhalten, aufgemuntert, getröstet hatte", in ihm entbehrte sie von nun an auch einen tüchtigen und sorgsamen Genossen in der Erfüllung ihrer so schweren Berufspflichten. Es ist bekannt, dass Franz der Monarchinn bei Leitung der durch die Kriege so sehr in Anspruch genommenen Finanzen wesentliche Dienste leistete, ja dass er diesem so schwierigen Theile der Regierung fast ausschliessend seine Thätigkeit widmete. Zu der für den gewandtesten Staatsmann schon ungeheuern Last der Geschäfte trat daher mit einem Male noch ein neuer gewaltiger Zweig hinzu. Darf es uns Wunder nehmen, wenn die stets unermüdliche Monarchinn, jetzt über die Mitte des Lebens hinausgeschritten und Mutter von sechzehn Kindern, niedergebeugt durch den für sie empfindlichsten Schlag an ihrer geistigen, wie körperlichen

1 Werke 61, 29.

2 October 1765. Original im k. k. geheimen Haus-, Hof- und Staats-Archiv. Abthlg. Correspondenz.

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