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Vorbericht.

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Die Ereignisse des Octobers in Wien lenkten die Blicke von ganz Europa ja der ganzen Welt auf die gewaltige Kaiserstadt, und erregten bei jedem Einzelnen der Zeitgenossen eine Spannung des Interesses, wie wenige die Weltgeschichte wie keine die Geschichte der österreichischen Staaten aufzuweisen vermag. Hunderttausende waren hiebei mehr oder weniger betheiligt, und Alle muß der Wunsch durchdringen, zu erfahren, wie Alles geschah, um die eigenen Erlebnisse dem Gedächtnisse zurückzurufen, oder den Nachkommen zu überliefern. Was Parteisucht der öffentlichen Blätter, oder spekulative, nicht selten verbrecherische Broschüren-Fabrikation des Moments entstellt berichtete, soll in dieser Denkschrift seine Widerlegung finden.

Die Aushängschilder der Broschüren: von Augenzeugen, aus zuverläßlichen Quellen u. dgl., ohne daß die Augenzeugen genannt, ohne daß für die Authentie Bürgschaft geleistet wird, sind so vielseitig abgenußte Phrasen der berufslosen Bücher-Fabrikanten, daß sie nichts als die erklärliche Schnelligkeit, ihr Produkt eiligst auf den Büchermarkt gebracht zu haben, für sich haben. Dieses Urtheil bewährt sich, wenn man die Broschüren liest, die von Irrthümern, Uebertreibungen und Unwahrheiten stroßen, oder bloße Betrachtungen und Wortschwall enthalten, statt Thatsachen zu erzählen. Man legt derlei Skarteken bei Seite, ohne eine andere Erfahrung als jene gemacht zu haben, daß die Verfasser keine Augenzeugen waren, daß sie keine authentischen Quellen zu Gebote hatten, daß das für jene Schriftlein ausgelegte Geld, so wie auch die Zeit des Lesens nuglos vergeudet wurden.

Ein Augenzeuge, eine einzige Schöpfquelle ist für großartige, weit verzweigte Ereignisse nicht ausreichend. Ich habe daher zur Mitwirkung den damaligen Plaß-Hauptmann Baron du Beine-Malchamps, provisorischen Nationalgarde-Play-Commandanten, und zahlreiche Freunde eingeladen, und fie haben solche auch angenommen. Eben so find mir noch andere zahlreiche Augenzeugen und vielseitige Quellen behülflich gewesen. Als Zeuge der Ereig nisse hatte ich hinreichend Gelegenheit, die handelnden Personen unmittelbar kennen zu lernen, und meine ämtliche Stellung und Wirksamkeit im immerwährenden, oft gefahrvollen Dienste unter den Ober-Commandanten Streffleur, Bechtold, Scherzer, Braun, Spizhitl und Messenhauser, ein häufiger Verkehr mit allen Autoritäten des Staates und der Stadt, dann mit allen Körperschaften und Persönlichkeiten, seßte mich in

Stand, den Gang der sich drängenden Thaten und Ereignisse, deren Ursachen, Wirkungen und Folgen unmittelbar zu betrachten. Wo aber meine unmittelbaren Ueberzeugungen nicht ausreichten, bin ich durch die Mitwirkung der handelnden Personen unterstüßt worden. Darunter find als Zeugen der Ereignisse aus jener denkwürdigen Periode vorzüglich zu nennen: S. Spighitl, NationalgardeArtillerie-Commandant, N. G. Ober-Commandant und Verwaltungsrath; Fr. Schaumburg, Ober-Commandanten-Stellvertreter, N. G. Oberst, Commandant des Bürger-Regiments, N. G. Verwaltungs Nath; F. J. Thurn, N. G. Oberst, Ober-Commandanten-Stellvertreter und Bezirks-Chef; Emanuel Freiherr Du Beine- Malchamps, prov. Plaß-Commandant und Plaz-Hauptmann, Secretär des Verwaltungsrathes der N. G.; Josef von Heidt, PlazOffizier der f. Burg; August Untersteiner, Play-Offizier; Anton Werner, Plaß- und Ordonnanz-Offizier des Bezirks Wieden; Josef Ruf, PlaßOffizier, Lieutenant im Nationalgarde-Scharfschüßen-Corps und Verwaltungsrath; A. Player, Plaß-Offizier und Hauptmann im Juristen-Corps; Josef Wa ßhuber, Play-Offizier und Lieutenant im Juristen-Corps; Norbert Doninger, Plag-Offizier und Lieutenant im Philosophen-Corps; Mathias Ehrenfeld, Plaz-Offizier des Wiedner-Bezirkes; Alex. von Sensel, Plaß-Offizier des Bezirkes Rossau, Hauptmann-Stallmeister des Ober-Commando; Dr. Jg. Stüß, Play-Offizier des Schottenviertels; Franz Knoth, Hauptmann im Bürgerregiment, Präsident des Kriegsgerichtes und Berwaltungsrath; N. Caurairy, Feldadjutant des Generals Bem; Groß, Chef des Observatoriums am Stephansthurm; Höß, inter. Bezirks-Commandant der Rossau; A. Hoffmann, Bezirks-Chef der Leopoldstadt; Brauer, Bezirks-Chef des Stubenviertels; C. Lemann, Hauptmann im Bezirke Mariahilf; J. Schmid, Hauptmann im Bezirke Wieden; Steinböck, Hauptmann im Bezirke Roffau; 3. Morerette, Hauptmann im Künstler-Corps und Verwaltungsrath; A. Prohaska, Bürger-Artillerie-Hauptmann; Wilhelm Barthel, Adjutant von Messenhauser; W. Hauner, Bürger- Artillerie - Lieutenant; A. Schindler, Hauptmann, Ordonnanz-Offizier und Conzipist des Ober-Commando; J. Martin, Hauptmann, Ordonnanz-Offizier und Registrator des Ober-Commando; J. Saazer, Oberlieutenant und Expeditor des Ober-Commando; A. Gitulewics, Ordonnanz-Offizier des Schottenviertels; Th. v. Niewiadomski, k. k. Hauptmann, g. Adjutant des F. 3. M. Kriegsministers Grafen Latour; F. Kastell, k. k. Artillerie-Hauptmann; J. Pecher, k. k. Artillerie-Hauptmann; Schä de l bauer, k. k. Artillerie-Oberlieutenant ; J. Wallner, f. t. Infanterie-Hauptmann; Martinis, Rittmeister und Commandant der N. G. Cavallerie; J. Weissenberger, Oberlieutenant im Bürgerregimente; J. B. Moser, Protokollist des Verwaltungsrathes ;

Anton Hofmann, Gemeinderath und N. G. Verwaltungsrath; L. Brodhuber, Gemeinderath; F. Grimm und Blaschke, Ober-Commando-Cassabeamte; Emanuel Josef Fischer Edler von Rösler stamm, gew. Verwaltungsrath; dann andere Nationalgarde-Commandanten, Armee- und Nationalgarde-Oberoffiziere, Gemeinde- und Verwaltungsräthe, Reichstags- Deputirte, Garden c. c., die ungenannt bleiben wollen, -wovon mir die meisten interessante Relationen mitgetheilt haben.

Daß aber im Drange der zahlreichen Geschäfte und Dienstobliegenheiten, manche merkwürdige Thatsache, troß des mir zu Gebote stehenden Materials, übergangen worden seyn dürfte, ist mir in Anbetracht der mir zur Verfügung gestellten kurzen Zeit, und nicht ausreichenden physischen Kraft, dann in Anbetracht der gestellten großen Aufgabe — wohl bewußt; daher ich alle Jene, die in dem October-Drama eine Rolle gespielt, hiermit ersuche, etwaige Berichtigungen, Nachträge, Berichte über erlebte Fakta direkte an mich gelangen zu lassen, um solche in einem Supplemente, welcher nach Beendigung des Belage rungszustandes erscheinen und denselben besprechen wird, oder bei der zweiten Auflage aufnehmen zu können.

Ungeachtet dessen, daß alle Personen von Bedeutung, und daß alle Jene, welche sich auf irgend eine Art ausgezeichnet haben, besprochen werden, war es mir nicht möglich, alle bei den Ereignissen betheiligten Personen zu benennen und ihre Wirksamkeit zu schildern; daher mir der Wunsch übrig bleibt, daß mir solches durch die Zeitgenossen möglich gemacht werde. Die Thatsachen und Verdienste der Zeitgenossen habe ich aus mehrfachen Berichten und Protokollen resumirt, und solche ohne irgend eines Einflusses irgend Jemands, blos nach meiner eigenen Ueberzeugung wiedergegeben. Ich hielt mich streng entfernt von jeder persönlichen Vorliebe, und bemühte mich, selbstständig und strenge das wichtige Amt des Geschichtschreibers zu üben. Wenn es mir nicht gelang, so war Mangel an Talent, feineswegs aber an redlichem Willen die Ursache.

Die Wirksamkeit des Nationalgarde- Ober-Commando, des Stabes und Plaz-Commando, der Nationalgarde, der Bürgerwehr, der akademischen Legion, der mobilen Corps, der fremden Auxiliar-Corps, ebenso aber jene der Garnison und später der Belagerungsarmee, find mit möglichster Treue, jene des Reichstages, des permanenten Sicherheits-Ausschusses, des Gemeinderathes und des permanenten Nationalgarde- Verwaltungsrathes, nach den ämtlichen Protokollen und Akten authentisch geschildert.

Daß ich aus Rücksichten der Humanität Manches aus dem verflossenen Jahre erst im zu erscheinenden Supplemente zu veröffentlichen für gut finde, wird der Billigdenkende leicht ermessen und billigen.

Die in der ganzen Periode erschienenen veröffentlichten und nicht veröffent

lichten Tagsbefehle des Ober-Commando, dessen Verfügungen, alle Verhandlungen und Erlässe des Reichstages, des Gemeinderathes, des Verwaltungsrathes, des Studenten-Ausschusses, des demokratischen Central-Vereines, so wie auch die Proklamationen Sr. Majestät, des Ministeriums, der Feldherren, und aller auf die October-Ereignisse Einfluß nehmenden Autoritäten, Vereine und Personen, dann alle Adressen und wichtigen Correspondenzen, sind so vollständig von mir gesammelt und als Basis der Geschichte kritisch commentirt und benügt worden, daß fie als ein einzig dastehendes completes Diplomatarium angesehen werden müssen, und als die verläßlichsten geschichtlichen Belege der Nachwelt werden überliefert werden.

Der zukünftige Geschichtsschreiber wird die von mir gelieferte Denkschrift auszubeuten hinreichenden Stoff und Gelegenheit haben. Das Volumen des Werkes überschritt ohnehin das beabsichtigte Maß, und es war mir nicht rathsam, noch mehr Reflexionen zu machen, wodurch der Umfang der Schrift jedenfalls bedeutend angewachsen wäre, und die dadurch herbeigeführten Kosten vollends die geringen Früchte meiner übermäßigen Bemühungen verschlungen hätten.

Zu sehr überzeugt von der Unzulänglichkeit des menschlichen Wissens, als daß mich der Dünkel der literarischen Unfehlbarkeit beschleichen könnte, werde ich jede anständige Belehrung eines Besseren willig entgegen nehmen, aber auch jede oberflächliche, animose Schmähsucht und persönliche Verdächtigung, wie sie das unbedeutende Blatt der Zuschauer" von einem böswilligen Obscuranten ge= bracht, mit Verachtung abfertigen. Ich schrieb als ein unabhängiger Staatsbürger für keine Partei, und habe meine Gesinnung an die Stirn dieser Schrift gedrückt: Für Kaiser, Oesterreichs Gesammtstaat, Geseß, Freiheit und Gleichberechtigung. Geschrieben und beendet im Bürgerwehr-Zeughause. Wien, den 30. April 1849.

W. G. Dunder.

Anmerkung für den Buchbinder. Das am ersten Druckbogen angehängte Titelblatt ist sammt dem Vorbericht als unrichtig zu vernichten und vorstehendes einzuheften.

Rückblick

auf die der Oktober-Revolution vorausgegangenen Zustände vom 13. März bis 5. Oktober.

,,Gleiches Recht für Alle!"

Um den Lauf der Begebenheiten, deren Ursachen, Wirkungen und Folgen leichter beurtheilen und ins Gedächtniß zurückrufen zu können, erscheint es nöthig, einen Blick auf die Geschichte der Ereignisse zu werfen, welche auf den Geist, die Haltung, und die moralische Kraft der Wiener Nationalgarde vor Beginn des Dramas vom 6. October 1848. Einfluß gehabt hatten.

Mit der in Wien Mode gewordenen deutschen Tricolore begann der eigentliche Zwiespalt, wobei der unbedingte Anschluß an Deutschland und die Weigerung dagegen, der Zankapfel zweier mächtigen Parteien auf Kosten der Integrität der Monarchie bildete, und lettere zu zersplittern drohte. Die Folgen dieses Zwiespal tes zwischen Schwarzrothgold und Schwarzgold werden später berührt werden.

Es ist nicht zu läugnen, daß die Regierenden seit dem 13. März es ebenso an eclatanter Offenheit, wie an nöthiger Energie fehlen ließen, die unvermeidlichen zeitgemäßen Reformen bei Bestimmungen in der Justiz, im Militärwesen und andern Zweigen der Staatsverwaltung durchzuführen, daß insbesondere das Ministerium Pillersdorf, ungeachtet seines guten Willens, mit vernünftiger Weise nothwendigen Zugeständnissen zurückhielt, und sich dieselben dann auf revolutionärem Wege abtroßen ließ. Der Antheil, den die Nationalgarde bei derlei Demonstrationen nahm, war nicht geeignet, für die Zukunft zu beruhigen; denn nach dem allgemeinen Rechtsgrundsage, daß mit Gewalt erzwungene Zugeständnisse keine bindende Kraft befißen, mußten die sogenannten Errungenschaften durch Waffengewalt errungen ein Mißtrauen gegen deren Giltigkeit aufkommen lassen und das Vorhandenseyn der Anarchie constatiren. Mit diesen Errungenschaften begann der Körper der Nationalgarde faul zu werden.

In den Maitagen war die Wiener Nationalgarde ein mächtiger, einiger Körper, berauscht von seiner in den Märztagen entwickelten Kraft und Macht, beseelt von dem Gedanken, den konstitutionellen Thron, und die kaum geborne konstitutionelle Freiheit mit ihrem Leben zu schüßen und zu schirmen, gestärkt von dem Bewußtseyn, daß die verlangte und erhaltene Freiheit nicht durch die Gewalt der Waffen, sondern durch des Kaisers und des Volkes freien Willen erreicht wurde. Doch dies war nur ein kurzer Moment! Rein und unbefleckt hat

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