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1762 frei. Fabre's edelmütige Handlung war aber sehr bekannt geworden. Fenouilhac de Falbaire benußte sie zu einem dem Geschmack der Zeit angepaßten Schauspiel (L'honnête Criminel), etwas sentimental gehalten, aber wie er selbst sagt, darauf berechnet, neben dem Schaffot, das für zwei unschuldige Väter aufgeschlagen war, ein Denkmal zu Ehren eines Sohnes zu errichten, der zwar in den Irrtümern derselben Sekte befangen, doch ein Held der Ehre und der Menschlichkeit sei. Das Stück wurde 1767 gedruckt, anfangs verboten, aber 1768 in Versailles aufgeführt. Die berühmte Schauspielerin Clairon übernahm die weibliche Hauptrolle; und wenn die Aufführung auch kein solch politisches Ereignis war, wie die des Figaro von Beaumarchais, so wurde die gute Stimmung für die Protestanten doch sehr dadurch gestärkt. Als Fabre nach Paris kam, wurde er überall bewundert und ausgezeichnet. (Fabre starb erst 31. Mai 1797.) 18o)

Erst unter der Regierung Ludwigs XVI.' lösten sich die Fesseln für die leßten Sträflinge; es waren Paul Achard und Antoine Riaille, beide seit 1745 im Bagno; die Unglücksgefährteu waren bei den verschiedenen Freilassungen einfach vergessen worden, eine bezeichnende Nachlässigkeit für die wachsende Verwirrung in allen Zweigen der Verwaltung. 1774 betrieb der reiche und angesehene Bankier Claude Eymard aus Marseille bei einem Besuche in Paris in Verbindung mit Court de Gebelin eifrig ihre Befreiung; sie überzeugten den Marineminister zu dessen maßlosem Erstaunen von der Thatsache, daß Protestanten noch auf den Galeeren gefangen seien. Die Angelegenheit war im besten Gange, da starb Ludwig XV.; bei dem Wechsel des Ministeriums, bei der Verwirrung, die diesem Tode folgte, wurden die Beiden abermals vergessen, nur nicht von Court de Gebelin. Dieser verfocht ihre Sache mit Glück und Ausdauer vor den neuen Ministern; er seßte eine Denkschrift zu ihren Gunsten auf, und am 30. September 1775 hatte er die große Genugthuung, den Befehl zu ihrer Freilassung ausgefertigt zu sehen. Nicht mit dem Entzücken, das man hätte erwarten sollen, vernahmen die zwei Gefangenen diese Kunde; sie waren in den lezten Jahren gut behandelt worden, hatten Ausgangsfreiheit in die Stadt, während sie in den dreißig Jahren ihrer Gefangen

schaft die Verbindung mit Familie und Heimat fast gänzlich verloren hatten. Ueberdies war ihr Vermögen eingezogen. Achard war 68, Riaille 75 Jahre alt. Dem Mangel, welchem sie entgegensahen, wurde zunächst abgeholfen durch eine monatliche Gabe von 12 Livres (40—50 M.), welche die Hülfskaffe in Marseille jedem gewährte, und auch sonst flossen ihnen Unterstüßungen zu. Von ihren weiteren Schicksalen ist uns nichts bekannt. 181)

Etwas früher wurde der Turm La Constance in AiguesMortes leer. Im Jahre 1763 waren die leßten Gefangenen dorthin gebracht worden. Der Prinz von Bourbon hatte versprochen, sich ihrer anzunehmen, sein Nachfolger im Kommando von Languedoc, der Prinz von Beauvau, erfüllte diese Zusage; in Gemeinschaft mit dem bekannten Chevalier von Boufflers hatte er das Gefängnis besucht. Mit gefühlvoller Feder hat der Chevalier die erschütternde Scene beschrieben, als die Frauen, elend gekleidet und genährt, sich ihnen zu Füßen warfen und um Gnade und Mitleid flehten. Der Prinz gab sie alle frei, aber es währte doch einige Zeit, bis die nötigen Formalitäten erfüllt waren. 30. Dezember 1768 wurde der Turm schrecklichen Angedenkens für immer geschlossen, nachdem seine zwei lezten Bewohnerinnen, Chaffefière und Pagès, ihn verlassen hatten. Auch sie lebten beinahe nur von den Unterstüßungen der Glaubensgenossen. 14. April 1768 hatte Marie Durand ihr „Grab“ verlassen nach achtunddreißigjähriger Gefangenschaft; als ein blühendes Mädchen war sie dort eingetreten - alt und lebenssatt, unfähig sich selbst durchs Leben zu bringen, betrat sie eine ganz neue Welt; ihr Haus in Bouches les Pranles war zerfallen, ihre Delbäume teilweise abgehauen. Die wallonische Gemeinde in Amsterdam er= barmte sich der ehrwürdigen Hugenottin und setzte ihr einen Jahresgehalt von 200 Livres aus, von welchem die Wackere einen ziemlichen Teil einem Leidensgefährten, Chambon, zukommen ließ, welcher 1769 die Galeere verlassen hatte, 80 Jahre alt. In rührenden Worten drückt sie jedesmal den Dank für diese Gaben aus; in den ersten Tagen des September 1776 schied sie aus diesem Leben. 182)

Seitdem Jacques Pavanes im J. 1524 seinen protestantischen Glauben auf dem Scheiterhaufen hatte büßen müssen, war die

evangelische Kirche in Frankreich ein Gegenstand fortwährender Verfolgung gewesen von Seiten des Klerus, wie von Seiten der Regierung, zeitweise auch des größten Teils des Volkes. Aber aus diesem hartnäckigen Kampfe war sie zwar sehr geschädigt, jedoch unbesiegt hervorgegangen, und das alte Psalmwort: Sie haben mich oft gedränget von meiner Jugend auf, aber sie haben mich nicht übermocht war auch hier in Erfüllung gegangen. Nun da die schwere Zeit ein Ende hatte, konnte man mit Recht als Motto hinweisen auf das Wort, welches in einen Stein des Turmes La Constance (Marie Durand soll es in ihrer mangelhaften Orthographie gethan haben) eingegraben war: Recistez.

9. Kapitel.

Ludwig XVI. und das Toleranzedikt.

Am 10. Mai 1774 starb König Ludwig XV. Seine ganze Regierung war von Verfolgungen des Protestantismus erfüllt, und doch gehörten die Protestanten zu der kleinen Schar, welche den „Vielgeliebten" mit Ernst betrauerten. „Wir haben einen guten König verloren," schrieb Pfarrer Pomaret an einen Kollegen, „dieser gute Fürst hatte seine Schwächen und Fehler, aber welcher Mensch hat diese nicht! Ein harter grausamer Mann ist der einzige, welchen man verabscheuen darf, und Ludwig war die Milde, die Menschlichkeit und Wohlthätigkeit selbst (!)" 183) Der Mann stand mit diesem allzu guten Urteil nicht allein, aber doch wandte sich alles hoffnungsfreudig der neu aufsteigenden Sonne zu. Ludwig XVI. war zwar streng kirchlich erzogen worden und von Herzen fromm, aber die persönliche Abneigung gegen die Protestanten, wie sie z. B. das Verhalten Ludwigs XIV. gegen diesen Teil seiner Unterthanen bestimmt hatte, teilte er nicht. Er hatte von diesem Ahnen weder die Grazie noch das imposante Wesen geerbt, zum Glück auch nicht die träge Gleichgiltigkeit seines unmittelbaren Vorgängers, aber der schüchterne, unbeholfene Mann mit dem nachgiebigen Charakter war am wenigsten imstande, dem Zeitgeist die Richtung zu geben und den Stürmen, welche sein Reich von allen Seiten bedrohten, Einhalt zu gebieten. Die Protestanten kannten Ludwigs Charakter; sie hofften Duldung von ihm. „Es ist ein guter Anfang," schrieb Rabaut, und Court de Gebelin fügte bei: „Es scheint nicht, daß der neue Monarch das bisherige System der Verfolgung liebt." Die Synoden sandten ihre Bittschriften an ihn, in den andern Versammlungen

und Korrespondenzen begegnen wir allen möglichen Vorschlägen, um die „Toleranz“ herbeizuführen. Aber diese Zeit war noch ziemlich fern, wenngleich die Anzeichen sich mehrten, daß das alte, verhaßte und unfruchtbare System immer mehr zusammenbreche. Turgots Ernennung zum obersten Finanzbeamten (controleur général) begrüßten die Protestanten mit Freuden, „sie kannten seine Gesinnungen“, er gab auch bald eine Probe davon. In dem sogenannten „Mehlkrieg", wo in Folge von Mißwachs und ungenügender Verkehrsmittel eine Teuerung eintrat und überall Unruhen ausbrachen, hatte er das Rundschreiben der Regierung, die aufgeregten Gemüter von der Kanzel her zu beruhigen, gerade so wie an die katholischen Bischöfe und Geistlichen, auch an die evangelischen Pfarrer gerichtet, deren Amt doch so verfehmt war! (10. Mai 1775.) Es war eine Art offizieller Anerkennung; die Freude, die Ergeben= heit und der Dank, wie sie in einem Schreiben Rabauts an Turgot hervortreten, waren vollständig berechtigt. Noch deutlicher traten. die Gesinnungen Turgots bei der Frage über die Salbung des Königs hervor; er protestierte gegen das herkömmliche Gelöbnis, daß der König alle seine Gewalt aufbieten wolle, um die von der Kirche verdammten Keßer aus allen seinen Landen auszurotten, er übergab Ludwig eine Denkschrift über die Toleranz, er schlug eine Fassung des Eides vor, in welcher von dem Schuße aller Kirchen und dem Rechte aller Unterthanen die Rede war. Umsonst, die Salbung und der Schwur fanden in althergebrachter Weise statt, nur soll Ludwig gerade bei diesen Worten gestammelt und einiges Undeutliche gemurmelt haben. In der Versammlung des Klerus, welche kurze Zeit darauf (Sept. 1775) in Paris stattfand, wurde der König unverblümt an diesen Schwur erinnert und aufgefordert, dem Unterfangen der Religionnäre, Kirchen und Altäre zu bauen. und öffentliche Stellen zu bekommen, ein Ende zu machen; ihm sei es beschieden, das Werk Ludwigs XIV. zu vollenden und dem Calvinismus den Todesstreich zu versehen. In seiner Antwort ließ der König erklären, daß er keineswegs die reformierte Religion begünstige und daß die Gerüchte hierüber unbegründet seien. 184)

Mit Frohlocken wurde Turgots Sturz von der klerikalen Partei begrüßt; freilich fiel in den Freudenkelch der bittere Tropfen, daß Necker, ein Genfer und Reformierter, von dem Könige zum

Schott, Die Kirche der Wüste.

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