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4.

In der Heimat.

Am nächsten Tage ritt Immo mit Hugbald aus Gotaha, einer Burg des Klosters, der Heimat zu. Auf beiden Seiten des Weges zogen sich niedrige, langgestreckte Hügel dahin, die Rücken mit Wald bewachsen, an den Gehängen die Aehrenfelder, deren Frucht sich bräunte. In den Niederungen dehnten sich zwischen sumpfigen Wiesen große Teiche, die mit Erlen und Weiden umgeben waren. Zahlreich und ansehnlich waren die Dörfer der Landschaft, jedes durch Pfahlwerk und breiten Graben oder durch das Wasser eines Sees gesichert. War ein Dorfthor geschlossen, dann zogen die Reiter auf der Außenseite herum über den Anger, auf welchem das Hornvieh weidete; fanden sie ein Thor geöffnet, so sprengten sie über die Brücke und antworteten auf die Frage des Wächters, der eilig seinen schweren Spieß aus der Ecke holte und ihnen entgegentrat. Immo fuhr dahin mit fröhlichem Herzen und unter dem Druck der Schenkel hob sich sein Roß zum Sprunge.

Vor den Reitern zog sich eine Flurscheide quer über den Weg, ein breiter Graben, dahinter ein aufgeworfener Wall mit einer dichten Baumhecke, bei der Brücke ein hoher Grenzhügel, auf dem ein wettergraues Thurmgerüst stand. „Sieh das alte Grenzzeichen meiner Väter," rief Immo, „einst war das ganze Land dahinter unser Erbe, jezt freilich gehören viele Hufen fremden Herren, dagegen liegen wieder Höfe, die uns gehören, außerhalb der Mark. Doch ehren wir das alte Mal

zeichen." Erschwang sich vom Rosse, sprang auf den Hügel, riß blühendes Kraut ab und steckte es an seinen Hut. „So nehme ich Besitz von dem Lande meiner Ahnen, bezeuge mir's, liebe Sonne, daß Laub und Gras mir diene." Am Ufer eines Gebirgsbachs ritten sie wohl eine Meile dahin, Immo wies auf das klare Wasser und auf die bunten Steine, welche den Bach von beiden Seiten umjäumten. „Jeßt rinnst du niedrig, Bach meiner Heimat, und ein Knabe vermag dich zu durchwaten, aber ich kenne die Macht deiner Strömung, denn im Frühjahr und nach dem Wettersturm brausest du zornig zwischen den Hügeln dahin und oft schlug deine Fluth an die Schwelle unseres Saals und wir hüpften barbeinig im Hofe durch den wilden Schwall."

Südwärts zur rechten Hand hoben sich die Hügel steiler, an ihrem Fuße breiteten sich weite Seen, die Abhänge bedeckte der Laubwald, dazwischen aber schimmerte bald roth bald bläulich die nackte Erdmasse der Berge; auf den Gipfeln stand hier ein Wartthurm, dort eine Burg und wieder eine. „Das ist der rothe Bergwall, um welchen mein Geschlecht sich gelagert hat," erklärte Immo stolz, „hoch sind die Berglehnen und steil der Weg zu den Gipfeln, manchesmal haben die Helden dort ihren Feinden widerstanden."

An einem Wege, der nach Süden führte, hielten die Reiter und nahmen Abschied, denn Hugbald sollte nach der Wassenburg vorausziehen; und sie besprachen das Wiedersehen in den nächsten Tagen.

Als Immo allein war, ritt er in gestrecktem Laufe vorwärts. Vor ihm lag in der Niederung durch eine Mauer umschanzt der große Hof seiner Väter, der Bach theilte sich und umfloß den festen Sitz Ingramsleben von allen Seiten. Viele Gebäude standen innerhalb des Hofes, in der Ecke ein dicker viereckiger Thurm, mit kleinen Fensterrigen, oben mit Zinnen gekrönt, durch einen Graben von dem übrigen Baue getrennt, er war die feste Burg des Hofes, in welche sich bei

schnellem Ueberfall die Hofherren zurückziehen konnten zu ihren Kindern und Schätzen, die sie dort geborgen hatten. In der Mitte des Hofes aber erhob sich das Herrenhaus mit hohem Dach, mit einer Laube auf der Sonnenseite und einer Gallerie darüber, um das Haus standen nahe der Mauer zahlreiche Ställe und Wohnungen der Dienstleute. Außerhalb des Hofes erkannte man längs dem Wasser die Dächer des kleinen Dorses, welches dazu gehörte. Der Reiter hielt vor der Brücke an, ihm pochte das Herz, er neigte einen Augenblick das Haupt und flehte zu den Heiligen, dann sette er mit großem Sprunge durch das offene Thor. Sein Roß stieg, er hob sich hoch im Sattel und grüßte den Hof seiner Väter.

Still lag der Hof in der Ruhe der ersten Abendstunde, Niemand kam, den Gast anzurufen und das Roß zu halten. Immo lenkte sein Pferd abwärts den Ställen zu. Dort kauerte auf der Dungstätte des Hofes das Federvolk in großen Schwärmen, auch der Hahn mit den Hennen saß zusammengeduckt unter dem Dach der Ställe. Nur der alte Kranich, welcher dem Geflügel zum Vogt gesezt war, stand mitten auf dem Strohhaufen, richtete den Hals hoch auf und wandte seinen scharfen Schnabel dem fremden Reiter zu. Als aber Immo vom Pferde sprang und fröhlich den Namen des Kranichs: „Ludiger" rief, da erkannte der kluge Vogel seinen alten Herrn und vergaß gänzlich seiner Würde, er schrie und rannte mit ausgebreiteten Flügeln und aufgesperrtem Schnabel dem Sohn des Hauses entgegen, gerade als wollte er ihn umfangen, und schmiegte seinen Kopf an den Leib des Mannes. Immo aber strich ihm liebkosend den rothen Scheitel, bis der Vogel wieder vergnügt zu seinem Volke lief. Dort breitete er die Flügel und fing vor der ganzen Gemeinde an sich zu drehen und zu tanzen, sodaß die Hühner gackerten und das Geschlecht der Enten und Gänse sich erhob und lautes Schnattern begann, erstaunt über die Geberden des ernsthaften Meisters. Alle Vögel schrien und hinten im Hundezwinger bellten die Bracken.

Da sah die alte Dienerin Gertrud aus einer Seitenthür der Halle und rief zurück: „Gutes Glück steht dem Hofe bevor, Herr Ludiger tanzt vor seinem Volke"; aber im nächsten Augenblick stieß auch sie einen Schrei aus, lief die kleine Hintertreppe hinab und umschlang mit ihren Armen den Fremdling.

Aus der Umarmung der Wärterin sprang Immo in den Saal. Von der Schwelle erkannte er auf dem Herrenstuhl die Herrin des Hofes im braunen Trauergewande, das Haar mit dunklem Schleier umhüllt, das edle Antlig wenig gewandelt in den Jahren seiner Abwesenheit, noch immer so schön und gebietend, wie er es sehnsüchtig in seiner Seele geschaut hatte. „Meine Mutter," rief er außer sich, warf sich zu ihren Füßen, umschlang ihre Knie und weinte wie ein Kind in ihrem Schoß. Frau Edith wollte sich heftig erheben, als der fremde Mann zu ihren Füßen niederstürzte, aber gleich darauf faßte sie sein Haupt mit ihren Händen und drückte ihn fest an sich. Als der Sohn zu dem Antlig der Mutter aufsah, hielt sie ihn an den Locken und sah ihn starr an, während ihr Gesicht sich röthete. „Ein Mann bist du geworden," sprach sie erschrocken, aber im nächsten Augenblick warf sie die Arme wieder um ihn und küßte ihn auf die Stirne und das Haar, wie die Mutter einem kleinen Kinde thut. Schnell folgte Frage und Antwort. Wisse, Immo," begann die Mutter, „nicht ganz unerwartet kommst du. In der letzten Nacht hatte ich einen Traum, gleich einer Verkündigung. Auf meinem letzten Lager fand ich mich, gelähmt waren meine Glieder und vergebens mühte ich mich die Hände zum Gebet zu falten. Da neigte dein Angesicht sich über mich, im goldenen Schmuck des Bischofs standest du vor mir, um dein Antlig strahlte ein heller Schein und du botest mir das Heiligthum. Mich aber durchdrang ein seliger Friede, wie ich ihn nie gefühlt. Glücklich ist die Mutter, Geliebter, welcher der Sohn das Thor des Himmelsjaals öffnet."

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Als Immo von seiner Reise erzählt hatte, zog er den Brief des Abtes aus dem Gewande. Lies ihn," sagte die Mutter sich seßend, „du bist der einzige im Hause, welcher der fremden Schrift und Sprache kundig ist, darum erkläre mir den Inhalt, damit ich Alles verstehe." Mit geheimer Sorge öffnete Immo den Brief, ungern wollte er der Mutter in dem Glück des Wiedersehens Unholdes von seiner Trennung aus dem Kloster berichten. Aber das Schreiben enthielt nur einen Gruß des Abtes für Frau Edith, und daß er den Sohn aus der Schule mit seinem Segen zurücksende, damit er nach eigenem Willen für seine Zukunft sorge.

„Willkommen ist mir die Antwort deines Abtes auf meine Bitte, die ich durch Vater Reinhard an ihn that, und Alles ist für dich bereitet, damit du ein Held des Himmelsherrn werden kannst. Doch heute sprich nicht zu mir von künftigen Tagen, denn sorglos möchte ich mich deiner Heimkehr freuen.“ Sie zog ihn bei der Hand in den Hof und öffnete die Gitterthür des Gartens, in welchem eine Anzahl Obstbäume auf dem Grasgrund stand. Dort lagerte das junge Geschlecht Irmfrieds. Auf einer Bank saß Odo, der ältere, einem gereiften Manne gleich, breitschultrig, gemessen in seinen Gcberden, das rundliche Gesicht mit den vorstehenden Augen und der bedächtigen Miene ganz ungleich dem Aussehen der andern Brüder. Diese lagen im Grase, Ortwin, der redegewandte, welcher Sprecher des Hofes war, summte ein Lied und würfelte dabei auf einem Bretlein mit sich selbst, der starke Erwin warf sigend einen Stein, den mancher Andere schwerlich gehoben hätte, unermüdlich in die Höhe und freute sich ihn geschickt wieder zu fassen, und Adalmar und Arnfried lagen langgestreckt einander gegenüber, hielten jeder mit zurückgebogenen Armen einen Baum umklammert und stießen mit den Beinen einen runden Fichtenstamm, daß er ruhelos zwischen. ihnen hin und her rollte, und sie lachten laut, wenn der ungefüge Kloß einem von ihnen so gefährlich nahte, daß es eines

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