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1.

Im Jahr 1003.

Wo_die_Geisa_das Wasser ihrer Quellen in die Fulda · gießt, lag zwischen Wiesen und fruchtbaren Feldern das Kloster Herolfsfeld. Hohe Fürsten des Himmels waren seine Beschüßer, denn die Klosterkirche umschloß die Reliquien zweier Apostel; doch den größten Eifer für das Gedeihen des Klosters hatten zwei Gefährten des heiligen Bonifacius bewiesen: Erzbischof Lullus, der die ersten Mönche auf das leere Feld führte, und der Heidenbekehrer Wigbert, dessen Gebeine erst viele Jahre nach seinem Tode im Kloster niedergesezt wurden, der aber seitdem durch zahllose Wunder den Ruhm der Stätte erhöhte. Als das stärkste von seinen Wundern rühmten die Leute, daß in der einsamen Landschaft ein mächtiges Menschenwerk entstanden war, Thürme und hohe Kirchgiebel, um diese herum eine große Zahl von Gebäuden aus Stein und Lehm, deren wettergraue Holzdächer wie Silber in der Mittagsonne glänzten. Was man Kloster nannte, war in Wahrheit eine feste Stadt geworden, durch Mauern, Pfahlwerk und Graben von der Ebene geschieden. Länger als zweihundert Jahre hatten die Mönche gebetet, um den Gläubigen Heil und guten Empfang in jenem Leben zu bereiten, dafür waren sie selbst reich geworden an irdischem Grundbesit, den ihnen fromme Christen in der bittern Sorge um das Jenseits gespendet hatten. Die Burgen, Dörfer und Weiler, welche ihnen gehörten, lagen über viele Gaue vertheilt, nicht nur im Lande der Hessen, auch

unter Sachsen und Baiern, vor Allem in Thüringen. Ein guter Theil des Kirchengutes, das Bonifacius erworben hatte, darunter die ersten Schenkungen, welche die Waldleute in Thüringen zur Heidenzeit gemacht, gehörte jezt dem Kloster, und wenn der Abt seine Lehnsleute und Hintersassen zu einer Kriegsfahrt aufrief, so zogen sie dem Lager der Sachsenkaiser zu als ein Heer von Reitern und Fußvolk, in ihrer Mitte der Abt als großer Herr des Reiches mit einem Gefolge von edlen Vasallen. Länger als zweihundert Jahre hatten die Brüder auch mit Art und Pflug gegen den wilden Wald und das wilde Kraut gekämpft, hatten unermüdlich die Halmfrucht gesäet, Obstbäume gepflanzt und Weingärten eingehegt. So waren sie allmählich große Landbauer geworden, nach Tausenden zählten sie ihre Hufen, ihre zinspflichtigen Höfe und die Familien der unfreien Arbeiter. Jezt saßen sie in der Fülle guter Dinge als eine Genossenschaft von hundert und fünfzig Brüdern zwischen gefüllten Scheuern und springenden Herden, sahen vergnügt über die reiche Habe und ordneten selbst als umsichtige Landwirthe das Tagewerk der zahlreichen Gehülfen, deren Häuser im Zaun ihres Herrenhofes standen oder seitwärts an der Fulda zu einem großen Dorf vereinigt waren. Doch nicht allein über Landarbeit, sondern über Alles, was Handwerk und Kunstfertigkeit zu schaffen vermochte, walteten als Meister die Genossen, welche sich dem Christengott gelobt hatten. Neben dem Palast des Abtes und den Gasthäusern für Fremde, zwischen den Vichhöfen und Scheuern, dem Brauhause und den weiten Kellergewölben erklang der schwere Hammer des Waffenschmieds auf dem Ambos, und daneben der kleine Hammer des Künstlers, welcher edle Steine in Gold und Silber zu fassen wußte für Kirchengeräth, für kostbare Bücherdeckel und für Trinkgefäße des Abtes und vornehmer Gäste. Ein Bruder bewahrte den Schlüssel zu dem Rüsthaus, in welchem die Helme, Schwerter und Schilde für ein ganzes Heer bereit lagen, ein anderer zählte den Gerbern die Häute zu, prüfte kunstverständig ihre

Arbeit, mischte die Farbe und kochte die Beize für buntes Leder und Gewand. Und wieder ein anderer maß die Räume für neue Bauten, verfertigte den Riß und wies die Maurer an, wie sie den Gewölbbogen schwingen und dauerhaften Mörtel mischen sollten. Von weiter Ferne her zogen die Leute zum Kloster, nicht nur um bei den Gebeinen der Heiligen zu beten und durch Gaben das Gebet der Mönche zu kaufen; auch wer klugen Rath und irdischen Vortheil begehrte, suchte dort Beistand. Der Kaufmann fand Waaren, die er gegen andere vertauschte, der große Grundherr holte sich den Bauplan für ein Steinhaus, das er auf luftiger Höhe errichten wollte, oder bat um einen meßkundigen Bruder, der ihm fernes Wasser in seinen Hof zu leiten und einen Fluß mit steinerner Brücke zu überspannen wußte. Wer vollends krank war, der neigte sich flehend vor dem Arzte des Klosters und erhielt aus der Apotheke die Holzbüchse mit kräftiger Salbe und den ruhmvollen Trank des heiligen Wigbert. Jeder Dürftige und Bettler im Lande kannte das Haus, denn er war sicher, dort Hilfe gegen den Hunger zu finden und gutherzige Spende an den nöthigsten Kleidern. Was die Einen in ihrer Sündenangst vor den Altären der Heiligen opferten um den Himmel zu gewinnen, das vermehrte vielen Anderen die Freude des irdischen Lebens. Aber die Mönche selbst, die sich dem Herrn zu demüthiger Entsagung und Buße geweiht hatten, wurden allmählich stolze Lehrer und Gebieter in weltlichen Dingen und vermochten nicht mehr mit der alten Klosterzucht Haus zu halten.

An einem heißen Nachmittag des Sommers lag auf den Stufen des Hochaltars ein fremder Mönch in stillem Gebet. Stab und Reisehut hinter ihm ließen erkennen, daß er neu angekommen war; bei dem Reisegeräth kniete ein junger Bruder des Klosters, der ihn begleitet hatte. In dem Chorstuhl zunächst dem Siz des Abtes saß der Dekan Tutilo, welcher Präpositus des Klosters war, ein hoher breitschultriger Mann

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