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auf den Planken, die ihren unbesiegten Gegnern durch große Niederlagen des französischen Landheeres unter den Füßen weggezogen worden sind.

Wir haben in den nächsten Wochen die Hoffnung, die militärischen Früchte der größten Operationen einzuernten, welche je in modernem Kriege gemacht worden sind, die Ergebung Bazaine's, die Einnahme von Paris. Aber wir vermögen zur Zeit noch nicht zu erkennen, wie aus Dem, was wir in Frankreich zerschlagen müssen, eine Autorität herauswachsen wird, mit welcher ein Friedensschluß möglich und rathsam ist. Zulegt werden wir doch den Versuch machen müssen, mit den Advocaten und Landsassen zu verhandeln, welche durch die beiden leitenden Mächte des hilflosen Frankreichs, durch die französischen Journalisten und die katholischen Geistlichen den Wählern für eine Constituante empfohlen werden.

(Grenzboten 1870, Nr. 42.)

8. Die Verpflegung des Heeres. Im Anfang des August, als die dritte Armee zuerst den französischen Boden betrat, war für die Verpflegung des Heeres eine glückliche Zeit, an welche Intendantur und Regimentskommando jezt zurückdenken, wie an die sorgenfreien Tage schuldloser Kindheit. Wohlbespannt und reglementmäßig strebten die gefüllten Proviantcolonnen nebeneinander auf den breiten Chausseen vorwärts, jedem Regiment der Baiern folgte eine große Herde schöngehörnter prachtvoller Ochsen aus der Heimat, sie trugen die langgerollten Mäntel der treibenden Soldaten um den Hals und wurden als wandelnder Familienschatz von der Truppe mit liebevoller Achtung betrachtet. Die Tornister und Taschen der Preußen bargen manches gute Eßbare, die großen Feldflaschen der Würtemberger hingen schwer an der Seite, sogar die Cigarre war noch vielen Soldaten ein anmuthiger Bestandtheil der Feldausrüstung, und im ganzen Heere war die Zuversicht obenauf, daß man in ein reiches dichtbevölkertes

Culturland zog, mit Wein und Weizenbrot. Zwar wußte man, daß Futtermangel und Mißernte in Frankreich den Viehstand verringert hatten, doch in den Dörfern des Elsaß war das Vieh weit besser genährt, als man angenommen, und man durfte hoffen, daß die Landschaften unserem Heer genügende Verpflegung sichern würden.

Freilich schon nach der Schlacht bei Wörth zeigte sich, wie schwer in Schlachttagen der einzelne Soldat zu seinem Proviant kommt, und schon beim Zug über die Vogesen sah das Heer mit Verwunderung, wie sehr sein Train wuchs und wie trotzdem der Soldat entbehren mußte. Die alte Annahme, die einst in der Taktik des seligen Griesheim gelehrt wurde, daß ein Armeecorps - außer den beiden Staffeln der Artillerie etwa 600 Fahrzeuge bedürfe, erwies sich als eine Sage der Vergangenheit, welche von dem Zwange der Gegenwart gründlich widerlegt wurde. Zuerst haben sich die regelmäßigen Bedürfnisse des modernen Heeres stark vermehrt. Außer den Munitions colonnen für Artillerie und Infanterie find viele andere Colonnen des Corps-Trains sehr verlängert, mehre neue zugefügt. Zu den vergrößerten Sanitätscolonnen der Corps kommen die zahlreichen der freiwilligen Krankenpflege: Johanniter, Malteser und andere Genossenschaften unter dem rothen Kreuz, dann Pontoncolonnen, Feldpost, Feldeisenbahn, Feldtelegraphie, endlich in diesem Krieg die großen Colonnen der Armeeführer, vollends des großen Hauptquartiers, jede ein langgedehnter Zug von Kutschen, Vorrathswagen, Handpferden, Bedeckungsmannschaften. Aber diese ordentlichen Bedürfnisse eines Heeres werden im Kriege schnell durch unregelmäßige vergrößert, durch endlose Züge requirirter Wagen mit Verwundeten und Maroden, mit Gepäck, mit Futter und Hilfszufuhr und zur Erleichterung der ordnungsmäßigen Gespanne. Während die Armeewagen auf eine bestimmte Last und Ladung eingerichtet sind, bietet das eilig requirirte Fuhrwerk diesen Vortheil nicht, es vermag oft nur wenige Centner zu befördern,

Freytag, Werke. XV.

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es wird auf schlechten Wegen massenhaft zur Aushilfe und Ergänzung gebraucht werden müssen. Es wird oft auch ohne Berechtigung und mit ungenügender Ladung, ja zur Vorsorge ganz leer mitgeschleppt, von Quartier zu Quartier, die Pferde abgetrieben, die Fuhrleute unsicher und böswillig. So geschieht es, daß der Train des Heeres schon nach den ersten Märschen in Feindesland, ganz abgesehen von den Proviantcolonnen, unablässig anschwillt, und kein Zürnen des Oberbefehls, kein Wettern der Colonnenpolizei vermag diesem Uebelstand zu steuern. Wenn auch hier und da ein unnüßer Wagen in den Graben geworfen wird, — nie ohne Stockung und Verzögerung in den meilenlangen Zügen im Ganzen ist die Feldgensdarmerie, welcher hier die Sorge für den gemeinen Nußen des Heeres obliegt, machtlos gegenüber dem Interesse der einzelnen Theile sich's bequem zu machen. In der Regel ist dem Fortkommen der Colonnen noch vortheilhafter, unnüße Wagen zu dulden, als sie durch ein Stauen der ganzen Bewegung zu entfernen. Und es wird keine übertriebene Annahme sein, wenn man rechnet, daß die dritte Armee schon bei Nanch statt 5-600 Geräthen auf das Armeecorps, mehr als die doppelte Anzahl zählte, also bei einer Stärke von 51⁄2 preußischen Armeecorps etwa 6-7000 Wagen mit mehr als der doppelten Anzahl Pferden und einem nicht zum Heere gehörigen Troß von mehren Tausend Menschen.

Unsere Armee aber war nur der dritte Theil des deutschen Heeres in Frankreich. Der Wagentrain des ganzen Heeres würde nach gleichem Verhältniß bei einer Zahl von 20,000 Geschirren, wenn man auf den bespannten Wagen in der Colonne durchschnittlich einen Raum von nur 12 Schritten rechnet, in einfacher Reihe eine Colonne von 24 Meilen Länge bilden, oder sechs Straßen auf je 4 Meilen Länge bedecken. Dabei sind selbstverständlich die sämmtlichen Geschützcolonnen, deren Fahrzeuge durchschnittlich 20 Schritt Colonnenlänge beanspruchen, nicht eingerechnet.

Aber auch diese ungefähren Angaben geben noch keine Vorstellung von dem Train unseres Heeres bei dem Vormarsch in Frankreich. Nur ein kleiner Theil der Lebensbedürfnisse des Heeres wurde durch Requisitionen, welche die Truppen selbst vornahmen, gedeckt. Der bei weitem größte Theil des Proviants, die ganze Munitions- und Ausrüstungsergänzung mußte dem Heere nachgeschafft werden, entweder aus der Heimat durch Lieferanten besorgt, oder im besezten Feindesland durch die Intendanturbeamten aufgesammelt. Je weiter das Heer also im Lande vorrückte, desto länger wurde auch der Marsch der nachrückenden Colonnen und desto zahlreicher mußten in demselben Verhältniß die Verpflegungscolonnen werden. Angenommen nämlich, eine Proviantcolonne aus der Heimat sei angewiesen, ihr Armeecorps auf drei Tage zu verpflegen, so werden, wenn das Armeecorps neun Tagesmärsche in Feindesland vorgerückt ist, wenigstens drei solcher Colonnen für dasselbe Armeecorps auf dem Marsche sein müssen, und je weiter das Corps vorrückt, um so mehr.

Aber der Nachschub wurde noch durch andere Umstände höchlich erschwert. Jedes Heer ist in seinen Verbindungen nach rückwärts zunächst auf die Straßen angewiesen, welche es selbst gezogen ist und dem Feinde entrissen hat. Auf den Linien seiner Marschroute läßt es hinter sich besetzte Etappen, welche die Straßen, Ortschaften, die Communication mit der Heimat sichern. Der Kronprinz war vom Süden her über die Vogesen auf die große Straße nach Paris vorgedrungen, seiner Armee blieb längere Zeit nur die Verbindung über Weißenburg, das war den preußischen Corps für Post und Proviant ein weiter Umweg, zuerst auf fremden deutschen Eisenbahnen, in Frankreich von Sulz aus nur auf Chausseen über das Gebirge. Das erschwerte Alles. Als endlich die Eisenbahn von Weißenburg bis Nanch und Pont-à-Mousson wieder hergestellt war, wurde dieser Schienenstrang für Massentransport durch lange, entscheidende Wochen die einzige nugbare Verbin

dung, trog der langsamen Beförderung immer noch die Lebensader für alle späteren Operationen, die ohne seinen Besitz in dieser Schnelle ganz unmöglich gewesen wären.

Als nun damals nach den Schlachten bei Met die wilde Jagd hinter Mac Mahon herging, als außer den fünf Corps der Südarmee noch die Maasarmee des Kronprinzen von Sachsen auf parallelen Straßen nach Nordosten zog, viele Regimenter in Kriegsmärschen, wie sie bis dahin ihre Geschichte nicht zu berichten wußte, da begann sich in Feindesland zwischen dem deutschen Heere und dem Endpunkt der neuen Verkehrsader wieder eine weite Kluft aufzuthun, welche für die Verpflegung nur durch zeitraubendes Ausladen und durch Beförderung auf requirirten Wagen zu überschiffen war. Tausende von Bauernwagen, schlechtes Fuhrwerk, verzweifelte Leute, langsames, oft gehemmtes Fortschleichen auf wenigen Straßen hinter Truppen her, welche täglich 5-7 Meilen vorrückten, und am Abend von ihren Proviantwagen, die sich aus den Colonnen mühevoll versorgt hatten, in den Bivouaks nicht mehr erreicht oder gar nicht aufgefunden werden konnten. Das waren vom 20. August bis nach dem 1. September Tage, wie sie nur ein so geduldiges, ausdauerndes, treues Heer ohne schwere Einbuße an Kraft und Disciplin zu überstehen vermag. Aber diese Tage waren zugleich und trotz allen Entbehrungen der Truppen schwere und rühmliche Kraftproben für unsere oberste Armeeverpflegung. Der Soldat wird sich bei jenen Märschen immer zunächst der Strapazen und der mangelhaften Beköstigung erinnern und keinen freundlichen Gruß für seine Intendanturbeamten bereit halten, die Feldherren unseres Heeres wissen wohl, daß der Tag von Sedan nur möglich wurde, weil die verpflegenden Factoren des Heeres unter den schwierigsten Verhältnissen immer noch weit mehr gethan haben, als man seither für möglich hielt. Seitdem wird die Verpflegung unseres Heeres in neuem, großartigerem Maßstabe betrieben, um den Bedürfnissen der Belagerung von Meg und

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