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Kaiser Napoleon hatte für das französische Heer Alles gethan, was ein gescheidter und erfinderischer Mann schaffen kann, der gerade nicht selbst ein Feldherr ist, durch ihn ist jedenfalls unvergleichlich mehr geschehen, als unter Bourbonen und Orleans. Seit dem Jahr 1866 ist das Heer der Zahl nach fast verdoppelt, gut geschult, sorglich gewöhnt, das Feuergefecht und die Bodenvortheile auszunuzen; da man das stürmische Draufgehn als nationale Tugend der Franzosen zu betrachten gewöhnt war, hatte der Kaiser sich besondere Mühe gegeben, der Infanterie auch die Dauer in der Defensive zu festigen. Die Ausrüstung der Soldaten war im Ganzen vortrefflich, in Manchem vielleicht besser als bei uns, z. B. Kleidung, Proviant, Lagereinrichtung, vor Allem das Gewehr. Durch seine Vorzüge glich es einigermaßen die Mängel aus, welche der Schüßenkunft des französischen Infanteristen anhängen. Auch die Cavallerie war neu organisirt, mit guten Pferden versehen und von echtem Reitermuth beseelt. Nur in der Artillerie war es dem Reformer nicht ebenso geglückt. Seine Lieblingserfindung, die Mitrailleuse, ist kein bequemes Feldgeschütz, sie übt verheerende Wirkung nur auf kurze Distanzen als Positionsgeschüß, und die französischen Granaten mit ihrem tempirten Zünder geben einen Schuß, welcher langsam abgegeben wird, sich schwer auf jede Entfernung einrichtet und in der Wirkung unsicher ist. Jedenfalls war die deutsche Artillerie, die preußische Granatkanone, der französischen überLegen.

Aber der Kaiser hatte in seinen Verbesserungen mit dem Uebelstand zu kämpfen, daß Frankreich zu seiner Zeit glänzende militärische Erfolge ohne große Kriegführung gewonnen hatte. Es fehlte dem französischen Generalstab die sichere Bildung und die Generäle, welche in der Schule von Algier groß gezogen waren, hatten im Kampf gegen Halbwilde nach einem alten Ausspruch des Generals von Moltke den Krieg nur gerade gelernt, wie man ihn nicht führen darf. Dazu

kamen als untilgbare Schäden für die französische Heeresleitung die alten nationalen Leiden: Leichtsinn und Gewissenlosigkeit und maßlose Selbstüberschätzung. Dicht neben der vortrefflichsten Sorgfalt lag die größte Unordnung. Die französischen Offiziere hatten z. B. zwar eine Anzahl Karten von Deutschland erhalten, aber sogar im Generalstab von Mac Mahon fehlten Karten von Frankreich, und nach der Capitulation von Sedan frugen französische Offiziere bei deutschen nach den Namen der Dörfer, bei denen sie geschlagen worden waren. Die Sorge um die Bewegungen des Feindes war bei den Franzosen so übel geordnet, daß sie in ihrem eigenen Lande in der ärgsten Unkenntniß von dem Stand unserer Armeen waren. Der Angriff des 5. und 11. Corps in der Schlacht bei Sedan kam den Franzosen ganz unerwartet, und am 2. September sprach der Kaiser bei der Zusammenkunft mit dem Kronprinzen von Preußen gegen diesen sein Erstaunen aus, daß auch die dritte Armee so schnell zum Kampf herangekommen sei, er und Mac Mahon hätten geglaubt nur gegen den Prinzen Friedrich Karl zu fechten; seiner Begleitung erschien es einigermaßen tröstlich, nur der Macht des gesammten deutschen Heeres unterlegen zu sein, und der Kaiser fuhr betroffen zurück, als der Kronprinz ihm antwortete, Prinz Friedrich Karl sei mit seinem Heere weit von Sedan, er halte mit sieben Armeecorps den Marschall Bazaine in Metz eingeschlossen.

Diese Unbehilflichkeit in der höheren Führung wurde durch Uebelstände der Organisation vermehrt, die ebenfalls tiefliegende Schäden des französischen Heeres sind. Ueberall kam der Mangel eingewöhnter Ordnung und sicheren Reglements zu Tage, in Verpflegung, Disciplin, Kommando.

Das waren wesentliche Mängel, aber es waren Unvollkommenheiten eines tapfern und kriegstüchtigen Heeres. Nicht darum rühmen wir das, weil es den Sieger ehrt, wenn der Besiegte gelobt wird, sondern weil in unserem Heere selbst eine recht lebhafte, loyale, warme Anerkennung der militärischen

Tugenden des französischen Heeres zu finden ist. Es war bei uns eine echt deutsche Theilnahme an der tapferen Kürassierbrigade bei Wörth, welche auf Befehl Mac Mahon's in den sicheren Tod ritt, und an den Brigaden bei Sedan, welche so lange gegen Geschüße und Infanterie anstürmten, bis Reiter und Rosse in langen Reihen am Boden lagen.

Die Franzosen sind jetzt in der Laune, ihr ganzes militärisches Unglück dem Kaiser zuzuschreiben. In Wahrheit hat Napoleon Frankreich so waffenstark und widerstandsfähig gemacht, als es seit 1812 niemals gewesen ist, und was dem französischen Heere uns gegenüber mangelt, das ist im Grunde, was den Franzosen unserem Volksthum gegenüber überall abgeht: sie sind bei aller schönen Virtuosität im Einzelnen die schwächere Rasse, welche die uralten keltischen Unarten nicht loswerden kann.

Man wußte im Hauptquartier unserer Armee vor Sedan nichts Sicheres über den Aufenthalt des Kaisers. Nach der Versicherung von Landleuten war er am 30. August auf dem Felsplateau von Stonne neben Mac Mahon gesehen worden, auch französische Aerzte hatten erzählt, daß er beim Heere sei. In der Schlacht selbst hatte Mac Mahon den Oberbefehl schon am Morgen nach ernster Verwundung an General Wimpffen abgeben müssen, der erst zwei Tage vorher aus Afrika gekommen war und keineswegs bei allen Generälen willigen Gehorsam fand, als er die Dispositionen seines Vorgängers zu ändern versuchte. Der Kaiser selbst hatte von dem Beginn der kritischen Stunden, von 10 bis 2 Uhr, unter den Truppen im Granatfeuer gehalten, und es ist keine Phrase, wenn er an König Wilhelm schrieb, daß er dort den Tod erwartet habe. Nach 2 Uhr, als er die Schlacht verloren sah, war er langsam nach Sedan zurückgeritten, dort traf er auf der Brücke mit dem Oberst Stoffel zusammen, der beim kommandirenden General als Adjutant fungirte. Während der Kaiser mit dem Obersten sprach, zerriß eine Granate dicht neben ihm einige Pferde und

bespritzte sein Pferd mit dem Blut. Er hielt noch einige Augenblicke still, wie um einen anderen Todesgruß zu erwarten, und lenkte dann im Schritt nach dem Marktplag der Stadt, die er als Gefangener verlassen sollte. Für Napoleon war das Spiel verloren. Nur eine kleine Anzahl der Generäle bewahrte dem erwählten Kaiser des Volkes persönliche Treue und ritterliche Hingabe. Die Mehrzahl der Soldaten, demoralisirt und meuterisch, betrachtete ihn ohne Gruß und mit finsterem Blick. Da faßte er einen klugen Entschluß, den einzigen, der ihm oder seiner Dynastie noch Aussichten für irgend eine Zukunft übrig ließ. Er selbst durfte die Festung und sein Heer nicht dem Feinde überantworten, er legte also Sorge und Verantwortung für diese That auf die Seele des kommandirenden Generals und schrieb jenen Brief an König Wilhelm, worin er ihm seinen Degen zu Füßen legte, ohne die Uebergabe von Heer und Festung zu erwähnen.

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Es war ein merkwürdiger Augenblick, als auf der Berghöhe vor Donchery General Reille ansprengte, dann zu Fuß mit entblößtem Haupt über das Ackerfeld auf den König zukam, der auf seinen Säbel gestüßt im Halbkreise seiner Generäle und Adjutanten den Franzosen erwartete. Erst da erhielt man volle Sicherheit, daß man den Kaiser gegenüber habe als er sich zum Gefangenen anbot. In Wahrheit forderte der Brief die vorsichtigste Behandlung. Der Kaiser ohne sein Heer war ein nicht anzunehmendes Geschenk, zu seinem Heere war er noch ein Schlachtgewinn, der dem Kriege eine unabsehbare Menge neuer Schwierigkeiten schuf. Als der General Reille auf die Frage, ob der Kaiser noch Herr seines Heeres sei, mit französischer Gewandtheit sagte, „ebenso wie des Königs Majestät Herr des deutschen Heeres ist“, da sprach er nicht die Wahrheit. Die Antwort des Königs, im Augenblick mit seiner nächsten Umgebung berathen, betonte deshalb, daß die Uebergabe der Festung und der französischen Armee selbstverständliche Folge der kaiserlichen Ergebung sein müsse. In

dieser Ansicht ließ man auch den Kaiser bei Sedan unter den französischen Truppen und traf Vorsichtsmaßregeln, um einem Ausbruch in der Nacht entgegenzutreten.

Als nun am andern frühen Morgen Graf Bismarck aus seinem Quartier in Donchery durch die Nachricht geweckt wurde, daß der Kaiser außerhalb der Festung auf der Landstraße weile, um König Wilhelm selbst zu sprechen, da war die Ueberraschung bei dem Grafen sicher keine angenehme. Er selbst hat über seine Begegnung mit dem Kaiser berichtet. Ebenso sind die folgenden Momente, die Zusammenkunft des Kaisers mit König Wilhelm und dem Kronprinzen durch die Zeitungen bekannt. Der König konnte den Kaiser erst sprechen, als derselbe noch einmal seinen Einfluß angewandt hatte, um die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche von den Generälen der Uebergabe entgegengestellt wurden. Auch der König war bewegt, als er nach viertelstündiger Unterredung von Napoleon schied, welcher das Taschentuch vor die thränengefüllten Augen hielt. Der König hatte zulezt gefragt, ob der Kaiser für den Ort seines künftigen Aufenthalts einen bestimmten Wunsch habe, und als dieser antwortete, daß ihm jeder Ort recht sei, hatte der König Wilhelmshöhe genannt. Nach den Erfahrungen der letzten Nacht zu Sedan, in welcher die Soldaten vor den Fenstern des Kaisers grobe Schimpfworte gerufen hatten, sprach dieser den Wunsch aus, so schnell als möglich seinem Bestimmungsort zugeführt zu werden und nicht mehr unter französischem Dach zu übernachten; er wurde deshalb am 3. September früh mit seiner Generalität, dem Gefolge und Marstall, geleitet von dem preußischen General Bohen, unter Bedeckung durch Graf Seckendorf bis über die belgische Grenze geführt. Er saß gefaßt in ruhiger Haltung in seinem Wagen; wer ihn hier zuerst sah, den überraschte wahrscheinlich das blonde Haar und der milde Ausdruck des feinen Gesichts, dem man einige Abspannung ansehen konnte, nichts von der Verzweiflung, welche ein erfindungsreicher Be

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