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unserer Feldherren gehört, daß diese Gedanken durchaus einfach und ohne feine Listen und Subtilitäten sind. Bei uns versteht man die Massen so zu disponiren, daß sie in freier Bewegung, im Unterhalt und Marsch einander nicht hindern, und doch am rechten Tage und zur rechten Stunde auf dem Schlachtfeld sich zu gemeinsamer Arbeit vereinigen. Dafür ist freilich nöthig, nächst dem Blick und der richtigen Schäßung jeder Leistungsfähigkeit durch die Führer, die spartanische Zucht und das unübertreffliche Pflichtgefühl unserer Truppen, welche sich auch außerhalb der Schlacht tötlicher Anstrengung nie versagen.

Die Franzosen standen bei Beginn des Kriegs mit dem größten Theil ihres Heeres eng massirt gegenüber Saarbrücken, viel zu dicht gedrängt, um sich leicht auseinanderwickeln und bewegen zu können, die Armee Mac Mahons einige Märsche davon südwärts, beschäftigt, den Zuzug aus Rom und dem Mittelmeer aufzunehmen. Die ursprüngliche Absicht war wohl, das ganze Heer im Vormarsch auf deutschem Boden zu vereinigen. Aber das Vertrauen des Kaisers war schon vor Beginn des Feldzugs erschüttert, die Theilnahme der süddeutschen Staaten am Kampfe gegen ihn war ihm unerwartet gekommen. Er war bei dem Mangel an Erfahrungen im großen Kriege mit den Rüstungen ohnedies nicht so schnell fertig geworden, als er gemeint, jezt raffte er besorgt aus Afrika, Rom und den südlichen Garnisonen alles Verfügbare zusammen, um seinem zuverlässigsten Feldherrn eine größere Macht zu sammeln. Der deutschen Armee des Kronprinzen wurde die Aufgabe, die Vereinigung der beiden französischen Armeen zu hindern, die Armee Mac Mahons zu schlagen, von dem Kaiser abzudrängen und in die Vogesen zurückzuwerfen. Dies geschah in den Gefechten von Weißenburg und Wörth am 4. und 6. August. In Eilmärschen zog die dritte Armee hinter dem geschlagenen Heere vorwärts über die Vogesen. Dies Eintreiben eines deutschen Heeres in die Verbindungen der Franzosen wurde

gesichert durch das gleichzeitige Vorgehen der ersten und zweiten Armee gegen den Kaiser selbst, durch die Schlacht bei Spicheren und das Zurückdrücken der französischen Hauptarmee auf Meß. Nach wenig Tagesmärschen stand die gesammte deutsche Armee zwischen Napoleon und der Rückzugslinie Mac Mahons. Die getrennten Heertheile der französischen Armee konnten fortan ihre Vereinigung nur mit großen Schwierigkeiten weit rückwärts bewirken, selbst wenn der Gegner ihnen dazu Zeit ließ. Aber die große Aufgabe unserer ersten und zweiten Armee wurde jezt, dem Heer des Kaisers den Rückmarsch unmöglich zu machen. In den drei großen Schlachttagen vor Meg am 14., 16., 18. wurde das durchgesetzt.

Für Mac Mahon blieb, nachdem seine Vereinigung mit der andern Heerhälfte an der Meurthe und Mosel unmöglich geworden war, keine andere militärische Maßnahme als sich auf Paris zurückzuziehen, dort die Dynastie Napoleons und die Vertheidigung der Hauptstadt zu stüßen. Unverhofft kam von unseren Vortruppen nach Ligny die befremdende Kunde, daß Mac Mahon die Rückzugslinie auf Paris verlassen habe und nach Norden ausgewichen sei. Da er in einer solchen Weise die Hauptstadt einer überlegenen Macht preisgab und für sein eigenes erschüttertes Heer nur dort die Möglichkeit starker Ergänzungen fand, so erschien dieser Abmarsch als ein großer Fehler und General Moltke wollte, wie verlautet, einige Stunden nicht daran glauben. Aber ein aufgefangener Brief aus der Umgebung Mac Mahons und eine Nachricht aus Paris selbst bestätigten den Marsch nach Norden, man erfuhr, daß der Marschall die Vereinigung mit Bazaine für nöthig erachte ,,um die Dynastie zu retten". Sogleich wurden mit Schnelligkeit die gesammten Dispositionen für den Vormarsch geändert, ein Theil der zweiten Armee, welche unter den Oberbefehl des Kronprinzen von Sachsen gestellt worden war (4. Corps, Garde, 12. Corps), sollte den rechten Flügel der Angriffsarmee gegen Mac Mahon bilden, deren linken der Kronprinz von Preußen

(5., 6., 11. Corps, 1. und 2. Corps Baiern, Würtemberger) führte, während die Oberleitung König Wilhelm selbst übernommen hatte. Durch die veränderten Dispositionen hatte Mac Mahon einen Vorsprung erhalten und es ging jetzt wie im Sturm hinter ihm her. Den Truppen mußte fast Uebermenschliches zugemuthet werden, ungenügende Verbindungen und mangelhafte Verpflegung, Bivouaks in aufgeweichtem Boden, Gewaltmärsche von täglich 4, 5, 6 Meilen. Es war eine wilde Jagd. Aber es gelang den weichenden Feind zu erreichen. Am 29. stieß die Armee des Kronprinzen von Sachsen auf das französische Heer.

Am 30. August früh hatte Mac Mahon eine sehr feste Stellung auf den Höhen des Ardenner Waldes von Stonne bis über Louçon besetzt. Das deutsche Heer hoffte auf eine Schlacht. Aber Mac Mahon gab nach scharfem Gefecht und großen Verlusten seine Position auf, um sich einige Meilen weiter nordwärts hinter der Maas und der Festung Sedan festzusetzen. Hier war er so nahe an die belgische Grenze gedrängt, daß ihm ein weiterer Rückzug nach Norden unmöglich wurde. Am 31. sahen die Offiziere unseres Generalstabes deutlich die Lager einer großen Armee hinter Sedan. Der dichte Nebel, welcher im Morgengrauen des 1. September über dem Boden lag, deckte günstig den Vormarsch unseres Heeres. Die Garde und die Sachsen auf dem rechten Flügel, im Centrum die Baiern, ihnen zunächst auf dem linken Flügel das 11. Corps, weiter links das 5. Corps. Dem rechten Flügel folgte als Reserve das 4., auf dem linken standen die Würtemberger als Unterstützung; das 6. Corps, weit nach Westen vorgeschoben, hatte die Bestimmung, den Durchbruch des Feindes auf Paris zu hindern. Die Baiern begannen den Angriff, neben ihnen die Sachsen und die Garde. Sie drangen unter hartem Kampfe rechts von Sedan in der Hügellandschaft und im Dorfgefecht langsam vor. Unterdeß zog durch den dichten Nebel das 11., und in weiterem Bogen das 5. Corps über

die Maas gegen die rechte Flanke und in den Rücken des Feindes. Um 10 Uhr griff das 11. Corps, kurz darauf das 5. in den Kampf ein, gegen Mittag war die französische Stellung nordwärts umgangen, das 5. Corps trat mit der Garde. und den Sachsen im Rücken der französischen Aufstellung in Verbindung. Dadurch wurde die Hauptmacht der Franzosen von der belgischen Grenze abgeschnitten und es begann ein Kesseltreiben des eingehegten Wildes nach der Festung Sedan und der Maas zu. Die Franzosen machten verzweifelte Anstrengungen, von ihrer Hauptstellung hinter Sedan aus die Ringe zu durchbrechen, welche um sie gezogen waren; auch als ihre Infanterie, erschüttert durch frühere Niederlagen, Gewaltmärsche, schlechte Verpflegung und die großen Verluste der Schlacht, in hellen Haufen aus der Hauptstellung auf die Festung zu wich, rangen noch die französische Cavallerie und die Batterien mit Todesverachtung darum, dem Heere einen Durchweg zu öffnen. Alles war vergeblich. Enger und enger zog sich der umschließende Halbkreis, von beiden Seiten und aus dem Rücken donnerten unsere Geschüße, trieben unsere Bataillone den Feind zusammen. Nach 2 Uhr wurde die Flucht der Franzosen unter den Schuß der Kanonen von Sedan allgemein. Gegen 4 Uhr stand das französische Heer, das 25,000 Mann Gefangene, wenigstens ebensoviel Verwundete und Tote verloren hatte, und von dem einzelne Splitter, im Ganzen über 10,000 Mann, nach Belgien oder nach Paris zu entkommen suchten, hinter Sedan und in der Festung selbst zusammengedrängt, immer noch gegen 85,000 Mann stark, ein wildes unglaubliches Gewühl und Gedränge von Rossen, Geschüßen, Wagen, Menschen. Die Festung hätte auch unter geordneten Verhältnissen keinen Widerstand leisten können, jetzt in dem Chaos eines zerschlagenen Heeres brachte ein kurzes Bewerfen derselben durch bairische und würtembergische Geschosse eine Verwirrung und Auflösung, welche keine andere Wahl ließ als Uebergabe.

(Grenzboten 1870, Nr. 39.)

6. Nach Sedan. Als König Wilhelm am Abend des 1. September auf der Säbeltasche eines Husarenlieutenants jenen kurzen Brief an den Kaiser Napoleon schrieb, in welchem er den angebotenen Degen desselben und die Uebergabe des französischen Heeres annahm, da merkten die Anwesenden, daß dieses Schreiben des Königs wohl der eigenhändige Brief sein mochte, welchen der französische Minister wenige Wochen vorher so beleidigend von ihm gefordert hatte. Was zwischen jener Forderung und diesem Briefe lag, eine ununterbrochene Folge von Siegen über das bewährteste Kriegsheer der Welt, ein Triumph deutscher Feldherrenkunst, den die kühnste Phantasie sich nicht größer und vollständiger denken kann, das war zugleich eine Vernichtung des zweiten Kaiserreichs, eine Auflösung des französischen Staates in führerlose Volksmassen geworden. Die Sieger selbst standen am Abend des großen Schlachtentages überrascht und fast befangen vor der Größe ihrer Erfolge. Der Kaiser gefangen und von dem Volk, das ihn kurz vorher mit ungeheurer Majorität als seinen Herrn bestätigt hatte, gleichgiltig aufgegeben und abgelegt wie ein abgenutztes Kleid, das halbe Heer mit seinem massenhaften Kriegsmaterial gefangen, die andere Hälfte in die Festung Meg gedrückt und dort fest umschlossen, jede Kraft zu dauerndem Widerstande zerschlagen, und zugleich jede Autorität geschwunden, mit welcher der Sieger zu verhandeln im Stande wäre. Aus den größten militärischen Erfolgen gingen für unsere Heeresleitung und Diplomatie seltsame, noch niemals dagewesene Aufgaben hervor. Deshalb war, als am 1. September die Sonne sank, auch ein großer Abschnitt in dem deutschen Krieg gegen Frankreich eingetreten, der erste militärische Theil, den General von Moltke disponirt hatte, ging zu Ende. In dem neuen Abschnitte, der jetzt begann, wird neben neuen kriegerischen Aufgaben die Politik, welche Graf Bismarck leitet, die maßgebende Macht.

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