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die Dauer gesichert werden. Von Frankreich losgerissen und an Deutschland nicht festgeschlossen, würde es ohnmächtig dahinsiechen, in Sprache, Sitte, Industrie wahrscheinlich das Schicksal Luremburgs theilen. Ferner als Kanton der Schweiz, — was in mancher Hinsicht das beste Erreichbare wäre, — ist der Elsaß deshalb unmöglich, weil die Schweiz sich entschieden weigern wird, denselben aufzunehmen. Als zutheil von Belgien würde er französirt. Endlich haben wir durchaus nicht den Wunsch, durch neutralisirtes Gebiet von Frankreich völlig geschieden zu werden. Solche Trennung wäre für uns unter Umständen ein großes Unglück. Sie würde nicht hindern, daß Frankreich, welches außerdem noch auf lange die größere Flottenkraft besigen wird, uns in jeder Weise diplomatisch belästigte oder offenbar bekriegte, aber dieses neutrale Gebiet würde uns ganz verhindern, von unserem Recht des Stärkern Gebrauch zu machen und die Strafe für begangene Frevel an den Franzosen zu vollziehen. Man bedenke nur: fortan haben nicht wir einen Grenzwall zu begehren, sondern die Franzosen.

Aber alle diese und ähnliche Gründe, welche gegen die Annexion des Elsaß sprechen, schwinden dahin und werden nichtig vor dem großen Gedanken: sie sind von unserem Stamm und Blut und sie gehören zu uns. Wie Brüder und Familiengenossen, die wir lange als Verlorene betrauert, finden wir sie wieder, und beide erkennen wir unsere Blutsverwandtschaft an gewissen geheimen Zeichen, die der Franzos nicht zu deuten weiß, auch wenn er sie einmal vernimmt. Nicht nur der Verstand, auch Gemüth und Leidenschaft haben hier mitzuthun, dieselben Gewalten, welche den Krieg gegen den Kaiser zu einem Volkskrieg fast des gesammten Deutschlands gemacht haben. Was wir mit dem Schwert erwarben, werden wir mit dem Herzen behaupten, im Nothfall nochmals im Kampfe sichern. Diese Auffassung, die bei den Süddeutschen jezt am heißesten verfochten wird, vielleicht weil sie die Gefahren weniger deutlich erkennen, dringt jezt immer mehr in die Seelen

auch der Norddeutschen. Sie ist auch in dem deutschen Heer, welches siegreich den Elsaß durchzog, die herrschende geworden und in jenen Tagen der Raft auf der Höhe der Vogesen wurden viele Bedenken erhoben und widerlegt und viele Möglichkeiten vorsichtig erwogen und berechnet, aber aus allen fröhlichen Beuteplänen, wie sie der siegbewußte Soldat am sonnigen Abend in der Quartierruhe zu machen pflegt, klang beim General und Gemeinen, im Stabe und in den Compagnien die entschlossene Forderung: den Elsaß müssen wir behalten!

4. Vor Sedan. Dichter Wasserdampf liegt am frühen Morgen über der Landschaft, der Anmarsch des Heeres gleicht einem unabsehbaren Geisterzuge. In dem wogenden Nebelmeere schimmern die Brände der verlassenen Lagerfeuer, hier und da werden ein Pferdehaupt, die schwankenden Umrisse einer Menschengestalt sichtbar, dazwischen ragt ein Baum, ein Hausdach, ein Kirchthurm als dunklerer Schatten. Ueberall tönt um den Fahrenden das dumpfe Geräusch der marschirenden Colonnen, aber der Weg und die Fuhrwerke darauf sind wenige Pferdelängen entfernt unsichtbar. In der umschließenden Wolkenmasse tönt aus der Ferne ein Dröhnen, nicht wie Geschüßdonner, sondern wie Geräusch unzähliger, stürzender Bäume, und man meint das Getöse vom Boden her zu vernehmen. Durch eine Dorfstraße marschirt Infanterie, es sind Landsleute aus der Heimat, aber seltsam, auch sie scheinen geisterhaft verwandelt. Schweigend ziehen sie dahin, der Tritt ist fest, aber die Gesichter bleich, um die tiefliegenden Augen zuckt die Erregung, einer Anrede folgt höfliche aber kurze Antwort, sie alle schreiten wie unter dem Zauber finsterer Mächte. Das ist das Aussehn tapferer Männer vor der Schlacht, und ihre Gedanken flattern in der Erwartung des Todes um die Bilder, die sie in ihrem Herzen aus der Heimat mitbringen.

Auf der Höhe von Donchery, welche gegen die Maas_ab

fällt, schaut man den Himmel im röthlichen Wolkendunst, der Nebel wirbelt und sinkt unter den Strahlen der aufgehenden Sonne, die Dächer von Sedan und Donchery werden sichtbar, der gewundene Lauf des Flusses, Dörfer und Villen einer anmuthigen Hügellandschaft, und hinter dem Fluß die dämmrigen Umrisse des Bergplateaus, welches vom Feinde besetzt ist. Zur linken Seite ziehen, gleich riesigen schwarzen Schlangen, die Colonnen des 5. und 11. Armeecorps, welche die Stellung des Feindes umfassen sollen. Von der rechten Seite brüllt der Ge= schüßdonner, und über den langgestreckten Hügelreihen fließen die Pulverwolken mit den Nebelstreifen zu weißlichem, schwerem Gewölk zusammen. Bald strahlt der Himmel in goldigem Blau, die kleinen weißen Wölkchen der Granaten steigen unter ihm auf und verschwinden. Das Tageslicht beleuchtet schärfer die Formen der Landschaft, überall glänzt die Erde im fröhlichen Schmuck einer alten Cultur, aber heut arbeitet darauf geschäftig die Zerstörung und das Verderben.

Auf der Höhe von Donchery sind einige Stühle für die Führer des Heeres gestellt, und um sie stehen und lagern am Felsrande die Offiziere des Hauptquartiers. Alle Augen find angestrengt nach rechts gerichtet, wo hinter blauen Höhenzügen die fortschreitenden Dampfwolken die Erfolge der Armeeabtheilung des Kronprinzen von Sachsen anzeigen, bald nach links, wo die Colonnen des 5. und 11. Armeecorps weiterziehen, den Ring um die Aufstellung der Feinde zu schließen. Stunde auf Stunde verrinnt. Zwischen dem Geschützdonner klingelt immer wieder das friedliche Glockenspiel von dem Thurme zu Donchery in das Tosen auf dem Felde, es spielt die alt= fränkischen Weisen wie vor hundert Jahren, heut aber erschüttert der heitere Klang. Als die Glöckchen die zehnte Tagesstunde verkünden, bringt ein Adjutant des ersten bairischen Corps die Nachricht von dem furchtbaren Blutvergießen in Bazeilles, daß der Ort genommen, aber die Kraft des ersten Corps für diesen Tag verbraucht sei. Als die Glocken zum

Mittagsgebet mahnen, klimmt ein Reiter die steile Anhöhe herauf, eine ritterliche Gestalt, mit der Spannung im Antlig und der Glut des Auges, welche die Schlacht verleiht. Die Stirn blutet von einer Wunde, er schwingt sich von dem schaumbedeckten Pferde und meldet, daß die Verbindung der beiden deutschen Heere hinter dem Rücken der Franzosen vollendet sei, die feindliche Armee eingehegt wie das Wild bei der Jagd.

Lange hat die Seele das Bangen der Erwartung und das Grausen der Schlacht durchgekämpft, aber das menschliche Gemüth vermag nur ein gewisses Maß der stärksten Eindrücke zu verarbeiten. Auf die Erregung folgt eine starre und harte Ruhe, die nicht dazu angethan ist, der Phantasie freies Spiel zu lassen, die Sinne und Gedanken stehen gehorsam und sicher unter der Einwirkung der Wirklichkeit, und man verfolgt die Fortschritte des Kampfes mit einer Gemüthsruhe wie in friedlichen Tagen. Auf der Höhe fühlt Jedermann die Glut der heißen Tagessonne, in die Seelen kommt ein Mißbehagen mit dem eigenen stillen Beharren, man ersehnt ungeduldig neue Ereignisse, irgend eine Betheiligung am Kampfe; hat man Freiheit der Bewegungen, so sucht man die Stelle zu verändern. Dort in der Ferne, an dem Abfall des hohen Plateaus, auf welchem die Franzosen dem deutschen Drang widerstehen, wird eine ungewöhnliche Bewegung erkennbar, die Baiern des Hauptquartiers haben ein großes Fernrohr aufgestellt, durch die Gläser sieht man den verzweifelten Ansturm französischer Reitermassen gegen die Compagnien des 11. Corps. Wieder ergreift die Aufregung alle Anwesenden, die Rücksicht auf die nahen Feldherren vermag laute Rufe nicht zu unterdrücken. Auch dem Feinde folgt warmes Mitgefühl, denn im nächsten Augenblick ist der Schwall verrauscht und die Stätte des Kampfes mit weißen Flecken wie übersät, es sind die getöteten Schimmel der französischen Reiterbrigade.

Es ist Nachmittag, das Ohr hat sich an das Knattern

und Dröhnen gewöhnt, eine Abspannung wird fühlbar, man empfängt mit merkwürdiger Ruhe eine Siegesnachricht nach der andern, man vernimmt, daß die Festung Sedan sich ergeben will, eine weiße Fahne wird einen Augenblick sichtbar, das Zeichen wird wieder abgerissen, im Vordergrunde jagen die Batterien der Würtemberger und der Baiern. Noch einmal brüllt der Donner der Schlacht lauter als je zuvor, und die weißen Wölkchen der Zerstörung schweben über den Häusern der Festung, mit Befriedigung sieht man auf die unermeßliche Rauchsäule, welche wie aus einem feuerspeienden Berge aus der Mitte von Sedan zum Himmel steigt. Jetzt wird das weiße Tuch wieder sichtbar, der Geschützdonner verstummt und ein wilder Freudenruf erschallt aus der Tiefe und von den Höhen. Und wenn endlich der Augenblick kommt, der dieser Schlacht einen so persönlichen und dramatischen Schluß gibt wie ihn wenig andere haben, wenn General Reille vor die Augen des obersten Kriegsherrn tritt und die Ergebung des Kaisers Napoleon überbringt, da wird der Zuschauer allerdings von dem Gedanken ergriffen, daß er das Größte erlebt hat, was dem Menschen zu schauen und durchzufühlen vergönnt ist. Aber über der stolzen Befriedigung schwebt vielleicht schon die Sorge, daß diese Ergebung nicht das Ende des Kampfes, sondern der Anfang eines neuen Krieges sei.

(Grenzboten 1870, Nr. 39.)

5. Am 2. September. Wir wissen nicht, wie sich dem Urtheil der deutschen Armeeleitung die militärische Situation beim Beginn des Feldzugs darstellte, am 3. August, wo die Armee des Kronprinzen die Grenze überschritt. Aber wir wagen die Vermuthung, daß man schon an diesem Tage das französische Heer als besiegt betrachtete und die Grundzüge des großen Feldzugs, die Straßen unseres Vormarsches und die Landschaften der Schlachtfelder — bis auf eines — deutlich vor Augen sah. Denn zum Größten in den militärischen Gedanken

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