Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

die heimische Sprache fortdauerte, unsere flachsköpfigen Kinder in den Dörfern, deutscher Hausbrauch und deutsche Gutmüthigkeit bei den Dorfleuten, da war's den Soldaten seltsam, daß die Franzosen so aussehen sollten. Die Elsasser sind auf dem Lande wie in den kleinen Städten noch viel vollständiger deutsch, als wir annahmen. Die großen Errungenschaften der Revolution, die Präfecten, die Anziehungskraft von Paris haben einen französischen Patriotismus hervorgerufen und genährt, der bei den Strebsamen, welche aus dem Volke heraufkommen, zuweilen fanatisch hervorbricht, die Adelsfamilien des Landes und die praktische Intelligenz, Grundbesiger und Industrielle sind gut französisch, ebenso ein großer Theil der katholischen Geistlichen. Die Landbevölkerung steht, wenn auch ein wenig verkümmert, dauerhaft in deutschem Wesen still, arbeitsam, in innigem Hausleben auf der Scholle, bei ihr ist keinerlei Anhänglichkeit an den Kaiser, geringe an Frankreich. Sie würde sich den Uebergang zu Deutschland ohne Schwierigkeit gefallen lassen. Die Schwierigkeit liegt nur in der Industrie. Die ziemlich zahlreichen Fälle von tückischen und unmenschlichen Angriffen auf unsere Soldaten, Schrotschüsse aus Dorfhäusern und Verstümmelung und Ermordung Verwundeter sind soweit sie auf Rechnung der Eingebornen kommen und nicht von marodirenden Turcos verübt wurden dem aufgeregten Fanatismus eingewanderter Franzosen und einer jungfranzösischen Richtung zuzuschreiben, welche in der Masse des Volkes noch nicht die Herrschaft hat.

Als nach dem Tage von Wörth der Kronprinz den tötlich verwundeten General Raoul besuchte und dieser seinen leßten Willen in die Hand des begleitenden Adjutanten legte, sagte der höfliche Franzose: „Ich werde die Meinen nicht wiedersehen, mein bester Trost ist, daß ich ende durch ein Heer von solcher Tapferkeit.“

Luneville, 16. August 1870.

3. Auf der Höhe der Vogesen. Als nach der Schlacht bei Wörth die dritte Armee des deutschen Heeres in die Thäler und Pässe der Vogesen eindrang, war die Absicht, die französische Stellung bei Meß - Diedenhofen zu umgehen und das feindliche Heer in der rechten Flanke zu fassen. Der Kaiser hat sich dieser Katastrophe entzogen, seine Armee hat die Saar, die Meurthe-Mosellinie preisgegeben, Luneville hat artig einen Nippes, seinen vergoldeten Stadtschlüssel, dem Kronprinzen eingesandt, es ist sogar zweifelhaft, ob sich bei Chalons der Feind stellen kann, es ist wahrscheinlich, daß die Völkerschlacht erst in der Nähe von Paris geschlagen wird. Wenn sie geschlagen wird! Denn es liegt im Interesse des Kaisers, Alles zu thun, um diese lezte Katastrophe von sich abzuwenden, und wir merken, daß er jede diplomatische Kunst aufbietet. Destreich und Italien in bewaffneter Neutralität“ alliirt, der König von Italien dem Kaiser durch Vertrag zur Heeresfolge verpflichtet, das gibt eine Kette geheimer und halber Bündnisse, bei denen der Kaiser die Absicht hat, dem Cabinet von Wien genau dieselbe Interpositionsrolle gegen Preußen zuzutheilen, welche er selbst im Jahr 1866 sich ersonnen hatte. Eitele Hoffnung! Es wird der wuchtigen Faust des deutschen VolksHeeres gelingen, dieses diplomatische Drahtgeflecht zu zerschlagen, dies und den kaiserlichen Thron dazu.

Unterdeß schwindet dem Kaiser seine Armee dahin. Es scheint dem zweiten Kaiserreich beschieden zu sein, an einer Reihe von Täuschungen und Phrasen ebenso unterzugehn, wie es durch Täuschungen und Phrasen heraufgekommen ist. Nur mit dem beträchtlichen Unterschied, daß diesmal die Betrüger sich selbst betrogen. Denn auch die angegebene Stärke der französischen Armee ist eine Lüge. Die übelzugerichtete kaiserliche Armee zählt höchstens noch 300,000 Mann, wir stehen mit 450,000 Mann auf französischem Boden, die Hälfte unserer

Corps noch ganz frisch und unberührt durch feindliches Feuer, auch die andere Hälfte durch ruhmvolle Erfolge troß ihrer Verluste hoch gehoben. Es steht zu hoffen, daß das kaiserliche Heer zerbröckelt sein wird, und die Möglichkeit des Widerstandes geschwunden, bevor die deutschen Krieger bis vor Paris marschiren. Man macht sich wohl jetzt nur noch in Paris Illusionen über die Widerstandsfähigkeit der Riesenstadt. Es ist vielleicht nicht nöthig, die Stadt zu erobern, wir führen 100 Reiterregimenter mit uns, welche die Bannmeile von Paris nebst Befestigungen wie mit einer Nebelwolke einzuschließen vermögen und Paris von seinen Zufuhren absperren werden.

Nach der Schlacht bei Wörth durchschritt die Armee des Kronprinzen in 7 Colonnen die Thäler und Pässe der Vogesen, von den Schanzen und Forts, welche den Durchgang sperren sollten, leistete nur die verhältnißmäßig stärkste Festung Pfalzburg mit etwa 1000 Mann Besatzung erwähnenswerthen Widerstand, sie wurde von Truppen des 6. Corps eingeschlossen und erhält täglich ihr Quantum Schüsse. Auf der Höhe des Gebirges lagerte am 11. und 12. August das Hauptquartier in Petersbach über breiter Hochebene, hinter sich auf der linken Seite die Schanze Petitepierre, welche einst Lüzelstein hieß, und unvertheidigt den Deutschen überlassen wurde, vor den Augen des Beschauers die sanftgeschwungenen Linien der Berge, welche in die Ebene Frankreichs abfallen. Gerade gegenüber auf den Bergen erhob sich zuweilen eine kleine weiße Rauchwolke wie Wasserdampf, der um die Höhen schwebt, und der dumpfe Ton eines fernen Kanonenschusses bestätigte, daß dort Pfalzburg liegt und mit den Geschüßen der Schlesier blutige Grüße wechselte. Aber unmittelbar vor dem Beschauer schwang sich in sanfter Neigung eine grüne Wiesenfläche, abwärts eingefaßt von einem Waldesstreif, Kühe weideten darauf, und nach einem Regentage warf die Abendsonne ihr goldenes Licht über Halm und Blatt und über die

blauen Höhen der Berglandschaft. Zwar längs der guten Bergstraße rasselten Geschüße und Proviantcolonnen, wer aber dem Kriegstreiben darauf den Rücken kehrte, konnte träumen, daß der Mensch so sicher im sonnigen Frieden ausruhe wie die Natur, welche ihn umgab.

Allen Deutschen, welche damals im Kriegskleid um ihren Führer lagerten, haftete eine Reihe von Eindrücken fest im Sinn, die in den letzten Marschtagen gekommen waren, und sie verhandelten darüber in lebendigem Austausch der Gedanken. Sie waren hier auf der Grenze deutscher Sprache und Sitte. Sie waren bis hierher durch ein deutsches Land gezogen, so urdeutsch in Sprache und Lebensgewohnheiten der Landleute, wie Schwaben oder Baiern, hier deutsche Dorfhäuser, deutsche Wirthschaften, deutsch die Flachshaare und großen blauen Augen der Kinder, das Spinnrad, das Ehebett, das treuherzige, innige Wesen der Leute, wenn sie erst den Fremden ihr Herz öffneten. Das war der Elsaß, ein verlorenes Gebiet, einst weitgefeierte kräftige Landschaft des deutschen Reiches, in jedem Jahrhundert unserer Geschichte werthvolle Heimat deutscher Cultur, die Heimat rühmlicher Minnesänger, das Hausgebiet des ersten Habsburgers, die Stätte kräftigen deutschen Bürgersinns und fluger Erfindungen, das Vaterland hochgebildeter Reformatoren und Humanisten, beim Beginn des dreißigjährigen Krieges das Heimatland der höchsten und freiesten deutschen Bildung jener Zeit. Und seitdem verkommen, verloren, mit französischen Gesetzen und fremdem Firniß überdeckt, in den Städten zur Hälfte französisch, aber auf dem Lande, in den Bergen noch immer ein deutscher Volksstamm, der zäh an der Sprache und dem Lebensbrauch der Väter festhält, ein Wesen still, wie im Halbschlaf, in Vielem alterthümlich und naiv abseit der Zeitbildung wie kaum ein anderer deutscher Stamm. Seit sechs Menschenaltern erfuhren die Landleute jetzt bei dem Einmarsch der Deutschen zum erstenmal, daß sie nicht zu Frankreich gehörten, sondern zu Deutschland, und man merkte ihnen

an, wie sehr sie über die Entdeckung staunten. Fast in jeder Wohnstube protestantischer Dörfer hing an der besten Wandstelle das Bild Luthers, daneben oft Käthe Bora. Als der einquartierte Gast seinem Wirth vor diesem Bilde sagte: ich wohne nahe dem Ort, wo Doctor Luther geboren ist, da sah der Elsasser wie betroffen drein und rief darauf fröhlich: „dann sind wir ja Landsleute."

Wir Deutsche hatten im Heereszuge den Elsaß betreten mit den klugen Gedanken, welche unsere politische Lage nahe legte. Wir besigen unsicheres Grenzgebiet zur Genüge: Nordschleswiger, Polen, wie kann wünschenswerth sein, den stillen Streit mit einer dritten Nationalität aufzunehmen, der anspruchsvollsten und verhältnißmäßig stärksten von allen? Solcher Erwerb wäre uns keine Stärkung, dem Gegner keine solche Schwächung, daß sie ihn unschädlicher machte, es wäre Erwerb eines in Confession und Sprache in sich zwiespältig getheilten Landes, der Erwerb würde wieder ganz Europa mit Geschrei über unsere Ländergier erfüllen, er würde wahrscheinlich ein ruhiges Einvernehmen mit Frankreich auf lange Jahre unmöglich machen, vielleicht einen neuen erbitterten Krieg um Wiedergewinn hervorrufen. Und wer soll das Land erhalten? Ein kleiner Staat würde die Schwierigkeiten der Assimilation weit größer finden, als ein großer, und im Besit Preußens würde diese Vergrößerung doppelte Aufregung und Neid hervorrufen.

Auch der Rath, das Land Elsaß nebst dem deutschen Saargebiet als eigenen kleinen Staat durch eine Neutralität, welche Europa garantirt, zu schüßen und solchen Staat als eine Scheide zwischen uns und Frankreich aufzurichten, muß sich als schwer ausführbar erweisen. Eine eigene neue Dynastie einführen, die gar keine Wurzeln im Lande hat, wäre dem Lande, Europa und vor allem uns kein Gewinn. Das Land kann für den Verlust seiner Beziehungen zu Paris nur entschädigt werden durch die Verbindung mit einem großen Staatskörper, auch seine deutsche Nationalität kann nur dadurch auf Freytag Werke. XV.

25

« ZurückWeiter »