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ganze Volkskraft gegen die ihre setzen, und wir werden in diesem Fall uns alle Mühe geben, bis zum Aeußersten, um den bösen Geist Ludwigs XIV, der noch unter ihnen spukt, zum Heil Europas gründlich und für immer zu bannen.

Doch wir wollen nicht der Versuchung nachgeben, in ihrer Sprache mit ihnen zu reden. Wir in Deutschland sind zur Zeit noch mehr in Sorge als Zorn. Denn wir fragen uns, selbst wenn die eine zufällige Veranlassung der französischen Kriegswuth beseitigt oder die Aufregung in Paris noch einmal durch die Rückkehr ruhigerer Erwägungen gebändigt wird: wie sollen wir fortan in Friede und Freundschaft neben den Franzosen leben? Seit vier Jahren wurden die deutschen Intereffen des Bundesstaats durch die unablässige Sorge um die Empfindlichkeiten in Paris eingeengt. Und doch haben wir durch diese vier Jahre nichts weiter erreicht, als eine so ungeheuerliche, aller politischen Sitte Hohn sprechende Verlegung des Verkehrs in Friedenszeit. Ist die Gereiztheit dort so groß, daß sie alle Formen der diplomatischen Höflichkeit bei Seite wirft, so bleibt uns auch für die Zukunft nur die Aussicht auf einen faulen Frieden und die Hoffnung schwindet, daß die Franzosen selbst ohne unser Dazuthun mit den Raufbolden unter ihnen fertig werden. - Und diese Sorge wird größer, wenn wir die Männer betrachten, welche sich so rücksichtslos und feindselig gegen uns stellen. Gerade daß sie nicht treiben, sondern durch die Nothwendigkeit, sich tapfer zu zeigen, getrieben werden, das ist unbehaglich. Wir haben lange gern geglaubt, daß der Kaiser und seine gegenwärtigen Minister den Krieg mit uns nicht begehren. Jezt müssen wir der Ansicht werden, daß Napoleon III unter dem Zwange steht, einen Krieg ernsthaft wollen zu müssen. Ist's ein alter Racheplan, den er jezt hervorsucht? Haben der Besuch des Erzherzogs Albrecht in Warschau und die russischen Georgenkreuze ihm Sorge um ein bevorstehendes Bündniß der Ostmächte in die Seele. geworfen, der er durch einen schnellen Entschluß zuvorkommen

will, bevor sie festgesponnen wird? Wir suchen zur Zeit vergebens nach einer Erklärung, aber wir erachten, ganz abgesehen von der spanischen Thronfrage, durch die Haltung der französischen Politik unseren Frieden für stärker bedroht, als je seit dem Jahre 1866.

Während des Krieges.

(Grenzboten 1870, Nr. 32.)

1. Brief an die Grenzboten.*) Ihre Leser wollen jezt vor Allem Neuigkeiten und kurze Belehrungen. Ich bin bereit, Ihnen solche zu liefern und habe nichts dagegen, wenn Sie mich unter Ihre Specialcorrespondenten aufnehmen. An meinem Namen ist nichts gelegen, ich gehöre nicht zu Ihrer Zunft und habe als Scribent keinen Ehrgeiz. Da ich aber als Geschäftsmann das Beste kenne, was die Franzosen besigen, ihre Rothweine, so traue ich mir auch über ihre schlechten Eigenschaften, wozu ich ihren Kaiserhof rechne, ein Urtheil abzugeben. Ich habe an mehren Orten Kunden und Agenten, ich erfahre nicht viel, jedoch Manches, und damit müssen Sie in diesen Tagen, wo die meisten Correspondenten gar nichts wissen, zufrieden sein.

Auch ich war in Berlin, gerade in den Tagen, in welchen um König Wilhelm eine Anzahl fürstlicher Herren versammelt war. Der Deutsche hat vor anderen Nationen den Vorzug, daß er die fürstliche Species des Menschengeschlechts nicht von

*) Wenn in diesen Tagen der höchsten Begeisterung einem alten Bekannten, der unter dem Namen Philipp Piepenbrink zuweilen vor der Oeffentlichkeit erschienen ist, an dieser Stelle das Wort gegeben wird, so geschieht es deshalb, weil dem Deutschen gerade jetzt nicht übel ansteht, die leidenschaftliche Empfindung ehrbar zu bändigen. Man möge daher den Ton des folgenden Briefes nicht mißverstehen.

fremden Völkern zu erbitten braucht, wenn er sie einmal nöthig haben sollte, denn er besißt einen unbegrenzten Reichthum daran. Diesmal waren mehre von den besten versammelt; es wurden von den Berlinern auch die bemerkt, welche nicht da waren. Besonders gefreut haben sich meine Kundschafter über den Kronprinzen von Sachsen. Alte Geschichten hatte er ganz hinter sich geworfen, in seiner geradsinnigen und verständigen Weise war er mit ganzem Herzen bei der Sache. Da war auch der Schweriner, den sie als Soldaten rühmen, der Großherzog von Oldenburg, einer von den bravsten und zuverlässigsten, dann unser Koburger, der nirgend fehlt wo es etwas Patriotisches gibt, dann ein Nassauer, der die preußische Uniform begehrte, und Andere mehr. Wir gönnen es diesen Herren, wenn sie nach einigen schweren Jahren, die ihnen allerlei ungewohnte Zumuthungen stellten, beweisen können, daß sie in den Tagen der Gefahr dem Vaterlande nicht fehlen.

Ich sah darauf die Stadt, überall Begeisterung und fliegende Buchhändler, obgleich die Zeitungen gerade wenig Neues brachten. Handel und Geschäft natürlich miserabel. Das ist für unzählige Leute ein großes Unglück, und für die Kleinen das größte, im Ganzen aber ist es für das große Geschäft ein Glück und Segen. Ich strich um die Börse und sah als Patriot ohne Bedauern, wie sie auf der Nase lagen. Es war gerade die höchste Zeit, daß den Berliner Speculanten ein solches Memento kam, es war nüglich, daß der Hof, die Beamten und die Geschäftswelt daran erinnert wurden, welcher Unterschied zwischen einem kaiserlichen Schwindler und zwischen einem redlichen König ist, und welcher Unterschied zwischen gaunerischen Börsenspeculationen und solidem Verdienst. Denn viele Berliner, vornehm und gering, waren gerade sehr in der Gefahr, große Gaunereien zu bewundern und wohl gar mitzumachen.

Ich besah mir das Militärische. Ich will nicht behaupten, daß ich den General v. Moltke gesehen habe; er lebt wie immer

stillvergnügt bei der Arbeit, und die Leute sagen, daß er niemals stiller und niemals vergnügter gewesen ist als jezt. Es ist gerade so gekommen, wie er es immer für Preußen gewünscht hat, wobei zugegeben werden soll, daß es ihm noch lieber gewesen wäre, wenn wir mit den Rüstungen um vierzehn Tage weiter wären und ebenso viel Vorsprung vor den Franzosen hätten, als diese vor uns. Das aber hilft nun nichts. Dieser erste Nachtheil, wenn es noch ein Nachtheil wird, ist uns ganz ohne unsere Schuld gekommen, er muß und wird getragen werden und wird dem großen Bovist drüben im Westen auf seine letzte Rechnung gesezt werden. — Ich war in meinen Privatgeschäften auf dem Kriegsministerium. Es ist nicht meine Art, einen verdienten General mit einem Insect zu vergleichen. Aber unser Kriegsministerium ist jetzt einer Spinne gleich, welche das ganze Deutschland plötzlich wie durch Zauberei mit zahlreichen Fäden überzogen hat. Jeder Schienenweg, jeder Telegraphendraht und jede Landstraße sind zu einem großen Gespinnst zusammengeknüpft, 700,000 Menschen, ein unerhörtes Kriegsmaterial, werden nach allen Richtungen entsendet, und dieses alles geschieht mit Ordnung und Sicherheit, da ist keine Störung und kein Stocken, es ist eine Kunstarbeit, in ihrer Art vollkommen. Auf dem Kriegsministerium selbst sigt jeder in ruhiger Arbeit wie im tiefsten Frieden, kein Thürklappen und Laufen, einer drückt in der Leipziger Straße auf einen Telegraphenknopf und die Locomotive in Mainz pfeift; durch ganz Deutschland hat jeder Offizier und jeder Soldat seinen bestimmten Befehl zu rechter Zeit, er weiß genau das Nächste, was er zu thun hat, und kümmert sich nicht um das Uebrige. Im Ministerium und bei den Regimentern wird wenig ge= sprochen; auch die Eisenbahnbeamten sind schweigsam geworden. Neben ihnen dirigirt an wichtigen Stellen ein Offizier vom Generalstabe mit ein paar Winken und einer kurzen Bemerkung, und das gewisse Pst, Pst, welches der Presse anempfohlen ist, geht durch die ganze Verwaltung. Im Ganzen sieht die

Kriegswirthschaft in Deutschland jetzt aus wie viele kleine Ameisenhausen, in denen es durcheinanderfährt, aber Alles läuft an seinem Faden, und ehe man sichs versieht, wird das ganze Volk fertig in Reih und Glied dastehn, Jedermann an seiner Stelle und jeder Sack Mehl in seinem vorbestimmten Magazin. Auch über die Aufstellung der Armee wünschen Sie Näheres. Sie sollen Alles wissen. Ich war zur Erkundigung auf mehren. kleinen Bahnhöfen, denn auf den großen ist gar nichts deutlich zu erkennen. Ich behaupte nicht, daß ich hier eine übermäßige Bewegung gefunden habe, troß der Sperre für Privatverkehr. Zuerst kam ein Zug mit Reservisten, noch in Civil, sämmtlich in den schlechtesten Röcken ihres Mobiliarvermögens, viele sangen, einer hatte einen Zuaven als Hampelmann gemalt und zog ihn an der Schnur. Auf den Bahnhöfen war in den ersten Tagen wenig zu merken; man sah nur einzelne kleine Kommandos, die sich die Reservisten für ihre Regimenter holten. Die Mannschaft, welche ausstieg, drängte sich um die Offiziere, einer hielt den Offizieren eine kleine Anrede und die übrigen schrien Hoch.

Im Ganzen war auch hier ein ruhiges Geschäft, keine Ueberstürzung. Auf einer Station fand ich mehre hundert neue Bänke, welche zum Truppentransport in die leeren Packwagen gesezt wurden; ich probirte fie, breites Sizbret, die Lehne etwas zurückgebogen, praktisch, die Leute können zur Noth darauf schlafen. Dann kam auch einmal ein Güterzug mit schwerem Schnauben: „,80 Säcke, Frankfurt" Sie ver stehen. Freilich in der Nacht soll's lebhafter hergehen; doch da in diesen Stunden ein Bürger und Familienvater durch Pflichten in Anspruch genommen ist, so halte ich für politisch, darüber weiter nichts mitzutheilen.

Nach den eingezogenen Steservisten und den Proviantzügen wurde es ein wenig lebhafter auf den Bahnen. Aber auch hier starker Dampf und wenig Pfeife. 25, 30, 35 Züge den Tag; wohin? wußten die Leute nicht zu sagen, und die Offi

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