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II. Oestreich.

1. Eine Predigt auf der Ferdinandsbrücke.

(Grenzboten 1848, Nr. 40.)

Unter uns die gelbe Donau, über uns ein dunkler Wolkenmantel, in der Seele Groll und Trauer. Eifrig und geschwäßig zieht die bunte Menge vorüber, die Hoffnung und das Unglück Oestreichs. Wenn die Zeit kommen wird, wo man von dem Kampf und Leiden unserer Tage sprechen kann wie von einer großen Durchgangsperiode des Menschengeschlechts, wer von euch allen wird dann noch leben, die Vergangenheit zu mustern, seine eigenen Leidenschaften, Wünsche und seinen Zorn zu belächeln oder zu verfluchen? Kaum Einer; von den Wienern dieses Jahres kaum einer, denn die Revolution des Jahres 1848 ist für Oestreich nicht durch eine Generation zu beenden. Andere Menschen müssen kommen, eine härtere Bildung, größere Kraft, schnellere That müssen lebendig werden in unseren Söhnen. Die Lebenden sind finsteren Mächten verfallen und ruhelos suchen sie den Gott, der ihnen helfe. Wohl, ihr seid warmherzig, ihr seid redlich, aber ihr seid weichlich, unwissend, wollüstige Sklaven der Phantasie. Wallende Federn und bunte Trachten, heiße Worte und schneller Zorn, das ist eure Begeisterung, eure Freiheit ist nichts als ein schönes üppiges Weib, ihr versichert sie zu besißen, aber ihr versteht nicht sie euch zu erhalten. Hier Phantasten, dort Intriganten und was zwischen beiden Parteien liegt, furchtsame Bedächtig

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keit, selbstsüchtiger Egoismus, gutherzige Schwäche, Haus kann man aus solchen Bausteinen richten!

welches

Ich will euch mustern nach der Reihe. Zuerst der Arbeitsmann, er trägt die Art in der schwieligen Hand und an der schmußigen Müße die deutschen Farben. Armer Mann, was ist dir Deutschland? Eine bessere Zukunft, ein Traum von hohem Lohn und geringer Arbeit, von lustigen Tagen, von einer freundlichen hellen Stube; vor deiner Seele steht ein großes Glas Nußberger, ein Gugelhupf thront majestätisch auf deinem Tisch und dein Weib oder Liebchen trägt das sammtene Mieder einer Goldschmiedstochter vom „Graben“. So sieht dein Deutschland aus, das ist der Inhalt deines Eifers. Dir mag ich nicht zürnen, du hast das größte Recht dich herauszusehnen aus deiner Haut, deiner schmußigen Straße, deinem verfallenen Leben. Aber nicht deine Anführer, nicht Deutschland kann dir helfen. Dein Fluch ist Unwissenheit und blöder Egoismus. Du wirst Barrikaden bauen und die Reichen hassen, bis eine Kugel dich hinstrecken wird über den letzten Karren, den du umgestürzt hast. Du bist der Aermste von Allen, nicht weil du am wenigsten hast, sondern weil dir und deinesgleichen die Freiheit zu allerlegt kommen wird, und deine Freiheit heißt nicht Deutschland, sondern Zucht für deine Jugend und verständige Verbindung deines Lebens mit dem Leben deiner Mitmenschen durch freie Vereinigungen. Davon weißt du noch wenig, denn deine Führer lassen dich nicht fühlen, wie schwach und kläglich deine Einsicht ist.

Ein schönes Bild: ein Held der akademischen Legion! So frisch die Wangen, so stattlich der Bart, ritterlich klingt der Säbel an deiner Seite und frei und troßig sieht dein Auge zur Bastion herauf. Du fühlst dich als den auserwählten Sohn der Freiheit, dir gehört die ganze Zukunft. Der Bürger schmunzelt dir verlegen zu, hoffend sucht der Arbeiter dein Auge und die Frauen holen tief Athem, so oft deine Schärpe an ihrem Gewande vorbeistreift. Du bist der echte König von

Wien. Vor deinem Zorn sind Ministerien abwärts gekugelt wie hohle Weinfässer, zu dir kommen die Grafen und Herren von Pest hilfeflehend, sich neigend, deine brüderliche Hand erbittend, und du hast die Huld, sie ihnen zu reichen, du machst die Politik Oestreichs, Deutschlands. Und was ist dein Haß, deine Liebe, was ist deine Freiheit? Champagnerschaum der Jugend, er hat den Pfropf gesprengt und fließt frei zu Boden. Nicht lange und er wird schal, abgestanden, vertrocknet sein. Armer Bursch! du bist nur ein schlechter Poet, der nichts schreiben kann als erste Capitel oder Acte; am zweiten Theile des Werkes, da, wo er dem flüssigen Stoff seinen festen Lauf vorschreiben soll, geht er selbst zu Grunde und seine Arbeit zerrinnt. Auch du wirst vergehen und dein Untergang ist nahe. Du hast nichts als Begeisterung und übermüthige Schwärmerei, dein Wit ist grün und dein Urtheil unreif. Ueber deinem Haupte sehe ich die Drähte ragen, an denen man dich ziehen kann, hierhin, dorthin, nach dem Schall einer abgenutzten Redensart oder dem Dröhnen eines starken Brustkastens. Du bist nichts als eine Marionette der Freiheit, der Pole hat dich gezogen, jetzt spielt dich der adlige Ungar, morgen ein zugereister Demagoge von der schlechtesten Sorte. Hüte dich vor Barrikaden, mein Bursch, rufe nicht Vivat wo du Slava und Eljen hörst, kaufe kein rothes Seidenband, aber kaufe dir Bücher. Du findest den Rath sehr abgeschmackt! Du hast Unrecht. Jeder Tölpel kann für die Freiheit sterben, aber für sie zu leben, dazu gehört Wit und Weisheit.

Vier Männer hinter einander. Ich grüße euch, Herr Bramarbas, sonst ging eure Zuge in slavischer Weise, jetzt läuft sie in deutschem Trab. Ob Deutscher, ob Slave, ihr seid geblieben, was ihr waret, ein vollgesogener Schwamm, von Phrasen triefend, man drückt euch aus und wirft euch bei Seite. Die Slaven haben euch ausgepreßt, jezt sprigt ihr Donauwasser. Der Zweite aber ist eine „Capacität“, eine rechte Stüße der Freiheit. Ja, wenn die Ehrfurcht gestattete,

den hohen Reichstag mit einem Hundestall zu vergleichen, er wäre die Dogge. Je länger er bellt, um so heftiger wird seine Stimme, er haßt die Minister, die Camarilla, die Aristokraten, die Spitzel, aber er liebt wenigstens sich selbst und begeistert sich, wenn auch nicht durch die Vernunft, doch durch seine eigenen Worte. Er wird niederreißen, solange es etwas zu zerstören gibt; wenn es zum Aufbauen kommt, dann werdet ihr ihn nicht finden. Und der Dritte. Vor dir möchte ich gern den Hut ziehen, von dir hoffe ich noch, du hast eine Zukunft. Du bist die beste Blüthe unserer Revolution, und das Volk hat Unrecht dir zu grollen, weil dich jetzt ein Minister an seinen Hut gesteckt hat. Hast du die Kraft im Sturm besonnen zu bleiben? Sei klug und ehrlich. Hüte dich, mein Mann. Noch ist deine Zeit nicht gekommen. Unsere Völker haben aristokratische Instinkte und werden sie noch lange behalten, selbst wenn sie in einer Revolutionslaune den Adel abschaffen sollten. Es ist ein bedenklicher Vorzug aristokratischer Minister, daß sie mit urbaner Leichtigkeit zu versöhnen, über Schwierigkeiten hinwegzuschlüpfen wissen. Noch ist das Volk an solche Weise seiner vornehmen Beamten mehr gewöhnt als ihm gut ist. Die Krisis der Gegenwart fordert einen ganzen, entschiedenen und rücksichtslosen Reformator, aber die Gegensäge sind bei uns furchtbar straff gespannt und der erste Ministerpräsident, welcher ein bürgerlich tüchtiger Mann ist, wird ein Opfer seiner schonungslosen Energie werden. Denke an Kaiser Joseph, ihn schüßte der Purpur vor dem Aeußersten, einen Joseph aus dem Volke wird er nicht schüßen. Und denke daran, daß ein aufgewühltes Volk den Consul am meisten haßt, den es als Tribunen am meisten geliebt hat. Sei klug und ehrlich, es wird eine Zeit kommen, wo das Volk einen Arzt braucht, der aus dem Tode ein neues Leben schaffen kann; bleibe möglich.

Wendet euch ab, der jetzt kommt, ist ein Lump. Sein Auge von Gesicht zu Gesicht irrend, bald trozig, bald scheu,

das schnelle Lächeln auf dem unbedeutenden Antlig, das ist einer der Demagogen Wiens, ein „Demokrat“ vom reinsten Wasser. Ei, du kleiner Schuft, du und deinesgleichen haben ein gutes Wort in Unehren gebracht, der Name Demokrat wird bald gleichbedeutend sein mit Meuterer oder Hanswurst, und das ist deine Schuld, denn du hast besseren Leuten diesen Namen gestohlen. Sonst habt ihr, du und deine Sippschaft, mit Kleidern geschachert, jezt macht ihr in Politik, der Name der Firma ist geändert, die Methode ist geblieben. Wären eure Liebe, euer Haß ehrlich, ihr Tagesschriftsteller der Revolution, man könnte euch bedauern, man würde euch nicht verachten. Ihr aber seid hohl und eitel durch und durch, die Geltung, die euch die Welt seither versagt hat, ihr sucht sie auf der Tribüne des Clubs, auf den Tischen der Volksgärten. Als Pferdediebe reitet ihr das gute Roß, das Volk, das ihr zu euch gelockt habt, und treibt es in die Gewitternacht hinein, ohne Richtung, ohne Ziel, nüßen soll's euch, das allein steht fest; und wenn ihr es mit der Zunge zum Galopp reizt, so sezen eure eigenen Worte euch selbst in Eifer und Wuth, toller wird euer Zuruf, immer wilder die Sprünge des Gauls, bis ihr miteinander in den lauernden Abgrund stürzt. Wäre es nicht so troftlos, es wäre ergöglich die Tagesempfindungen eines solchen Gassenhäuptlings, wie du bist, zu zergliedern. Am Morgen bis zehn Uhr Nüchternheit, persönliche Furcht, Bedenken; um zehn Uhr die erste Nachricht von einer neuen Verschwörung der Scheufale Dobblhof, Jellachich, Windischgrätz und Radetzky, welche beschlossen haben, alle freien Männer an den Nasenlöchern aufzuhängen. Von 11 bis 12 Uhr Verfertigung der betreffenden Plakate, Nachmittags Besichtigung der Stadt, des Glacis und der Leopoldstadt, tiefere Ausbildung der socialen Reformpläne nach Beobachtung eines dicken, reichen Herrn, Verstärkung des Hasses gegen die Camarilla durch argwöhnische Betrachtung einer alten Dame mit einem Bedienten. Zum Abend große That, Aufftachlung der berufenen Versamm

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