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ßen. Allein freiwillige, gutgewählte und fähige Krankenwärter, von durch die Behörden geduldeten und sanktionirten Gesellschaften geschickt, hätten ohne Mühe alle diese Schwierigkeiten überwinden und ohne Zweifel viel Gutes thun können.

Während der ersten acht Tage nach der Schlacht hatte man sich um die Verwundeten, bei welchen die vorübergehenden Aerzte mit leiser Stimme und kopfschüttelnd gesagt: „Hier ist nicht mehr zu helfen," nur wenig mehr bekümmert, und sie starben, ohne daß man es besonders zu bemerken schien. Und war dies nicht natürlich bei der geringen Zahl der Krankenwärter und der ungeheueren Masse von Verwundeten? War es nicht logisch, wenn auch grausam, sie zu Grunde gehen zu lassen, ohne sich weiter um sie zu bekümmern, und ohne ihnen die so kostbare Zeit zu widmen, welche für die noch heilbaren Soldaten nöthig war? Die Zahl dieser Unglücklichen, welche man auf diese Weise im Voraus verurtheilte, war ungemein groß, und sie waren durchaus nicht taub gegen diesen unwiderruflichen Urtheilsspruch; denn sie bemerkten bald genug ihr Verlassensein, und mit zerrissenem grollerfülltem Herzen stießen sie den lezten Seufzer aus, ohne daß sich Jemand ihrer annahm. Einem derselben sollte sein Ende noch trauriger und schmerzhafter werden durch die Nachbarschaft eines jungen, leicht verwundeten Zuaven, dessen frivole und schlecht angebrachte Späße ihm keine Ruhe ließen, und durch den Todeskampf eines andern Unglücksgefährten, der ihn, dem Tode Verfallenen, im Voraus die Qualen erkennen ließ, die er bald selbst zu erdulden haben werde; und endlich sollte er auch noch gewisse Leute erblicken, welche, als sie ihn dem Tode nahe sahen, seine Schwäche benußten, um in seinem Tornister zu wühlen

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und Alles, was ihnen behagte, sich anzueignen. Und für diesen Sterbenden lagen seit 8 Tagen Familienbriefe auf der Post, welche, wenn er sie erhalten hätte, ihn noch in seiner lezten Stunde getröstet haben würden; er hatte die Wächter gebeten, sie ihm zu holen, damit er sie noch vor seinem Tode lesen könne; allein sie antworteten ihm mit kalter Grobheit, daß sie dazu keine Zeit und Wichtigeres zu thun hätten.

Es wäre für dich, armer Märtyrer, besser gewesen, wenn du von einer Kugel getroffen inmitten des Gemezels, inmitten dieser glänzenden Schrecknisse, durche welche man den sogenannten Ruhm erkämpft, durch einen tödtlichen Schuß rasch den Tod gefunden hättest! Dein Name wäre mindestens von einem Lichtschein von Glanz umgeben gewesen, wenn du neben deinem Obersten bei der Vertheidigung der Regimentsfahne gefallen wärest; ja, es wäre auch selbst noch besser für dich gewesen, lebend von den Bauern eingescharrt worden zu sein, als man dich bewußtlos auf dem CypressenMamelon oder in der Médole-Ebene aufgelesen dein-Todeskampf hätte nicht lange gedauert, indessen du jezt eine ganze Reihe von Todeskämpfen auszustehen hast, das Feld der Ehre nicht mehr vor dir siehst, sondern den kalten und kläglichen Tod mit allen seinen Schrecken, und während deinem Namen kaum das kurze Beiwort: „verschwunden" als lezte Grabesschrift dienen soll!

Wo ist jezt diese unaussprechliche, begeisternde Trunkenheit, welche in so geheimnißvoller und unerklärlicher Weise diesen wackeren Kämpfer beseelte beim Beginne des Feld= zuges und am Morgen der Schlacht von Solferino, in jenem Augenblicke, da er sein Leben in die Schanze

schlug und in seinem muthigen Vorandringen nach dem Blute seiner Gegner lechzte, das er mit so leichtem, frohem Herzen vergoß? Was ist aus dieser Sucht nach Ruhm geworden, welche alle diese bleichen Verwundeten bei den ersten Kämpfen, oder bei dem siegenden Einzuge in die lombardischen Städte beseelte, was aus dem Kampfeseifer, der noch tausendfach erhöht wurde durch die melodischen und stolzen Töne der Kriegsmusiken und die anfeuernden weithinschallenden Trompetentöne, in welche sich das unheimliche Pfeifen der Kugeln, der erzitternde Schall der Bomben, das Zischen der Raketen und das Krachen der zerplaßenden Granaten mischte, in jenen Stunden, wo der Enthusiasmus, das Troßen gegen die Gefahr und eine heftige, unwiderstehliche Aufregung jeden Gedanken an den Tod verbannte?

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In diesen zahlreichen lombardischen Spitälern vermochte man zu sehen und zu lernen, um welchen Preis sich das erkauft, was die Menschen in so pomphafter Weise Nuhm nennen, wie theuer dieser Nuhm bezahlt wird! Die Schlacht von Solferino ist die einzige des 19. Jahrhunderts, welche in Nücksicht auf die Verluste mit den Schlachten von Borodino, Leipzig und Waterloo in gleiche Linie gestellt werden kann. Man zählte in der That als Nesultat des 24. Juni 1859 an Getödteten oder Verwundeten in der östreichischen und franko - sardinischen Armee 3 Feldmarschälle, 9 Generale, 1560 Offiziere jeden Grades, wovon 630 östreichische und 936 alliirte, und etwa 40,000 Solda= ten und Unteroffiziere*). Zwei Monate nachher konnte man

*) Französische Zeitungen und andere Veröffentlichungen haben die Behauptung aufgestellt, daß im Augenblicke, als der Friedensvertrag von Villafranca unterzeichnet wurde, Feldmarschall Heß eingestanden habe, es

für die drei Armeen noch 40,000 Mann beizählen, welche am Typhus und anderen Krankheiten, theils in Folge der ungeheuren Strapazen vom 24. Juni oder der unmittelbar vorhergehenden und nachfolgenden Tage, theils in Folge der schäd= lichen klimatischen Einflüsse bei der tropischen Hize in den Ebenen der Lombardei, theils auch durch die Unvorsichtig= keiten der Soldaten selbst ihren Tod fanden. Ganz ab=

gesehen vom Standpunkte des Militärs und des Ruhmes wäre somit die Schlacht von Solferino in den Augen jedes neutralen und unparteiischen Menschen als ein wirklich europäisches Unglück zu betrachten *).

wären ihm bei der Schlacht von Solferino 50,000 Mann kampfunfähig geworden; „denn“, soll er gesagt haben, „die gezogenen französischen Kanonen haben unsere Reserven dezimirt." Allein es wird wohl erlaubt sein, an der Aechtheit dieser Worte zu zweifeln.

*) Lassen wir hierüber Paul de Molènes sprechen, welcher als Stabsoffizier der französischen Armee der Schlacht beiwohnte und dessen edles Herz ihn folgende Zeilen niederschreiben ließ, welche vollständig zu unserm Gegenstande passen :

„Nach der Schlacht von Marengo, derjenigen von 1800, welche doch noch lange nicht in Beziehung auf das Gemezel der Schlacht von Solferino gleichkommt, bemächtigte sich Napoleon's 1. eines jener plötzlichen und überwältigenden Gefühle, welche den Rathschlägen der Politik fremd, selbst die Eingebungen des Genie's zu verdrängen im Stande sind, eines jener Gefühle, das Geheimniß von Heldenseelen, welche unter dem Auge Gottes die verborgensten Fibern des Gewissens erwecken. „Auf dem Schlachtfelde", schrieb er an den Kaiser von Oestreich, „inmitten der Leiden von einer Menge Verwundeter und umgeben von 15,000 Leichnamen, beschwöre ich E. M., auf die Stimme der Menschlichkeit zu hören.“ Dieser Brief, den uns ein berühmter Geschichtschreiber der heutigen Zeit vollständig wiedergiebt, hat mich lebhaft ergriffen. Derjenige, welcher ihn schrieb, war selbst davon bewegt und überrascht. Und in seine Ueberraschung mischte sich dennoch nicht jene geheime Reue, von welcher die Menschen oft durchdrungen werden, wenn sie bei ihrem Erwachen, wie sie sagen, ihren Verstand anklagen, daß er geschlummert und ihr Herz eine edels müthige That habe vollführen lassen. Er nahm unter der unerwarteten,

Die Transporte von Verwundeten, welche von Brescia nach Mailand stets in der Nacht abgiengen (wegen der brennenden Sonnenhiße des Tages), boten durch die mit verstümmelten Soldaten gefüllten Waggons einen ungemein traurigen und ergreifenden Anblick dar, und so̟ besonders die Ankunft in den von einer traurigen, stillen Volksmasse angefüllten Bahnhöfen, welche der fahle Schein von Pechfackeln beleuchtete; in dieser dicht gedrängten, von Mitgefühl tief bewegten Menge hielt jeder Einzelne wie im Einverständnisse den Athmen an, während das Klagen und das unterdrückte Stöhnen aus den Waggons bis zu ihnen drang.

Die Destreicher hatten bei ihrem Rückzuge bis zum Garda-See, während des Juni, die lombardisch-venetianische Eisenbahn auf vielen Punkten auf der Strecke von Mailand nach Brescia und Peschiera unterbrochen; allein diese Linie wurde schnell wieder hergestellt und dem Verkehre übergeben*), um den Transport des Materials, der Munition und der für die aliirte Armee bestimmten Lebensmittel zu erleichtern und die Entleerung der Spitäler von Brescia zu ermöglichen.

Auf jeder Station waren lange und schmale Barracken aufgeschlagen, um die Verwundeten, sobald sie die Waggons verließen, darin aufzunehmen, zu welchem Zwecke sich Betten oder einfach neben einander gelegte Matraßen darin be

ursprünglichen Form diesen Gedanken auf, deffen Ursache er begriff und achtete. Diese Quelle des Gedankens nun, welche dem Sieger von Marengo jenen Erbarmens- und Trauerschrei erpreßte, brach sich durch die Schlacht von Solferino,“ seßt Paul de Molènes hinzu, „von Neuem Bahn."

*) Dieses Resultat ist namentlich der Thätigkeit und der Energie des mailändischen Banquiers Carl Brot zu danken, welcher das einzige in der Stadt zurückgebliebene Mitglied des Verwaltungsrathes der lombardischvenetianischen Eisenbahnen war.

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