Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

ein kalter Schweiß rann von seinem Antlige; allein er hatte noch eine Minute zu überstehen, eine Minute, die ihm zur Ewigkeit werden konnte. Der ihn so sehr bemitleidende Gehülfe zählte die Sekunden, und den Blick bald auf den Chirurgen, bald auf den Leidenden gerichtet, dessen Muth er aufzurichten suchte, sagte er zu diesem: „Nur noch eine Minute!" In der That, jezt war der Moment der Säge gekommen, und bald vernahm man die kreischenden Töne des Stahles, der in den lebendigen Knochen dringend endlich das halbverfaulte Glied von dem Körper trennte. Allein der Schmerz war zu groß für diesen abgeschwächten und erschöpften Körper, die Klagen waren verstummt, der Verwundete war ohnmächtig geworden. Der Chirurg, der nicht mehr das Geschrei und die Klagen vernahm und fürchtete, daß diese Stille die Stille des Todes sei, sah den Operirten voll Ungeduld an, um sich zu vergewissern, daß er nicht ausgeathmet habe. Die bereitgehaltenen Stärkungsmittel vermochten nur mit Mühe die matten Augen, welche wie bei einem Todten regungslos geschlossen waren, wieder zu beleben; der fast Sterbende athmete wieder auf, zwar zerschlagen und kraftlos, aber doch waren nun die furchtbarsten Leiden vorüber.

In dem benachbarten Spitale wendete man Chloroform an. Hier hatte der Patient, und besonders derjenige französischen Ursprungs, zwei wohl zu unterscheidende Perioden durchzumachen; von einer oft bis zum wüthendsten Delirium sich steigernden Aufregung verfiel er gewöhnlich in eine vollständige Lethargie, welche zur wahren Unempfindlichkeit wurde. Manche Leute, welche an den Gebrauch starker gebrannter Getränke gewöhnt waren, konnten nur mit großer Mühe in

Schlaf gebracht werden und sträubten sich lange gegen dieses mächtige Betäubungsmittel.

Beim Gebrauche des Chloroform sind übrigens die Unund Todesfälle lange nicht so selten, als man glaubt, und sehr oft bemühte man sich vergebens, diejenigen wieder in's Leben zurückzurufen, welche man noch einen Augenblick vorher gesprochen hatte.

Man stelle sich aber nun eine Operation dieser Art, wie an einem Destreicher, vor, der weder italienisch noch französisch konnte und sich fast wie ein Schaf zur Schlachtbank führen lassen mußte, ohne nur ein einziges Wort mit seinen mildthätigen Henkern sprechen zu können! Die Franzosen fanden überall Sympathie, man schmeichelte ihnen, man pflegte und ermuthigte sie, und wenn man ihnen von der Schlacht bei Solferino sprach, da lebten sie auf und wurden mittheilsam; diese für sie so glorreichen Erinnerungen, welche ihre Gedanken von ihrer traurigen Lage ablenkten, trugen viel dazu bei, ihnen ihr Loos zu erleichtern. Die Destreicher hatten nicht die gleichen Privilegien. In den verschiedenen Spitälern, woselbst man sie massenweise zusammengepfercht hatte, war es mir kaum möglich, Eingang zu finden, als ich sie besuchen wollte; ich mußte mir fast mit Gewalt Bahn zu ihnen brechen. Mit welcher Dankbarkeit nahmen diese wackeren Leute meine freundlichen Worte und den ihnen gereichten Tabak an! In diesen resignirten, ruhigen und sanften Zügen las man die Gefühle, welche sie nicht auszudrücken vermochten, und ihre Blicke sagten mehr, als alle Dankesworte hätten sagen können; besonders aber zeigten sich die Offiziere sehr gerührt über die ihnen gewidmete Pflege. Sie wurden zwar ebenso wie ihre Soldaten mit Menschlichkeit

behandelt, allein die Brescianer vermochten es nicht über sich zu gewinnen, ihnen auch etwas Wohlwollen zu bezeigen. In dem Spitale, in welchem der Fürst von Isenburg untergebracht war, bewohnte derselbe mit einem andern deutschen Fürsten ein kleines, aber ziemlich gut eingerichtetes Zimmer.

Mehrere Tage hinter einander theilte ich Tabak, Pfeifen und Cigarren in den Kirchen und Spitälern aus, wo der Geruch des von etlichen hundert Menschen gerauchten Tabales sehr nüzliche Dienste leistete gegen die giftigen Ausdünstungen, welche der Aufenthalt so vieler Kranken in diesen von drückender Hiße erfüllten Lokalitäten verursachte. Der in Brescia vorräthige Tabak war sehr bald aufgezehrt, und man war gezwungen, solchen von Mailand kommen zu lassen. Das Tabakrauchen war auch fast das einzige Mittel, welches die Besorgnisse der Verwundeten vor einer Amputation verminderte; an Mehreren wurde die Operation vorgenommen, während sie die Pfeife im Munde hatten, und Viele starben, während sie rauchten.

Ein achtbarer Bewohner von Brescia, Herr Carlo Broghetti, führte mich mit äußerster Zuvorkommenheit in seinem Wagen von einem Spitale der Stadt zum andern und half mir meine Tabakgeschenke vertheilen, welche von den Kaufleuten in Tausenden von kleinen Düten zurecht gemacht worden waren; diese Düten wurden von freiwilligen Soldaten in großen Körben hinter uns hergetragen. Ueberall war ich wohl aufgenommen. Nur ein lombardischer Arzt, Graf Calini, wollte nicht gestatten, daß in dem seiner Leitung anvertrauten Militärspital von San Luca die Cigarrengeschenke ausgetheilt würden, während alle andern Aerzte im Gegentheile sich darüber ebenso erkenntlich zeigten, als

die Kranken selbst.

Dieser kleine Anstand schreckte mich übrigens nicht ah, und ich darf wohl sagen, daß dies das einzige Hinderniß und die einzige, wenn auch unbedeutende Schwierigkeit war, die mir begegnete; bis dahin war ich nirgends auf einen Widerstand dieser Art gestoßen und, was noch mehr erstaunen mag, ich war nicht ein einziges Mal genöthigt, meinen Paß oder meine Empfehlungen von Generalen an andere Generale vorzuweisen, und meine Brieftasche war von derartigen Briefen angefüllt. *) Ich hielt mich deßhalb dadurch nicht für geschlagen, und noch an demselben Nachmittage gelang es mir nach einem neuen Versuche in San Luca eine Menge Cigarren an die wackeren Kranken auszutheilen, welche ich unschuldigerweise die Qualen des Tantalus hatte erdulden lassen. Als sie mich zurückkommen sahen, stießen sie Ausrufe der Freude und des Ver= gnügens aus.

Während meiner Wanderungen begab ich mich auch in eine Reihe von Zimmern in dem zweiten Stocke eines ausgedehnten Klosters, eine Art von Labyrinth, dessen Erdgeschoß und erster Stock mit Verwundeten angefüllt waren; in einem dieser obern Zimmer fand ich 4 oder 5 in Fieber liegende Verwundete, in einem andern 10 bis 15, in einem dritten etwa 20, alle in Betten untergebracht, allein ohne

Namentlich von dem durch sein gutes und leutseliges Wesen und durch seine ausgezeichneten militärischen Eigenschaften so bekannten General Marquis von Beaufort d'Hautpoul. Er war Chef des Generalstabs in dem Armeecorps, welches Toscana besetzt hatte. Seitdem stand er als Oberkommandant an der Spitze der syrischen Expedition. General de Beaufort ist der Neffe des verstorbenen Grafen de Budé, welcher Mitglied des Generalrathes des Air-Departements war und im Juli 1862 in Genf starb, von Allen, die ihn kannten, tief betrauert.

daß man sie aufmerksam gepflegt hätte; sie beklagten sich auf das Bitterste, daß sie während mehrerer Stunden keinen Krankenwärter gesehen hätten und baten mich auf das Inbrünstigste, ich möchte ihnen ein wenig Fleischbrühe reichen lassen, anstatt des eiskalten Wassers, das ihnen bis dahin als Getränke gedient habe. Am äußersten Ende eines sehr langen Corridors in einem vollständig abgelegenen Zimmer starb, gänzlich allein gelassen und hingestreckt auf seinem elenden Bette, ein junger Bersagliere, der vom Wundfießer befallen war. Obschon er noch vollkommen bei Leben schien und die Augen weit offen hatte, so war er doch nicht mehr im Stande, die an ihn gerichteten Worte zu verstehen, und wohl aus diesem Grunde hatte man ihn sich selbst überlassen. Viele französische Soldaten baten mich, an ihre Verwandten zu schreiben, Andere wollten, daß ich an ihren Hauptmann, der in ihren Augen ihre abwesende Familie ersette, ihre Briefe richtete. Im Spital San Clemenzia widmete sich eine Dame von Brescia, die Gräfin Bronna, mit der Selbstverläugnung einer Heiligen der Sorge der Amputirten; die französischen Soldaten sprachen mit wirklicher Begeisterung von dieser Frau, welche sich auch durch die Eckel erregendsten Scenen nicht zuückhalten ließ. „Sono madre," sagte sie mit wirklich ergreifender Einfachheit. „Ich bin Mutter," - mit diesem einen Worte ist in der That ihre mütterliche Sorgfalt vollständig gezeichnet.

In den Straßen wurde ich 5 bis 6 Mal hinter einander von Einwohnern der Stadt angesprochen, ich solle zu ihnen kommen und ihnen bei den verwundeten Commandanten, Hauptleuten oder Lieutenants, welche sie in ihren Häusern aufgenommen hatten und auf das Sorgfältigste verpflegten,

« ZurückWeiter »