Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

wohl um so natürlicher, wenn man bedenkt, daß die etwa 40,000 Seelen zählende Bevölkerung von Brescia ganz plöt= lich und unerwartet durch die Ankunft von 30,000 Verwundeten und Kranken fast verdoppelt wurde*). Und es muß hier noch erwähnt werden, daß die Aerzte, 140 an der Zahl, während der ganzen Zeit ihrer ebenso schwierigen als angreifenden Thätigkeit eine bewunderungswürdige Hingebung an den Tag legten, ohne daß irgend eine Empfindlichkeit oder Nivalität ihre Sorge für das allgemeine Wohl im Geringsten gestört hätte; sie wurden hiebei von den Studenten der Medizin und einer kleinen Zahl von freiwillig helfenden Personen unterstüßt. Nachdem sich noch Hülfscomité's gebildet hatten, wurde eine besondere Commission ernannt, welche die Geschenke und Gaben an Betten, Weißzeug und Vorräthen aller Art in Empfang zu nehmen hatte, und eine weitere Commission übernahm die Direktion über das Centraldepot oder Magazin**).

In den großen Sälen der Hospitäler wurden in der Regel die Offiziere getrennt von den Soldaten untergebracht, ebenso legte man auch die Oestreicher und Alliirten nicht zu

*) Vom 15. Juni bis zum 31. August nahmen die Epitäler von Brescia nach den officiellen Berichten allein an Fieberkranken und andern Kranken 19,665 Soldaten auf, von welchen mehr als 19,000 der frankosardischen Armee angehörten. Die Oestreicher hatten ihrerseits in ihren Spitälern im Benetianischen mindestens 20,000 Kranke, ohne die Menge von Verwundeten zu zählen, welche noch in denselben verpflegt wurden.

**) Die erste dieser Commissionen war zusammengesetzt aus den Herren Pallavicini, Glisenti, Averoldi, Sienna, den Advokaten Zuccoli und Conter und dem Geistlichen Rossa; die zweite aus den Herren Bafiletti, Caprioli, Rovetta und Da Ponte. Wir haben 40,000 Einwohner in unserer Stadt," hatte 3 Tage vor der Schlacht der Bürgermeister von Brescia gesagt, „es stehen also 40,000 Betten zur Verfügung.“

sammen; die verschiedenen Betten erschienen vollständig gleich, allein auf einem Gefache oberhalb jedes Mannes erkannte man an der Uniform und der Kopfbedeckung die Waffe und das Corps, zu welchem der Verwundete gehörte. Anfänglich gestattete man den Eintritt von Besuchern nicht, weil dieselben den Dienst hinderten und erschwerten. Zur Seite martialischer und in ihr Schicksal ergebener Leute sah man wieder andere, welche murrten und sich beklagten; in den ersten Tagen schienen alle Verwundungen schwer. Bei den französischen Soldaten war jedoch bald der gallische Charakter oder Geist durch die Lebhaftigkeit und die Leichtigkeit im Ertragen des Mißgeschickes, sowie durch seine Ausdauer und Energie erkenntlich, allein man bemerkte bei ihnen auch eine gewisse Ungeduld und Neizbarkeit bei dem ge= ringsten Widerspruche. Da sie sich weniger leicht beunruhigen und erschrecken ließen, so ergaben sie sich auch leichter in die nothwendigen Operationen, als die Oestreicher, welche, minder sorglos als sie, eine wahre Angst vor jeder Amputation hatten und weit leichter von Schwermuth erfaßt wurden. Die mit langen schwarzen Nöcken gekleideten italienischen Aerzte pflegten zwar die Franzosen mit aller möglichen Rücksicht, allein die Art der ärztlichen Behandlung bei einigen von ihnen sezten die Kranken wahrhaft in Verzweiflung; denn die Italiener verordnen mit Vorliebe Diät, Aderlässe und Tamarindenwasser.

Ich fand in diesen Sälen mehrere von unseren Verwundeten von Castiglione, die mich ebenfalls erkannten; sie wurden hier besser gepflegt, allein ihre Leiden waren noch nicht vorüber. So befand sich hier auch einer jener Jäger der Garde, welcher durch einen Schuß am Beine verwundet wor

den war, und dem ich in Castiglione den ersten Verband angelegt hatte; er war ausgestreckt auf seinem elenden Lager und der Ausdruck seines Gesichtes ließ auf schwere Leiden schließen. Seine Augen waren eingefallen und erhißt, die Gesichtsfarbe gelblichbleich, ein Zeichen, daß das Wundfieber seinen Zustand bedeutend verschlimmert hatte. Seine Lippen waren trocken, seine Stimme bebte; an die Stelle der kühnen Verwegenheit dieses Wackern war ein gewisses Gefühl beunruhigender Vorahnung getreten, selbst die Pflege schien einen entnervenden Eindruck auf ihn hervorzubringen; er fürchtete sich, wenn man in die Nähe seines verletzten Beines kam, das bereits vom Brande ergriffen war. Der französische Chirurg, welcher die Amputationen vorzunehmen hatte, trat nun an sein Bett, der Verwundete faßte dessen Hand, die seinen brannten wie glühendes Eisen, als er sic preßte. „Thut mir nicht wehe, es ist fürchterlich, was ich leide! rief er. Allein es mußte gehandelt werden und sogar alsogleich, zwanzig andere Verwundete sollten noch an demselben Morgen operirt werden und 150 warteten, daß man sie verbinde; man hatte nicht Zeit, sich bei einem Einzigen aufzuhalten, und auf seinen Entschluß zu warten. Der Chirurg, sonst ein gutmüthiger Mann, aber in seiner Praris kalt und entschlossen, erwiederte nur ganz kurz: „Lassen Sie mich machen, lassen Się mich nur machen," und zog rasch die Bettdecke in die Höhe; das verwundete Bein war mindestens doppelt so dick geworden; an drei Stellen drang stinkender Eiter in Menge hervor, die bläulichen Flecken zeigten, daß eine Schlagader verlegt war; das Glied konnte nicht mehr gespeist werden, cs gab darum kein Mittel, es zu erhalten, und man hatte nur den einen Ausweg, es am Hüftgelenke abzu

[ocr errors]

nehmen. Amputation! welches schreckliche Wort für diesen unglücklichen jungen Mann, der jezt keine andere Aussicht vor sich sah, als entweder plöglichen Tod oder die elende Existenz eines Verstümmelten. Er hatte aber nicht einmal Zeit, sich auf sein Schicksal vorzubereiten: „Mein Gott, mein Gott! was wollen Sie thun?" sagte er bebend. Der Chirurg antwortete ihm nicht. „Krankenwärter tragen Sie ihn weg, beeilen Sie sich!" wandte er sich nur kurz an diesen. Ein durchdringender Schrei entfuhr jedoch der keuchenden Brust des Unglücklichen, als der ungeschickte Krankenwärter das verwundete steife Bein ganz nahe an der Wunde gefaßt hatte; die einzelnen Knochenstücke waren in das Fleisch eingedrungen und hatten dem Soldaten neue furchtbare Schmerzen verursacht, welche noch zunahmen, als sein herabhängendes Bein von der Bewegung des Tragens auf dem Wege bis zum Sektionssaale fortwährend hin und her geschaukelt wurde. Welch' schrecklicher Aufzug! Es war, als ob man ein Schlachtopfer zum Tode führte. Endlich lag er auf dem Operationstische, auf einer dünnen Matraze; neben ihm auf einem andern Tische bedeckte ein Handtuch die Instrumente. Der Chirurg, nur mit den Vorbereitungen zu seiner Operation beschäftigt, hörte und sah nichts außer ihr: ein junger Gehülfe mußte den Arm des Verwundeten halten; während der Krankenwärter ihn an dem gesunden Beine fassend mit aller Kraft gegen den Rand des Tisches zog, rief der Unglückliche erschreckt: „Lassen Sie mich nicht fallen!" und drückte krampfhaft seine Arme gegen den jungen Gehülfen, der ihn unterstüßen wollte, selbst aber vor Aufregung bleich und verwirrt war. Der Chirurg hatte nun seinen Rock abgelegt, die Aermel seines Hemdes bis zur Schulter

"

zurückgeschlagen und einen breiten bis zum Halse reichenden Schurz angezogen; ein Knie auf die Steinplatten des Saales gestüßt und in der Hand das furchtbare Messer haltend, umschlang er mit seinem Arme den Schenkel des Soldaten, und durchschnitt alsdann mit einem Zuge die Haut rings um den ganzen Schenkel. Ein durchdringender Schrei hallte im Spitale wieder; der junge Gehülfe schien auf den Zügen des armen Duldenden jedes Zucken des furchtbarsten Schmerzes zu beobachten und mitzufühlen. Muth," sagte er mit Leiser Stimme zum Soldaten, dessen Hände er auf seinem Nücken sich zusammenkrallen fühlte, „noch 2 Minuten und alles ist vorüber!" Der Chirurg erhob sich hierauf, und begann die Haut von den nun nackt gelegten Muskeln zu trennen, er durchschnitt zu diesem Zwecke die Fleischtheile und zog sie dann gleichsam mit dem Zurückschieben der Haut wie eine zollhöhe Handkrause herauf, alsdann durchschnitt er auch mit einem kräftigen Rundkreisschnitte alle Muskeln bis zum Knochen; das Blut quoll in Strömen aus den geöffneten Pulsadern, indem es den· Chirurgen besprizte und auf den Boden floß. Sonst kalt und unempfindlich hatte der gewandte Arzt bis dahin nicht ein Wort gesprochen, allein jest wendete er sich, die Grabesstille im Saale unterbrechend, voll Wuth an den ungeschickten Kranfenwärter: Einfaltspinsel," rief er ihm zu, wissen Sie nicht die Pulsadern zu unterhalten?" Dieser lettere, der noch wenig Erfahrung hatte, hätte den Blutverlust dadurch verhindern sollen, daß er auf die Blutgefäße den Daumen aufdrückte. Der Verwundete, der sich vor Schmerzen kaum zu fassen wußte, stammelte mit schwacher Stimme nur die Worte hervor: „D! es ist genug, laßt mich sterben!" und

« ZurückWeiter »