Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

und nahm bei einem Fuhrmanne als Kutscher Dienste. Sein Schrecken mehrte sich noch durch einen Schuß, welcher von einem Oestreicher abgefeuert wurde, als wir in seine Nähe kamen, und der hierauf durch die Büsche floh. Während dem Rückzuge der östreichischen Armee hatten sich nämlich einige versprengte Soldaten in die Keller der Häuser jener kleinen Ortschaften geflüchtet, welche von ihren Bewohnern verlassen und dann in Folge des Kampfes fast vollständig zerstört worden waren; allein und voll Furcht hatten sie sich anfangs so gut wie möglich in diesen Verstecken ernährt und wagten sich erst später hervor, indem sie während der Nacht irrend in den Feldern umherzogen. Der Mantuaner, der sich nicht zu beruhigen im Stande war, vermochte bald nicht mehr sein Pferd in gerader Linie zu führen; er wendete fortwährend den Kopf nach rechts und links, schaute mit stieren Blicken nach den Gebüschen am Wege, jeden Augenblick erwartend, einen dort versteckten Oestreicher hervortreten und auf ihn anlegen zu sehen; kein Verhau, kein Mauerrest entgieng seinen ängstlichen Blicken, besonders wenn die Straße eine Wendung machte. Seine Furcht verwandelte sich in unbeschreibliches Entsetzen, als die Stille der Nacht durch den Schuß einer Vedette unterbrochen wurde, die wir wegen der Dunkelheit nicht gesehen hatten, und er wäre fast in Chnmacht gefallen beim Anblicke eines großen geöffneten Negenschirms, welcher, von drei Kanonenkugeln und mehreren Flintenkugeln durchbohrt, am Rande eines Feldes zunächst dem Fußwege nach Volta lag; dieser Negenschirm hatte warscheinlich einer Marketenderin der französischen Armee angehört und war ihr vom Gewitter am 24. entrissen worden.

[ocr errors]
[ocr errors]

Wir mußten wieder zurückfahren, um in die gute Straße von Borghetto einzulenken; es war jetzt schon über 11 Uhr, und wir trieben unser Pferd so viel als möglich, so daß unser bescheidenes kleines Fuhrwerk fast geräuschlos, aber schnell wie der Gedanke auf der Strada Cavallara dahinrollte, als von Ncuem eine Unterbrechung uns erwartete: „Wer da! Wer da! Wer da! oder ich gebe Feuer!"_rief ohne Unterbrechung und ganz nahe vor uns eine Wache zu Pferd. Frankreich!" antwortete mit starker Stimme mein Begleiter, indem er zu gleicher Zeit seinen Grad beifügte: „Corporal im ersten Genieregiment, 7. Compagnie." "Passirt!" wurde uns bedeutet. Endlich um 113⁄4 Uhr erreichten wir ohne weitere Störung die ersten Häuser von Borghetto *). Alles war hier still und finster; nur in einem Erdgeschosse der Hauptstraße brannte noch ein Licht; es waren hier in einem niederen Zimmer Rechnungsoffiziere beschäftigt, welche, obgleich durch meine Ankunft in ihrer Arbeit gestört und sehr erstaunt über einen Besuch zu so später Stunde, sich sehr höflich bezeigten. Einer derselben, Herr A. Outrey, ein Zahlungsoffizier, bot mir, ehe er noch meine verschiedenen Empfehlungen von Generalen gesehen hatte, auf das Freundlichste seine Gastfreundschaft an; seine Ordonnanz brachte eine Matraze, auf welche ich mich vollständig angekleidet warf, um einige Stunden auszuruhen, nachdem ich vorher eine vortreffliche Fleischbrühe genommen hatte, welche mich um so wohlthuender stärkte, als ich seit

*) Borghetto ist ein Dorf von etwa 2000 Seelen, auf dem rechten Ufer des Mincio und fast gegenüber von Valeggio. Im Jahre 1848 überschritten hier die sardinischen Truppen unter den Befehlen des Königs Karl Albert den Mincio, troß des hartnäckigen Widerstandes der Oestreicher, welche von Feldmarschall Radetzky befehligt wurden.

einigen Tagen nichts Ordentliches gegessen hatte. Ich schlief ruhig, ohne, wie in Castiglione, fortwährend von den ungesunden Ausdünstungen und den Mücken geplagt zu sein, welche, nachdem sie sich an den Leichnamen gesättigt, auch noch die Lebenden heimzusuchen pflegten. Der Corporal und der Kutscher hatten es sich indessen ganz einfach in dem auf der Straße stehen gebliebenen Cabriolet bequem gemacht; allein der unglückliche Mantuaner konnte in seiner fortdauernden Angst die ganze Nacht kein Auge schließen, und ich fand ihn des andern Morgens mehr todt als lebendig.

Den 28. um sechs Uhr Morgens wurde ich auf die wohlwollendste und liebenswürdigste Weise von dem guten und ritterlichen Marschall Mac-Mahon empfangen, der mit Recht der Abgott der Soldaten genannt wird *); um 10 Uhr

Der Herzog von Magenta ist sehr beliebt in der französischen Armee, seine Soldaten achten und verehren ihn; es möge davon ein Beispiel hier Platz finden: Im Jahre 1856 befanden sich in Algerien auf der Straße nach Konstantine zwei ausgediente Zuaven in dem Intérieur eines Eilwagens, indessen ich im Coupée saß; sie begaben sich als Arbeiter nach Bathna, um dort in den Wäldern Bäume zu schlagen. Sie sprachen während der Fahrt immer von dem orientalischen Kriege und dem Marschalle MacMahon in ihrer pittoresken Sprache, und zwar laut genug, daß ich einige Phrasen verstehen konnte. „Gibt es," sagte der Eine, „einen General wie er? Er wußte uns zu kommandiren! Wir sind alte Troupiers, alte Brummbären, wir haben nie Furcht gehabt, und doch haben wir geweint; erinnerst Du Dich, als er zu uns auf dem Plate sprach, wir wurden verabschiedet, und unsere Zeit war aus wie er da von uns Abschied nahm und zu uns sagte: „Kinder, ihr habt tapfer unter den Fahnen gedient, ihr kehrt jetzt in das bürgerliche Leben zurück; begeht niemals eine schlechte Handlung, erinnert euch, daß ihr einen Vater habt, und dieser Vater der bin ich!" So hat er gesagt, indem er sich auf die Brust schlug . . . „und meine Börse ist die Eure. Gebt mir Alle die Hand ..." Erinnerst Du Dich, als er uns seine Börse voll Gold zuwarf und sagte: Theilet unter einander, aber zankt euch nicht! . . .“ Und wir haben Alle geweint, wie kleine Mädchen."

-

befand ich mich in jenem, seitdem geschichtlich berühmt gewordenen Hause, das in der kurzen Zeit vom Morgen bis zum Abende des 24. zwei große feindliche Monarchen in sich beherbergt hatte. Um 3 Uhr Nachmittags desselben Tages war ich wieder bei den Verwundeten in Castiglione angekommen, die mir ihre Freude, mich wieder zu sehen, auf's Lebhafteste ausdrückten; und den 30. Juni kam ich nach Brescia.

Diese hübsche, so recht malerisch gelegene Stadt war nicht wie Castiglione in ein prorisorisches Feldlazareth, sondern mehr in ein ungeheuer ausgedehntes Epital umgewandelt, ihre zwei Domkirchen, die übrigen Kirchen, die Paläste, die Klöster, die Schulen, die Kasernen, kurz alle Gebäulichkeiten waren mit Schlachtopfern von Solferino angefüllt; 15,000 Better waren so zu sagen in einem einzigen Tage aufgeschlagen worden; die großherzigen Bewohner hatten mehr gethan, als noch je unter ähnlichen Umständen geschehen ist. In der Mitte der Stadt war der Dom, gewöhnlich il Duomo vecchio oder la Rotonda ge= nannt, mit seinen zwei Kapellen von etwa tausend Verwundeten angefüllt; das Volk drängte sich in Masse herbei, und besonders die Frauen jeden Ranges, um Orangen, Gallerte, Biscuit, Zuckerwerk und sonstige Erfrischungen zu bringen; auch die niederste Wittwe oder die ärmste kleine Alte glaubten sich verpflichtet, ihren Tribut des Mitgefühls und ihre bescheidene Gabe darbringen zu müssen. Dieselben Auftritte fanden in dem neuen Dome Statt, einem prachtvollen Gebäude in weißem Marmor mit einer weiten Kuppel geziert; mehrere hunderte von Verwundeten waren hier untergebracht, ebenso in den vierzig anderen Gebäuden, Kir

chen oder Spitälern, welche zusammen nahe an 20,000 Verwundete und Kranke enthielten.

Der Stadtrath von Brescia hatte alsogleich die ihm obliegenden Verpflichtungen erkannt, welche er bei diesem außergewöhnlichen Ereignisse zu erfüllen hatte, und zeigte sich auch auf die Dauer seiner Aufgabe auf das Vollkom= menste gewachsen; er hatte sich permanent constituirt, ausgezeichnete Kräfte herbeigezogen, und die Rathschläge der achtungswerthesten Bürger unterstüßten ihn in seinen Bestrebungen. Es wurde zuvörderst eine oberste Aufsichtsbehörde für die Spitäler ernannt, und zwar auf den Vorschlag des berühmten Dr. Bartholomeo Gualla, sodann eine Centralcommission, welcher dieser leztere präsidirte, und die aus den Doctoren Corbolani, Orefici, Ballini, Bonicelli, Cassa, C. Maggi und Abeni bestand, welche Tag und Nacht in Anspruch genommen waren. Diese Commission sezte für jedes Spital einen besondern Verwalter und einen Oberchirurgen ein, dem etliche Aerzte und eine Anzahl Krankenwärter beigegeben waren. Sobald ein Kloster, eine Schule oder eine Kirche zur Unterbringung von Verwundeten verwendet wer den sollte, wußte diese Centralcommission in wenig Stunden und wie durch Zauber Spitäler daraus zu machen, sie mit Hunderten von Betten auszurüsten und mit einer großen Küche und einem Waschlokale zu versehen; alle diese Räumlichkeiten erhielten sodann das nöthigste Linnenzeug und Alles, was noch nüßlich oder nothwendig sein konnte. Diese Maßregeln wurden mit solcher Pünktlichkeit und so überraschend schnell ergriffen, daß man sich schon in wenig Tagen über die gute Ordnung und den regelmäßigen Gang in diesen vielen Spitälern verwundern mußte; und diese Verwunderung ist

« ZurückWeiter »