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pie auf, worauf sie denen, welche weder den Kopf noch die Arme bewegen konnten, in Löffeln Fleischbrühe, Wein oder Limonade in den Mund goßen. Die Wagen, welche ohne Unterlaß Lebensmittel, Fourage, Munition und jede Art von Vorräthen von Frankreich oder dem Piemonte nach dem französischen Lager führten, kehrten nie leer zurück, sondern nahmen Kranke bis nach Brescia mit. In allen Ortschaften, welche die Transporte zu passiren hatten, ließen die Ortsbehörden Getränke, Brod und Fleisch bereit halten. In Montechiaro wurden die drei Spitäler dieses Ortes von den Bauersfrauen bedient, welche mit ebenso viel Intelligenz, alz Güte die dort untergebrachten Verwundeten pflegten. In Guidizzolo hatte man deren etwa Tausend in recht angemessener Weise, wenn auch nur vorübergehend in einem ausgedehnten Schlosse untergebracht; in Volta diente ein altes Kloster als Kaserne, in welcher hunderte von Dest= reichern untergebracht waren. In Cavriana wurden in der Hauptkirche dieses elenden Nestes vollständig verstümmelte Destreicher verpflegt, welche vorher während acht und vierzig Stunden unter den Gallerien eines häßlichen Wachthauses ausgestreckt gelegen hatten; in dem Lazarethe des großen Hauptquartiers nahm man Operationen vor mit Anwendung des Chloroform, der bei den östreichischen Verwundeten fast eine augenblickliche Unempfindlichkeit bewirkte, indessen bei den Franzosen nervöse Zuckungen und eine fieberische Aufregung die Folge war.

Die Bewohner von Cavriana waren durchaus von Lebensmitteln entblößt und die Soldaten der Garde ernährten sie in der That vollständig, indem sie ihre Nationen und ihren Kaffee mit ihnen theilten; die Felder waren zerstört wor

den und fast alle Produkte derselben, welche eingebracht werden konnten, waren an die östreichischen Truppen verkauft, oder unter dem Vorwande von Requisitionen von ihnen genommen worden. Obschon die französische Armee Feldfrüchte im Ueberflusse besaß, Dank der Vorsorge und Pünktlichkeit ihrer Administration, so hatte sie dennoch Mühe, sich die Butter, das Fett und die Gemüse zu verschaffen, welche zur gewöhnlichen Soldatenkost nöthig sind; die Oestreicher hatten fast alles Vieh requirirt, und die Alliirten konnten nur Maismehl auf ihren Lagerpläßen erhalten. Uebrigens wurde Alles, was die lombardischen Bauern zum Unterhalte der Truppen verkaufen konnten, zu sehr hohen Preisen bezahlt, welche man in der Weise festseßte, daß die Verkäufer zufrieden sein konnten. Auch wurden die Requisitionen für die franzö= sische Armee, als Pferdefutter, Kartoffeln und andere Lebensmittel, den Einwohnern des Landes, die noch für den Schaden, den der Kampf verursachte, entschädigt wurden, sehr reichlich ersetzt.

Die Verwundeten der sardinischen Armee, welche nach Desenzano, Nivoltella, Lonato und Pozzolengo gebracht wurden, befanden sich in einem minder unangenehmem Zustande als jene zu Castiglione: die beiden ersten dieser Städte, welche während einiger Lage von den beiden Armeen nicht besetzt gewesen waren, boten freilich mehr Lebensmittel, die Lazarethe waren besser unterhalten, und die Einwohner, minder eingeschüchtert und erschreckt, zeigten sich sehr thätig bei dem Krankenwärterdienste; die Kranken, welche man nach Brescia schaffte, lagen auf einer dichten Heustreue in guten Wagen, über welche mit Hülfe von geflochtenen Zweigen starke leinene Tücher gespannt waren.

Den 27. Nachmittags ließ ich, durch die Strapazen erschöpft und nicht mehr in Stande, einen erfrischenden Schlaf zu finden, mein Cabriolet anspannen und fuhr gegen 6 Uhr aus, um mindestens in der Frische des Abends ein wenig der Ruhe zu genießen, und während dieser Zeit den ergreifenden Auftritten, die mir überall in Castiglione begegneten, zu entgehen. Es war ein günstiger Tag und keine Truppenbewegungen (wie ich später erfuhr) waren für den Montag angeordnet worden. Ruhe folgte den schrecklichen Aufregungen der vorhergehenden Tage auf dem jezt so düsteren Schlachtfelde, wo man keine Ausbrüche der Leidenschaft und des Enthusiasmus mehr sah noch hörte; da und dort erblickte man aber immer noch Stellen mit geronnenem Blute in ihrem dunkeln Rothe hervorblicken, aufgerissene Erdstrecken, weiß mit Kalk bestreut, woran man die Pläße erkannte, wo die Opfer vom 24. ruhten. Bei Solferino, dessen viereckiger finster und stolz sich erhebender Thurm seit Jahrhunderten das umliegende Land beherrscht, und wo jezt schon zum dritten Male zwei der größten Mächte der neueren Zeit sich im blutigen Kampfe maßen, wurden noch immer die zahlreichen und traurigen Menschenreste jenes Tages gesammelt, die selbst auf dem Kirchhofe die Kreuze und Grabsteine mit Blut bedeckten. Gegen 9 Uhr kam ich nach Cavriana; es war ein in seiner Art einziges und großartiges Schauspiel, den Kriegstrain zu sehen, welcher das Hauptquartier des Kaisers der Franzosen umgab. Ich suchte den Herzog von Magenta, den ich die Ehre hatte, persönlich zu kennen. Da ich nicht genau wußte, wo in diesem Augenblicke sein Armeecorps lagerte, so ließ ich mein Cabriolet auf einem kleinen Plaze

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halten, gegenüber dem Hause, in welchem seit Freitag Abend Kaiser Napoleon wohnte; und so befand ich mich nun plößlich inmitten einer Gruppe von Generalen, welche auf einfachen Strohstühlen oder selbst auf hölzernen Schemeln saßen, und in der Frische des Abends, gegenüber dem improvisirten Palaste ihres Herrschers, ihre Cigarren rauchten. Während ich mich erkundigte, in welcher Richtung ich den Marschall Mac-Mahon treffen könne, befragten diese Generale ihrerseits den mich begleitenden Corporal, welchen sie neben meinem Kutscher sißend für meine Ordonnanz hielten*): sie wollten nämlich wissen, wer ich sei und zugleich erfahren, welchen Auftrag ich wohl haben könne; denn es fiel ihnen nicht ein, daß ein gewöhnlicher Tourist sich allein in die Lager wage und, bis nach Cavriana gekommen, zu so später Stunde noch weiter wolle. Der Corporal, der selbst keinen Aufschluß geben fonnte, blieb natürlich sehr schweigsam hierüber, obgleich er auf sehr ehrfurchtsvolle Weise ihre Fragen beantwortete, und die Neugierde schien noch zuzunehmen, als man mich hierauf nach Borghetto fahren sah, woselbst sich der Herzog von Magenta befinden sollte. Das zweite, von ihm befeh

*) Dieser Corporal war in Magenta verwundet worden, und gab sich, nachdem er wieder hergestellt zu seinem Bataillon zurückgekehrt war, viele Mühe in Caftiglione, um den Krankenwärtern beizustehen; ich nahm sein Anerbieten an, mich auf diesem Ausfluge, wo seine Eigenschaft als gradirter Militär mir als Geleitschein dienen konnte, zu begleiten. An dem selben Tag, am 27. Juni, wurden zwei Engländer, welche sich bis zu den französischen Vorposten vorwagen wollten, von den Soldaten als deutsche Spione arretirt und auf nicht sehr angenehme Weise nach dem Lager geschleppt, wo sie glücklicherweise den Marschall, der das Armeecorps fommandirte, trafen, welcher sie dann auch aus ihrer unangenehmen Lage befreite; nichts desto weniger waren jedoch unsere Jusulaner von dem ihnen zugestoßenen Abenteuer sehr erbaut.

ligte Corps hatte sich den 26. von Cavriana nach Castellaro zu begeben, das 5 Kilometer davon entfernt ist, und seine Divisionen lagen rechts und links der Straße, welche von Castellaro nach Monzambano führt; der Marschall selbst befand sich mit seinem Generalstabe in Borghetto. Aber die Nacht war bereits schon vorgerückt, und da man mir nur sehr unsichere Andeutungen gegeben hatte, so lenkten wir schon nach einer Stunde eine falsche Straße ein, nämlich in diejenige nach Volta in das Lager des Armeecorps von General Niel, der seit drei Tagen zum Marschalle ernannt worden war, und in der Umgebung dieser kleinen Stadt lagerte. Das unbestimmte Geräusch unter diesem schönen gestirnten Himmel, die Bivouakfeuer, welche da und dort von ganzen Bäumen unterhalten wurden, die erleuchteten Zelte der Offiziere, mit einem Worte diese letten Regungen eines wachenden Lagers, in welchem nach und nach die Nuhe der Nacht ihr Recht geltend macht, sie ergreifen auf recht angenehme Weise eine an und für sich schon erregte Phantasie; die Schatten des Abends und die feierliche Stille machten dem wechselnden Geräusche und den Aufregungen des Tages Platz und die reine, milde Luft des prachtpollen italienischen Himmels athmete sich mit Wollust ein.

Mein italienischer Kutscher war inmitten dieses nächtlichen Halbdunkels bei dem Gedanken, dem Feinde so nahe zu sein, von einer solchen Furcht erfaßt, daß ich mehrere Male gezwungen war, ihm das Leitseil abzunehmen, und es dem Corporal in die Hände zu geben oder selbst zu halten. Dieser arme Mensch war 8 bis 10 Tage vorher aus Mantua entflohen, um dem östreichischen Kriegsdienste zu entgehen, kam nach Brescia, um dort einen Unterhalt zu finden,

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